Читать книгу Der unheimliche "Erste Diener des Staates" - Walter Brendel - Страница 8
Der Kronprinz
ОглавлениеAm 24. Januar 1712, einem Sonntag, wurde dem Kronprinzen in Preußen, Friedrich Wilhelm, ein Sohn geboren. Als die Nachricht eintraf, saß der Kronprinz gerade mit seinem Vater, dem damals in Brandenburg-Preußen regierenden König, Friedrich I., beim Mittagsmahl. Beide empfanden große Freude. Da die erstgeborenen Söhne Friedrich Wilhelms im Säuglingsalter gestorben waren, schien bis zu diesem Zeitpunkt die Erbfolge in der preußischen Monarchie nicht völlig gesichert. Der sehnlichst erwartete neue Erdenbürger, der einen Sonntag später den Namen seines Großvaters Friedrich erhielt, wurde mit Glockenläuten und Kanonenschüssen gefeiert. Auf diese Weise erfuhr Berlins Bevölkerung von der Geburt des Prinzen.
Die damals schon mit Mutterwitz und Schnoddrigkeit ausgestatteten Berliner hatten indes keinen Grund zu lauter Freude. Den Bürgern und Bauern in brandenburgisch-preußischen Landen ging es denkbar schlecht, und viele ihrer Kinder dürften im Gegensatz zum Prinzen mit großer Sorge auf dieser Welt empfangen worden sein. Die Berliner fürchteten einen erneuten Anlass für Prunk und Protz, die Zurschaustellung königlicher Würde. Auf die Prunksucht des Königs führten sie den Tod der ersten beiden Kinder Friedrich Wilhelms zurück. Die Neugeborenen, so munkelte man in Berlin, hätten das Salutschießen sowie die Last des schweren Seidenmantels und der Krone nicht vertragen. Sicher war das nicht der Grund für den frühen Tod der beiden Brüder Friedrichs. Die hohe Kindersterblichkeit der Zeit machte auch vor Fürstenthronen nicht halt. Trotzdem zeigt das Gerücht, was die Berliner über Friedrich I. dachten. Der jedoch hielt sich diesmal zurück. Am Abend der Geburt gab es kein Feuerwerk, wurde nicht illuminiert. Am preußischen Hof wurde neuerdings „gespart". Brandenburg-Preußen steckte 1712 in einer Krise.
Seit der Jahrhundertwende waren die europäischen Staaten in zwei große kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt. Im Westen und Süden Europas kämpfte Österreich, das mit den bürgerlichen Seemächten England und den Niederlanden verbündet war, mit Frankreich um das spanische Erbe. Im Osten und Norden widersetzten sich Dänemark, Polen-Sachsen und das emporstrebende Russland der schwedischen Vormachtstellung im Ostseeraum. Hinter dem Streit um die spanische Erbfolge, der noch vor dem Tode des letzten spanischen Königs aus dem Hause Habsburg begann, verbargen sich gewichtige Interessen der großen europäischen Mächte. Das absolutistische Frankreich, das nach dem Westfälischen Frieden zur Hegemonialmacht Europas geworden war und auch im Reich nach seinem Willen schaltete und waltete, sah seine Führungsposition gefährdet, sollte es zu einer Vereinigung des spanischen und österreichischen Besitzes der Habsburger kommen. England und die Niederlande aber fürchteten für ihren Kolonialhandel. Spanien war zu diesem Zeitpunkt nur noch nominell die größte Kolonialmacht Europas. Niederländische und englische Handelskapitalisten hatten Zug um Zug den gewinnbringenden Handel mit den überseeischen Kolonien Spaniens an sich gebracht und deren Ausplünderung in großem Stile organisiert. Diesem Handel drohte Gefahr, falls anstelle des schwachen Spanien das starke Frankreich die Kolonien in Besitz nehmen würde. Was wie ein Streit feudaler Herrscher um eine Erbfolge aussah, war in Wirklichkeit das Aufeinanderprallen zweier Welten. In Europa hatte seit dem Beginn des 16. Jh. die Ära des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus begonnen. Die aus den ersten siegreichen bürgerlichen Revolutionen in den Niederlanden und England hervorgegangenen Staatswesen bürgerlichen Typs kämpften mit der stärksten Feudalmacht Frankreich um die Hegemonie auf dem europäischen Kontinent und um die Ausbeutung der unterdrückten kolonialen Länder.
Brandenburg-Preußen war wie andere feudale Staaten in diese Auseinandersetzungen einbezogen. Es suchte als Juniorpartner Österreichs und der Seemächte sein Süppchen am europäischen Feuer zu kochen. Die Teilnahme am Spanischen Erbfolgekrieg und ein mit Polen-Sachsen abgeschlossener Geheimvertrag hatten dem brandenburgischen Kurfürsten 1701 die lang erwartete Königskrone gebracht. Auf Hilfstruppen aus Brandenburg-Preußen angewiesen, widersetzte sich der Kaiser nicht länger und stimmte der Ernennung des brandenburgischen Kurfürsten zum König in Preußen zu.
Dasselbe tat August II., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, nachdem sich der Brandenburger verpflichtet hatte, in den zu erwartenden Auseinandersetzungen im Norden Europas nicht die Partei Schwedens zu ergreifen.
