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Drittes Kapitel.

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Lord Staines war ein schwacher Mensch, und wie es bei solchen häufig der Fall ist, äusserst leidenschaftlich, wenn sein Zorn einmal entflammt war. Der arme Mr. Turner konnte wahrhaftig nichts dafür, dass Bracknell um ein Haar eine grosse Dummheit begangen hätte, denn, wie männiglich bekannt, besass er über seine Tochter etwa ebensoviel Gewalt, wie über die Kaiserin von China. Immerhin müsste jeder, der den Schein der Macht besitzt, darauf vorbereitet sein, dass er zur Verantwortung gezogen wird, sobald ein Unheil geschieht, und es ist sehr zu beklagen, dass so mancher hohe Würdenträger dieser vortrefflichen Regel nicht häufiger unterworfen wird. Nachdem Lord Staines Hildas nominellen Gebieter in seine Macht bekommen hatte, führte er den unglücklichen Mann in sein Studierzimmer, wo ihm der Kopf gründlich gewaschen wurde. Ich besuchte Se. Ehrwürden absichtlich im Lauf des Nachmittags und fand ihn noch ganz zerschmettert. In seinem ganzen Leben, sagte er jammernd, habe niemand eine solche Sprache gegen ihn geführt, und wenn er sich auch als Christ verpflichtet fühle, Lord Staines zu verzeihen, so fürchte er doch, dass er lange nicht im stande sein werde, zu vergessen.

Was Bracknell betraf, so wurde er mit einem Floh im Ohr und, wie ich stark vermute, einem Check in der Tasche in den ersten abgehenden Bahnzug gesteckt. Er schrieb an Hilda und stellte sich, soviel ich hörte, als völlig machtlos und gebrochenen Herzens dar. Sein Vater wolle von der Verlobung nichts hören, und da er gänzlich abhängig von demselben sei, sei nichts zu machen. Wenn ich mir’s recht überlege, so muss er ganz zweifellos einen Check bekommen haben. Lord Staines war heftig, allerdings, aber er vergötterte seinen Sohn, der bedeutend mehr Willenskraft besass als er selbst, und wenn Bracknell ernstlich entschlossen gewesen wäre, seine Köchin zu heiraten, so bin ich überzeugt, dass er seinem Vater ein Schnippchen geschlagen und seinen Kopf durchgesetzt hätte. Dies mag auch insgeheim Hildas Auffassung gewesen sein, und ihre Empörung, als sie sich so gleichmütig aufgegeben sah, muss einen hohen Grad erreicht haben, wie ich aus einigen Aeusserungen ihres Vaters schloss.

Sie würde ihre Enttäuschung leichter verschmerzt haben, und die ganze Geschichte hätte stillschweigend begraben werden können, wenn Lord Staines vernünftig gewesen wäre und reinen Mund gehalten hätte. Allein er war siegestrunken und konnte seinem Mitteilungsbedürfnis nicht Einhalt thun. Dass Lady Mildred es durch ihn erfuhr, war vielleicht nicht zu vermeiden, am Abend des nämlichen Tages aber, als er wieder vollständig guter Laune geworden, machte er sich auf, meine Mutter zu besuchen, und rühmte sich nicht wenig der Leichtigkeit, mit der er diese Narrheit im Keim erstickt habe.

„Ja, meine liebe Mrs. Maynard,“ versicherte er, „in solchen Fällen nur rasch und entschieden. Die Leute behaupten, ich sei zu nachsichtig gegen Bracknell gewesen, und das ist vielleicht richtig; aber ich glaube, er weiss nun ziemlich genau, dass es eine Grenze gibt, die zu übertreten nicht ratsam für ihn ist. Ich kann mir den Luxus einer bettelarmen Schwiegertochter nicht erlauben — damit Punktum.“

Meine Mutter erklärte, dass das sehr weltlich und ganz abscheulich sei, und dass Lord Staines sich seines Verfahrens schämen solle, wenn er nichts andres als den Mangel an Vermögen gegen Hilda einzuwenden habe. Er schämte sich jedoch nicht im geringsten, sondern muss sich im Gegenteil überall frei ausgelassen haben über die Vorzüge einer raschen und energischen Handlungsweise, denn nach wenigen Tagen war die ganze Nachbarschaft nicht nur über die Thatsachen auf dem laufenden, sondern erzählte sich auch die üblichen Erweiterungen und Verbesserungen, die sich im Verlauf der Uebermittelung angeheftet hatten.

Unter den ersten, die von der Geschichte erfuhren, war Jim, der in grosser Erregung zu uns herübergeritten kam, mich zu fragen, ob ich etwas von dieser „infamen Lüge“ gehört habe. Als ich genötigt war, ihm klar zu machen, dass die Sache vielleicht infam, keinenfalls aber erlogen sei, kam ein Moment, wo ich wirklich fürchtete, er könnte sich thätlich an mir vergreifen. Aber er besann sich eines Bessern und sank in einen Stuhl mit einem Ausdruck des Schmerzes und des Vorwurfs in seinem Gesicht, der mir das Herz durchschnitt, als ob ich ihn verdient hätte.

