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Die heimliche Gefährtin

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In den Lebensbeschreibungen Friedrichs des Großen findet sich hin und wieder der Name Dorothea Elisabeth Ritter (genannt Doris). Wenn überhaupt, so wird sie im Zusammenhang mit der gescheiterten Flucht erwähnt, die Friedrich als 18jähriger Kronprinz gemeinsam mit seinem Freund Katte unternehmen wollte. Im Lauf der anschließenden Verhöre kam Friedrichs Freundschaft zu Doris ans Licht und das 16 Jahre alte Mädchen geriet in den Verdacht, die Mätresse des Prinzen zu sein.

Eine schwer wiegende Anklage in einer Zeit, in der in den meisten deutschen Staaten außerehelicher Geschlechtsverkehr gesetzlich verboten war und die Mütter unehelich geborener Kinder streng bestraft wurden (zumindest bei Untertanen, die nicht dem Adel angehörten; höfische Kreise setzten sich über solche Bestimmungen nonchalant hinweg). Doch eine demütigende ärztliche Untersuchung bestätigte Doris Ritters Jungfräulichkeit. Auch fand sich nicht ein einziger Beweis dafür, dass sie in die Fluchtpläne Friedrichs eingeweiht gewesen war. Mehr ist in den meisten Fällen über Dorothea Elisabeth Ritter nicht zu erfahren. Nicht einmal ihre genauen Lebensdaten waren bislang bekannt. Es hat sich auch nur ein Mal - und zwar bereits 1869 - ein Autor in wissenschaftlicher Weise mit ihr beschäftigt. Dieser Aufsatz ist kurz, teilweise fehlerhaft und tendenziös im Ton - nach dem Motto: Wenn ein Bürgermädchen sich einbildet, zur Mätresse eines Preußenprinzen aufsteigen zu können, geschieht ihr ganz recht, falls die Sache misslingt und ihr bittere Folgen einbringt.

Doch wer war Doris R.? Tatsächlich nur das unbedarfte Kantorstöchterlein, als das sie in pseudowissenschaftlichen Darstellungen und Romanen geschildert wird? Aus einer armen Lehrerfamilie, die im Obskuren verschwand, nachdem sie einen Augenblick lang grell im Schlaglicht der Geschichte stand? Was wurde aus ihr? Versuchte der Jugendfreund Friedrich nach seiner Thronbesteigung, das seinetwegen erlittene Unrecht wieder gut zu machen?

Fragen, die nicht unbeantwortet bleiben müssen. Antworten, die eine erstaunliche und interessante Geschichte enthüllen: um einen streitbaren Vater, der seines Glaubens wegen Süddeutschland verlassen musste. Um ein Mädchen, das äußerst musikalisch und hoch gebildet war: man traute ihr die wahre Verfasserschaft einer gedruckt erschienenen Kirchenpredigt zu. Und Friedrich der Große pflegte Frauen in seiner Umgebung nur zu dulden, wenn sie geistreich, musisch veranlagt und belesen waren. Es ist schließlich auch die Geschichte einer Frau, die sich allen Widrigkeiten trotzig entgegenstemmte und die selbst zwanzig Jahre nach den aufwühlenden Ereignissen von 1730 in Berlin noch Stadtgespräch war. Kein Geringerer als Voltaire würdigte sie in seinen Erinnerungen.

Matthias Rieder, Sohn der Eheleute Johann Georg und Christina Rieder, wurde am 21.2.1689 katholisch getauft. Bald darauf siedelte die Familie nach Reichling in der Nähe des Ammersees über.

Lange hielt es ihn dort nicht. Schon am 19.4.1709 finden wir ihn in Jena an der Universität, von 1711-13 aufgrund ausgezeichneter Leistungen sogar als Stipendiat.

Schließlich setzte der junge Schwabe seine Studien in Halle fort, wo er sich am 13.6. 171 3 an der erst 1664 gegründeten Universität einschrieb. Matthias war fasziniert von der aufblühenden Bewegung des Pietismus, die in Professor August Wilhelm Francke (1633-1727) einen der bedeutendsten Vertreter hatte. Pietismus: das bedeutete echte, von Herzen kommende und praktisch umgesetzte evangelische Frömmigkeit. Im Alltag der Universität hieß das, dass Francke persönlich Studienberatung und -förderung betrieb. Zugleich arbeitete er als Pfarrer an der Georgenkirche von Glaucha, damals noch eine Vorstadt von Halle. Um das dortige soziale und wirtschaftliche Elend zu lindern, rief er ab 1695 die „Franckeschen Stiftungen“ ins Leben, die mit ihren vielfältigen Einrichtungen fast schon einen Ort für sich bildeten. Der Komplex umfasste nach und nach Schulen und Seminare, ein Waisenhaus, eine Buchdruckerei (die vieles finanzierte), Bibliothek, Apotheke, ein Hospital, ein „Naturalienkabinett“, ausgedehnte Gärten und vieles mehr.

„Wer von Leipzig kommt ohne Weib, von Jena mit gesundem Leib, von Halle ungeschlagen, der kann vom Glücke sagen!“ So lautete ein unter den Lernenden des 18. Jahrhunderts verbreiteter Spruch.

Dorothea Elisabeth Ritter, genannt Dons (1714-1762). Porträtzeichnung von Elly Strick nach historischer' Vorlage

Der Student Ritter muss bereits vor seiner offiziellen Einschreibung in Halle gewohnt haben, denn er verliebte sich dort in Maria Christina Hermann, die Tochter eines aus Schneeberg nach Halle zugewanderten, verstorbenen Schuhmachers namens Samuel Hermann. Noch als Student - ungewöhnlich genug - ließ sich Matthias mit ihr trauen. Die Beiden wurden am 21.9. 1712 von Pastor Janus in der Marktkirche Unser Lieben Frauen vermählt. Möglicherweise hatte Maria Christina beim Tod ihres Vaters etwas Geld geerbt, von dem das Paar bis zum Abschluss der Studien leben konnte. Bald schon wurden sie eine Familie. Am Mittwoch, dem 21. März 1714, kam das erste Kind der Ritters zur Welt. Es war eine Tochter namens Dorothea Elisabeth. Zu gegebener Zeit sollte sie für einiges Aufsehen sorgen.

Matthias Ritter arbeitete unermüdlich, um mit seinen Studien voran zu kommen und für die Seinen eine Existenz zu schaffen. 1715 legte er bei Johann Tobias Wagener eine Disputation vor, die den Titel trug „Meditaüo de variis excitandi ad virtutem mo-dis“. Sie erschien auch gedruckt und umfasste 38 Seiten. Es schien klar, dass er nicht mehr in die ursprüngliche Heimat zurückkehren konnte. Wie viele evangelische Glaubensflüchtlinge, angefangen mit den Hugenotten, baute auch Ritter auf eine Zukunft in Preußen.