Friedrich I., der Großvater des jungen Friedrich, war eine schillernde Erscheinung. Körperlich klein und verwachsen, ein leicht reizbarer und schwacher Charakter, wollte er Macht vor allem durch äußere Repräsentation dokumentieren. Wenn Ludwig XIV., Frankreichs Sonnenkönig, das Idol der meisten großen und kleinen Potentaten Europas war, für Friedrich I. war er es in ganz besonderem Maße.
Antoine Pesne: Friedrich (links) mit seiner Lieblingsschwester Wilhelmine
Unter Ludwig XIV. hatte der französische Absolutismus seinen Gipfelpunkt erreicht. Der Konzentration staatlicher Macht in den Händen des absoluten Monarchen diente neben dem Ausbau des stehenden Heeres und des Beamtenapparates auch der Hof. Am Hof konnte der absolute Herrscher in der Übergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus den sozial und teilweise auch wirtschaftlich geschwächten Adel unter seine Kontrolle bringen und ihm die Möglichkeit politisch selbständigen Handelns beschneiden. Der Dienst am Herrscher, die Überhöhung und kultische Zurschaustellung seiner Macht, Zeremonien und barocke Feste gaben dem Hofadel nicht nur einen neuen Lebenszweck, sie dienten gleichzeitig dazu, dem absoluten Herrscher in den Augen des Volkes eine sakrale Weihe zu verleihen. Als Stellvertreter Gottes galt er in den Staatstheorien der Zeit. Und wie man sich Gott in genau festgelegten kultischen Handlungen näherte, so gelangte man auch nur unter Einhaltung bestimmter Zeremonien zum König. Die barocke Architektur unterstützte diesen Eindruck. Durch eine Flucht von Zimmern, deren Türen livrierte Diener bewachten, gelangte man in die prunkvollen Gemächer des Herrschers wie in das Allerheiligste. Aufwand und Pomp waren nicht nur Ausdruck von Verschwendungssucht, sie dienten der Verklärung des absoluten Monarchen und damit letztlich seiner Macht.
Die vielen kleinen „Ludwigs" auf deutschen Fürstenthronen dieser Zeit ahmten zwar die äußeren Formen des französischen Hofes nach, verfolgten mitunter auch ähnliche Machtansprüche; doch waren ihre Territorien klein, ihre ökonomischen Ressourcen gering. Was herauskam, war oft nicht mehr als eine Karikatur des französischen Absolutismus.
Antoine Pesne: Friedrich als Kronprinz (um 1740)
Ganz so sah es in Brandenburg-Preußen nicht aus. Brandenburgs Herrscher, die Hohenzollern, hatten im Verlaufe mehrerer Jahrhunderte durch geschickte Heiratspolitik, Schacher und Erbschleicherei ihren territorialen Besitz beträchtlich erweitern können. In der ersten Hälfte des 17. Jh. war das Herzogtum Preußen durch Erbvertrag mit Brandenburg zu einer Personalunion vereinigt worden. Von nun an sprach man von Brandenburg-Preußen. Später, nach dem Erwerb der Königskrone, gab Preußen der Monarchie ihren Namen. Im Westfälischen Frieden erhielt Brandenburg-Preußen dank der Politik der französischen Machthaber, die über ein Gegengewicht zu den Habsburgern im Reich verfügen wollten, Hinterpommern, das Erzbistum Magdeburg und die Bistümer Halberstadt, Minden und Kammin. Brandenburg-Preußen war zu einer europäischen Macht mittlerer Größe angewachsen.
Es zählte mit Sachsen, Hannover und Bayern zu den deutschen Territorialstaaten, die für die Habsburger eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu werden drohten. Mit der Teilnahme am Spanischen Erbfolgekrieg und dem Lavieren im Osten wollte Brandenburg-Preußen seine Stellung in Europa festigen und neue territoriale Gewinne im Westen des Reiches erzielen. In Wirklichkeit aber beabsichtigten weder die Seemächte noch Österreich eine Stärkung Brandenburg-Preußens. Zu schwach, um sich gegenüber den Großmächten behaupten zu können, erschöpften seine Herrscher in langen kriegerischen Auseinandersetzungen lediglich die Kräfte des Volkes und die staatlichen Finanzen. Schon die ständigen Verwicklungen in Kriege hätten ausgereicht, ein so armes Land mit einer selbst für diese Zeit unterentwickelten gewerblichen Wirtschaft und geringer Handelstätigkeit auszubluten. Aber es hatte noch die Verschwendung des Volksvermögens durch die prunkvolle Lebenshaltung des Königs zu ertragen. Der Ausbau der Residenz Berlin, die kostspieligen Liebhabereien Friedrichs I, der Juwelen in halb Europa aufkaufen ließ, die Nachahmung französischer Etikette sowie die barocken Feste, die mitunter Tage oder Wochen dauerten, verschlangen Unsummen, die von intriganten Hofbeamten durch immer umfangreichere steuerliche Auflagen aus dem Volk herausgepresst wurden. Der Anspruch auf Macht und Größe, den diese Lebensführung dokumentieren sollte, stand in eklatantem Widerspruch zur Wirtschaftskraft des Landes.
