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Am folgenden Tag erschien eine Suchmeldung der Polizei im Regionalteil des Gazzettino und auf Televenezia. Für mögliche Zeugen wurde eine Telefonnummer der Questura in Portogruaro geschaltet. Doch die Stunden vergingen, ohne dass sich irgendjemand gemeldet hätte.

Am späten Nachmittag klingelte das Telefon vom Commissario Capo, als der sich gerade für den Feierabend fertig machte. Er warf dem Telefonapparat einen bösen Blick zu, als wenn er ihn absichtlich am Gehen hindern wollte. Er überlegte einen Moment lang, ob er das Gespräch annehmen, oder einfach ignorieren sollte. Dann nahm er missmutig den Hörer ab.

„Was gibt’s?“, blaffte er den Kollegen in der Telefonzentrale an.

„Entschuldigen Sie vielmals die Störung, Commissario, aber ich habe hier einen Zeugen in der Leitung.“

„Einen Zeugen? Wofür?“

„Wegen dem vermissten Mädchen, Commissario und ich dachte…“

„Bearbeitet das nicht Bellucci? Stellen Sie das Gespräch zu ihm durch.“

Damit knallte er den Hörer auf und beeilte sich das Büro zu verlassen. Nicht das noch jemand auf die Idee kam ihn zu stören.

Pronto“, meldete sich Sergente Bellucci, als der Kollege aus der Telefonzentrale das Gespräch zu ihm durchstellten wollte.

„Sergente, hier ist ein Zeuge.“

„Welcher Zeuge und für was?“

„Wegen dem Mädchen. Das bearbeiten Sie doch, oder?“

Belluccis Herz machte einen Satz.

„Ja, natürlich. Stellen Sie ihn durch.“

Es knackte kurz in der Leitung, dann meldete sich eine recht jung wirkende männliche Stimme.

„Sind Sie für die vermisste Estella zuständig?“

„Ja, haben Sie Informationen?“

„Ich habe sie gesehen.“

„Jetzt mal eins nach dem anderen. Wie ist denn Ihr Name?“

„Gianluca und ich hab sie heute Morgen gesehen.“

„Wo haben Sie Estella gesehen?“

„Auf der Piazza Marinetti.“

„Was, hier in Portogruaro? Was hat sie dort gemacht?“

„Wir haben bei Donati eine Cola getrunken.“

„Sie haben also auch mit ihr gesprochen? Kennen Sie sich?“

„Sag ich doch. Wir haben uns ab und zu mal in einer Disco getroffen.“

„Wie alt sind Sie?“

„Siebzehn.“

„Können Sie mir irgendetwas von ihr sagen oder beschreiben, damit ich weiß, dass wir von derselben Estella sprechen?“

Gianluca beschrieb exakt die Kleidung, die das Mädchen am Tag ihres Verschwindens trug. Dazu noch den braunen Violinen Koffer, der in der Suchmeldung nicht erwähnt wurde.

„…nur hatte sie ihre Haare abgeschnitten.“

„Welche Frisur hat sie denn nun?“

„Na, kurz halt.“

„Hat sie das selbst gemacht? Was glauben Sie?“

„Nein, sie sagte, dass sie beim Friseur war.“

„Woher hatte sie das Geld? Das ist doch bestimmt teuer.“

„Sie sagte, sie hätte eine Anzahlung für ihren neuen Job bekommen. Hundert Euro.“

„Hat sie auch gesagt, um welchen Job es sich handelt?“

„Irgendetwas mit einem Parfüm. Soll etwas ganz

Tolles sein.“

„Was hat sie nach eurem Treffen gemacht?“

„Sie sagte, dass sie noch etwas erledigen müsste und ist gegangen. Mehr weiß ich nicht.“

„Wir müssten Ihre Aussage aufnehmen. Nennen Sie mir doch bitte ihren vollständigen Namen und die Adresse, wo ich Sie erreich kann.“

Es entstand eine kurze Pause, dann klickte es in der Leitung. Der Anrufer hatte aufgelegt.

„Verflucht!“, schimpfte Bellucci und stand auf.

Er überlegte kurz, was nun zu tun sei und entschied sich, zuerst einmal die Eltern zu informieren, dass ihre Tochter heute lebend gesehen wurde.

Als er an der Telefonzentrale vorbei ging, rief er den diensthabenden Kollegen zu sich.

„Versuchen Sie bitte herauszufinden, woher dieser Anruf kam.“

„Welcher Anruf, Sergente? Hier rufen dauernd Leute an.“

Bellucci konnte nur mühsam die Fassung bewahren. Wie kam dieser Mensch bloß zur Polizei? Vielleicht gab es ein Programm für schwer vermittelbare Polizisten.

