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ОглавлениеVorbemerkung
Vor rund zwanzig Jahren stand ich in einer norddeutschen Millionenstadt in einem Erlebnis-Getränkemarkt und bestaunte eine Auswahl an unterschiedlichen Bieren, die ich so bis dato noch nicht gesehen hatte. Und auf diese Art präsentiert schon gleich gar nicht. Eingebettet in ein buntes Sammelsurium von Ausstellungsstücken, deren Vielfalt es unmöglich macht, einen geeigneten Sammelbegriff dafür zu finden, sondern sich erstreckt von einer lebensgroßen Marilyn-Monroe-Puppe über einen auf Knopfdruck jodelnden, lederbehosten Teddybär bis zum absonderliche Geräusche von sich gebenden Pickup-Truck, standen und stehen bis heute Bierkisten, -kästen und -kartons und eine erkleckliche Anzahl von Einzelflaschen und -dosen in den Regalen. Neben den bekannten deutschen Fernsehbiermarken und vereinzelten Weißbierbeutestücken aus den südlichen Provinzen unserer Republik auch Flaschen aus aller Herren Länder. Bunte Etiketten und exotische Namen, die – wie ich später erfahren sollte – oft nur den enttäuschenden Inhalt attraktiv machen sollten oder die direkt, wie beim Rubbel Sexy Pils, auf die niederen Instinkte des Otto-Normal-Biertrinkers abzielten.
Hier, in diesem Erlebnis-Getränkemarkt, fasste ich den Entschluss, mich dem Thema Bier in Zukunft etwas systematischer zu widmen, Qualität vor Quantität zu stellen, studentischen Bräuchen und Trinksitten endgültig abzuschwören – und langsam, geradezu bedächtig, als hätte ich schon eine Ahnung, was daraus erwachsen könnte, begann ich, den Einkaufswagen zu beladen. Ob ich diese Ahnung wirklich schon hatte, oder ob ich nur eine Ahnung dieser Ahnung hatte, kann ich heute nicht mehr sagen, aber meine holde Ehefrau hatte diese Ahnung definitiv nicht, andernfalls sie mich nämlich am Oberarm gegriffen und nachdrücklich, notwendigenfalls auch laut zeternd aus dem besagten Erlebnis-Getränkemarkt gezogen oder geschoben hätte.
Ich lud also ein. Flasche um Flasche füllte den Einkaufswagen und der erste Schritt in die Systematik bestand darin, sorgfältig darauf zu achten, keine Flasche versehentlich doppelt einzuladen, der zweite hingegen darin, die Flaschen so zu verstauen, dass die angesichts der Größe der Auswahl doch begrenzte Fassungskapazität des Einkaufswagens bestmöglich genutzt wurde und kein unnötiger Totraum zwischen Flaschen unterschiedlicher Farbe, Form und Größe entstand. Wobei, dies sei zugegeben, die Farbe nur verhältnismäßig nachrangigen Einfluss auf diesen Totraum hatte.
Der Eigner des Erlebnis-Getränkemarkts war ein pfiffiger Mann. So hatte er nicht nur die Idee, überhaupt einen solchen zu eröffnen, sondern diesen auch schon damals – wir sprechen immerhin von den längst verflossenen, frühen Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, ach was, Jahrtausends – mit einer bargeldlosen Kasse auszustatten, auf dass der Biereinkauf aber auch wirklich niemals daran scheitern möge, dass der allerletzte Hunni, wie man die damals gebräuchlichen, blassblauen Deutschmark-Scheine in ihrer beliebtesten Stückelung geradezu zärtlich zu nennen pflegte, Minuten zuvor schon von oben erwähnter holder Ehefrau für vordergründig unnötige Dinge wie Obst, Gemüse und Brot ausgegeben worden war.
Die Euroscheck-Karte, wie sie seinerzeit noch hieß, rutschte also durch das Kartenlesegerät und stolz schob ich meinen Einkaufswagen in Richtung Heimat, setzte mich vor meinen Computer, einen blitzschnellen 486er mit Windows 3.1 und einem Arbeitsspeicher von immerhin 4 Mbyte, und begann, meine neu erworbene Sammlung schriftlich zu erfassen. Einschließlich des dazugehörigen Geschmacks, wie sich von selbst erklärt, denn ein Bier, das nicht getrunken wird, sondern lediglich im Regal eines Sammlers sein Dasein fristen muss, hat seinen Beruf verfehlt.
Die Erfassung des Geschmacks setzte dem ehrgeizigen Treiben des ersten Abends rasch eine natürliche Grenze, aber dem ersten Abend folgten viele weitere und bald schon war der Erlebnis-Getränkemarkt kein Erlebnis mehr, sondern begann, trotz seiner zunächst unendlich erscheinenden Auswahl, durch Wiederholung zu langweilen. Und so wurde der Radius um das traute Heim, in dem die Bierdatenbank nur darauf wartete, mit immer neuen Bieren gefüttert zu werden, nach und nach immer größer und größer. Weitere Getränkemärkte kamen hinzu, Brauereien, Biergärten und Bierbars.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2016, und um in einem akzeptablen Rahmen zu bleiben und nicht wie die Brockhaus-Redaktion auf den Kunstgriff von 20 Bänden zu je etwa 2000 großformatigen und kleinbedruckten Seiten zurückgreifen zu müssen, ist ein Zeitsprung vonnöten. »Fasse Dich kurz!«, hieß es doch, die Zukunft dieses Buches schon vorausahnend, bereits in der Reklame der Deutschen Bundespost in den siebziger Jahren für ihre Telefondienste. Die, wie ich meine, einzige Reklame, die den Kunden bat, weniger statt mehr zu konsumieren, und die offensichtlich auch aus diesem Grunde in Kreisen der Werbestrategen – und jetzt bediene ich mich derer neudeutschen Sprache – nur ungerne erinnert wird.
Zeitsprung also. Aus dem systematischen Erfassen der Biere wurde ein nahezu ebenso systematisches Besuchen von Brauereien, Biergärten, Bierbars, Biergeschäften und damit verbunden die Dokumentation dabei erfahrener Erlebnisse.
Ob aus Mitteilungsdrang oder Selbstdarstellungstrieb – ich begann jedenfalls, diese Erlebnisse in einem Blog zu veröffentlichen. Zunächst für mich und meinen Freundeskreis, zumeist Bierliebhaber und -kenner, wenn auch der eher unsystematischen, oftmals dafür aber standfesteren und durchhaltefähigeren Sorte, später dann auch für eine nach dem Schneeballprinzip wachsende Leserschaft. Und irgendwann offensichtlich auch für den Verleger dieses Buches, der mich mit dem Geschick eines Staubsaugervertreters schließlich davon überzeugte, mich nun endlich, in Vervollständigung des systematischen Ansatzes, auch des klassischen Mediums Buch zu bedienen. Zur Not auch mit seiner Hilfe.
Das Resultat liegt vor Ihnen. Ein Sammelsurium von Biererlebnissen. Meistens nahe der Quelle, in der Brauerei oder ihrem Ausschank, manchmal aber auch weiter entfernt, immer aber »vor Ort«, dort wo das Bier gebraut, ausgeschenkt, verkauft, verkostet oder ihm auf andere Art die angemessene Aufmerksamkeit zuteil wird. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Gerechtigkeit, sondern so, wie es sich ergeben hat. Möge es Anregung sein, die eine oder andere Bierreise selbst zu unternehmen und eigene, unvergleichliche Biererlebnisse zu haben.
Viel Vergnügen und sehr zum Wohle!
Volker R. Quante