Gegen Ende des ersten Jahrzehnts befand sich das Land kurz vor der Katastrophe. Die Einnahmen aus Steuern und Domänen reichten zur Deckung der Heereskosten und der luxuriösen Lebenshaltung nicht mehr aus. Jahr für Jahr wuchsen die Ausgaben, die Einnahmen aber gingen zurück. Durch neue Steuern, vor allem die verhassten Kopfsteuern, und eine Erhöhung der indirekten Abgaben auf Lebensmittel sollte das Defizit gedeckt werden. Aber das Loch in der Staatskasse wurde größer. Die Verwaltung war desorganisiert und zum Teil korrupt. Die an der Spitze des Staates stehenden Beamten hielten sich nur, weil sie immer wieder Mittel und Möglichkeiten fanden, die finanziellen Ansprüche des Monarchen auf Kosten der Bauern und Bürger zu decken. Am meisten litten unter den katastrophalen Zuständen die Bauern, die damals mehr als vier Fünftel der Bevölkerung ausmachten.
Die Situation spitzte sich vor allem im Osten des Königreiches zu. Schon 1707 war die Lage der Bauern im ehemaligen Herzogtum, der jetzigen Provinz Preußen, so schlecht, dass in einigen Gegenden sogar Brot- und Saatkorn fehlten. Steuern und Abgaben an die Feudalherren verschlangen selbst das Lebensnotwendigste. Eine Hungersnot begann. In ihrem Gefolge traten Ruhr und Hungertyphus auf. 1708 wurden die ersten Pestfälle bekannt. Der schwarze Tod, der sich - begünstigt durch den Nordischen Krieg - zu Beginn des Jahrhunderts erst in schwedischen Lazaretten breitgemacht und dann Polen erfasst hatte, griff nun auch auf Preußen über. Die Seuche traf auf eine durch Hunger geschwächte Bevölkerung. Viele führten ihr Umsichgreifen auf die Hungersnot zurück. Trotz unvorstellbaren Elends gingen die Steuereintreibungen und Zwangsexekutionen weiter. Die Bauern flohen in die Wälder, sobald sich wieder ein Trupp von Steuereinnehmern näherte. „Wartet ein wenig, wir werden doch sterben, dann könnt Ihr alles, nehmen", erklärten die Bauern nach den Worten eines Beamten gegenüber ihren Peinigern.
Die staatlichen Instanzen leisteten in dieser Situation keine wirksame Hilfe. Im Gegenteil, auch 1710. noch wurde verfügt, die Ausgaben für die Hofhaltung des Königs vor allen anderen zu sichern. Die Steuereintreibungen wurden verschärft. Das Elend erreichte seinen Höhepunkt im Sommer 1710. 102 000 Menschen raffte die Seuche allein in diesem Jahr in der Provinz Preußen dahin. Insgesamt waren hier 202 000 Tote das Resultat der beiden Pestjahre. Die Steuereinnahmen mussten unter diesen Bedingungen zwangsläufig zurückgehen. Tote konnten nicht geschröpft werden. Vor verlassenen Bauernhöfen und wüst gewordenen Äckern versagte auch der gewiefteste Steuereintreiber. In anderen Provinzen, die nicht unmittelbar von der Pest betroffen waren, kam es gleichfalls zu Ausfällen. So berichtete man aus dem Magdeburgischen von Erscheinungen des Verfalls, die auf eine Überbürdung mit Steuern zurückgeführt wurden. Das Land war erschöpft. Es trug die Lasten nicht mehr. Die Seuche in Preußen hatte den Ruin nur beschleunigt. Im Sommer 1710 stand Brandenburg Preußen kurz vor dem finanziellen Bankrott. Bei jährlichen Einnahmen von eineinhalb Millionen hatte das Defizit bis zu diesem Zeitpunkt schon fast eine Million erreicht. Hinzu kamen mehr als eine Million Schulden aus früheren Jahren. Erst in dieser Lage entledigte sich Friedrich I. seiner einflussreichsten Beamten und leitete Maßnahmen ein, um die Katastrophe abzuwenden.
Als der junge Friedrich geboren wurde, war die Pest zwar eingedämmt und das Land begann sich zu erholen, aber elend genug war es um Brandenburg-Preußens Bauern und Bürger noch immer bestellt.
