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3. Rechtscharakter
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Fischer/Fetzer, Europarecht, Rn. 36-42.
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Was für ein rechtliches Gebilde ist die EU nun eigentlich? Die klassischen Rechtsformen Bundesstaat und Staatenbund passen jedenfalls nicht so richtig. Für einen Bundesstaat sind die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ zu stark. Für einen Staatenbund hingegen ist die Union zu stark, die immerhin auf vielen Politikfeldern durch supranationales – also für die Mitgliedstaaten bindendes – Recht verbindliche Vorgaben machen kann. Zum Staatenbund passt es eben nicht, dass die Mitgliedstaaten schon weitreichende Souveränitätsrechte schrittweise an die Union übertragen haben. Aber gerade diese Supranationalität – d.h. die themenspezifische Überordnung der EU über die Einzelstaaten – ist ein zentrales Merkmal des rechtlichen Charakters der EU.[17] Hinzu kommt die für einen Staatenbund völlig atypische Unionsbürgerschaft, wonach die Angehörigen der Mitgliedstaaten zugleich unmittelbar Bürger der EU sind (s.u., Rn. 55 ff.).
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Das BVerfG hat in seiner Lissabon-Entscheidung daher einen Begriff geprägt, der zwischen diesen beiden klassischen Kategorien liegt. Danach handelt es sich bei der EU um einen „Staatenverbund“, den das Gericht wie folgt näher definiert hat:[18]
„Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“ (BVerfGE 123, 267 [348])
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Abbildung 5:
Rechtscharakter der EU
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Neben dieser eher juristisch-abstrakten Einordnung der EU in das begriffliche Arsenal staatsähnlicher Erscheinungsformen legt das europäische Primärrecht selbst fest, dass die EU gem. Art. 47 EUV Rechtspersönlichkeit (also die Fähigkeit zu eigenem und rechtsverbindlichen Handeln) besitzt. Zudem verfügt die Union gem. Art. 335 AEUV in jedem Mitgliedstaat über „die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit“, die juristischen Personen nach den jeweiligen nationalen Vorschriften eingeräumt ist. Diese zweifache Erwähnung der Rechtsfähigkeit legt nahe, dass Art. 47 EUV die Rechtsfähigkeit „nach außen“ meint, also die Qualität als Völkerrechtssubjekt. Danach hat die EU die Fähigkeit zum Abschluss internationaler Verträge oder der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Demgegenüber meint Art. 335 AEUV die „nach innen“ gerichtete zivilrechtliche Rechtsfähigkeit, wozu etwa die Eigentumsfähigkeit, die Arbeitgeberfähigkeit u.Ä. zählen. Müsste man die EU in die Kategorien juristischer Personen nach deutschem Recht einordnen, wäre sie am ehesten – wie die Bundesrepublik, die Bundesländer und die Kommunen – als Gebietskörperschaft anzusehen, weil sie öffentlich-rechtlich zu charakterisieren ist und sich ebenfalls über ein bestimmtes Territorium definiert.[19]