Читать книгу Mein Freund Jim - W. E. Norris - Страница 3
Erstes Kapitel.
ОглавлениеIch entsinne mich des ganzen Vorgangs so deutlich, als ob er gestern nachmittag stattgefunden hätte — merkwürdig, wie einzelne, an sich weder bedeutsame, noch folgenschwere kleine Scenen es fertig kriegen, sich unserm Gedächtnis einzuprägen und darin zu haften, indes hundert andre im Lauf der Jahre verblassen und verschwinden. Als ich vorhin die Augen eine Weile zudrückte, sah ich alles wieder vor mir: das dunkle, muffig riechende Studierzimmer, in das ein breiter Sonnenstrahl in gerader Linie hereinfällt; Bracknell, Jim und ich stehen nahe bei einander vor dem hohen, leeren Kamin; der alte Lord Staines sieht mit einer Blume im Knopfloch und einem heiteren, behaglichen Lächeln auf seinem schönen Gesicht ungemein vornehm und weltmännisch aus (was er zu jener Zeit immer zu thun pflegte), und mein Lehrer blinzelt hinter seinen Brillengläsern und richtet wie gewöhnlich seine Worte an keinen von uns im besondern.
„Es thut mir leid, diese drei Burschen zu verlieren,“ sagte er. „Sie sind, alles in allem genommen, keine üblen Gesellen, und werden es voraussichtlich in der Welt zu etmas bringen, gerade wie in Eton, ja ungefähr auch in derselben Weise. Bracknell — nun ich wüsste nicht, was man mehr von ihm verlangen könnte, als dass er unter den Elfena) ist, und dabei ernstlichen Gefahren aus dem Weg zu gehen wüsste. Er ist ein hübscher, gutmütiger Bursche, und von Zeit zu Zeit habe ich sogar Spuren von — nun ja von Intelligenz bei ihm wahrgenommen. Bracknell kann so bleiben; er wird seiner Stellung Ehre machen. Was dann Maynard betrifft, so ist er gescheit, wenn auch nicht in dem Mass, als er selbst es glaubt. Zu einem Denkmal wird er’s schwerlich bringen, aber ich hoffe, seine Mutter wird sich nie an ihm zu schämen brauchen, und ich habe ihr geschrieben, dass ich ihn als meinen Paradezögling betrachte. Das ist vielleicht etwas zu viel gesagt, keinenfalls laufe ich aber Gefahr, dass meine Mitteilung bezweifelt wird. Nun und dann haben wir noch Leigh,“ der Professor trat ein paar Schritte näher und klopfte Jim auf die Schulter, „ja, was lässt sich denn eigentlich von Ihnen sagen, Leigh? In den alten Sprachen sind Sie mittelmässig, in der Mathematik, soviel ich weiss, ebenfalls, unter den Elfen sind Sie auch nicht, und dass Sie unter die Acht gekommen sind, danken Sie, glaube ich, mehr Ihren zahlreichen Freunden als Ihrer Geschicklichkeit. Also kurzum mittelgut, Jim Leigh, und trotzdem der Beste von allen! Und deshalb möchte ich Ihnen fast prophezeien,“ fügte unser Mentor hinzu, indem er den jungen Riesen, der um mehr als eines Hauptes Länge über ihn emporragte, mit einem eigentümlichen, freundlichen Lächeln ansah, „dass es Ihnen nie an Freunden fehlen wird, Leigh, und dass Sie Aussicht haben, Ihr lebelang mehr oder weniger — hm — missbraucht zu werden.“
Bei dieser einigermassen cynischen Prophezeiung brach Lord Staines in ein herzliches Lachen aus. „Wir werden uns schon seiner annehmen,“ sagte er, „wir wollen sorgen, dass Ihnen kein Unrecht geschieht, Leigh.“
Ich bin überzeugt, dass Lord Staines sich für vollständig befähigt hielt, solches zu thun, und doch hätte ein Unparteiischer, der den eignen Lebensgang desselben gekannt, ihn schwerlich für den geeigneten Mann gehalten, eine derartige Aufgabe zu vollbringen. Er hatte von jeher einen wohlgemeinten, etwas gönnerhaften Anteil an Jim genommen, der Vater und Mutter früh verloren hatte, dessen bescheidener Grundbesitz an seinen ausgedehnten in Berkshire grenzte und der vor allen Dingen der Freund seines Sohnes war. Er hielt ziemlich grosse Stücke auf ihn und war so gütig, dies hie und da auszusprechen; die Bemerkung des Professors, dass „Jim der Beste von allen“ sei, nahm er jedoch selbstverständlich als Scherz. Aber selbst wenn jemand in vollem Ernst die Behauptung aufgestellt hätte, dass Jim seinem Sohn überlegen sei, würde Lord Staines schwerlich böse geworden sein. Wenn man selbst im glücklichen Besitz eines edlen Rassepferdes ist, so gönnt man dem andern ja wohl die harmlose Freude, seinen behäbigen, fleissigen Ackergaul für das wertvollere der beiden Tiere zu halten.
