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Die Liebknecht/Luxemburg-Affäre
ОглавлениеNoske konnte nur in seinem Sinne arbeiten, wenn es die Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht gäbe. Sie mussten verschwinden. So oder so. Warum gab eine Adjutantur und dort einen Canaris? Doch was hatte Canaris mit Liebknecht und Luxemburg zu schaffen? Warum sein Hass auf die beiden? Klären wir diese Frage anhand der Biografien der beiden Kommunisten.
Am 13. August 1871 wird Karl Liebknecht wird als Sohn des sozialdemokratischen Politikers Wilhelm Liebknecht und dessen Frau Nathalie (geb. Reh) in Leipzig geboren. Er studiert Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an den Universitäten Leipzig und Berlin. Durch Ableistung seines Militärdienstes 1893/94 als Einjährig-Freiwilliger tut er seiner aktiven Dienstpflicht Genüge.
Karl Liebknecht, Politiker
Aufgrund seiner Programmschrift "Militarismus und Antimilitarismus", verfasst für die sozialistische Jugendbewegung, wird er 1907 wegen Hochverrats zu eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. 1912 wird Liebknecht Mitglied des Reichstags. Er steht auf der äußersten Linken der SPD, propagiert den Einsatz des Generalstreiks als Kampfmittel und vertritt eine radikal antimilitaristische Position. Am 2. Dezember 1914 lehnt er als erster und einziger Abgeordneter im Reichstag die Bewilligung weiterer Kriegskredite ab, nachdem er sich im August noch der Parteidisziplin unterworfen und der Bewilligung zugestimmt hatte.
Am 28. Juni 1916 wird er unter Verlust seines Reichstagsmandats wegen Hochverrats zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. In der Berufungsinstanz wird die Strafe auf vier Jahre und einen Monat erhöht. Im Zuge einer allgemeinen Amnestie wird Liebknecht am 23. Oktober 1918 begnadigt und von seinen Anhängern begeistert empfangen. Zusammen mit Luxemburg übernimmt er die Führung des Spartakusbundes und gibt dessen Zentralorgan, die "Rote Fahne", mit heraus. Er lehnt eine Zusammenarbeit mit der SPD und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) ab. Am 9. November ruft er vom Balkon des Berliner Schlosses die "freie sozialistische Republik" aus. Philipp Scheidemann hatte zwei Stunden zuvor die "deutsche Republik" von einem Balkon des Reichstags aus proklamiert. Am 30. Dezember - 1. Januar 1919 Beteiligung an der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Dann der 15./16. Januar: Nach dem "Januaraufstand" der Spartakisten in Berlin wird Karl Liebknecht zusammen mit Rosa Luxemburg von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützendivision verschleppt. Sie werden im Eden-Hotel verhört und misshandelt. Anschließend wird Liebknecht im Tiergarten erschossen. Vorbereiter ist Noske und Berater ist Wilhelm Franz Canaris.
Am 5. März 1871 wird Rosalia Luxemburg in Zamosc in Russisch-Polen als Tochter des Holzhändlers Eliasz Luxemburg und dessen Frau Line (geb. Löwenstein) geboren. Nach der Übersiedlung der Familie nach Warschau besucht sie das Zweite Warschauer Mädchenymnasium und engagiert sich schon als Schülerin in illegalen politischen Zirkeln.