1713 starb Friedrich I. Sein Sohn Friedrich Wilhelm kam auf den Thron. Er war ein Mann von anderem Kaliber. Unter dem Einfluss seines kalvinistischen Erziehers hatte er das höfische Treiben nur mit Widerwillen ertragen. Zwei Bildungsreisen in die bürgerlichen Niederlande hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Seit sich mit dem Sieg der bürgerlichen Revolutionen in den Niederlanden und in England eine neue Welt herauszubilden begann, waren vielfältige Wirkungen von ihr auf die feudalen Staaten Europas ausgegangen. Der wirtschaftliche Aufschwung dieser Länder, seine Verwaltungseinrichtungen und sein Heerwesen erregten Bewunderung und veranlassten zur Nachahmung. Ein Prozess der Anpassung an die neuen Verhältnisse setzte in einigen Staaten ein. Er griff im Russland Peters I. ebenso um sich wie in Brandenburg-Preußen unter Friedrich Wilhelm I. Sparsamkeit, die Tugend des bürgerlichen Mannes, regierte nun am preußischen Hof, dessen Ausgaben radikal gekürzt wurden. Die einfachere Lebensführung, Ordnung in den Staatlichen Finanzen und die Neugliederung und Vereinfachung der Verwaltung kamen der Bevölkerung in Brandenburg-Preußen aber nur bedingt zugute. Wie die Gedanken seines Vaters kreisten auch die Friedrich Wilhelms um die Großmachtstellung seines Landes. Hauptinstrument zur Erringung einer solchen Position war für ihn die Armee. Ausreichende Finanzen und ein jederzeit einsatzbereites starkes Heer sollten ihn davor bewahren, ein Spielball in den Händen der Großmächte zu sein, wie sein Vater es in gewisser Hinsicht gewesen war. Militärische Neigungen hatte Friedrich Wilhelm ebenso früh entwickelt wie seinen Widerwillen gegen das höfische Leben. Nun als König machte er das Militär zum Angel- und Mittelpunkt des Staates. Er verdoppelte die Stärke der Armee von 40000 Mann im Jahre 1713 auf 81000 Mann im Jahre 1740. Unter ihm nahm das Leben der gesamten Gesellschaft jenen militaristischen Zuschnitt und jene barbarischen Züge an, über die fremde Beobachter mit Schrecken berichteten und die sich als unheilvolle Tradition in der deutschen Geschichte fortsetzten.
Der junge Friedrich, über dessen erste Lebensjahre wir schlecht unterrichtet sind, wuchs anfangs unter der Obhut seiner Mutter Sophie Dorothea auf, ohne unter seinem charakterlich unausgeglichenen, zu Jähzorn und Gewalt neigenden Vater allzu sehr zu leiden. 1.716 erhielt er seinen ersten Erzieher, einen etwa dreißigjährigen Hugenotten, Jacques Egide Duhan de Jandun, dessen Vater - einst Sekretär des französischen Heerführers Henri de Latour d'Auvergne Turenne - 1687 aus Frankreich nach Brandenburg geflohen war. Auf Duhan aufmerksam geworden war Friedrich Wilhelm I. während der Belagerung Stralsunds im Jahre 1715. Die Tapferkeit des jungen Mannes bewog den Monarchen, diesem die Erziehung seines Sohnes anzuvertrauen. Duhan löste seine Aufgabe mit viel Geschick, aber nicht immer zur Zufriedenheit des Königs. Gleichwohl lautete das Urteil seiner Zeitgenossen über ihn ziemlich einhellig. Duhan galt als ein kluger und geistvoller Mann. Die ältere Schwester Friedrichs, Wilhelmine, rühmte Jahre später in ihren Memoiren die großen Kenntnisse und guten Grundsätze des Franzosen. Der Prinz achtete seinen Erzieher und bewahrte ihm auch später - als dieser beim König in Ungnade gefallen war - seine Anhänglichkeit.
Der König wollte seinen Nachfolger vor allem im Rechnen, in biblischer Geschichte und in der Geschichte der letzten 100 Jahre unterrichtet wissen. Latein lehnte er aus persönlichen Gründen ab. Weil er selbst auch unter unsagbaren Mühen nicht in die Anfangsgründe dieser Sprache hatte eindringen können, strich er sie aus dem Lehrplan seines Sohnes. Ganz auf die praktische Tätigkeit eines künftigen Monarchen ließ er auch später den Unterricht des Kronprinzen abstimmen. Wirtschaft und Völkerrecht, „eine elegante und kurze Schreibart" im Deutschen und Französischen, Mathematik mit dem Ziel ihrer Anwendbarkeit im Militärwesen - das waren nach Friedrich Wilhelms Ansicht die Kenntnisse, die ein künftiger Monarch brauchte. Vor allem zum Soldaten wollte er den jungen Friedrich erziehen, weshalb er befahl, ihm „die wahre Liebe zum Soldatenstande" einzuprägen.
Doch der Sohn geriet nicht nach dem Willen des Vaters. Dessen soldatische Neigungen teilte er vorläufig nicht; die Jagd - Friedrich Wilhelms größtes Vergnügen - verabscheute er. Stattdessen las er lieber, wenn auch vorerst nur Romane, die ihm seine Lieblingsschwester Wilhelmine zusteckte. Der Kronprinz war eher ein schwächliches Kind mit musischen Neigungen als ein körperlich robuster Draufgänger, wie ihn sein Vater wünschte. Schon früh führten die charakterlichen Gegensätze zwischen beiden zu Spannungen. Friedrich war zwölf Jahre alt, als sich dieser Gegensatz erstmals öffentlich entlud. Während einer Tauffeier bei General Friedrich Wilhelm von Grumbkow, dem engsten Vertrauten und späteren Minister Friedrich Wilhelms, kam es zu einer oft beschriebenen Szene. Der erzürnte König erklärte in Gegenwart aller: „Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopfe vorgeht. Ich weiß, dass er nicht so denkt wie ich; es gibt Leute, die ihm andere Gesinnungen beibringen und ihn veranlassen, alles zu tadeln." Bei diesen Worten schlug er seinen Sohn. Er tat das in der Folgezeit noch öfter und traf damit das empfindliche Ehrgefühl des Heranwachsenden.