Der arme, alte Lord Staines war von einer thörichten, närrischen Vaterliebe. Ich habe diese Ansicht mit solch langweiliger Einstimmigkeit aussprechen hören, dass ich den Satz sicherlich bestreiten würde, wenn auch nur die leiseste Möglichkeit dazu vorhanden wäre. Da dies nicht der Fall, will ich wenigstens auf alles das aufmerksam machen, was zu seiner Entschuldigung dienen kann, und ich glaube mit vollem Recht behaupten zu können, dass auch ich stolz sein würde auf einen Sohn, der so hübsch und gewandt, so unerschrocken und fröhlich, so übermütig und jugendfrisch wäre, wie Bracknell es in jenen Tagen gewesen. Es lässt sich ja streiten, ob gerade diese Eigenschaften zu väterlichem Stolze berechtigen, aber es lässt sich nicht in Abrede ziehen, dass sie dieses Gefühl in der Regel hervorrufen. Dabei muss freilich zugegeben werden, dass Lord Staines’ Prahlen und Sichbrüsten etwas Herausforderndes hatte, und es ist begreiflich, dass seine Freunde es zum Teil komisch, zum Teil widerwärtig fanden. So oft eine Cricketpartie stattfand, las er so viele alte Kameraden auf als thunlich und schleppte sie nach Eton, um seinen Wunderknaben kämpfen und siegen zu sehen. Er wurde dieses entzückenden Anblicks niemals müde, und es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass die Sache für andre allmählich an Reiz verlieren könnte. Bracknells Kasse war selten leer, und der Vater lachte gutmütig über die Geschwindigkeit, mit der das Taschengeld erneuert werden musste. Ich glaube, dass selbst die etwas langen Rechnungen, die von Zeit zu Zeit von den Geschäften in Eton und Windsor einliefen, ihm wenig Sorge machten, auch wenn die Absender ergebenst zu bemerken sich erlaubten, dass sie drei Jahre nicht bezahlt worden seien. Auch er war seiner Lebtage sorglos, freigebig und leichtsinnig gewesen; vermutlich fand er es nicht mehr als billig, dass sein Sohn und Erbe ebenso geartet, und wenn er je gelegentlich bedachte, dass die Verschwendung zweier Generationen auf ein nicht allzu glänzendes Vermögen nachteilig wirken müsse, so sagte er sich ohne Zweifel, dass Bracknell eine reiche Frau heiraten und dadurch alles wieder in Ordnung bringen werde. So hatte er es dereinst gemacht und die Sache war vorzüglich ausgefallen, das heisst, er war zu der Zeit, von der ich spreche, noch nicht am allerletzten Schilling des Vermögens seiner Frau angelangt.
Am letzten Tag von Bracknells Schulzeit lagen ihm aber sicher derartige Betrachtungen überhaupt fern, denn er strahlte förmlich vor Wohlwollen und Selbstzufriedenheit. Als es Zeit war, Abschied zu nehmen, drückte er uns beiden herzlich die Hand und versicherte Jim und mich wiederholt, dass wir uns nicht einfallen lassen sollten, an ein Ende unsrer Freundschaft zu denken, weil unsre Lebenswege nun äusserlich auseinander gingen — Bracknell sollte nämlich sofort in das Leibgarderegiment eintreten, indes Jim und ich unsre Studien regelrecht in Oxford fortsetzen wollten.