August Wilhelm Francke protegierte die Familie Ritter. Die pietistische Frömmigkeit prägte die ersten Kinderjahre der kleinen Doris. Doch es gelang ihrem Vater auch nach dem Erwerb des Magistertitels nicht, eine feste Anstellung zu finden. Er musste sich als Privatdozent durchs Leben schlagen. Währenddessen avancierte die Universität Halle immer mehr zu der preußischen Universität schlechthin, deren Absolventen mit Vorliebe in Verwaltung und Beamtenschaft eingesetzt wurden. Der neue König Friedrich Wilhelm I., der 1713 den Thron bestieg, war von großer persönlicher Frömmigkeit und folgte oft den Empfehlungen der Hallenser Theologieprofessoren, insbesondere dem von ihm geschätzten Francke, wenn es um Stellenbesetzungen ging. Franckes Schüler wurden in den Belangen von Kirche, Schule und Staatsdienst bevorzugt.

Welche Eigenschaften der preußische Regent sonst noch besaß, wurde auch in Halle bald deutlich. Er erwarb sich bald den Spitznamen „Soldatenkönig“ wegen seiner Bevorzugung des Militärs und der Aufstellung eines Regiments besonders hoch gewachsener Männer. Diese „langen Kerls“ warb man von überall her. Junge Leute wurden durch reisende Werber, oftmals mit unlauteren Mitteln, zum Soldatendienst gebracht. In Halle gab es Studentenunruhen, als Fälle von Zwangsrekrutierungen bekannt wurden.

Des Weiteren war König Friedrich Wilhelm rasch als Geizhals verschrieen. Er hatte, um die vom väterlichen Vorgänger ererbten Schulden zu tilgen, den Hofstaat drastisch reduziert. Im Alltag lebte er selbst anspruchslos und bescheiden. Sein wirtschaftliches Denken hatte für manchen unangenehme Folgen, nicht nur für die eigene, vielköpfige Familie des Herrschers (die wenig standesgemäß Hofhalten musste). Im Jahre 1716, als Johanna Rosina Ritter geboren wurde, suchte die berühmte Gräfin Cosel Zuflucht in Halle. Sie wollte dort Asyl, um der Rache ihres früheren Liebhabers zu entgehen, Kurfürst und König August der Starke. Als sie den vom „Soldatenkönig“ geforderten Preis für die Freilassung ihres inhaftierten Vetters nicht bezahlen konnte, lieferte er sie an den Herrscherkollegen aus. Für Anna Constantia von Cosel bedeutete dies fast 50 Jahre Haft auf Burg Stolpen.

Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass der Thronfolger ein Mensch von bisexueller Veranlagung war. Dem Leutnant Friedrich Ludwig Felix von Borcke schrieb er leidenschaftliche Briefe, wie später seinem Kammerdiener und Vertrauten Michael Gabriel Fredersdorff (auch dieser ein ausgezeichneter Flötist). Sein Verhältnis zu dem Pagen Peter Christoph von Keith verursachte hochgezogene Augenbrauen und selbst die Freundschaft zu Hans Hermann von Katte wurde mitunter aus homoerotischem Blickwinkel gesehen - wenn auch solche Bemerkungen erst nach Kattes Tod nachweisbar sind. Voltaire macht in seinen Memoiren ganz unverblümte Andeutungen über Friedrichs Neigung zu Männern.

Andererseits äußerte sich der Thronfolger in seiner Rheinsberger Zeit brieflich in oft derben Ausdrücken über die intimen Vorzüge seiner Ehefrau Elisabeth Christine. Und aus den Memoiren der Schwester Wilhelmine wissen wir um die Geschichte seiner ersten Liebe zu einer Frau.

Mit knapp 16 Jahren durfte der Prinz seinen Vater zu einem Besuch bei August dem Starken nach Dresden begleiten. Staunend nahm der junge Mann den Unterschied zwischen dem puritanischen Leben daheim und dem üppig-barocken Stil des Sachsen wahr. In einem „Lebenden Bild“ präsentierte man den preußischen Gästen die als Venus verkleidete - oder besser entkleidete - Tänzerin Formera, die damals nach Dresden verpflichtet worden war. Zwar hielt der „Soldatenkönig“ dem Sohn rasch seinen Hut vors Gesicht, doch bald danach genoss Friedrich dennoch im Bett der Formera erstmals die Gunst einer Frau.

Zur selben Zeit verliebte er sich ernsthaft in die 20jährige Anna Katharina Orzelska (1707-1769), eine natürliche und vorn Vater legitimierte Tochter Augusts des Starken. „Sie ... fiel durch Geist, Bildung und literarische Interessen auf und ihr gutes Herz zeigte sich in ungemessener Wohltätigkeit“, heißt es von ihr (Ulrich Graf Schwerin). Eine Beschreibung, die übrigens auch wortgetreu auf Doris Ritter zutreffen könnte. Wann immer -wenn überhaupt - Frauen Zugang zu Friedrich II. fanden, mussten sie diese Eigenschaften besitzen.

Der Abschied von Gräfin Orzelska fiel dem Prinzen so schwer, dass er nach der Ankunft in Berlin ernsthaft erkrankte. Erst als der sächsische Hof zum Gegenbesuch antrat und Anna mit von der Partie war, kam seine Gesundheit wieder ins Lot. Die Orzelska fand Mittel und Wege, sich mit dem streng Abgeschirmten zu treffen, was für sie nicht ohne Folgen blieb. Zum großen Ärger ihres Vaters August wurde Anna schwanger. Mehrfach versuchte sie, dass unerwünschte Kind abzutreiben, doch dies misslang, und schließlich gebar sie Anfang Februar 1729 einen gesunden Sohn. Da weder sie noch der mutmaßliche Erzeuger Friedrich von dieser Elternschaft begeistert waren, das Kind auch nicht offiziell anerkannt wurde, brachte man es nach Frankfurt/Oder zu einem gewissen Richter Carrel, der es aufziehen sollte.

Danach kühlte sich die Beziehung rasch ab. Als Gräfin Orzelska abermals nach Preußen reiste, versuchte sich Friedrich vor der Begegnung zu drücken. 1730 heiratete sie Karl Ludwig von Holstein-Beck. Zu dieser Zeit war bereits Doris Ritter in das Leben des Thronfolgers getreten.

Die Ritters waren nach ihrer Übersiedlung von Perleberg nach Potsdam in eine Dienstwohnung im „Prediger- und Schulhaus“ gezogen, die Vater Matthias als Rektor der „deutschen Schule“ (später: Gymnasium) zustand. Das vierstöckige Gebäude lag gegenüber der Ostseite der Nikolaikirche am Alten Markt und beherbergte auch die Schulräume selbst.

Die Kirche, in der Matthias Ritter die liturgischen Gesänge leitete, war erst 1721 -1724 an Stelle eines mittelalterlichen Vorgängerbaus von Philipp Gerlach errichtet worden. Der Grundriss hatte die Form eines griechischen Kreuzes. Die heutige Gestalt der Nikolaikirche ist völlig anders, da jenes Bauwerk 1791 niederbrannte und durch ein Bauwerk Schinkels ersetzt wurde.

Die Kantorstochter war dem Kronprinzen zunächst als Solosängerin im Gottesdienst aufgefallen, dann während eines Spaziergangs am Havelufer. Kurzerhand folgte er ihr - gemeinsam mit dem Leutnant von Ingersleben, der ihn begleitete - und klopfte an die Tür der Ritter'schen Wohnung.