Die Gegensätze zwischen Vater und Sohn waren nicht politischer Natur. Friedrich Wilhelm I, der seine absolutistische Herrschaft im Lande mit despotischen Mitteln durchsetzte, war auch im Familienkreise ein Despot. Vom Sohn und Nachfolger erwartete er unbedingte Unterwerfung. Friedrich sollte sein Werk fortsetzen, mit den Augen des Vaters sehen, seine Neigungen teilen. Vor allem fürchtete er - völlig grundlos, wie sich später erwies - für die militärischen Grundlagen des Staates. „Halte immer auf eine gute Armee und auf Geld", hatte er dem Sohn während der oben beschriebenen Feier mit Backpfeifen eingehämmert. Für die Armee und ein geordnetes Finanzwesen - die Schöpfungen Friedrich Wilhelms I. - sah er Gefahr; denn der Sohn war dem höfischen Leben nicht so abhold wie der Vater. Früh begann er Schulden zu machen; er liebte Bücher, die sein Vater verpönte. Dafür ritt und schoss er schlecht. Die Gegensätze spitzten sich zu, je älter der Kronprinz wurde.
Friedrich litt unter seinem gewalttätigen Vater. Jahrzehnte später, schon König und in seinem Verhältnis zu anderen Staaten nicht minder gewalttätig, verfolgte ihn der prügelnde und gebietende Vater bis in seine Träume. Seinem Vorleser Heinrich Alexander de Catt erzählte er noch während des Siebenjährigen Krieges voller Unverständnis die bitteren Erlebnisse seiner Kindheit. „Ich war ein Kind", so berichtete er, „und lernte ein wenig Latein; ich deklinierte mit meinem Lehrer ... als plötzlich mein Vater ins Zimmer trat. ,Was machst Du da?' ,Papa, ich dekliniere . . .', sagte ich in kindlichem Tone, der ihn hätte rühren müssen. ,0 du Schurke, Latein für meinen Sohn! Geh mir aus den Augen!' und er verabreichte meinem Lehrer eine Tracht Prügel und Fußtritte und beförderte ihn auf diese grausame Weise ins Nebenzimmer. Erschreckt durch diese Schläge und durch das wütende Aussehen meines Vaters verbarg ich mich, starr vor Furcht, unter dem Tische, wo ich in Sicherheit zu sein glaubte. Ich sehe meinen Vater nach vollbrachter Hinausbeförderung auf mich zukommen - ich zittere noch mehr; er packt mich bei den Haaren, zieht mich unter dem Tische hervor, schleppt mich so bis in die Mitte des Zimmers und versetzt mir endlich einige Ohrfeigen." Der Kronprinz antwortete auf die Grausamkeit seines Vaters mit Widersetzlichkeit, Spott und Ironie. Zuweilen brachte er ihn zusammen mit seiner Schwester Wilhelmine bewusst in einen Zustand blinder Wut, um sich dann im Zimmer der Mutter vor dem Tobenden in Sicherheit zu bringen. Zur Unverträglichkeit der Charaktere kamen allmählich geistige Gegensätze.
Friedrich Wilhelm war trotz aller Unbeherrschtheit und Brutalität ein religiöser Mensch. Aufgewachsen im Glauben seiner Väter, dem Kalvinismus, bot ihm die Religion das Gefühl eigener „Sendung", die Begründung seiner Macht; sie war Grundlage seiner Herrschaftsauffassung. Der Kalvinismus, die religiöse Ideologie der frühen Bourgeoisie in einigen ökonomisch fortgeschrittenen Ländern Europas, hatte sich in verschiedenen deutschen Territorialstaaten als sogenanntes reformiertes Bekenntnis durchgesetzt. Eingeführt durch die Fürsten und seiner antifeudalen Spitze weitgehend beraubt, diente er der Behauptung territorialer Interessen gegen die universalstaatlichen Tendenzen der katholischen und mit der Gegenreformation verbundenen Habsburger. Die ursprünglich lutherischen brandenburgischen Kurfürsten hatten mit Johann Sigismunds Übertritt im Jahre 1613 die reformierte Lehre angenommen. In ihrem Geiste war auch Friedrich Wilhelm I. erzogen worden. Sein Erzieher Rebeur hatte den damals schon ungebärdigen, wilden und ihn peinigenden Kronprinzen mit dem strafenden Kalvinistengott geschreckt. Vor allem die Lehre von der Prädestination, der Auserwähltheit durch Gott, in der sich das bürgerliche Sendungsbewusstsein der Kalvinisten ausdrückte, diente ihm als Mittel der Abschreckung. Das Erlebnis seiner Jugend, die tiefe Angst, nicht zu den Auserwählten zu gehören, veranlasste Friedrich Wilhelm, diese Lehre abzulehnen, die im deutschen Kalvinismus ohnehin weitgehend preisgegeben worden war. Im Staate Friedrich Wilhelms I. wurde die Idee von der Prädestination bekämpft. Aus dem Erziehungsplan seines Sohnes war sie gestrichen.