Rosa Luxemburg, Politikerin
1898 erfolgt die Übersiedlung nach Berlin. Luxemburg schließt sich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) an. In Zeitungsartikeln nimmt Luxemburg zu wirtschaftlichen und sozialpolitischen Problemen in Russland, Österreich-Ungarn, Belgien, England, Frankreich und Deutschland Stellung. Immer wieder greift sie den deutschen Militarismus und Imperialismus an. Im Januar 1904 wird sie wegen Majestätsbeleidigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Bei einer Kundgebung 1913 in Frankfurt/Main ruft Luxemburg zur Kriegsdienstverweigerung auf. Am 20. Februar 1914 wird wegen dieses Aufrufs gegen sie Anklage wegen "Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und gegen Anordnungen der Obrigkeit" erhoben. Sie wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Im Februar 1915 wird das Gerichtsurteil des vorangegangenen Jahres vollstreckt: Luxemburg wird im Frauengefängnis in Berlin inhaftiert. Im Juli des gleichen Jahres beginnt das Hoch- und Landesverratsverfahren in Düsseldorf. 1916 erfolgt die Entlassung aus dem Frauengefängnis; jedoch am 10. Juli: Beginn der "Sicherheitsverwahrung", die bis November 1918 dauert. Luxemburg wird in die Festung Wronke in der Provinz Posen, dann nach Breslau gebracht.
30. Dezember 1918 - 1. Januar 1919: Beteiligung an der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Luxemburg steht auf der Seite derer, die eine Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung fordern, aber von der Mehrheit überstimmt werden. Bei den Januarunruhen muss sie wegen Verhaftungsgefahr ständig ihre Wohnung wechseln, weigert sich aber, Berlin zu verlassen. Am 15. Januar wird sie gemeinsam mit Karl Liebknecht von Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützendivision verschleppt. Dort residierte der Stab der Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter dem Ersten Generalstabsoffizier Hauptmann Waldemar Pabst, der die Verfolgung von Spartakisten in Berlin organisierte. Sie werden im Eden-Hotel verhört und misshandelt. Pabst beschloss mit seinen Offizieren, sie zu ermorden; der Mord sollte nach einer spontanen Tat Unbekannter aussehen.
Pabst hatte in der Mordnacht Noske in der Reichskanzlei angerufen! Am Telefon war Canaris, der zu Noske durchstellte. Ergänzt man Pabsts Memoiren-Hinweis mit der Aussage Kranzbühlers, ergibt sich folgendes nächtliches Telefongespräch:
Pabst: »Ich habe Luxemburg und Liebknecht. Geben Sie entsprechende Erschießungsbefehle.« Noske: »Das ist nicht meine Sache! Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Rufen Sie doch Lüttwitz an, er soll den Befehl geben.« Pabst: »Einen solchen Befehl kriege ich von dem doch nie! « Noske: »Dann müssen Sie selber wissen, was zu tun ist.«
Pabst begriff dies bis zu seinem Lebensende nicht als Mord, sondern als Hinrichtung im nationalen Interesse. Der am Haupteingang bereitstehende Jäger Otto Wilhelm Runge schlug Rosa Luxemburg beim Verlassen des Hotels mehrfach mit einem Gewehrkolben, bis sie bewusstlos war. Sie wurde in einen bereitstehenden Wagen geworfen. Der Freikorps-Leutnant Hermann Souchon sprang bei ihrem Abtransport auf das Trittbrett des Wagens auf und erschoss sie mit einem aufgesetzten Schläfenschuss etwa an der Ecke Nürnberger Straße/Kurfürstendamm. Kurt Vogel ließ ihre Leiche in den Berliner Landwehrkanal in der Nähe der heutigen Lichtensteinbrücke werfen.
Zu Beginn der Novemberrevolution 1918 verfügte der Rat der Volksbeauftragten über keine zuverlässigen Truppen in Berlin. In Absprache mit der Obersten Heeresleitung (OHL) wurden seit November 1918 aus ehemaligen Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs Freikorps aufgestellt.
In diesen Freiwilligenverbänden sammelten sich monarchistische und rechtskonservative Kräfte. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division gehörte mit bis zu 40.000 Mann zu den größten Freikorps. Sie schlugen im Auftrag der Regierung weitere revolutionäre Unruhen und kommunistische Umsturzversuche wie die Münchner Räterepublik oder den Märzauftand von 1920 nieder, aber sie kämpften nicht für die parlamentarische Demokratie der alle waren gewiss nicht bloße Werkzeuge, die stumpf und gleichgültig Befehle ausführten; sie waren willige, ja eifrige Täter. Aber waren sie die einzigen Täter, auch nur die Haupttäter?