„Und du wusstest, dass Bracknell sich all die Zeit her über mich lustig machte?“ rief er aus.

Ausgesprochen hatte ich das nicht, aber recht hatte er. In der ersten Aufwallung schien ihn Bracknells Verräterei mehr zu bekümmern als Hildas Unbeständigkeit, und ich fürchte, ich trug all die wohlgesetzten, weisen Entschuldigungen, die ich für den Missethäter und mich selbst vorbrachte, tauben Ohren vor. Als ich aber, da ich einmal im Zug war, Grossmut zu üben, auch Hilda zu verteidigen anfing, unterbrach er mich sofort.

„Lass das, Harry! Du meinst es gut, aber du scheinst nicht zu fühlen, dass in deiner Verteidigung Hildas ein Vorwurf für sie liegt, den ich ihr keinen Augenblick mache. Sie hat mir nie irgend ein Versprechen gegeben, und wenn ich mir in den Kopf gesetzt habe, sie möge mich leiden, so war ich eben ein Narr!“

„Nun ja, vielleicht,“ gab ich zu. „Jedenfalls ist es nun sonnenklar, dass ihr nichts an dir liegt.“

„Ja,“ erwiderte er mit einem Seufzer, „das ist sonnenklar, meine ich. Und doch — ich kann den Gedanken nicht loswerden, dass sie mich lieb gewonnen hätte, wenn Bracknell nicht gekommen wäre. Doch wozu nun all das Gerede. Ich denke, ich werde die paar nächsten Monate nicht hier sein — könntest du dich nicht entschliessen, mit mir in die Schweiz zu gehen, und dann vielleicht den Winter in Italien zuzubringen?“

Ich erinnerte ihn daran, dass ich kein unabhängiger Mensch sei, und dass ich meinen Winter in der bedeutend weniger reinen Atmosphäre der Gerichtssäle zubringen werde, redete ihm aber eifrig zu, den Reiseplan auszuführen. Er war so reich an Freunden, dass er schwerlich lange ohne Gefährten bleiben würde. Ich fürchte, er fand mein Mitleid etwas kühl, und es kostete mich auch die grösste Ueberwindung, ihn nicht zu seiner Rettung zu beglückwünschen.

Plötzlich sagte er, dass er meiner Mutter guten Morgen sagen möchte, wenn sie wohl genug sei, ihn zu empfangen, und ich hütete mich, ihn zu ihr zu begleiten. Von dieser Seite konnten alle, die an Leib oder Seele betrübt und zerschlagen waren, auf warme Teilnahme oder gar Trost rechnen, und als Jim nach einer halben Stunde von ihr wegging, stand so viel weniger Lebensüberdruss auf seinem Gesicht zu lesen, dass ich Angst bekam, meine Mutter möchte so unvorsichtig gewesen sein, ihm zu einem erneuten Versuch zu raten; dem war aber nicht so.

„O nein,“ sagte er ruhig, als ich ihn darüber ausforschte, „sie hat mir gar keine Hoffnung gemacht. Sie war aber riesig gut gegen mich, und ich glaube, sie hat recht: ich werde einmal damit fertig werden. Wenn nur Bracknell ein bisschen ehrlicher gegen mich gehandelt hätte.“

Das schien mir die vernünftigste Art und Weise, sein Leid aufzufassen, und als ich ihn die Treppe hinabgeleitete, sagte ich mir, dass die Wunde vielleicht nicht so gefährlich sei, als ich mir vorgestellt. Ich öffnete die Hausthüre und wen fanden wir vor derselben, Jims Pferd streichelnd und sich liebenswürdig mit dem Reitknecht unterhaltend — wen anders als Miss Hilda Turner in Person!

Jim erschrak heftig, während ich sie im stillen zu allen Teufeln wünschte, denn dass sie nicht ohne bestimmte Absicht in dieser auffallenden Weise aussen gewartet hatte, stand bei mir fest.

„Weshalb sind Sie nicht hereingekommen?“ fragte ich ziemlich scharf. „Sie wollten doch wohl meine Mutter besuchen, nicht?“

„Gewiss,“ erwiderte sie mit vollständiger Ruhe, ohne im geringsten die Farbe zu wechseln; „als ich aber Jims Pferd sah, beschloss ich, auf ihn zu warten und Mrs. Maynard ein andermal zu besuchen, weil ich weiss, dass zwei Besuche zu gleicher Zeit sie ermüden. Jim, wenn Sie nichts andres vorhaben, so begleiten Sie mich vielleicht nach Hause.“

„Grosser Gott, hat sie im Sinne, sich ihm anzutragen?“ fragte ich mich. Ich nahm mir die Freiheit, meine Augenbrauen sehr auffällig in die Höhe zu ziehen, aber ich fürchte, dass auch die kühnste gymnastische Leistung meiner Gesichtsmuskeln nicht im stande gewesen wäre, ihren Gleichmut zu stören. Sie hielt meinen Blick voll aus, und schliesslich war ich es, der die Augen senkte.