Für diesen aber wurde gerade sie ein Mittel, sich gegen die Anforderungen des Vaters zur Wehr zu setzen. Friedrich bezog sie ganz auf sich und dokumentierte so eine Eigenschaft, die er später noch deutlicher ausprägen sollte; denn bei der Lektüre seiner späteren Jahre spielte die Möglichkeit der Identifikation immer eine große Rolle. Wenn Gott den Weg eines Menschen vorherbestimmt hat, so schloss er aus der Prädestination, wenn er ihn auch in seinem Wesen festgelegt hat, wie soll ihn dann eines anderen Menschen Wille umformen? Um die Behauptung seiner Individualität ging es ihm bei der Übernahme dieser Lehre. Ihre Ablehnung durch den König und ihre Anerkennung durch den Kronprinzen deuten nicht auf eine grundsätzlich andere Herrschaftsauffassung hin. Sie bezeugen nur die geistige Regsamkeit Friedrichs, der ganz im Gegensatz zu seinem Vater das Wissen seiner Zeit in sich aufzunehmen begann. Heimlich kaufte sein Erzieher Duhan eine große Bibliothek für ihn auf, wodurch der Kronprinz seine Schulden vermehrte. Die Philosophen zogen ihn an. Als Sechzehnjähriger unterschrieb er einen Brief an seine Schwester Wilhelmine, eine für ihre Zeit belesene und geistig interessierte junge Dame, erstmals mit „Federic le philosophe". Doch war das mehr die Anmaßung eines jungen Mannes, über dessen tatsächliche Lektüre aus dieser Zeit wir wenig wissen. Sie muss spärlich genug gewesen sein; denn aus seinen damaligen Meinungsäußerungen lässt sich kaum auf spezielle philosophische Interessen schließen.
Ihre äußerste Zuspitzung erfuhren die Gegensätze zwischen Vater und Sohn durch den Plan der englischen Doppelheirat. Die Mutter Friedrichs stammte wie eine ihrer Vorgängerinnen auf dem preußischen Königsthron aus dem Hause Hannover. Ihr Vater war seit dem Jahre 1714 gleichzeitig englischer König. 1727 folgte ihm ihr Bruder, Georg II. Unzufrieden mit dem Leben in Berlin und ihrer wenig glanzvollen Rolle, ohne große geistige Interessen und Fähigkeiten, begann sie am Hofe eine eigene „Partei" zu schaffen und ihre beiden älteren Kinder, Friedrich und Wilhelmine, in sie einzubeziehen. Streitpunkt wurde die außenpolitische Orientierung der preußischen Monarchie. Nach den Wirren und Leiden der beiden großen europäischen Kriege war eine Zeit relativer Ruhe eingetreten, während der die Großmächte eifersüchtig über das entstandene Kräfteverhältnis wachten. Keiner wollte den anderen zu stark werden lassen. Aus diesem Grunde war es auch zu einer gewissen, gegen die Habsburger gerichteten Annäherung der einstigen Gegner Frankreich und England gekommen.
Friedrich Wilhelm I. hatte im Herbst 1726 einen Vertrag mit dem Kaiser abgeschlossen, der - ohne männliche Erben - damals um die Anerkennung der weiblichen Erbfolge durch die deutschen und europäischen Mächte rang. Der preußische König wollte mit Hilfe dieses Vertrages seine Erbansprüche auf Jülich und Berg bekräftigen. Wie seine Vorgänger verfolgte er eine auf „Abrundung" und territoriale Expansion gerichtete Außenpolitik. Seine Orientierung auf Österreich wurde von Grumbkow, seit 1728 sein Minister, unterstützt. Die Annäherung an Österreich war nicht nach dem Sinne Frankreichs und Englands. Ihr widersetzte sich auch die Königin, die gegen den König und Grumbkow mit fremden Gesandten am preußischen Hofe intrigierte. Fürstenheiraten waren damals ein Politikum ersten Ranges. Sie wurden unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Erbfolge bzw. politischer Bündnisse vollzogen. Deshalb entsprach es dem Zeitcharakter, wenn die Auseinandersetzung um die außenpolitische Orientierung Preußens zum Streit um die Heirat der beiden ältesten Kinder ausartete. Die preußische Königin wollte Wilhelmine mit dem englischen Thronfolger, dem Prinzen von Wales, und Friedrich mit der englischen Prinzessin Amalie verheiraten. Beide waren Feuer und Flamme, versprachen sie sich von der Heirat doch Reichtum und .Macht sowie die Befreiung vom autoritären Vater. Der englische König Georg II. zeigte sich diesen Plänen nicht abgeneigt, wollte als Vorbedingung jedoch einen englisch-preußischen Pakt abschließen, während Friedrich Wilhelm I. nichts gegen die Heirat hatte, sofern -was ganz unmöglich war - daran keine politischen Bedingungen geknüpft wurden. Intrigen vergifteten das ohnehin eintönige Leben am preußischen Hofe. Liest man die Briefe der Beteiligten aus dieser und späterer Zeit, so fühlten sich vor allem die Heranwachsenden zeitweilig in der Hölle. Die Mutter teilte ihre Gunst je nach Willfährigkeit der Kinder, hetzte gegen den König und lieferte Sohn und Tochter dem Unwillen des Vaters aus. Friedrich Wilhelm selbst erlag den Einflüsterungen seines Ministers, wütete gegen Wilhelmine und Friedrich und glaubte allen Ernstes an ein mit fremden Mächten geschmiedetes Komplott. Davon aber konnte trotz allem nicht die Rede sein.