Nicht zu übersehen, dass die Verfolgung, die öffentlichen Mordaufforderungen spätestens Anfang Dezember 1918 begonnen hatte, lange bevor die Mörder von der Garde-Kavallerie-Schützendivision die Szene betraten. Nicht zu übersehen der Kopfpreis, der damals ausgesetzt wurde, die Bekundung des stellvertretenden Berliner Stadtkommandanten, die eindeutige Mordhetze nicht nur der bürgerlichen sondern auch gerade der sozialdemokratischen Presse; und nach der Tat die heuchlerische Verteidigung, mir der Scheidemann, die kalte Genugtuung mir der Noske sie registrierte; Ebert hat, soviel man feststellen kann, immer wie das Grab dazu geschwiegen.
Schon seit Mitte November hatte man „unter der Decke“ die Bildung von Freikorpstruppen abgemacht. Das sich Ebert, das Radiesschen – „außen rot und innen weiß“ (Tucholsky) damit gegen seine Parteibasis stellte, die Konterrevolution absegnete, ficht ihn nicht an.
Ende Dezember, nachdem sich die alten kaiserlichen Truppen und mit ihnen Ebert mehrfach gegen das revolutionäre Berlin blamiert hatten, intensivierte General Groener den Ausbau der Freikorpseinheiten zu riesigen Verbänden. Dies geschah nicht nur mit Zustimmung Eberts, sondern wurde bald in Person seines Freundes Noske von einem SPD-Oberbefehlshaber geleitet. Noske hatte bereits Anfang November in Kiel konterrevolutionäre Offiziersbrigaden gefördert, die sich an der Geburtsstätte der demokratischen Revolution, eben zur zu ihrer Bekämpfung gebildet hatten.
Pflugk-Harttung hatte einflussreiche Freunde. Einer hieß Waldemar Pabst, Hauptmann und faktischer Befehlshaber der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Aus dieser ex-kaiserlichen Elitetruppe schweißte er ein schlagkräftiges, hasserfülltes und zu allem entschlossenes Frei-korps zusammen. Ihm unterstellte sich die kleine Marineeinheit von Pflugk-Harttung. Und Pabst unterstellte sich Noske, wurde sein »rührigster Helfer«, wie dieser selbst zugab.
Am 27. Dezember 1918 gab Noske in eine r Kabinettssitzung unter Zustimmung seines Parteigenossen Heine die Leitlinie der SPD-Freikorpspolitik bekannt: „Schießen ... und zwar auf jeden, der der Truppe vor die Flinte läuft.“
Die ersehnte Stunde der Abrechnung kam Anfang Januar. In der Nacht des 15. Januar 1919 klingelte im Hauptquartier der Pabst-Division im Eden-Hotel das Telefon. Pabsts »Bürgerwehr« in Wilmersdorf meldete sich. Sie war in ein Haus eingedrungen und hatte Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht rechtswidrig festgesetzt. Der kleine Hauptmann erkannte die Chance seines Lebens. Endlich konnte er Rache nehmen dafür, dass eine »hochbegabte Russin« (Scheidemann) und ein »Psychopath« (Noske) die Massen faszinierten.
Pabst dachte kurz nach. Um beide ohne großes Aufsehen zu liquidieren, benötigte er Profis: Die kleine Marineoffizierseinheit Pflugk-Harttungs. Pabst forderte das Killerkommando sofort an. Getrennt wurden Luxemburg und Liebknecht ins Hotel gebracht. 1700 Mark erhielt ein jeder der braven Bürger aus Wilmersdorf für die Festsetzung und Ablieferung. Inzwischen war die »Marinespezialeinheit« herangeholt: Zur Tarnung trugen die Herren Offiziere Uniformen einfacher Soldaten. Man ging nach oben zu Hauptmann Pabst. Es wurde beschlossen, Liebknecht in den dunklen Tiergarten zu fahren, dort eine Autopanne zu markieren und ihn »auf der Flucht« zu ermorden. So geschah es. Von drei Schüssen in Rücken und Hinterkopf getroffen, brach Liebknecht tot zusammen. Abgedrückt haben die Offiziere Heinz von Pflugk-Harttung, Ulrich von Ritgen, Heinrich Stiege und Rudolf Liepmann.