Auf dem Gesicht meines einfältigen Jim kämpften Staunen, Zweifel und Freude. Was halfen all meine zahlreichen Rippenstösse und Grimassen? Ein Wink von Hilda und er wäre mit ihr bis ans Ende der Welt gepilgert. Ohne jedes Zögern wenigstens wandelte er, sein Pferd am Zügel führend, unsre kurze Avenue mit ihr entlang, und dann entschwanden sie meinen Blicken. Es bedurfte gerade keines zweiten Gesichtes, um so ziemlich zu wissen, was nun zwischen ihnen vorgehen werde, und ich kehrte zu dem hohen Studium der Rechte mit Ahnungen zurück, die sich nur zu bald bestätigen sollten. Eine Stunde später — ich hatte mich eben in das Prozessrecht versenkt und zermarterte mein Gehirn mit dem abgeschmackten Jargon von Repliken, Dupliken, Tripliken und Quadrupliken und derlei angenehmen Dingen — hörte ich jemand in gestrecktem Galopp aufs Haus zureiten, und unmittelbar darauf flog meine Thüre, wie von einer Dynamitpatrone gesprengt, auf, und da stand Jim — siegreich und triumphierend. Ein Blick in sein Gesicht sagte mir, dass alles verloren sei.

„Bitte erlass mir einen Gefühlsausbruch,“ sagte ich herb, „ich weiss alles!“

„Na aber, mein alter Harry,“ versetzte er, „wie in aller Welt kannst du denn ‚alles‘ wissen?“

„Wenigstens weiss ich, dass du mit Hilda Turner verlobt bist.“

Seine Antwort bestätigte mir, dass er in dieser glücklichen Lage sei. „Und weisst du auch,“ fuhr er fort, „es ist wahr, dass sie — ach es ist ja so beseligend, dass ich’s kaum glauben kann, und doch ist mir, als ob ich es allezeit gewusst hätte — es ist wahr, dass sie von Anfang an mich geliebt hat.“

„Da hat sie eben,“ konnte ich mich nicht enthalten zu bemerken, „den wunderlichsten Weg gewählt, ihre Gefühle an den Tag zu legen, der mir je vorgekommen ist.“

Jim aber erklärte: „Keineswegs; das ist eine Geschichte, wie sie hundertmal passiert, das weiss ja jeder. An allem ist meine dumme Schüchternheit schuld. Sie sagte sich natürlich, dass mir nicht viel an ihr gelegen sei, sonst würde ich mich ja aussprechen, und so nahm sie Bracknells Antrag an. Sie sei in einer Stimmung gewesen, in der sie jedes beliebigen Menschen Antrag angenommen hätte, sagte sie mir — und ich verstehe das vollkommen.“

Dass mit einem solchen Tollhäusler zu streiten, hoffnungslos war, ist klar, trotzdem versuchte ich es zur Beruhigung meines eignen Gewissens.

„Es scheint,“ sagte ich, „dass sie dich heute aufgesucht hat, um dir ihre Liebe zu bekennen. Wenn sie heute nicht zu stolz dazu war, weshalb in aller Welt hat sie es nicht schon vor ein paar Wochen gethan?“

„Grosser Gott!“ stiess Jim hervor, „was für eine erbärmlich niedrige Meinung du von den Menschen hast. Mich aufgesucht! Ach, lieber Freund, wenn du nur wüsstest, wie schwer es war, ihr das Geständnis zu entreissen. Weshalb sie mich aufgesucht hat — das heisst, sie hat mich ja gar nicht gesucht — war, um mich um meine Vermittlung zwischen ihrem Vater und dem alten Lord zu bitten. Natürlich kamen wir dadurch auf Bracknell zu sprechen, und ich weiss nicht, wie es kam, aber ich konnte nicht anders, ich musste ihr sagen, wie ich sie geliebt habe, und dann gestand sie mir endlich, dass sie ihm ihr Wort nur aus Verzweiflung gegeben. Aber sie war sehr abgeneigt, mich zu erhören. O Harry, du ungläubiger Thomas, du kennst Hilda nicht; sie ist das süsseste Geschöpf auf der Welt.“

Wenn dem so war, so kannte ich sie allerdings nicht, allein diese „Replik hätte mir nur eine „Duplik“ eingetragen, die zu widerlegen ganz aussichtslos gewesen wäre; ich begnügte mich also, so gut als möglich herzustammeln, was an passenden Worten von mir erwartet werden konnte, und sobald Jim das Zimmer verlassen hatte, flogen die verhassten Gesetzbücher in einen Winkel, womit ich meinem speziellen Abscheu gegen dieselben Ausdruck verlieh, sowie meinem Widerwillen vor einem Stand der Dinge, den zu ändern ich machtlos war.

Mein Freund Jim

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