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2. Schwankender Boden

Ein helles Licht über ihren Augenlidern lässt Maria auffahren. Einen Moment lang ist sie geblendet und orientierungslos. Dann, nach einer Weile, schaut sie blinzelnd zum Wellblech des Scheunendachs empor, das vom Wetterleuchten eines vorbeigezogenen Gewitters flackernd aufleuchtet. Von oben wandert ihr Blick an Strohballen herab, die bis unter die Decke aufgetürmt liegen. Sie befindet sich auf dem Heuboden einer Scheune, weiß sie jetzt wieder.

Von unten dringt Musik herauf. Fina zaubert Filmmusik aus ihrer kleinen Quetschkommode. Kriminaltango.

Maria versucht, aufzustehen, aber ihre Arme und Beine sind schwer. Eine innere Stimme flüstert ihr zu, dass sie aufstehen muss, um von hier fortzukommen. Endlich steigt sie Sprosse für Sprosse die Holzleiter hinab, mitten hinein in das tumultartige Treiben im riesigen Innenraum der Scheune.

An den Wänden sind Fackeln befestigt, die das rustikale Ambiente in ein flackerndes Licht tauchen. Vittorio zimmert aus Brettern, die er auf Obstkisten nagelt, eine Bühne. Kinder spielen Verstecken zwischen alten Traktorenreifen. Dazwischen bellen Hunde, Katzen klettern im Gebälk und Hühner picken am Boden. Es herrscht ein chaotisches und wuseliges Durcheinander.

„Hat jemand die Kiste mit Nägeln gesehen? Wie soll ich ohne Nägel eine Bühne bauen?“

Vittorio schlägt mit dem Hammer einen Rhythmus auf das vor ihm liegende Brett, Fina probiert sofort den Sound einer Mundharmonika dazu aus. Alek eilt, völlig durchnässt vom Regen, mit einem Schweißgerät von draußen herein. Zaza wirft ihm ein Handtuch zu, er trocknet sich seine kurzen Haare ab.

„Leute, ich kann damit vielleicht das Loch im Kühler reparieren. Dann fahren wir aus diesem öden Drecksloch heute Nacht wieder ab. Was haltet ihr davon?“

Spöttisch spendet Ponzo Beifall für Alek´s Erfolg, die anderen sind zu beschäftigt, um auf ihn zu achten.

„Maria, wo warst Du? Die Requisiten müssen sortiert werden.“

Verwirrt schaut sich Maria um, entdeckt einen großen Koffer und öffnet ihn. Sie ordnet alles, was darin liegt, auf einen alten Öltank neben der halbfertig gezimmerten Bühne. Vittorio kommt auf sie zu, um ihr zu helfen.

„Wer hat beim letzten Abbau die Prometheus Marionette im Requisitenkoffer verstaut? Die Zündhölzer fehlen. So kann ich die Figur nicht spielen.“

Wütend entwirrt Vittorio die Fäden am Bügel der Marionette. Maria beobachtet seine flinken Handgriffe. Dann betrachtet sie ihre Finger, die ihr dagegen unbeholfen erscheinen.

„Mach kein Gewese um deine Marionette, Vittorio! Deinen Siegerplatz verlierst Du heute Abend an Ponzo. Bei dem Publikum aus Greisen und Bauernlümmeln wird er der Star des Abends. Du kannst deinen depperten Halbgott wieder einpacken.“

Vittorio lässt seine Marionette einen furiosen Tanz aufführen.

„Du hast recht, Alek. Über Ponzo´s Clownerien werden sie lachen. Bei dir lachen sie nur aus Schadenfreude. Wenn deine Jonglage misslingt.“

Alek sieht seine Streitlust angestachelt. Vittorio zeigt ihm den Mittelfinger.

„Vor einem Publikum, das jeden Tag nur zusieht, wie sich Schafe und Ziegen vermehren, wird dein Prometheus ein intellektueller Rohrkrepierer.“

Er macht eine obszöne Kopulationsgeste in Vittorio´s Richtung, Ponzo äfft ihn nach.

„Geh schweißen, Alek!“

„Was können Ignoranten von deiner Prometheus Story haben?“

Er verdreht die Augen. Zaza, die Theaterleiterin, mischt sich ein.