„Wir sehen uns ja in Bälde wieder, in Staines Court natürlich. Wann eigentlich? — ja im nächsten Herbst vielleicht noch nicht, weil ich ziemlich lang in Schottland oben bleiben werde, aber dann sicher irgend einmal jedenfalls. Und Bracknell wird nach Oxford hinunterfahren und sich nach euch umsehen. Aber warum wollt ihr nicht zu uns nach Schottland kommen? Sind die jungen Herren Jäger? Was, noch nie auf der Jagd gewesen? Nun, jedes Ding muss einmal versucht werden, Bracknell ist für sein Alter ein tüchtiger Schütze. Also wir erwarten euch, abgemacht, und nun lebt wohl, meine lieben Jungen, lebt wohl!“
Damit eilte er, Bracknell mit sich nehmend, davon und hatte vermutlich unser beider gesamte Existenz in der nächsten Viertelstunde vergessen.
Ich erinnere mich, dass Jim stehen blieb, ihnen nachsah, und dann, nachdem sie unsern Blicken entschwunden waren, in die Worte ausbrach: „Was für ein prächtiger Mensch er ist!“, und es mir bitter übelnahm, dass ich vorgab, diese Aeusserung auf den alten Lord Staines zu beziehen. Ich hatte Jims enthusiastische Bewunderung für Bracknell nie geteilt. Einmal liegt Enthusiasmus nicht gerade in meiner Natur, und dann habe ich, wie man mir wenigstens nachsagt, ein scharfes Auge für die Fehler meiner Freunde. Wie dem auch sei, so viel ist richtig, dass ich in Bracknells Charakter ein paar dunkle Flecken wahrgenommen hatte, wovon einer Selbstsucht, ein andrer Unbeständigkeit hiess. Ich war daher ganz darauf gefasst, dass er sich von dem Augenblick an, wo äussere Verhältnisse uns nicht mehr zusammenführten, wenig um uns bekümmern werde, konstatiere jedoch mit grossem Vergnügen, dass ich ihm hierin unrecht gethan. Wir machten selbstverständlich von der etwas allgemein gehaltenen Einladung zur Jagd in den Hochlanden keinen Gebrauch, aber wenige Monate darauf löste Bracknell seines Vaters Wort ein und suchte uns in Oxford auf, wo er, da noch viele andre einstige Schulkameraden vorhanden waren, sich so trefflich vergnügte, dass er sich leicht erbitten liess, seinen Besuch in Bälde zu wiederholen, und auch in den zwei folgenden Jahren von Zeit zu Zeit da erschien, wo eine Schar Gleichgesinnter stets bereit war, ihn willkommen zu heissen, und wo sein Erscheinen jedesmal zu einem Ringkampf von ungewöhnlicher Ausdehnung das Zeichen gab. Am andern Tag kehrte Bracknell nach London zurück und überliess es dem armen Jim, den hohen Würdenträgern des Kollegs die Stirn zu bieten, die ihn jedoch meist glimpflich behandelten. Ich bilde mir ein, dass sie so gut wie wir wussten, dass Jim dazu erlesen war, in jeder Lage der Sündenbock zu sein; und überdies war es keinem nur halbwegs fühlenden Menschen gegeben, mit Jim Leigh hart zu verfahren.
Hie und da erhielt Jim einen Tag Urlaub, um nach London zu gehen, von wannen er jedesmal etwas blass und angegriffen, aber hoch entzückt über die Gastfreundschaft des vierten Garderegiments zurückkehrte, dessen Treiben seiner Schilderung nach ein überaus fröhliches war. Ich kann darüber aus eigner Erfahrung nichts berichten. Weder forderte Bracknell mich auf, ihn in London zu besuchen, noch nahm ich an den vorerwähnten Ringkämpfen Anteil. Einmal war ich ein Bücherwurm, und zweitens konnte ich mich der Gefahr, zu verwildern und meiner Mutter Herz dadurch zu brechen, nicht aussetzen. Jim war, wie schon gesagt, Waise, und das Schlimmste, was ihm widerfahren konnte, war deshalb lange nicht so bedenklich.
Mit einundzwanzig Jahren trat er vorschriftsmässig den Besitz seines Gutes und seines Vermögens an, wonach er sich jährlich auf etwas über fünftausend Pfund stellte, so dass er in des Wortes vollster Bedeutung unabhängig war. Seinem Wunsch gemäss blieben jedoch sein Onkel und seine Tante, die Elmhorst während seiner Minderjährigkeit verwaltet hatten, dort wohnen bis zu seiner Verheiratung, einem Ereignis, das ich allen Grund hatte, für nahe bevorstehend zu erachten. Die Sache war freilich ein tiefes Geheimnis — ich war eingeweiht, weil Jim von unsrer ersten Kindheit an kein Geheimnis vor mir hatte. Ausser mir ahnte keine Menschenseele von seinen Hoffnungen — am allerwenigsten die, welche der Gegenstand derselben war.