Unter diesen Umständen wurden die Beziehungen zwischen Vater und Sohn unerträglich. Friedrich Wilhelm wollte den Sohn beugen.
Er ging dabei, wie kurz darauf aus einem Verhör Friedrichs erkennbar wurde, stufenweise vor. Der Kronprinz wurde „hart traktiert"; erst in Gegenwart des Kammerdieners, dann der Offiziere des königlichen Regiments und schließlich der Generalität. Seine Abneigung gegen den Sohn und seine Sorge um den Bestand der Monarchie waren so groß, dass er eine Abdankung Friedrichs ins Auge fasste und den jüngeren, 1722 geborenen August Wilhelm in jeder Beziehung vorzog. Später, in der Küstriner Haft, fasste Friedrich seine Jugenderlebnisse in einem Brief an Wilhelmine in dem Stoßseufzer zusammen: „Ich habe jetzt die bittere Erfahrung gemacht, dass ein feindlich gesinnter Vater das schlimmste auf Erden ist." Seine Rettung sah der junge Mann nur noch in der Flucht, über die er, wie er 1730 aussagte, „alle Tage fast neue Anschläge" machte.
Die Fluchtpläne Friedrichs verdichteten sich 1730. Angesichts des noch nicht aufgegebenen Gedankens einer Heirat mit der Prinzessin Amalie wollte er sich anfangs nach England wenden. Während eines Staatsbesuchs in Kursachsen am Hofe Augusts des Starken verhandelte der Kronprinz mit dem britischen Residenten Melchior Guy Dickens, der sich auf dem Wege nach England befand. Georg II. widerriet der Flucht. „Man würde alles tun, seine Schulden zu bezahlen", ließ er durch den gleichen Dickens übermitteln, „aber er sollte itzo nicht gedenken, wegzugehen." Nach dieser Absage dachte der Kronprinz an Frankreich als Fluchtziel. Er hoffte auf die gespannten Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich. Der französische Geschäftsträger, an den er sich wandte, versprach ihm zwar eine gute Aufnahme, doch war das keineswegs eine bindende Zusage der Regierung. Und so wurden nacheinander auch Italien und die Niederlande in Betracht gezogen.
Schon das zeigt, wie abenteuerlich Friedrichs Plan war. Auch bei gespannteren Beziehungen hätte sich wohl kaum eine Regierung dazu bereitgefunden, dem preußischen Thronfolger Asyl zu gewähren, weil die außenpolitischen Folgen unübersehbar gewesen wären.
Friedrich Wilhelm I. beschrieb später, im Jahre 1731, wie er sich bei Gelingen der Flucht verhalten hätte. Den Sohn schreckte er mit dem Unglück der Mutter und der Schwester. Vor allem aber wäre er in Hannover eingefallen; nichts hätte ihn davon abhalten können, sollte er auch Leben, Land und Leute dabei aufs Spiel setzen. Wer wollte schon einen Krieg wagen, nur um den preußischen Thronfolger gegen seinen tyrannischen Vater zu unterstützen? So unüberlegt wie der Fluchtplan angelegt war, so dilettantisch wurde er ausgeführt. Im Sommer 1730 begab sich der König auf eine Reise nach Ansbach. Friedrich begleitete ihn. Am 5. August übernachtete die Gesellschaft in Scheunen in Steinsfurth, südlich Sinzheims. Friedrich glaubte, sein Vorhaben endlich ausführen zu können. Er hatte sich kurz zuvor in Ludwigsburg heimlich einen roten Rock schneidern lassen und damit bereits den Verdacht seiner näheren Umgebung hervorgerufen. Als er am frühen Morgen noch vor dem König aufstand und diesen Rock anlegte, beobachtete ihn sein Kammerdiener, der nichts Gutes ahnend sofort den Oberstleutnant Friedrich Wilhelm von Rochow benachrichtigte. Inzwischen war auch ein ins Vertrauen gezogener Leutnant mit den zur Flucht bestimmten Pferden gesehen worden. Rochow begab sich zum Kronprinzen, der den Vorfall später so schilderte: „Als Er kaum 10 Schritte aus der Scheune gewesen, habe Ihm der Obrist Lieutenant Rochow begegnet, und mit Ihm zu sprechen gekommen, Ihn auch über 1/2 Stunde aufgehalten, darüber der Tag angebrochen, und obwohl der Prinz von Ihm gesucht loszukommen, sei es doch nicht angegangen, wie denn die andern dazu gekommen. Aus der Flucht wurde nichts. Friedrich gab den Plan /war noch nicht auf; aber der König erhielt bald davon Kenntnis. Er ließ den Kronprinzen sofort verhaften, als man in Wesel preußisches Gebiet erreichte.