„Respekt vor unseren Zuschauern, Alek! Vergiss nicht, wir leben durch sie.“

Zaza weiß, die Stimmung in der Gauklertruppe zu kontrollieren.

„Respekt? Tut mir leid, ich finde, die Prometheus Nummer sollte heute entfallen.“

Als sich Vittorio auf Alek stürzt, stellt sich Maria schnell zwischen die Rivalen. Sie breitet die Arme aus, worauf beide ihre Arbeit wieder aufnehmen. Alek zieht sich eine Kapuze über den Kopf und trägt das Schweißgerät in den strömenden Regen hinaus. Am riesigen Tor der Scheune dreht er sich um.

„Kollegen, falls euch bei der nächsten Panne auffällt, dass kein Mechaniker mehr da ist, der euch die alte Schrottkiste repariert, hab ich was Besseres gefunden. In diesem Drecksloch übernachten? Wie tief wollt ihr noch sinken?“

Keiner beachtet ihn. Maria läuft schwankend über die improvisierte Bühne, die Bretter sind wacklig montiert.

„Wie auf Glatteis, Vittorio! Darauf soll ich spielen?“

Zaza schaut missvergnügt zu.

Der Clown balanciert auf dem Seil, haut sich mit einem riesigen Plastikhammer auf den kahlen Schädel und jodelt bei jedem Schlag. Die Dorfjugend flippt aus.

Ohne Vorwarnung schleudert Zaza Wurfmesser quer durch die Scheune, die wie Geschosse in einem Pferdesattel landen, der an einem Haken eingestaubt an der Bretterwand hängt. Alle halten den Atem an.

„Eine Ratte. Oder nur ein Rattenschatten? Die nächste treff ich, das versprech ich.“

Das Jodeln hört auf, die langjährige Chefin des Tourneetheaters weiß, sich Respekt zu verschaffen.

Maria ist beeindruckt. Auf einmal fühlt sie sich fremd und läuft unter das schmale Vordach hinaus, wo sich Vittorio vor der Aufführung eine Zigarette genehmigt. Es regnet immer noch in Strömen. Er bietet ihr eine an. Sie lehnt ab.

Schweigend schauen sie Alek dabei zu, wie er eine Schweißnaht auf dem nassen Metall des Kühlbehälters zieht. Es dampft und zischt, Alek flucht leise vor sich hin.

Im Licht eines gelblich strahlenden Scheinwerfers tropft Öl aus dem alten Motor ins nasse Gras. Ein bunt schillerndes Delta verzweigt sich von dort bis zu einer Pfütze im Feldweg.

Über die Dorfstraße biegt eine Gruppe mit Fackeln und in hohen Gummistiefeln auf den Weg zur Scheune ein. Die Abendvorstellung der Gauklertruppe scheint sich herumgesprochen zu haben.

Dann erkennt Maria, dass sie sich auf ihrem Weg in zwei Gruppen teilen. Einige laufen mit einer Trage zum Flusslauf hinunter, der schon breit über die Ufer getreten ist, die anderen kommen auf sie zu.

„Die Einheimischen vertrauen ihren Heiligen mehr als den Behörden. Bei diesem Sauwetter tragen sie eine Statue zum Fluss. Damit ihr Heiliger Vieh und Hütten beschützt. In dem engen Tal kann das Wasser alles fortreißen.“

Maria berührt der Anblick.

„Sieht eher aus wie ein Sarg, den sie tragen?“

„Eine Statue ihres Schutzpatrons.“

Maria stutzt.

„Wieso kennst Du dich hier so gut aus, Vittorio?“

Vittorio schaut sie belustigt an, dann macht er eine unschuldige Miene.

„Ich war in der Zukunft schon einmal hier.“

Unverblümt flirtet er mit ihr. Maria gefallen seine dunklen Knopfaugen, aber etwas stört an ihm. Sie weiß es nicht zu definieren.

„Wir sitzen hier fest, Maria. Machen wir das Beste daraus?“

Sie lächelt und betrachtet seine Lippen, die verführerisch geschwungen sind. Ein dicker Tropfen platscht ihr vom Dach herab ins Gesicht.

„Ich werde nass. Gehen wir rein?“

Vittorio lacht laut auf, tritt er seine Zigarette auf dem matschigen Boden aus und folgt ihr in die Scheune.

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