Außer Doris war niemand daheim. Sie behauptete später, bei dieser eisten Begegnung den Prinzen nicht einmal erkannt zu haben. Es kam zu einem kurzen Gespräch. Bald darauf suchte Friedlich - mal allein, mal in Gesellschaft Ingerslebens - fast täglich Doris und ihre Familie auf. Das war schon deshalb ungewöhnlich, weil der Prinz ansonsten den näheren Umgang mit Bürgerlichen weder suchte, noch dies von ihm, der Standesunterschiede wegen, erwartet wurde. Der König nannte ihn „stolz und hoffärtig“, der Historiker E. Vchse schrieb: „Friedrich ging mit Bewusstsein von dem Prinzip aus, Adel und Bürgerstand streng auseinanderzuhalten ... Er halte schon als Kronprinz ein Vorurteil gegen Bürgerliche, die er weder im Militär noch im Zivil in hohen Stellen sehen wollte.“

Die - durch gelebte pietistischc Frömmigkeit geförderte - Harmonie innerhalb der Familie Ritter mag Friedrich angezogen haben, war es doch das genaue Gegenteil der eigenen häuslichen Verhältnisse. Hier gab es keine getrennten Hofhaltungen von Vater, Mutter und Kindern, auch war der Umgang miteinander nicht durch Regeln und Etikette versteift. Man war füreinander da und sprach offen über alles. Statt ein bis zwei Stunden täglich sahen die Kinder mindestens einen Elternteil den ganzen Tag. Es herrschte Vertrauen untereinander. Für den Prinzen erschloss sich damit eine fremde, bisher unbekannte Welt: die enge, aber wärmespendende Welt einer bürgerlichen Familie. So betrachtete Friedrich die Potsdamer Dienstwohnung, die dieses kleine Reich beherbergte, als eine Art Geborgenheit schenkendes Asyl. Zum Glück war ja der Weg vom Stadtschloss über den Alten Markt zu seinen entfernten „Nachbarn“ nicht gerade weit.

Auch wenn Vater Matthias nicht anwesend war, wurde musiziert. Doris saß am Klavier (Voltaire, der sie in seinen Memoiren erwähnt, nennt ihr Spiel allerdings „ziemlich schlecht“) und sang, während der Prinz die Flöte blies. Darüber hinaus scheint die Kantorstochter ihm auch noch Musikunterricht gegeben zu haben, glaubt man den Aussagen des Freiherrn von Pöllnitz. Friedrich besaß großes musikalisches Talent, das ihn sogar zum Komponieren befähigte. Damit stand er in seiner Familie nicht allein: auch die Schwestern Wilhelmine und Anna Amalie waren begabt und beherrschten mehrere Instrumente. Von Anna Amalie stammt ein reichhaltiges Oeuvre an Liedern, Chorälen, Märschen, Kammermusik und Kantaten. Noch als 35Jährige nahm sie Unterricht in Kontrapunkttechnik - bei einem Schüler Bachs.

Kompositionsunterricht war Prinz Friedrich zu der Zeit, als er Zuflucht im bürgerlichen Heim der Familie Ritter suchte, streng vom Vater verboten. Erst in seiner Rheinsberger Zeit (1733 - 1740) sollte es ihm offiziell wieder erlaubt werden, solchen Neigungen nachzugehen. Carl Heinrich Graun würde diesen Unterricht erteilen und zugleich ein kleines Kammerorchester leiten, das dem Prinzen Entspannung und Abwechslung garantierte.

Unter den Geschenken Prinz Friedrichs an Doris und ihre Familie, die ja später protokollarisch genau aufzeichnet wurden, findet sich kein einziger Hinweis auf Noten. Sie gedruckt zu erstehen, war teuer; wer es konnte, ließ sie kopieren oder kopierte sie selbst. Also muss Friedrich, wenn er sich quer über den Alten Markt zu Doris begab, entweder seine eigenen Noten mitgebracht und wieder mit-genommen haben. (Wer hatte sie für ihn besorgt, da ihm doch „die Musik untersagt“ war und in seiner Kasse ständig Ebbe herrschte? Vielleicht hatte der Flötenlehrer J.J. Quantz seinem Schüler entsprechendes Material zurück gelassen. Oder aber die Familie erwies sich als gut ausgestattet mit dem erforderlichen Repertoire. Wir wissen, dass Friedrich sich nichts aus religiöser Musik und frommen Liedern machte - das hätte er täglich im Überfluss am Hof seines Vaters haben können. So bleibt die Antwort, dass die pietistische Familie Ritter weltoffen genug war, auch Stücke ohne geistlichen Anspruch als Noten zu besitzen und dass das gemeinsame Konzert auch als Bindemittel der Zusammengehörigkeit der Familienmitglieder untereinander angesehen wurde. Es war weltliche Musik des Barock, die hier zur Aufführung kam, gewiss auch von Bach, der damals als Thomaskantor in Leipzig wirkte und von dessen Werk Prinz Friedrich viel hielt (1747 wird er den genialen Komponisten, dann schon als König, empfangen).

Dass Friedrich der Große selbst ein begnadeter Pianist gewesen sei, hat keiner je behauptet. Die Flöte war nun einmal das Instrument, das ihm am besten lag. Zumindest aber hatte er bereits als siebenjähriger Einblick gewonnen, als der Berliner Domorganist G. Hayne ihm einen einführenden Unterricht in das Generalbassspiel gewährte - damals noch mit ungetrübter Zustimmung des königlichen Vaters.

Doch damit nicht genug. Weil Doris Ritter über eine Bildung verfügte, die sie über die Altersgenossinnen ihres Standes weit hinaushob, konnte sich der wissensdurstige junge Prinz bestens mit ihr unterhalten. Zeitlebens beklagte Friedrich den einseitigen Unterricht, den ihm der Vater hatte angedeihen lassen. In seinen Rheinsberger Jahren versuchte er durch eifriges Lesen im Selbstunterricht das Versäumte aufzuholen.

Er muss Doris auch Details über das unerquickliche Leben unter der Fuchtel des Vaters anvertraut haben, denn nur so ist erklärlich, weshalb es ihm als König später so peinlich war, nach Allem, was kommen sollte, sich der Jugendfreundin zu erinnern. Mag sein, dass sich Doris ein wenig in den gut aussehenden 18Jährigen verliebte, der es überall verstand, Mitleid mit seinem Schicksal zu erwecken. Auf jeden Fall durfte sie sich durch seine Aufmerksamkeit geschmeichelt fühlen. Eines aber wollte Friedrich mit Sicherheit nicht von Doris Ritter: ein schnelles sexuelles Abenteuer. Ihre Rolle war, wie wir noch sehen werden, die einer wirklichen Herzensfreundin und Duettpartnerin bei heimlich veranstalteten Hauskonzerten.

Natürlich wussten Doris' Eltern von dieser Freundschaft und taten auch nichts, um sie zu unterbinden. Schließlich war Prinz Friedrich der künftige König des Landes; ihm konnte man schlecht die Tür weisen. Ganz offensichtlich machte der junge Mann auch keine Anstalten, Doris zu verführen. Er besaß daher das Vertrauen des Ehepaars Ritter. Für Vater Matthias, der von jeher Kontakt zum Adel gesucht hatte, muss geradezu ein Traum in Erfüllung gegangen sein.