„Den Anruf, den Sie eben zu mir durchgestellt haben natürlich, welchen sonst?“

Auf der Fahrt nach Caorle beruhigte sich sein Puls wieder. Er parkte seinen Wagen am Anfang der Via Don Orione und ging die paar Schritte zur Via Santo Giuseppe zu Fuß.

Auf sein Läuten öffnete Patricio Orsini die Tür.

„Haben Sie meine Schwester gefunden?“, empfing er Bellucci mit erwartungsfrohem Gesichtsausdruck.

„Nein, das nicht, aber ich hätte Ihnen etwas mitzuteilen. Darf ich?“

„Entschuldigung. Natürlich, kommen Sie herein.“

In der Küche saßen Signora Orsini, ihr Mann und Vittoria am Esstisch bei einer kleinen Mahlzeit. Als er eintrat, sahen ihn sechs Augenpaare hoffnungsvoll an. Signor Orsini erhob sich um den Sergente zu begrüßen.

„Buon giorno, Sergente. Haben Sie Neuigkeiten für uns?“

„In der Tat. Heute hat sich ein Zeuge bei uns gemeldet, der Ihre Tochter kennt und sie heute Morgen in Portogruaro getroffen hat. Als er dann ihr Foto in der Zeitung sah, hat er uns direkt angerufen.“

Signor Orsini bekreuzigte sich.

„Gott sei Dank! Er hat die Gebete seiner Exzellenz erhört.“

„Aber warum sagt sie uns denn nichts?“, fragte die Signora.

„Zumindest wissen wir, dass ihr nichts passiert ist“, entgegnete ihr Sohn.

„Genau, deshalb wollte ich Sie sofort informieren.“

„Vielen Dank, Sergente. Aber wer hat sie denn gesehen? Ist der Zeuge glaubwürdig?“

„Er heißt Gianluca und ist siebzehn Jahre alt. Kennen Sie jemanden aus Estellas Bekanntenkreis auf den das zutrifft?“

Alle vier schüttelten den Kopf.

„Ich wüsste jetzt niemanden“, meinte Vittoria, „und mir hat sie immer alles erzählt.“

„Wie ist denn sein Nachname?“, fragte Patricio.

„Tja, als ich ihn danach fragte, war das Gespräch plötzlich beendet.“

„Und Sie halten ihn für glaubwürdig?“

„Ja, er kannte Details, die nur Ihnen und uns bekannt waren. Er konnte ihre Kleidung und den Violinen Koffer exakt beschreiben und er wusste von ihrem Job und der Anzahlung, die sie erhalten hatte.“

„Welchen Job?“, fuhr Signor Orsini auf.

„Wir haben es meinem Vater noch nicht gesagt“, beeilte sich Patricio zu erklären.

„Aha, na jedenfalls hat der Zeuge auch gesagt, dass sie mit diesem Geld beim Friseur gewesen sei und ihre Haare nun kurz tragen würde.“

„Vielen Dank, nun wissen wir wenigstens, dass es ihr gut geht“, sagte Signora Orsini und hielt die Hand ihres Mannes umklammert.

„Aber ich verstehe es trotzdem nicht. Warum kommt sie nicht nach Hause?“

Signor Orsini schüttelte den Kopf.

„Kannst du dir das nicht denken?“, giftete Valentina ihn an.

„Was meinst du damit? Was soll das?“

„So wie du sie gehalten hast. Nichts durfte sie.“

„Jetzt ist nicht die Zeit zu streiten“, ging die Signora dazwischen und Bellucci fand, dass es Zeit war für ihn zu gehen.

Wer weiß, was bei dieser Familie im Argen lag und was der Grund für Estellas Entschluss war, die Familie zu verlassen. Hinter der religiösen Fassade konnte sich ja alles Mögliche verbergen.

Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zurück in die Questura.

Dort fragte er seinen Kollegen, ob er etwas über diesen Anruf in Erfahrung bringen konnte.

„Leider nein, Sergente. Der Anruf kam von so einem Handy, was man nicht zurückverfolgen kann.“

„Sie meinen ein Prepaid Handy?“

„Genau, das haben die gesagt.“

„Verdammter Mist!“, schimpfte Bellucci und ließ sich schwer auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen. Hatte sich alles gegen sie verschworen?

Langsam fing er an zu glauben, dass dieser Anruf nicht echt gewesen war. Aber wer war dann dieser Junge? Ein Trittbrettfahrer? Dann hätte er nicht so viele Details wissen können, die nicht in der Zeitung standen.

Oder er hatte etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun. Dann würde es auf eine Entführung hinauslaufen. Falls dies zuträfe, was wäre dann der Grund? Geld war bei den Orsinis nicht zu holen.

Im Moment konnten sie nur abwarten und die Augen offen halten.

***

Obwohl in Portogruaro, San Stino di Livenza und Caorle zusätzliche Polizeistreifen eingesetzt wurden, gab es keine Spur von Estella.

Spurlos   Der Fall Orsini

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