Ich wünschte sehnlich, mit vollkommener Unparteilichkeit über Hilda Turner sprechen zu können; wäre ich dessen fähig, so würde ich dem Leser wahrscheinlich einen weit günstigeren Begriff beibringen von einem Wesen, das ihn, wenn er ihr im Leben begegnete, zweifellos bezaubern würde, wie es den meisten geschah, ja, in das er sich vielleicht verlieben würde, was so vielen passierte. Aber ich muss ehrlich bekennen, dass dies Mädchen mir immer unerträglich war, und dass mein Zeugnis also nur als das eines sehr zu ihren ungunsten voreingenommenen Zeugen zu betrachten ist. Dennoch gestehe ich ohne Widerstreben zu, dass sie hübsch war, wenn auch keine regelmässige Schönheit, und dass ihr Wesen einen grossen Reiz besass, wenn auch nicht für mich. Sie war eine jener Blondinen mit blendend weissem Teint und rosig angehauchten Wangen, jenem Teint, der sich bis in ein hohes Alter frisch und faltenlos erhält. Man belehrt mich, dass die letztere beneidenswerte Eigenschaft der Dicke der Epidermis zu verdanken ist, und ich habe mich zuweilen des Gedankens nicht erwehren können, dass solche Menschen auch ein gewisses Mass von moralischer Dickhäutigkeit besitzen, welches zur Erhaltung der jugendlichen Glätte das seinige beitragen mag — ich will diese Behauptung aber nicht allzu ernsthaft aufrecht erhalten. Hilda hatte goldblondes Haar und blaue Augen, und wenn Zähne wie die ihrigen häufiger vorkämen, müssten die Herren Zahnärzte sich nach einem andern Beruf umsehen. Trotz alledem hatte ihr Gesicht Mängel genug, wenn man sich einmal ans Kritisieren machte; ihre Nase zum Beispiel war zu kurz, ihr Kinn zu breit und ihre Lippen ein wenig zu dünn. Ich erinnere mich, dass meine Mutter, als ich diese Fehler einmal hervorhob, mir kopfschüttelnd bemerkte, dass ich kaum jemals eine Frau finden werde, wenn ich absolute Vollkommenheit verlange — Thatsache ist, dass ich bis auf den heutigen Tag unverheiratet bin, wenn auch freilich nicht aus diesem Grunde; aber ich bin überzeugt, dass selbst meine Mutter es vorzöge, mich als Hagestolz sterben zu sehen, als dass ich mich in Hilda Turner verliebte.
Vermutlich hat es seit Welterschaffung keinen schlechteren Menschenkenner gegeben als mein gutes Mütterlein. Teils rührte dies wohl davon her, dass sie von der Nachtseite der menschlichen Natur wenig zu sehen bekam — sie war fast seit meiner Geburt gelähmt und unfähig, einen Schritt zu machen — teils von ihrem unerschütterlichen Glauben an die Weisheit und Gnade einer alles lenkenden Vorsehung, der sie an jeglichem Ding die beste Seite herausfinden lässt, sogar an ihrem eignen Leiden — dazu kommt noch ihre gut und glücklich angelegte Natur, die sie, glaube ich, völlig ausser stand setzt, sich von bewusster Bosheit einen Begriff zu machen, und die sie die Menschen erblicken lässt, wie sie sie haben möchte, und nicht, wie dieselben wirklich sind. Aber trotzdem gab sie mir bei einer Gelegenheit äusserst zögernd und mit vielen Umschweifen zu verstehen, dass sie fürchte, dass Hilda Turner nicht ganz aufrichtig sei. Was ihr Veranlassung gegeben, dies furchtbar harte Urteil auszusprechen, konnte ich ihr nicht entlocken, aber ich vermute, dass sie die junge Dame bei einer unzweideutigen Lüge ertappt hatte. Ich hätte ihr versichern können, dass dies kein vereinzelter Fall gewesen, aber wenn ich es vermeiden kann, sie in dieser Richtung aufzuklären, thue ich es, weil die einzige Wirkung einer derartigen Mitteilung ist, ihr weh zu thun.