Für Rosa Luxemburg dachte man sich »lynchende Masse« aus, denn »Erschießen auf der Flucht« erschien bei einer hinkenden Frau nicht angebracht. Leutnant Souchon sollte die Volksmenge spielen, auf den Wagen an der Ecke warten, aufspringen und schießen. Gesagt, getan.
Pabst hat die Mordbefehle gegeben und Noske hat sie gebilligt. Verbindungsmann zwischen beiden war Canaris. Der Mord an Liebknecht und Luxemburg war also direkt in der Reichs-kanzlei abgesegnet worden.
Die Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg aus dem Freikorps wurden erkannt und vor ein Militärgericht gestellt. Zu den Beisitzern des Gerichtes gehörte einer der Plane r und Organisatoren des Verhandlungsgegenstandes – Wilhelm Franz Canaris. Die Gerichts-verhandlung vor dem Militärgericht der eigenen Division war ein possenhaften Verfahren.
Und dort ging es um die Frage: Wer schoss? Daran konnte sich keiner erinnern. Jeder der Angeklagten und Zeugen sagte seinen Spruch auf, dessen Wortlaut er von Canaris erhalten hatte. Das Ergebnis lässt sich denken.
Es werden verurteilt:
1. der Angeklagte Husar Runge wegen Wachtvergehens im Felde, wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Missbrauch der Waffe, begangen in zwei Fällen, in einem Falle auch in Tateinheit mit erschwertem Wachtverbrechen im Feld, sowie wegen Gebrauchmachens von falschen Urkunden zwedts besseren Fortkommens zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren Gefängnis, 2 Wochen Hafl, 4 Jahren Ehrverlust und Entfernung aus dem Heere. Die Haftstrafe wird durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erachtet;
2. der Angeklagte Leutnant der Reserve Liepmann wegen Anmaßung einer Befehlsbefugnis in Tateinheit mit Begünstigung zu 6 Wochen geschärften Stubenarrestes;
3. der Angeklagte Oberleutnant a. D. Vogel wegen erschwerten Wachtverbrechens im Felde in Tateinheit begangen mit Begünstigung während Ausübung des Dienstes, Missbrauch der Dienstgewalt nach S 115 M.St.G.B. und Beiseiteschaffung einer Leiche , sowie in einem weiteren Falle wegen vorsätzlich unrichtiger Abstattung einer dienstlichen Meldung zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren 4 Monaten Gefängnis und Dienstentlassung.
II. Der Angekl agte Leutnant der Reserve Liepmann wird von der weiteren Anklage des ge-meinschaftlichen Mordes, in Tateinheit mit rechtswidrigem Waffengebrauch begangen, frei-gesprochen.
III. Der Angeklagte Oberleutnant a. D. Vogel wird von der weiteren Anklage der Duldung ei¬ner strafbaren Handlung aus §143 M.St.G.B., sowie von der Anklage des erschwerten Wachtverbrechens im Felde, in Tateinheit mit rechtswidrigem Waffengebrauch im Dienst und Mord, freigesprochen.
IV. Die Angeklagten Kapitänleutnant v. Pflugk-Harttung, Oberleutnant zur See v. Rittgen, Leutnant zur See Stiege, Leutnant zur See Schulze, Hauptmann v. Pflugk-Harttung und Hauptmann der Landwehr Weller werden freigesprochen.*
Den Verurteilten verhalf man unmittelbar danach zur Flucht.