In rührender Weise versuchte Friedrich, der von seinem Vater lächerlich kurz gehalten wurde, durch kleine Geschenke seine Dankbarkeit zu zeigen. Ständig in Geldnot, muss es für ihn nicht leicht gewesen sein, 50 Kronen (10 Dukaten) aufzutreiben, die er Matthias und Maria Christina Ritter übergab. Sie sollten von dieser Summe „ihrer Tochter einen neuen Anzug machen“ lassen.

Was der Prinz sonst noch teils mitbrachte, teils durch Leutnant von Ingersleben überbringen ließ, wurde Monate später protokollarisch festgehalten:

Ein Schlafrock „von bleumourantem Gros de Tour“, mit silberner Kante eingefasst, dazu ein Geldgeschenk von 11 Dukaten zum Aufarbeiten des - von Friedrich abgetragenen - Stücks. Doris kaufte von dem Geld eine Garnitur Kanten, eine silberfarbige Palatine und einen Latz. Das Unterfutter aus blauem Taft trennte die Mutter heraus und nähte daraus ein Nachthemd für Doris.

Eine grüne Contouche (Nachtgewand) mit darauf gestickten Blumen. Auch dies war von Friedrich getragen - woraus wir übrigens schließen können, dass Doris nicht größer als der Prinz war, der 1,63 Meter maß. „Schon ganz alt [und] aufgeschlagen“, hieß es über das Gewand in den Akten.

Ein paar Armbänder aus mit Gold eingefasstem Perlmutt.

Etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber, das Friedrich selbst aus Sachsen mitgebracht hatte.

Katte, der Doris nie zu Gesicht bekam, äußerte sich während seines Prozesses später schriftlich über das Verhältnis der Beiden: „Ich erinnere mich, dass er ... von einem Mädchen sprach, das er in Potsdam hatte, das er sehr liebte, besagte Kantorstochter, vielleicht ist sie es, für die er sich durch häufige Zuwendungen aus eigener Tasche finanziell schröpfte. Ich habe sie nie gesehen und er hat mir nur eilt Mal davon erzählt - vor seiner Abreise, als er seine Abwesenheit bedauerte.“ (Brief an Grumbkow, 31.8.1730. Original französisch, von der Verf. übers.) Voltaire hingegen, der von 1750-1753 am preußischen Hof lebte, nennt Doris in seinen Memoiren „eine Art Mätresse“ und meint: [Friedrich] „glaubte in sie verliebt zu sein, doch er täuschte sich, diese Neigung hatte nichts Geschlechtliches an sich.“

Fest steht allerdings: niemals mehr verkehrte Friedrich der Große so unmittelbar in bürgerlichen Kreisen. Und niemals mehr wählte er sich eine Vertraute oder gar Mätresse aus diesem Stand. Die Beziehung zu Doris Ritter blieb etwas Einmaliges und Einzigartiges in seinem Leben.

Immer wieder ist in der Literatur von einem ominösen Medaillon die Rede, das Kronprinz Friedrich unter seiner Kleidung versteckt um den Hals getragen habe und das ein Miniaturporträt von Doris Ritter enthalten haben soll. Es sei ihm nach der missglückten Flucht weggenommen worden; die Freundschaft zu der jungen Potsdamerin sei dadurch erst ans Licht gekommen.

Eine rührende Geschichte, nur lassen sich dafür - zumindest nach heutigem Stand der Dinge - keinerlei Beweise finden. In den noch erhaltenen Akten und Protokollen wird nichts dergleichen erwähnt, doch sind andererseits etliche Dokumente abhanden gekommen, die sich mit Hans Hermann von Kalte, Dorothea Elisabeth Ritter und anderen Personen aus Friedrichs Umfeld von 1730 befasst haben.

Beweisbar ist jedoch die Reise des Kronprinzen zu einem Manöver in Sachsen, die zwischen dem 28. Mai und dem 24. Juni stattfand. Wir dürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Friedrich seiner Vertrauten anschließend ausführlich darüber berichtet hat, denn trotz aller aufregenden Ereignisse fand er noch Zeit, für Doris ein Geschenk zu besorgen, dass er ihr persönlich überbrachte. Es handelte sich, wie oben bereits erwähnt, um „etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber“, also eine Kostbarkeit von außergewöhnlicher Farbe.

Das von den Teilnehmern „Lustlager“ genannte Treffen bot jedoch nicht nur den Militaristen unter ihnen viel für Auge und Ohr. Alle Gäste wohnten in rasch errichteten, komfortablen Häusern mit Ziergärten. Für den preußischen König, der als besonders reinlich bekannt war, und seine Begleitung wurde eine extra große Anzahl Badezuber in die Ausstattung mit einbezogen. In den benachbarten Dörfern wurde das leibliche Wohl Aller garantiert; allein 160 Bäcker - die meisten davon aus Dresden — arbeiteten rund um die Uhr. Sie fabrizierten unter anderem einen Stollen von rekordverdächtigen Ausmaßen. Zwanzig Zentner Mehl, 5000 Eier und 326 Eimer Milch wurden dafür benötigt, ein riesiger Backofen eigens hierfür gebaut. Ein Gespann von acht Pferden zog das Kunstwerk ins Lager, wo es zerschnitten und verteilt wurde.

Außer den kulinarischen Genüssen konnten sich die Gäste auch Theateraufführungen, Konzerten, Balletten und Feuerwerks-Illuminationen widmen. Die Flotte König Augusts hatte auf der Elbe Anker geworfen. Was Rang und Namen hatte, war erschienen, um bei der Heerschau des Sachsen seine Macht und militärische Leistung zu würdigen.

Und vor dieser großartigen Kulisse musste sich Kronprinz Friedrich wieder einmal demütigen lassen. In aller Öffentlichkeit, in Gegenwart tausender Zuschauer, verprügelte ihn sein Vater, der König, aus nichtigem Anlass. Mit zerrissenen Gewändern und ramponierter Frisur hinkte der junge Mann vom Manövergelände fort.

Schon länger hatte sich Prinz Friedrich mit dem Gedanken getragen, sich dem Konflikt mit dem Vater durch Flucht ins Ausland zu entziehen. In jenem Sommer 1730 wurde die Sache schließlich konkret. Als nächste Unternehmung nach dem sächsischen „Lustlager“ sollte eine Rundreise durch Deutschland stattfinden. Während dieser Reise an der Seite seines Vaters gedachte Friedrich mit seinen Freunden Keith und Katte nach England zu fliehen, wo sein Onkel Georg II. regierte. Doris Ritters Reaktion, als sie von jener Aktion und ihrem gründlichen Missglücken erfuhr, legt nahe, dass sie in die Pläne des Kronprinzen nicht eingeweiht war (vielleicht wollte er die Freundin nicht unnötig kompromittieren, vielleicht war er sich der Diskretion der Familie Ritter nicht sicher). Schon gar nicht wollte hier ein liebendes Paar miteinander durchbrennen: Friedlich hatte unter den Augen von Mutter und Schwester geschworen, keine andere als seine Cousine Amelia zur Frau nehmen. Und die lebte in England, dem Ziel seiner jugendlichen Träume.