Wenn sie über Hilda einige Zweifel hegte, so hatte sie in Bezug auf deren Vater durchaus keine — er war der Ortsgeistliche, und meine Mutter sprach nie anders von ihm, als von „dem guten Mr. Turner“. Der gute Mr. Turner war ein absoluter Dummkopf, aber harmlos. Er machte sich mit seiner Gemeinde hie und da zu schaffen, arbeitete ein weniges, hielt uns Predigten, die wenigstens den Vorzug der Kürze hatten, und war von einem passiven Wohlwollen. Hilda herrschte über ihn — ich will nicht gerade sagen mit eiserner Rute, denn eine solche Waffe war in so zarter Hand undenkbar, aber sie beherrschte ihn vollständig.
Da unsre Nachbarschaft keine sehr zahlreiche war, kannten die paar Familien sich natürlich genau. Hilda, Jim und ich waren von klein auf Spielgefährten gewesen, und wenn Lord Staines auf seiner Besitzung anwesend war, verkehrten Bracknell und seine Schwester ebenfalls viel mit uns. Nach Lady Staines’ Tod stand das grosse Herrenhaus jedoch häufig leer, denn Lord Staines hielt sich in London, Schottland, Newmarket oder an irgend einem jener Orte auf, wo er sein Geld zu verschwenden liebte, und nur in langen Zwischenräumen kam die stille, kleine Lady Mildred mit ihrer Erzieherin und einer der Tanten, die sich ihrer annahmen, aufs Land. Sie war ein wohlerzogenes kleines Mäuschen, mit glänzenden braunen Augen, die weit mehr sahen, als man gewöhnlich voraussetzte, und dem besten Herzen von der Welt; da sie aber ziemlich schüchtern war und ihre Ansicht gewöhnlich für sich behielt, nahm niemand viel Notiz von ihr. Sie und Hilda galten für Freundinnen, obwohl kaum eine wirkliche Zuneigung zwischen ihnen bestanden haben kann, und als Hilda achtzehn Jahre alt war, hatte Lady Petworth, Mildreds Tante, die Gutmütigkeit, dieselbe für die Ballsaison nach London einzuladen und bei Hof vorzustellen.
„Ich bin froh,“ pflegte Mr. Turner in seiner bedächtigen, ehrlichen Weise zu sagen, „dass meine gute Hilda ihre Beziehungen zu Lady Mildred immer frisch erhalten hat. Ich habe sie darin bestärkt,“ (er glaubte vielleicht wahr und wahrhaftig, dass seine Wünsche irgend welchen Einfluss in dieser Frage gehabt hätten!) „weil ein gebildeter, feiner Umgang für die Jugend nur förderlich sein kann, und weil ich es für wünschenswert halte, dass Hilda einigermassen in die — nun eben in die beste Gesellschaft kommt.“
Ohne Zweifel hielt auch Hilda dies letztere Resultat ihres Verkehrs mit Lady Mildred für äusserst wünschenswert. Was den gebildeten Umgang betraf, so hätte sie diesen Zwang wohl mit Vergnügen abgeworfen.
Ich weiss nicht, ob es nach Miss Turners Einführung in die „beste Gesellschaft“ war, dass Jim die Entdeckung machte, dass er bis über die Ohren in sie verliebt sei, aber es war etwa um jene Zeit, dass er mich zu meinem Leidwesen, aber nicht zu meiner Ueberraschung, von seinem Herzenszustand in Kenntnis setzte. Aber erst mehr als ein Jahr später, nachdem wir beide Oxford verlassen hatten, kam die Sache zu einer Krisis. Bis dahin waren Jims Aufmerksamkeiten höchst bescheidener und schüchterner Natur gewesen; er hatte eine sehr geringe Meinung von seiner persönlichen Anziehungskraft und litt lieber die Qual der Ungewissheit, als dass er sich der Gefahr einer Zurückweisung aussetzte. Zu diesem Zögern trug ich meinerseits auch ein gut Teil bei, denn ehrlich gestanden, ich dachte mir, es müsste in den Sternen geschrieben sein, dass eine so bezaubernde junge Dame wie Hilda in London jemand begegnen würde, dessen Anspruch auf ihr Interesse grösser wäre, als der des armen Jim. Es war dies aber nicht der Fall — fünftausend Pfund jährlich ist kein sehr glänzendes Einkommen, aber wenn man sich die Mühe gibt, seine Bekannten Revue passieren zu lassen, so wird man finden, dass die heiratsfähigen Herren, die sich eines solchen erfreuen, in der Minorität sind, und es ist mehr als möglich, dass Hilda diese Berechnung anstellte.