Noske hat eine grundsätzliche Verantwortung, weil er zweifelsfrei die juristische Aufklärung der Morde verhindert hat. Dafür gibt es ganz klare Belege. Außerdem gibt es Hinweise von Hauptmann Pabst, der die Morde befohlen hat. Danach habe er ein indirektes Einverständnis von Noske bekommen. Waldemar Pabst hat in seinen Memoiren geschrieben, es sei ein grundsätzliches Übereinkommen von Noske und ihm gewesen, dass man Luxemburg und Liebknecht beseitigen müsse. Noske war im damaligen Rat der Volksbeauftragten der so genannte Oberbefehlshaber in den Marken und wurde dann später Reichswehrminister.
Er hat sehr eng mit Pabst zusammengearbeitet, der ganz klar ein Feind der Demokratie und Republik war. Die Taktik von Pabst war, erst einmal mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, um die Revolution niederzuschlagen, bevor es dann gegen die SPD selbst gehen sollte. Pabst hat dann gemerkt, dass er sehr gut mit Noske zusammenarbeiten kann, und ihm später sogar angeboten, in einer von ihm angestrebten Militärdiktatur mitzuarbeiten. Das hat Noske aber abgelehnt. Pabst hat 1968 dem Rechtsanwalt Otto Kranzbühler, zu dem er sehr großes Vertrauen hatte, die damaligen Vorgänge erzählt. Kranzbühler war der Anwalt von Dönitz und Krupp in den Nürnberger Prozessen und war in den sechziger Jahren auch Anwalt eines Mannes, der ebenfalls in diese Morde verstrickt war. Pabst gestand Kranzbühler, dass er nach der Festnahme von Liebknecht und Luxemburg Noske angerufen habe, um den Befehl zur Ermordung zu erhalten. Noske habe zunächst gesagt, nein, er könne den Befehl nicht geben, daran würde die Partei zerbrechen. Noske schlug deswegen vor, Pabst solle sich die Erlaubnis von seinem militärischen Oberbefehlshaber, General von Lüttwitz, einholen. Pabst habe entgegnet, er werde von Lüttwitz diesen Befehl nicht erhalten. Daraufhin habe Noske geantwortet, dann müsse Pabst selbst verantworten, was zu tun sei. Pabst will gesagt haben: Herr Noske, geben Sie bitte Befehl über das Wie. Noske antwortete, das sei nicht seine Sache.
Im Juni 1938 wurde Pabst von Hitler zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Nach Kriegsbeginn diente er im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt. Er war als erster Generalstabsoffizier unter seinem Freund General Georg Thomas Verbindungsoffizier zum Oberkommando des Heeres. Richtig ist, dass Pabst ab Frühjahr oder Frühsommer 1940 keinen regulären Dienst mehr tat und auch nicht mehr die Abteilung »Zentrale Verkauf Waffen« bei Rheinmetall-Borsig unter sich hatte. Im September 1940 ließ er sich in Berlin als Hauptgesellschafter der »Auslandshandel GmbH« registrieren, einer Im- und Exportfirma, die zu einer hauptsächlich im neutralen Ausland operierenden Tarnfirmenorganisation gehörte und im Auftrag des Nazire-gimes laufend kriegs- und ernährungswichtige Waren und Rohstoffe aufkaufte. Außerdem diente sie auch nachrichtendienstlichen Zwecken für die deutsche Abwehr. Und deren Chef war zu dieser Zeit Canaris. Pabst wurde im Auftrag von Canaris eine wichtige Scharnierfigur zwischen der deutschen und der Schweizer Kriegswirtschaft. Eine seiner wichtigsten Bezugspersonen in der Schweiz war der Führer des »Schweizerischen Vaterländischen Verbands«(SVV), Dr. Eugen Bircher, der als Arzt, Militär und Politiker im öffentlichen Leben der Schweiz eine große Rolle spielte. Dieser organisierte als Beitrag der neutralen Eidgenossenschaft »zum Kampf des Führers gegen den Bolschewismus« (Bircher) die berüchtigteSchweizer Ärztemission. Der SVV, dem Pabst Tipps für präventive Aufstandsbekämpfung gegeben hatte, besaß einen eigenen, scheinbar privaten Dienst, der faktisch mit der Schweizer Staatsschutzbehörde, der dazu gehörenden Bundespolizei (politische Polizei) und dem militärischen Nachrichtendienst verkoppelt war. Von daher war Pabst mit diesen offiziellen Einrichtungen in Verbindung gekommen, besonders gut war sein Verhältnis zum Chef der Bundespolizei. Von August 1943 an hielt er sich dauernd in der Schweiz auf. Er ist in der Schweiz weiterhin als Wehrwirtschaftsführer, Major z.V., Chef der Auslandshandel GmbH und Agent des NS-Regimes tätig gewesen. Gleichzeitig hat er sich in die Bemühungen um einen antisowjetischen Separatfrieden eingeklinkt und versucht, in Bern an den Hauptresidenten des amerikanischen Kriegsgeheimdienstes OSS, Allan Dulles, heranzukommen.