Am 15. Juli 1730 brach König Friedrich Wilhelm in Begleitung seines Sohnes zu einer Reise in den Westen des Reiches auf. Die für unterwegs geplante Flucht stand unter keinem guten Stern: Katte halte keinen Urlaub bekommen und musste mitsamt der Reisekasse daheim ausharren. Überhaupt war das ganze Unternehmen schlecht vorbereitet. Im letzten Augenblick - sein Pferd stand schon bereit - wurde Prinz Friedrich von aufmerksamen Offizieren an seinem Vorhaben gehindert. Der Vater behandelte ihn wie einen Deserteur und ließ den Thronfolger erst nach Wesel, dann als Gefangenen in die Festung Küstrin bringen. (Siehe auch das Kapitel „Freundschaft bis zum Tod“)

Auch im Umfeld des Prinzen gab es zahlreiche Festnahmen. Johann Ludwig von Ingersleben wurde verhaftet und musste die Geschehnisse der vergangenen Wochen genauestens rekapitulieren. Dabei fiel der Name Doris Ritter. Am 1. September marschierte eine Bürgerwacht unter Leitung eines Unteroffiziers zur Wohnung der Familie und verhaftete das Mädchen. Doris wurde in eine Arrestzelle gesteckt, die sich im Rathaus befand, und dort mehreren Verhören unterzogen. Aus einem Brief, den der englische Gesandte Melchior Guy Dickens am 25.9. 1730 von Berlin aus nach London schickte, wissen wir auch, dass König Friedrich Wilhelm einen Militärchirurgen und eine Hebamme zu Doris schickte. Sie musste eine demütigende ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen, die beweisen sollte, dass sie mit Kronprinz Friedrich „Unzucht“ getrieben hatte. Doch das Mädchen erwies sich als intakte Jungfrau.

An dieser Stelle muss hinterfragt werden, weswegen dem König gerade dieser Punkt so wichtig erschien. Gewiss, er war selbst ein Mensch, der streng auf Moral achtete und einer der wenigen Fürsten seiner Zeit, der sich nie eine Mätresse hielt. Auch stand unehelicher Geschlechtsverkehr sowie lediges Muttersein gesetzlich unter Strafe. Aber die Realität sah doch oft etwas anders aus. So duldete der „Soldatenkönig“ stillschweigend die eheähnlichen Verhältnisse derjenigen Grenadiere, die zu wenig Sold bekamen, um eine Familie ernähren zu können und daher nicht heiraten konnten. Über das Kind der Gräfin Orzelska, das vermutlich von Friedrich stammte, regte er sich ebenso wenig auf wie über eine Affäre, die 1731 stattfinden würde: Während seiner Zeit in Küstrin verliebte sich der Kronprinz heftig in die Baronin Luise Eleonore von Wreech, die mit 23 Jahren bereits fünffache Mutter war. Als am 27. 5. 1732 die kleine Friederike (!) geboren wurde, war es ein reines Rechenexempel, Friedrich die Vaterschaft nachzusagen. In einem Brief meinte des Königs wichtigster Ratgeber Grumbkow: „Er [= der König] hat mir im Vertrauen gesagt, daß der Kronprinz der Wreech, Frau eines Obersten, [ein Kind] gemacht habe, und daß der Gatte es nicht... anerkennen werde. Das macht ihm Spaß, indem er hofft, daß er [= der Kronprinz] dasselbe der Bevern [= Friedrichs zukünftiger Frau] machen werde.“

Warum also versuchte der König, Doris Ritter für etwas zu bestrafen, was er bei anderen guthieß? Weil sie dem Bürgertum entstammte und die Liebe gefälligst keine Standesgrenzen zu überschreiten hatte?

Niemand unter den Zeitgenossen hat Doris ernsthaft als Friedrichs Mätresse bezeichnet, auch Wilhelmine von Bayreuth nicht. In ihren Memoiren zitiert sie lediglich eine Hofdame namens Ramen, die als gehässig bekannt war und, um sich an Wilhelmines Unglück zu weiden, die Folgen aufzählte, die Friedrichs Flucht nach sich zog, unter anderem: „... eine Mätresse des Kronprinzen soll zu Potsdam vom Henker ausgepeitscht werden ...“ - Karl Ludwig Freiherr von Pöllnitz, Kammerherr Friedrichs II., schrieb in seinen Memoiren: „Man glaubte von ihr, sie habe genaueren Umgang mit ihm [= Friedrich] gehabt“.

Im Verhör berichtete Doris Ritter, wie sich die Bekanntschaft mit dem Kronprinzen entwickelt hatte, wobei sie sich auffällig darum bemühte, ihren Vater möglichst aus der Sache heraus zu halten. Sie fürchtete wohl nicht zu Unrecht, er würde ihretwegen seine Stelle verlieren. Außerdem zählte sie gewissenhaft auf, welche Geschenke Friedrich ihr gemacht hatte und gab an, nichts, was ihm gehöre, in ihrer Wohnung aufzubewahren.

Ihre Behauptungen erwiesen sich bei einer sofort danach durchgeführten Hausdurchsuchung als wahr. Falls Doris verdächtigt worden war, kompromittierende Briefe zu besitzen oder bei den Vorbereitungen zu Friedrichs Flucht geholfen zu haben, so wurde ihre Unschuld klar bewiesen.

Auspeitschung einer Frau (hier: einer ledigen Mutter). Kupferstich von Daniel Chodowiecki (1726 — 1801)

Die Eltern beteuerten, dass der Umgang des Prinzen mit ihrer Tochter „nichts Ungeziehmendes“ an sich gehabt habe und baten darum, dass Doris nun freigelassen oder wenigstens in der eigenen Wohnung unter Arrest gestellt werde.

Auch nach den Maßstäben der Zeit hatte Doris Ritter nichts Unrechtes getan. Umso unbegreiflicher erschien das Urteil, das der König - ohne jegliches Gerichtsverfahren - höchstselbst fällte:

„S.K.M. befehlen dem Hof-Rat Klinte, daß er morgen die in Arrest allhier sitzende Kantors Tochter soll auspeitschen laßen, und soll dieselbe alsdenn ewig nach Spandow in das Spinn-Haus gebracht werden. Erstlich soll dieselbe vor dem Rat-Hause gepeitschet werden, hernach vor des Vaters Hause, und denn auf allen Ecken der Stadt.“ (Kabinetts-Order vom 6.9. 1730)

Matthias Ritter setzte alle Hebel in Bewegung, um seiner Tochter zu helfen. Sein Vorgesetzter Schultze, Prediger von Sl. Nikolai, hatte Verbindungen zum Hof, die sofort genutzt wurden. Der Potsdamer Amtshauptmann Hans Christoph Friedrich Graf von Ha(a)cke, der Kronprinz Friedrich später noch öfter Geld leihen sollte, wurde eingeschaltet, doch alles war umsonst. Der König blieb hart.

So wurde denn Dorothea Elisabeth Ritter, 16 Jahre alt, am Morgen des 7. September 1730 aus ihrer Zelle geholt und vor dem Rathaus ausgepeitscht, anschließend vor der elterlichen Wohnung auf der anderen Seite des Marktplatzes. Noch vier weitere Male wurde das Mädchen dieser Tortur unterworfen („alle Ecken der Stadt“), bis sie halb tot ins Spinnhaus nach Spandau eingeliefert wurde.

