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1. KAPITEL Der Sohn:
zu Höherem bestimmt

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Ich bekenne, dass ich Sohn eines Bauern aus Möhra bei Eisenach bin, bin dennoch Doktor der Heiligen Schrift, des Papstes Feind.«1 Knapp verdichtet Martin Luther in einer Tischrede drei Generationen: die Geschichte eines sozialen Aufstiegs, der schon das Elternhaus prägte und in ihm, dem Gelehrten und Reformator, seinen Gipfel fand. Er entstammte der Familie Luder. So soll er auch im Folgenden bis zu dem Zeitpunkt heißen, als er 1517 die Schreibweise zu der bekannten Form »Luther« änderte. Der Großvater Heine, ein Bauer in Möhra, wenige Kilometer südlich von Eisenach, verfügte über Ansehen und relativen Wohlstand. Sein Sohn Hans schlug als Bergmann einen beruflichen Weg ein, der geographische und soziale Mobilität mit sich brachte. Mit Margarete Lindemann konnte er eine Frau aus einer der angesehensten Eisenacher Familien heiraten. So bestand der familiäre Hintergrund Martin Luthers aus einer dynamischen Mischung: der zur Selbständigkeit gezwungene Vater, die aus besseren Kreisen stammende Mutter – es ist das Milieu sozialen Aufstiegs, das ihn prägen sollte.

Tatsächlich hatte der Vater, trotz zeitweiliger Schwierigkeiten, wirtschaftlichen Erfolg. Er zog später in die Grafschaft Mansfeld, um an der dortigen Blüte des Kupferbergbaus teilzuhaben, zunächst jedoch nach Eisleben. Am 10. November 1483 (oder vielleicht 1484) wurde den Luders hier – wohl nach einem früh verstorbenen älteren Sohn2 – ein weiterer Junge geboren. Als man ihn am folgenden Tag zur Taufe brachte, wurde ihm nach einem verbreiteten Brauch der Name des Tagesheiligen gegeben: Martin. Bald zog die Familie in die Ortschaft Mansfeld. Hier konnte Hans Luder, der im Bergbau tätig war, eine Hütte pachten und wurde damit zu einer Art Kleinunternehmer. Die spärlichen Berichte Luthers über sein Elternhaus lassen wenig von der emotionalen Situation darin erkennen. Letztlich reduzieren sie sich für beide Eltern auf Konfliktsituationen. So heißt es vom Vater: »Mein Vater stäubte mich einmal so sehr, dass ich vor ihm floh und dass ihm bang war, bis er mich wieder an ihn gewöhnt hatte.«3 Es ist die Atmosphäre eines hart arbeitenden und sparsamen Elternhauses, die hier begegnet – aber die Familie war nicht ohne emotionale Bindung: Kehrseite der Härte war ja die Furcht des Vaters, seinen Sohn zu sehr gestraft zu haben. Sowenig man über die emotionale Atmosphäre erfährt, so selten sind auch die Hinweise auf die religiöse Erziehung. Dass die Mutter immer wieder das Lied »Mir und dir ist niemand hold, das ist unser beider schuld« gesungen hat,4 lässt zwar erkennen, dass ihre Frömmigkeit nicht besonders lebenslustig war, mehr aber auch nicht. Nach einer späteren Erinnerung dürfte Martin von seinen Eltern eine gewisse katechetische Grundausbildung5 erfahren, aber auch deutlichen Antiklerikalismus mitbekommen haben.6


Martin Luthers Eltern Hans und Margarete, Lucas Cranach (um 1527).


Das Elternhaus Luthers in Mansfeld.

Versucht man, die elterliche Frömmigkeit vor dem Hintergrund unserer heutigen Kenntnisse von der religiösen Welt des späten Mittelalters zu verstehen, so wird erkennbar, dass sie innerhalb der großen Spannbreite zwischen zarten, liebevollen Gottesbildern der Mystiker auf der einen Seite und äußerlichen, gelegentlich auch angstbesetzten Gottesvorstellungen auf der anderen eher zur Letzteren neigte: Der Teufel war eine ständig präsente Größe in Erziehung und Frömmigkeit7 – und blieb es als Gegenüber für Luther zeit seines Lebens. Mochte Luther hier auch als reifer Mann an frühkindliche Prägungen anknüpfen, so war es im Blick auf die Person Christi das Gegenteil: Hier wurde er von den Eltern wohl mit dem schreckerfüllten Bild Christi als Richter im Jüngsten Gericht konfrontiert,8 von dem er sich später, auch mithilfe seiner geistlichen Begleiter im Kloster, löste.