Und so geschah es, dass in einem schönen heissen Juli, als das Pfarrhaus, halb verdeckt von seinen prächtigen Bäumen, die richtige Scenerie für eine Idylle bildete, als die breiten Terrassen von Staines Court in lustigem Blumenschmuck prangten, dessen sich leider niemand erfreute, als die Gärtner selbst, und als sogar unser bescheidenes Heim nach meiner Mutter Ausspruch, die ihren grossen Stolz darein setzte, „wie ein Paradies“ aussah, man zwei junge Wesen, von denen man sagen konnte, dass sie ein hübsches Paar bildeten, fortwährend miteinander zu Pferd oder zu Fuss Wiesen und Wälder durchstreifen sah. Nicht, dass unser starkknochiger, breitschultriger Jim mit seiner gebogenen Nase, seinen ruhigen grauen Augen und dem grossen Mund, der sich bei der geringsten Veranlassung lächelnd von einem Ohr zum andern zog, im eigentlichen Sinn des Wortes ein hübscher Mann gewesen wäre, aber er kam diesem Begriff doch nahe genug, um die von vielen und auch von Ehrwürden Simeon Turner ausgesprochene, wohlmeinende Bemerkung über das junge Paar zu rechtfertigen. Der geistliche Herr war frei von Ehrgeiz; ein Schwiegersohn mit fünftausend Pfund jährlich, einem tadellosen Lebenswandel und einem fügsamen Charakter genügte seinen Ansprüchen.
Ich war zu jener Zeit mit meinen Rechtsstudien beschäftigt und bereitete mich vor, als Anwalt aufzutreten, obwohl ich damals wie heute dies Studium für das widerlichste halte, zu dem ein leidlich intelligenter Mensch sein Gehirn zwingen kann. Eines Nachmittags, als ich mit irgend eines Menschen „Civilrecht“ und „Entscheidungen in Strafsachen“ vor mir dasass, stürmte Jim in meine Zelle, und sich rittlings auf den Tisch schwingend, teilte er mir mit, dass er „der glücklichste Mann im römischen Reich geworden“ oder wenigstens etwas derart.
Wenn man weiss, dass ein Freund fest entschlossen ist, einen dummen Streich zu machen, so ist es die grösste Thorheit von der Welt, ihm dies zu sagen. Ich gab mir also alle Mühe, heiter teilnehmend auszusehen, und fragte: „Hat sie dir ihr Jawort gegeben?“
„Nun — nein“ — antwortete er, „das gerade nicht, aus dem einfachen Grund, weil ich sie gar nicht danach gefragt habe, aber ich glaube, dass alles gut gehen wird. Harry, altes Haus, ich weiss wahrhaftig nicht, womit ich ein solches Glück verdient habe.“
Das wusste ich ebensowenig, bin sogar überzeugt, dass er in seinem Leben nichts gethan, womit er das verdient hätte, und trotzdem ward es sein Los — und schliesslich, man sieht ja manchen Gefangenen ganz vergnügt mit seinen Ketten klirren. „Und weshalb,“ forschte ich, „hast du deine Werbung nicht angebracht?“
Jim lachte. „Ich bin nun einmal ein einfältiger Geselle!“ sagte er. „Es braucht lange, bis ich so weit bin, und so oft ich darauf lossteure, kriegt sie es fertig, mich wieder aus dem Geleise zu bringen. Nun, es liegt ja nicht so viel daran, Eile hat es nicht!“
„Durchaus nicht,“ pflichtete ich eifrig bei, da ich, solang das bindende Wort nicht gesprochen, immer noch einen Schimmer von Hoffnung für ihn hatte. Er aber warf sich in meinen Lehnstuhl, steckte sich eine Cigarre an und erging sich in Rhapsodieen, deren Wiederholung mir und dem Leser gleich langweilig sein würde.