Es wäre zu einfach, in König Friedrich Wilhelm lediglich einen prügelfreudigen Psychopathen zu sehen. Er bemühte selbst schriftlich die „Gerechtigkeit“, die nicht aus der Welt kommen dürfe, als er nach dem Katte-Prozess das Urteil des Militärgerichts („lebenslange Festungshaft“) in ein Todesurteil verschärfte. Wir können also Vermutungen anstellen, was ihn zu seiner Handlungsweise bewog.

1) Die Tatsache, dass eine Angehörige des Bürgerstandes vertraulichen Umgang mit dem Erben Preußens pflegte.

2) Der Musikunterricht bzw. das gemeinsame Konzertieren, das der König als „weibisch und verweichlichend“ ansah und wodurch seine Anweisungen hintergangen wurden.

3) Friedrich Wilhelm, ohnehin kein Freund der Intellektuellen, verachtete besonders gebildete Frauen, zu denen Doris ja zählte. Schon mit seiner Mutter Sophie Charlotte, die mit Leibniz diskutierte, hatte ihn eine Art Hassliebe verbunden.

Voltaire erwähnt in seinen Memoiren ein interessantes Detail: der Vater habe das Mädchen „unter den Augen seines Sohnes“ auspeitschen lassen; erst danach habe man Friedrich (der zuvor in Mittenwalde arretiert saß) in die Zitadelle von Küstrin überführt. Diese Angabe wird durch keinerlei andere Quellen bestätigt, doch würde es zum sonstigen Verhalten des „Soldatenkönigs“ passen. Schließlich musste der Kronprinz nach Weisung des Vaters bald darauf auch der Hinrichtung seines besten Freundes Kalte zusehen. Möglicherweise hat Friedrich zwischen 1750 und 1753, als Voltaire an seinem Hof lebte, dem Literaten dies wie auch andere Einzelheiten anvertraut, jedenfalls zeigt sich Voltaire erstaunlich gut über Doris Ritters Person informiert.

Leutnant von Ingersleben wurde mit drei Monaten Festungshaft bestraft, weil er den Kronprinzen zur „Unterredung mit des Rectoris Tochter“ noch ermuntert habe und Geschenke Friedrichs überbracht, wo er doch hätte wissen müssen, dass dies dem Willen Seiner Majestät absolut zuwider laufe. Ob Generalauditeur Mylius, der Ingersleben verhörte, daran dachte, dass seine eigene Ehefrau Doris Ritters Taufpatin war?

Die Familie Ritter musste Potsdam fluchtartig verlassen. Am 9.9.1730 wurde der Vater aus seinem Amt entlassen und man verlor keine Zeit, in Halle beim Sohn des 1727 verstorbenen A. W. Francke eine Empfehlung für einen Nachfolger einzuholen. Währenddessen verließen die Ritters preußisches Hoheitsgebiet und begaben sich in das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz. Dort fanden sie Unterkunft in der Stadt Neubrandenburg. 1735 bekam Vater Matthias endlich eine Stelle als Pastor an der Marienkirche.

Im Jahr 1686 ließ der Große Kurfürst zu Spandau im ehemaligen Stadtpalais des Grafen Rochus Guerini zu Lymar ein Zuchthaus einrichten. Es lag zwischen Kloster- und Jüdenstraße und besaß eine angegliederte Manufaktur samt Spinnerei. In der Gründungsurkunde war deren Zweck genau beschrieben: mit Hilfe billiger Arbeitskräfte sollte die brandenburgisch-preußische Textilindustrie konkurrenzfähig gemacht werden. Prostituierte, begnadigte Mörderinnen, aufsässige Dienstmägde, aufgegriffene Bettlerinnen und Landstreicherinnen - sie alle waren hier eingesperrt und mussten täglich 10 bis 13 Stunden arbeiten. Während die männlichen Insassen bei verschiedenen Tätigkeiten angelernt wurden, durften die weiblichen sich lediglich dem Spinnrad widmen und hatten am Tag eine festgesetzte Menge Wolle zu verarbeiten. So entstanden Uniformen, Fahnen und Tücher für die Armee des „Soldatenkönigs“.

Für die meisten Frauen gab es keine bestimmte Strafdauer. Die Aufseher entschieden, wann „eine bessere Arbeitsmoral erzielt“ worden war, worauf die Freilassung erfolgte. Mit einer solchen Vergünstigung konnte Doris Ritter nicht rechnen, war sie doch „auf ewig“ gefangen. Mit Sicherheit hat sie ihre Namensschwester und Mithäftling Dorothea Steffin kennen gelernt, eine 22jährige geisteskranke Müllertochter, die seit 1728 als Opfer des letzten Berliner Hexenprozesses im Spinnhaus einsaß.

Aufgegriffene Bettlerinnen und Prostituierte waren Doris Ritters Gefährtinnen bei der Zwangsarbeit in Spandauer Spinnhaus. Kupferstich aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts

Wie hat Doris Ritter diese Situation bewältigt? Welche Hoffnung konnte sie schöpfen, wie überstand sie die kommenden Jahre?

Zum einen half ihr sicherlich der christliche Glaube, in dem sie aufgewachsen und der in ihrer Familie schon immer praktiziert worden war. Zum anderen wird Doris auf den Tod des - äußerst ungesund lebenden - „Soldatenkönigs“ gehofft haben. Prinz Friedrich würde sie befreien ...

Ob sie erfuhr, was sich außerhalb der Spandauer Mauern tatsächlich abspielte? Der Thronfolger brauchte selbst Hilfe. Ihm und seinem Freund Katte wurde vor einem Militärgericht der Prozess gemacht. Noch ein Jahr hatte er dann in Küstrin zu verbringen und ein Praktikum als Volkswirt zu absolvieren. Die Heirat mit seiner Cousine Amelia wurde ein für alle Mal verworfen und stattdessen eine Verbindung mit dem Hause Braunschweig ins Auge gefasst. Friedrich fügte sich, denn er merkte, dass er sich nur durch äußerliche Unterwerfung und die vom Vater angeordnete Eheschließung eine gewisse Freiheit erkaufen konnte.

Am 12.6.1733 fand auf Schloss Salzdahlum die Hochzeit statt: um gute Verbindungen zu den Habsburgern herzustellen, wurde die mit dieser Dynastie verwandte Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern Friedrichs Frau. Von einigen glücklichen Anfangsjahren abgesehen, sollte diese Ehe eine Tragödie werden, unter der allerdings nur die Gattin litt. Sie war - kaum zu begreifen - Friedrich in lebenslanger, einseitiger Liebe zugetan.

Matthias Ritter erhielt wohl einen Wink, dass der preußische König nun, da der Sohn sich ihm vollständig unterworfen hatte, wieder zugänglicher geworden sei. Von Neubrandenburg aus richtete er ein Gnadengesuch für Doris an Friedrich Wilhelm, das dieser eigenhändig mit „Gut!“ befürwortete. Vier Wochen nach der Hochzeit des Kronprinzen wurde Doris Ritter in die Freiheit entlassen - mit Eindrücken und Erlebnissen, die sie niemals vergessen würde.