Noch wichtiger aber wurde für seinen weiteren Lebensweg, dass der Vater ihm, wohl in der Hoffnung auf weiteren sozialen Aufstieg, eine hervorragende Ausbildung ermöglichte. Zunächst besuchte Martin, wohl ab dem 12. März 1491, die Schule seiner Heimatstadt Mansfeld. Die Unterrichtssprache war Latein, und Hauptinhalt waren die sprachlichen Fertigkeiten, das sogenannte trivium. Hinzu kamen elementare Glaubensinhalte: das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis. Die begrenzten schulischen Möglichkeiten im kleinen Mansfeld waren den ehrgeizigen Eltern aber offenbar zu wenig: 1497 (oder vielleicht schon 1496) wechselte Martin Luder nach Magdeburg, ein Jahr später nach Eisenach. Für Ersteres hatten wohl Empfehlungen im sozialen Umfeld der Eltern gesprochen. Der Schulbesuch in Magdeburg hat dem jungen Luder in vieler Hinsicht eine neue Welt eröffnet: Zum ersten Mal hat der Junge aus der Provinz eine bedeutende Stadt kennengelernt. Er besuchte dort wohl die Domschule und lebte bei den »Nullbrüdern«,9 der aus der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsbewegung der devotio moderna hervorgegangenen Gemeinschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben, die eine Niederlassung in Magdeburg besaßen. Auch wenn sie keinen festen Orden bildeten, machte Luder so zum ersten Mal Erfahrungen mit einer quasi-monastischen Lebensweise, vor allem mit der geistlichen Durchdringung des ganzen Lebens.

Warum Luder Magdeburg so bald wieder verließ und nach Eisenach wechselte, lässt sich nicht mehr genau erschließen. Am ehesten ist wohl daran zu denken, dass er auf diese Weise wieder in die Nähe der Verwandtschaft kam. Über seinen hospes (Wirt), Heinrich Schalbe,10 der ihm wohl einen Freitisch, eine Art von Stipendium in Naturalien, gewährte, kam er hier in Kontakt mit den am Ort ansässigen Franziskanern.11 Um Schalbe und das Franziskanerkloster hatte sich ein Kreis von spirituell und geistig interessierten Männern gebildet, der den Namen »Schalbesches Collegium« trug und dem Luder sich noch lange eng verbunden fühlte.12 Er besuchte hier wohl die Georgsschule, wurde aber vor allem durch den Vikar am Marienstift Johannes Braun im Sinne humanistischer Bildung geprägt.


Das wieder errichtete Collegium Maius in Erfurt, das Hauptgebäude der Universität aus dem frühen 16. Jahrhundert.

Im Sommersemester 1501 erreichte Luder das Ziel seiner anspruchsvollen schulischen Ausbildung: Er wurde an der Universität Erfurt immatrikuliert.13 Studienbeginn bedeutete im ausgehenden Mittelalter zunächst einmal den Besuch der artes-Fakultät, also ein philosophisches Grundlagenstudium. Hier wurde das Denken nach den Regeln der aristotelischen Philosophie gelernt, ehe man auf einer der höheren Fakultäten – Jura, Medizin oder Theologie – weitere Studien treiben konnte. Luders Lehrer Jodokus Trutvetter und Bartholomäus Arnoldi von Usingen vermittelten ihm die artes vor allem auf den Bahnen der via moderna, die sich von der an Thomas von Aquin ausgerichteten via antiqua vor allem durch die Lehre unterschied, dass Allgemeines nicht real (Realismus), sondern allein begrifflich existiere (Nominalismus, Terminismus oder Konzeptualismus). Zu den Erfurter Besonderheiten gehörte dabei, dass man diese Philosophie vor allem in der Gestalt unterrichtete, die ihr Wilhelm von Ockham gegeben hatte. So konnte Luther später erklären, er habe der »secten« der Terministen angehört, und sein Lehrer sei Ockham gewesen.14

Allerdings bestand Luders Erfurter Bildungsweg nicht allein aus dem, was er im offiziellen Studium an der Universität lernen konnte. Vor allem in seinem studentischen Wohnheim, der Georgenburse, vertiefte er seine Kenntnis des Humanismus, jener Bewegung, die sich an den philologisch ausgerichteten studia humanitatis orientierte und als Gegenentwurf zur herrschenden, als verknöchert wahrgenommenen Scholastik verstand. Den Charme der oppositionellen Haltung gegenüber der Universität bekam Luder offenkundig mit und genoss ihn. Charakteristisch ist sein späterer Bericht, er habe vor dem Klostereintritt alle seine Bücher an den Buchhändler zurückgegeben außer Plautus und Vergil15 – insbesondere Letzterer war seit Dante der maßgebliche Wegweiser in die Antike und unter Humanisten hoch geschätzt. Dass Luder sich in dieser Zeit zudem als begabter Musiker erwies, vervollständigt das Charakterbild eines Mannes, den man allzu oft nur mit Büchern zu identifizieren geneigt ist. Das Musizieren hat er sich in einer intensiven Krisensituation angeeignet: Bei einer Reise zu den Eltern hatte er sich versehentlich mit seinem Degen am Bein lebensgefährlich verletzt und damit wohl erstmals die Nähe des Todes erfahren. Während der folgenden Genesungszeit lernte er das Lautespielen.16

Als er 1505 den Magister der artes absolvierte,17 hatte er sich durch den Humanismus bereits ein Stück Eigenständigkeit gegenüber dem System der scholastischen Universität erworben. Er durfte nun eine der höheren Fakultäten besuchen und wählte, wohl dem Wunsch seines Vaters folgend, die juristische.

Martin Luther

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