Pabst diente sich dem späteren CIA-Chef mit Nachrichtenmaterial an, um sich selber eine Perspektive für die Zeit nach Hitler zu eröffnen; er muss aber auch weitere Auftraggeber in Berlin gehabt haben, und vieles spricht in dieser Beziehung für den SD der SS. Er gehörte zu einem Kreis von deutschen und Schweizer Wirtschafts- und Geheimdienstleuten, die an den Strukturen eines antikommunistischen Nachkriegsdeutschland arbeiteten. Mit Hilfe eidgenössischer Staatsschützer und anderer Leute im Berner Bundeshaus ist es Pabst sogar gelungen, sich eine erfolgreiche Legende als Gegner und Verfolgter des Naziregimes zu stricken…
In der Bundesrepublik war Pabst u.a. mit dem Bonner Nachrichtenoffizier Achim Oster verbunden, dem Sohn des nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Abwehr-Mannes und Canaris-Vertrauten Hans Oster. Oster versuchte im Sommer 1950 erfolglos, dem inzwischen 70jährigen Pabst in Bonn eine feste Position zu verschaffen. Pabsts »Auffassung von der Notwendigkeit einer offensiven Bekämpfung des Bolschewismus« habe »sich seit den Tagen, in denen er die Verantwortung für die Liquidierung Liebknechts und Luxemburgs übernahm, nicht geändert«, stand in Osters Empfehlung.
Auch der sozialdemokratische Verfassungsschützer Günter Nollau kannte die Wahrheit, schrieb aber in seinem 1959 erschienenen Buch »Die Internationale«: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht »wurden nach ihrer Festnahme in das Hauptquartier gebracht, von wo aus ihr Schicksal seinen Lauf nahm«. Der bundesdeutsche Geheimdienstchef Nollau hatte Pabst vor der Publikation seines Buches interviewt und darin dessen Geschichte von der »verräterischen Rolle Wilhelm Piecks« aufgegriffen. Der Verlag, in dem Nollaus Buch erschien, stand der „Psychologischen Verteidigung“ (sprich: Kriegführung) nahe, genau wie das von Pabst mit herausgegebene Blatt „Das deutsche Wort“.
Es fehlte nicht viel, und Major a.D. Waldemar Pabst hätte von der Adenauer-Regierung das Bundesverdienstkreuz dafür bekommen, dass er Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht um-bringen ließ; eine Tat, die er Anfang 1962 erstmals öffentlich zugab. „Jedenfalls ist Ihnen dafür jetzt eine amtliche Anerkennung zuteil geworden“, stellte der Spiegel damals in einem Gespräch mit ihm fest, „der Sie sogar zu Hitlers Zeiten hatten entraten müssen. Das bundesamtliche Bulletin hat die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs für standrechtliche Erschießungen ausgegeben und sich Ihre Deutung dieser Tat zu eigen gemacht, dass nämlich Deutschland damals nur so vor dem Kommunismus habe bewahrt werden können“.
