Читать книгу Martin Luther - Volker Leppin - Страница 6

Einleitung

Оглавление

Luther lässt keine Ruhe: Immer neu branden Debatten um ihn auf, schon gar im Vorfeld des großen Jubiläums 2017. Nicht nur die Frage, ob der Thesenanschlag denn nun stattgefunden habe oder nicht, führt zu immer neuen Erregungen. Auch meine 2006 in der Reihe »Gestalten des Mittelalters und der Renaissance« erschienene Biographie »Martin Luther« hat heftige Auseinandersetzungen ausgelöst.1 Die wichtigste Frage war dabei wohl die, wie man mit den vielen Schichten der Erinnerungen umgehen kann, unter denen die Biographie des Reformators heute verborgen liegt. Maßgeblich für meinen Ansatz war und ist, dass die Lutherforschung gut beraten ist, auch auf die Person des Reformators mit aller Konsequenz die klassischen Fragestellungen der Quellenkritik wie auch die jüngeren Einsichten der Erinnerungsforschung anzuwenden, die offengelegt haben, dass die historische Rückfrage in den Quellen immer wieder auf einen kaum mehr zu hebenden »Schleier der Erinnerung« (Johannes Fried) stößt.2

Wer sich mit der Biographie Martin Luthers befasst, findet dabei unweigerlich eine große Anzahl von Selbstdeutungen und Deutungen, die bis heute seine Wahrnehmung bestimmen. Man weiß so viel über ihn – und doch gibt es vieles, bei dem man sich nicht sicher sein kann, wie viel Wirklichkeit hinter der Überlieferung noch zu erkennen ist. Vor allem aber weiß der, der heute über ihn redet, immer schon etwas von der Wirkung Martin Luthers, die ja in den Anfängen seines Lebens noch gar nicht absehbar war. Er weiß, dass der, über den er redet und spricht, einmal Reformator werden würde. Luther selbst aber ahnte das erst spät, merkte es erst allmählich.

Gegen eine solche Überlast kann ein gedankliches Experiment helfen: Man kann versuchen, Luther so lange wie irgend möglich so zu lesen, als wüsste man nicht, dass sich mit ihm ein Neuaufbruch in Kirche und Gesellschaft, für manche, wohl allzu hoch gegriffen, sogar eine neue Epoche der Weltgeschichte verbindet. Mein Versuch ist es, ihn auf der Linie dieses Experiments zunächst schlicht als Menschen des späten Mittelalters zu verstehen, dessen Entdeckungen sich manchmal zögerlich vollziehen, manchmal gar von außen angestoßen werden, der mit seiner Herkunft nicht brechen will – und am Ende wohl auch nicht ganz mit dieser Herkunft bricht.

Das bedeutet auch: Die autobiographischen Spuren, die Luther selbst legt, werden nur mit Vorsicht verfolgt, sie können nicht zur Leitmaxime der Darstellung gemacht werden: Der späte Luther, der um seine neue Position weiß, deutet seine frühere Existenz in neuen Kategorien, der Reformator behandelt seine vorreformatorische Existenz nach den erst später gewonnenen Maßstäben. Wer ihm darin nicht einfach folgen, nicht einfach seine eigene Memoria nachschreiben will, wird jede dieser Äußerungen kritisch gewichten und hinterfragen müssen. Die tiefstliegende Schicht, unter der der Biograph hindurchtauchen muss, ist die Selbstauslegung seines Gegenstandes selbst: Luthers Selbstdarstellung, wie sie in Briefen, Tischreden und anderen Texten so vielfach begegnet. Den Anspruch, einen authentischen Luther zu gewinnen, wird ein Biograph kaum erheben dürfen. Aber vielleicht einen Menschen, der in seiner Zeit plausibler Kontur gewinnt, als ein Luther, bei dem man, wie es oft geschieht, weniger nach dem Fortwirken des Alten als nach dem Beginn des Neuen sucht, den man unterschwellig schon immer nach den Maßstäben seiner späten, reifen reformatorischen Theologie bewertet.

In ausführlicherer Form habe ich diesen Weg in der oben erwähnten biographischen Darstellung vorgeführt und begründet. Das nun vorliegende Buch stellt eine Kurzfassung hiervon dar. Es orientiert sich an der Disposition des Stoffes in der längeren Studie. Wo es ging, wurden Passagen auch wörtlich beibehalten. Alles wurde aber bearbeitet, aktualisiert und vor allem in eine leichter fassliche Form gebracht.3

Martin Luther

Подняться наверх