Dass der „Soldatenkönig“ das an der jungen Frau begangene Unrecht niemals einsah, zeigt die Tatsache, dass sie keinerlei Entschädigung erhielt. Der Gelehrte Formey teilt in seinen Memoiren Folgendes mit: Ein bürgerlicher Angestellter aus Stettin war auf königlichen Befehl vom Henker ausgepeitscht worden. Später stellte sich seine Unschuld heraus, worauf König Friedrich Wilhelm nicht zögerte, den Mann als Wiedergutmachung nach Berlin einzuladen und einmal an der königlichen Tafel mitspeisen zu lassen. Nichts von alledem gestand man Doris Ritter zu, deren Unschuld sich doch sogar vor der Bestrafung schon erwiesen hatte. Ob unschuldig oder nicht: allein die Tatsache, dass Doris Ritter mehrere Jahre im Zuchthaus verbracht hatte, bedeutete gesellschaftliche Ächtung. Während ihre jüngeren Schwestern sich mit angesehenen Partnern vorteilhaft verehelichten, dauerte es nach ihrer Heimkehr beinahe fünf Jahre, bis es endlich ein Mann wagte, ihr den Hof zu machen. Am 24.4. 1738 heiratete sie den Gewürzhändler Franz Heinrich Schommer (auch Schummer, Schomer oder Schommers - alle diese Schreibweisen kommen vor). Vater Matthias traute das Paar in der Neubrandenburger Marienkirche.

Elf Monate später war bereits Nachwuchs da. An ihrem 25. Geburtstag, dem 21.3.1739, hielt die glückliche Doris einen Sohn über das Taufbecken. Seine Namen erscheinen wie ein Programm: Justus (lateinisch „der Gerechte“) und Matthias nach seinem Großvater. Es folgte am 11.2.1741 ein weiterer Knabe, der Christian Friedrich genannt wurde.

Neubrandenburg lag nahe genug an preußischem Hoheitsgebiet, dass Neuigkeiten von dort nicht lange verborgen blieben. So verbreitete sich im Frühjahr 1740 auch bald, wie es um die Gesundheit König Friedrich Wilhelms stand. Im Alter von nur 51 Jahren erlag er am 31.5. der Wassersucht. Sein Sohn - jetzt Friedrich II. - bestieg als 28jähriger den Thron.

Doris Schommer hoffte wohl, dass der Jugendfreund sich an sie und das seinetwegen erlittene Unrecht erinnerte. Doch sie musste eine herbe Enttäuschung hinnehmen - wie viele andere, die Friedrich in seiner Kronprinzenzeit heimlich unterstützt hatten und nun auf Anerkennung und Gegenleistung seinerseits warteten. In dieser Hinsicht erwies sich der neue Herrscher als äußerst knauserig. Mit den Jahren zeigte sich außerdem, dass er seinem Vater charakterlich ähnlicher war als gedacht. Und je mehr er sich an den Maßstäben des einst so verhassten Vorgängers orientierte - beispielsweise das Militär besonders schätzte, Verwaltungs- und Schulreformen durchführte, umso weniger Kritik durfte an dem verstorbenen „Soldatenkönig“ geübt werden. Die Rebellion seiner Jugend und alles, was daran erinnerte, war König Friedrich schlichtweg peinlich und wurde verleugnet.

Dies führte schließlich sogar dazu, dass die offizielle Geschichtsschreibung im Sinn des Herrschers geschönt wurde. Im Band 8 der Allgemeinen preußischen Staats-Geschichte von Carl Friedrich Pauli (Halle 1769), heißt es über die Ereignisse des Sommers 1730 lediglich: „Der Kronprinz kam etwas später über Halle und Dessau in Cüstrin an. Von dem Misvernehmen, welches auf dieser Reise zwischen dem Könige und dem Kronprinzen ausgebrochen, brauchen wir um so weniger zu sagen, weil solches von keinen großen Folgen gewesen.“ Es hatte ja „nur“ seinen besten Freund den Kopf gekostet, der Vertrauten Doris drei Lebensjahre gestohlen und weiteren Menschen Verbannung und Haftstrafen eingebracht ...

Wir wissen nicht, ob Doris Schommer sich schriftlich wegen einer Entschädigung an den König wandte oder ob dieser von selbst Wiedergutmachung leisten wollte. Wieder einmal ist Voltaire die einzige Quelle, die von einer Pension für Doris berichtet. 70 ECUS seien ihr jährlich ausbezahlt worden, und zwar stets sehr pünktlich. Hier hat Voltaire offensichtlich preußisches Geld in die gängige französische Währung umgerechnet. Damals entsprachen 70 Ecus einer Summe von 210 Livres, wobei 1 Livre aus 0,30 Gramm Feingold bestand. In Frankreich konnte man für 40 Livres eine Kuh mit Kalb erwerben; eine vier- bis sechsköpfige Handwerkerfamilie benötigte jährlich etwa 1500 Livres zum Lebensunterhalt. Doris Schommers Zeitgenossen jedenfalls wunderten sich - wie wir noch sehen werden - über die geringe Unterstützung, die ihr zuteilwurde. Voltaire macht die o. e. Angaben in seinen Memoiren, um König Friedrichs Geiz zu belegen.

1742 finden wir Franz Schommer in Berlin, wo er als „Materialiste“ - sprich: Trödler und Kolonialwarenhändler- sich kaum über Wasser halten konnte. Daher wandte sich Doris schriftlich an den König und bat um Hilfe „zum Aufbau eines Handwerks“. Sie erhielt ihren Brief postwendend zurück. An den Rand hatte Friedrich gekritzelt: „Ihr König kann nicht kreditieren, es muss sich ein jeder im Leben so fügen, wie Gott es gewollt!“ So machte sich der Herrscher zu allem Unglück offenbar noch lustig über den Glauben der Pfarrerstochter.

1744 gab es in Berlin 20 Mietkutschen, deren Fahrer von 6 bis 22 Uhr unterwegs zu sein hatten. Ihre Beaufsichtigung oblag einem berittenen „Wagenkommissarius“, meist einem ehemaligen Unteroffizier, der auch die im Büro anfallenden Schreibarbeiten erledigte. Um diesen Posten bewarb sich Franz Heinrich Schommer in einem gemeinsam mit Doris verfassten Brief an den Polizeipräsidenten Karl David Kircheisen.

Bei dem Namen Schommer wurde der Beamte hellhörig: er holte wegen der Besetzung dieses eher unbedeutenden Postens schriftlich die Meinung des Königs ein. Friedrich zeigte sich großzügig und befürwortete von Potsdam aus am 2. 4. 1744 die Einstellung von Doris' Ehemann.

Leider brachte diese Arbeit dem frischgebackenen Kommissarius mehr Ehre als Geld ein. Die Kinderschar wuchs. Die Familie wohnte damals zur Miete in der Behrenstraße und gehörte zur evangelischen Kirchengemeinde von Friedrichswerder.