Doch zurück zu Pabst und Noske. Beide verstanden sich, beide waren sie der Meinung, Deutschland gerettet zu haben. Pabst in einem Brief 1969 zum Mord: »Dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze genannt haben! Der Noske war damals vorbildlich.« Einem Verbrecher, so hört man oft, könne man auch am Ende seines Lebens nicht glauben. Nun, Aussagen von Offizieren werden immer dann bezweifelt, wenn man sie nicht gebrauchen kann, so auch schon geschehen mit den Groenerschen Offenbarungen über seine Zusammenarbeit mit Ebert. Es wurde auch immer wieder Pabsts Aussage in Frage gestellt, dass Canaris, als Richter des nach dem Mord installierten Kameradengerichts (!) Vogel zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen habe. Ich konnte beweisen, dass Canaris gar 30 000 Mark für das „Exil“ der Mörder übergeben hatte. Pabst erklärt in seinen Memoiren, dass die Industriellen Albert Minoux und Hugo Stinnes ihn finanziert hätten. Auch dies wurde angezweifelt. Tatsächlich aber gibt es eine Liste, die Minoux als Finanzier der von Pabst gegründeten „Gesellschaft zum Studium des Faschismus“.
Pabst behauptet des Weiteren, am Tag nach den Morden in die Reichskanzlei zu Ebert und Noske zitiert worden zu sein: Beide gaben ihm die Hand. Dies bestätigt eine eidliche Aussage des ehemaligen Kriegsgerichtsrats Kurtzig 1928. Die Aussagen von Kranzbühler wiederum fanden sich in einem Brief von Pabst belegt, in dem dieser betont, dass er den Mord „ohne die Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte“. „Ich habe ausgemistet und aufgeräumt“ Handlungen und Äußerungen Noskes im Verlauf des Jahres 1919 bekräftigen seine Mitschuld am Verbrechen in der Nacht des 15. Januar. Er hat Befehle zur Gefangenentötung erlassen. Und er äußerte, dass er der letzte wäre, “der hinter einem kleinen Leutnant wegen einer vielleicht nicht ganz gerechtfertigten Erschießung herlaufen und ihm den Prozess machen würde“.
Es wurde aber in den sechziger Jahren noch einmal über den Fall der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verhandelt.
Der Oberst a.D. Allbrecht Freiherr von Wechmar, klein und zierlich und der Oberst a.D. Hermann Wilhelm Souchon, groß und massig, begegneten sich mit ausgesuchter Höflichkeit. Der Freiherr, mit einer Verbeugung aus der Hüfte: „Entschuldigen Sie, Herr Souchon.“ Und Souchon, begütigend den Arm des Adeligen tätschelnd: „Aber bitte, bitte.“ Die beiden Obristen trafen sich im Dezember 1969 vor der 17. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts, das den Mord an der Kommunistin Rosa Luxemburg zu klären suchte. Aber die alten Kameraden gehörten verschiedenen Parteien an. Von Wechmar fi8ngierte als Zeuge, Souchon als Verdächtiger und Kläger zugleich. Was der eine Obrist aussagte, belastete den anderen. Souchon rangelte sich mit den Süddeutschen Rundfunk.
1969, zum fünfzigsten Jahrestag der Ermordung, gab es ein Fernsehspiel. Dort hat der Autor Dieter Ertel die ganzen Hintergründe aufgedeckt und hat mit Hermann Souchon auch den Mann genannt, der Rosa Luxemburg erschossen hat. Dieser Souchon hat dagegen geklagt. Es ist also nicht der Mörder vor Gericht gestellt worden, sondern der, der den Mord aufgeklärt hat. Souchon hat damals Recht bekommen, und zwar deswegen, weil man Pabst als alten, senilen Trottel dargestellt hat. Der eigentliche Witz aber war, dass man sich auf die Kriegsgerichtsakten von 1919 berufen und die als wahr angesehen hat. Dabei waren das die Akten, die Pabst und die anderen Beteiligten selbst gefälscht hatten.
Lange hat man Oberleutnant Vogel verdächtigt, den tödlichen Schuss auf Rosa Luxemburg abgegeben zu haben. Doch Dieter Ertel vom Süddeutschen Rundfunk entdeckte Ende der 60er Jahre Souchon als den wahren Täter. Sein Informant war der unbehelligt in der BRD lebende Waldemar Pabst. Ertel verwertete diese Neuigkeit in einem Fernsehspiel und prompt klagte der ebenfalls noch lebende Souchon, der nicht als alleiniger Missetäter dastehen wollte. Souchons damaliger Anwalt hieß Kranzbühler. Ein alter Marinerichter, der in den Nürnberger Prozessen Dönitz vor dem Galgen gerettet hatte.
Kranzbühler traf sich mit Pabst, wollte von ihm, quasi von Offizier zu Offizier, wissen, was damals Sache war. Pabst plauderte. In einem Interview 1990 schilderte mir Kranzbühler das Treffen mit Pabst: „Dann hat er angefangen, eine ausführliche Schilderung zu geben von seiner Rolle damals, die wirklich eine entscheidende Rolle war... Schilderte auch, wie für ihn überraschend sowohl Liebknecht wie Rosa Luxemburg zu ihm gebracht wurden in sein Stabsquartier und wie er dann selbst die Entschlüsse gefasst habe oder habe fassen müssen, was mit ihnen zu geschehen sei.“ Auf meine Frage, was dies für Beschlüsse waren, gab Kranzbühler Pabst so wieder: „Die sahen so aus, dass sie beide zu erschießen seien. Das war ganz klar.“ Pabst habe dann über seine Kontakte zu Noske gesprochen.
Und Papst erklärte dann noch einmal den obersten Verfassungsschützer der Bundesrepublik, Herrn Nollau, dass Souchon die Schüsse auf Rosa Luxemburg abgegeben hat. So sehr diese Aussage auch Souchon belastete, andere Zeuge haben etwas anderes bemerkt.
Pabst hatte in der Mordnacht Noske in der Reichskanzlei angerufen! Am Telefon war Canaris, der zu Noske durchstellte. Ergänzt man Pabsts Memoiren-Hinweis mit der Aussage Kranzbühlers, ergibt sich folgendes nächtliches Telefongespräch:
Pabst: „Ich habe Luxemburg und Liebknecht. Geben Sie entsprechende Erschießungsbefehle“. Noske: „Das ist nicht meine Sache! Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Rufen Sie doch Lüttwitz an, er soll den Befehl geben“. Pabst: „Einen solchen Befehl kriege ich von dem doch nie!“ Noske: „Dann müssen Sie selber wissen, was zu tun ist.“
Der Schriftsteller und einstige Geheimdienstmann, Michael Graf Soltikow, zum Beispiel, der während des 2. Weltkriegs geheime Akten über die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg einsah, will vom Abwehrchef Canaris nie im Zweifel gelassen worden sein, „dass Vogel der Schütze gewesen ist“. Und Canaris wusste Bescheid. Er war ja Beisitzer jenes Feldkriegsgerichts, das 1919 die Vorfälle untersucht und Oberleutnant Vogels Schuld an den Mord „als nicht einwandfrei erwiesen“ angesehen hat.
Übrigens gibt es für den Grafen Soltikow noch einen anderen, wie er meint, völlig unanfechtbaren Beweis für die Unschuld Souchons: „Der Admiral (Canaris) hätte niemals geduldet, dass Souchon Oberst geworden wäre, nachdem er auf eine wehrlose Frau geschossen hatte.“
Weil sich auf eine solche Dienstrang-Logik freilich keine historisch-juristische Wahrheitsfindung gründen lässt, bleibt das Ende um den Tod von Rosa Luxemburg weiter ungeklärt.