Im selben Haus lebte auch der Gelehrte Johann Heinrich Samuel Formey (1711-1797) mit seinen Angehörigen. Er war Sekretär und Historiograph der Königlichen Akademie der Wissenschaften und auch er erwähnt Doris Schommer in seinen Memoiren (1789): „Sie behielt ein trauriges und krankes Aussehen und ihr Haushall schien an Armut zu leiden. Ich habe nie sicher erfahren können, ob der König ihr irgendeine kleine Pension zuteil werden ließ. Wie auch immer, als ich mich eines Tages darüber mit Herrn de Mauperluis unterhielt, mehrte sich dessen Erstaunen. Am Ende rief er aus: ,Wie ist das möglich? Ich hätte sie zur Äbtissin von Quedlinburg ernannt!“

Auch Voltaire beweist, dass Doris Schommer in Berlin zwanzig Jahre nach den Ereignissen des September 1730 noch eine bekannte Person war.

Man wies den Literaten auf der Straße diskret auf sie hin. In seinen „Erinnerungen“ (1784) beschreibt er sie so: „Eine groß gewachsene Frau, hager, die einer Sybille ähnelt und keineswegs das Aussehen besaß, dass sie verdient hätte, eines Prinzen wegen ausgepeitscht zu werden.“

Zwar war die Armut, ständiger Gast im Hause Schommer, doch schaffte es das Ehepaar trotzdem, den äußeren Anschein aufrecht zu erhalten und mit gutbürgerlichen Menschen zu verkehren.

Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. hatte nie einen Krieg geführt, sein Sohn Friedrich hingegen brach bald nach seiner Thronbesteigung durch die widerrechtliche Besetzung Schlesiens einen Krieg vom Zaun, der später einen weiteren nach sich zog. Insgesamt kosteten die beiden schlesischen Kriege auf preußischer Seite etwa 6500 Menschen das Leben. Zwischen 1756 und 1763 tobte dann der Siebenjährige Krieg, in dem das Land mehrfach am Rand des Untergangs stand und mehr als 42000 Tote zu beklagen hatte. Auch Familie Schommer lebte in Angst und Schrecken. Der älteste Sohn war als Armeelieferant tätig und trug für den König seine Haut zu Markte. Laut einer heute verschollenen Handschrift der Königlichen Bibliothek soll er um eine Audienz beim Herrscher nachgesucht und um Hilfe für seine Mutter gebeten haben. Friedrich der Große wies ihm daraufhin die Tür mit den Worten: „Ich kenne Sie gar nicht.“

Berlin, Dorolheenstädtischer Friedhof an der Chauseestraße. Hier lag Doris Ritter begraben

Den Friedensschluss zu Hubertusburg erlebte Doris Schommer allerdings nicht mehr. Im Alter von nur 48 Jahren erlag sie am 23.9. 1762 einer Brustkrankheit, wie es im Sterberegister heißt - vielleicht Brustkrebs oder Brustfellentzündung. Zurück blieben ihr Mann Franz Heinrich, der noch immer als Fiakerkommissarius arbeitete, und sechs Kinder. Man begrub sie als eine der ersten Personen auf dem neu angelegten Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße. Doch ihr Grab ist nicht erhalten; es musste Platz machen für reichere und berühmtere Leute. Nichts erinnert heute an diesem stimmungsvollen Ort an diese hochgebildete, musikalische, unglückliche Frau, deren Leben durch fürstliche Willkür unheilvoll beeinflusst und letztendlich zerstört wurde. König Friedrich der Große überlebte seine Jugendfreundin Doris Ritter-Schommer um 24 Jahre.

***

Nun gut, das gibt Dorothea Selle zu, Könige haben ihre Launen. Auch mag es Friedrich als Despoten verdrossen haben, dass ihm Doktor Selle nicht von vornherein mit bedingungsloser Bewunderung entgegengetreten ist und dass er es bald darauf abgelehnt hat, Militärarzt zu werden und in Potsdam zu wohnen. Aber lächerlich ist doch, findet Dorothea, dass der König diesem Doktor Selle übelnimmt, glücklich verheiratet und Vater von drei gesunden Kindern zu sein! Und warum lässt der König seinen Doktor Selle, der ihm so gute ärztliche Dienste leistet, nicht in einer königlichen Kutsche abholen, wie jeden windigen Franzosen, der ihn besuchen will? I bewahre! Doktor Selle muss in der eigenen bescheidenen Kalesche nach Sans Souci fahren und auf diese Weise viele Stunden verlieren, die er sonst seinen anderen Patienten widmen könnte! Ernstlich übel aber nimmt es Dorothea dem König, dass es ihm zuwider ist, wenn ein Bürgerlicher auf wissenschaftlichem Gebiet etwas Besonderes leistet. Das hat nämlich Doktor Selle getan mit seinem „Ärztlichen Handbuch für die medizinische Praxis". Ist das Buch nicht sogar ins Französische übersetzt worden?

Ja, das sind so Dinge, die Dorothea am König auszusetzen hat. Und er selber, Selle, wie steht es mit ihm?

Je mehr sich der Wagen Potsdam nähert, umso nachdenklicher überprüft Selle seine Einschätzung des Königs. Immer ernster werden seine Gedanken, immer weiter wagt er sich mit seinen Überlegungen vor. Abstoßend findet er, dass Prinz Heinrich in seiner süffisanten Manier ihm kürzlich hin geplaudert hat: Seine Majestät der König verstehe von dem, was er unterschreibe, zwei Drittel überhaupt nicht mehr.

Selle ist zu gerecht und klug, um sich nicht zu sagen, dass ein alter, schwerkranker Mann einfach aus Alters- und Krankheitsgründen nicht mehr der Held sein kann, der er einst gewesen ist. Darf man es ihm ohne weiteres anrechnen, wenn er durch persönliches Unglück, Krankheit und übermäßige Arbeit seine Sinnesart und sein Gefühlsleben so verändert hat, dass er ein launischer, kleinlicher Charakter oder, wie Schöning vorsichtiger sagt, ein „ungemein satyrischer Mensch" geworden ist? Aber als junger König hat da Friedrich nicht ganz Hervorragendes geleistet? Hat er nicht gleich nach seiner Thronbesteigung verkündet: „In Meinen Staaten kann jeder nach seiner facon selig werden"?

Aber der König hat als junger Fürst ja auch noch ein anderes verfügt: „Gazetten, wenn sie interessant sein sollen, dürfen nicht genieret werden" und hat damit für Preußen die Pressefreiheit verkündet! Ach, diese scheinbare Pressefreiheit hat in Wahrheit nur ein halbes Jahr gedauert. Seit nunmehr vierzig Jahren besteht längst wieder das strenge Gebot, dass „in publicis nichts ohne höhere Erlaubnis gedruckt werden" darf. Und so scharf versieht der König die Zensur, und als solche Strafe betrachtet er den Dienst in seiner Armee, dass er vor sechs Jahren, Selle besinnt sich, über einen unvorsichtigen Freimütigen Kriegsdienst verhängt hat „wegen unbefugter Schriftstellerei, Aufwiegelung der Untertanen und dabei verwirkter grober Plackereien"!

Es ist bitter, jedoch Selle kommt immer wieder zu dem Schluss, dass des Königs freiheitliche und wohlgesinnte Äußerungen in krassem Widerspruch zu seinem Handeln stehen. War es nicht schon so mit dem „Antimacchiavell", den er als Kronprinz geschrieben und den er als König so bald und so schroff durch seine Taten widerlegt hat?

Der unheimliche

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