Friedrich Wilhelm I. reagierte auf den Fluchtversuch seines Sohnes als Despot. Der Kronprinz wurde unter strengster Bewachung auf die Festung Küstrin gebracht und dort unter außerordentlich harten Bedingungen in Einzelhaft gehalten. Sein Mitwisser Hans Hermann von Katte wurde gleichfalls inhaftiert, während Peter Christoph von Keith fliehen konnte. Der preußische König vermutete eine breit angelegte Verschwörung gegen seine Herrschaft. Er glaubte ausländische Mächte im Einvernehmen mit seinem Sohn. Immer wieder ließ er die Gefangenen darüber befragen, wer noch mit im Komplott gewesen sei. Als die Verhöre Kattes keine Anhaltspunkte für seinen Verdacht erbrachten, ließ er den Leutnant in die Folterkammer der Hausvogtei bringen und ihm die Instrumente zeigen.
Er befahl, falls nötig, Katte die Daumenschrauben anzulegen. Inzwischen waren weitere Verhaftungen erfolgt. Ende August hatte man auch den Kammerdiener Friedrichs in Gewahrsam genommen und auf Anordnung des Königs an Hand und Fuß gefesselt. Inhaftiert wurden ferner die Leutnants Johann Ludwig von Ingersleben und Freiherr Alexander von Spaen sowie die Potsdamer Rektorstochter Doris Ritter. Die drei hatten sich auch nach damaligen Rechtsvorstellungen keiner strafbaren Handlung schuldig gemacht. Es war einfach tödlich, in den Dunstkreis absolutistischer Gewalt zu geraten. Während Friedrich unter seiner eigenen Torheit, wie er den Fluchtversuch später nannte, litt, mussten Katte und die junge Doris Ritter weit härter dafür bezahlen, dass sie dem Kronprinzen Freundschaft und Mitgefühl entgegengebracht hatten.
Die grausame Lektion hatte Friedrich endgültig gelehrt, dass er sich unterwerfen musste. War er bis dahin ein junger Mann, der seine Individualität gegenüber dem autoritären Vater offen verteidigte, so begann er jetzt zu heucheln. Gehorsam mimend, versuchte er, den König zu hintergehen, mit List und Falschheit gegen ihn anzukommen. Das schreckliche Erlebnis seiner Jugend deformierte ihn und brachte Charaktereigenschaften zur Entfaltung, die später jedermann auffielen: Zynismus und Menschenverachtung.
Wenige Tage nach der Hinrichtung Kattes wurde der scharfe Arrest für den Kronprinzen aufgehoben. Friedrich Wilhelm verfügte, dass ihm „die ganze Stadt zum Arrest" werde. Gleichzeitig ergingen genaueste Vorschriften für die Lebensführung Friedrichs und der Befehl, ihn in der Kriegs- und Domänenkammer, der Provinzialverwaltung, zu beschäftigen.
Friedrich scheint zu dieser Zeit psychisch außerordentlich labil gewesen zu sein. Kammerdirektor Christoph Werner Hille, ein Beamter bürgerlicher Herkunft und mit bürgerlichem Selbstbewusstsein, der sich des Kronprinzen annahm, berichtete regelmäßig an Minister von Grumbkow über dessen Befinden. Während er am 18. Dezember 1730 melden musste, dass der Kronprinz zwei Tage lang sehr misslaunig gestimmt gewesen war, weil alle Unterwerfung bisher zu nichts geführt habe, schrieb er im gleichen Brief in einer Nachbemerkung: „Seine Königliche Hoheit sind lustig wie ein Buchfink", und er fügte hinzu: „Wüsste er alles, so würde ihm diese schöne gute Laune rasch vergehen; denn sie entspringt nur der Hoffnung auf ein baldiges gelinderes Los." Am 23. Dezember hieß es in einem anderen Brief wieder, dass Friedrich sehr misslaunig sei und bittere Klage darüber führe, dass er trotz aller Unterwerfung noch nicht die geringste Freiheit erhalten habe. Am 27. schließlich - Friedrich litt damals unter Fieberanfällen - teilte Hille mit: „Er (Friedrich) hat sich vorgenommen, alles ohne Klage zu leiden und sich wacker zu halten. Ich glaube, seine Absicht dabei ist mehr, den König ins Unrecht zu setzen, als sonst etwas." Von Hoffnung bis zur Verzweiflung und dem Bemühen um Standhaftigkeit schwankte damals die Gemütslage des jungen Mannes.
Die Unterwerfung hatte der König auch hinsichtlich der Prädestinationslehre verlangt. Den hingerichteten Freund noch vor seinem Fenster, musste Feldprediger Müller mit dem Kronprinzen über die Prädestination diskutieren. Dass Friedrich unter diesen Umständen formal abschwor und Besinnung zur Schau stellte, darf nicht verwundern. In Wirklichkeit war er nach wie vor von der Richtigkeit dieser Idee überzeugt. Am 18. Dezember schrieb Hille an Grumbkow, dass der Kronprinz mit dem Fatalismus eines Türken an sie glaube. Friedrich Wilhelm war dies schon vorher zu Ohren gekommen. Er hatte Anweisung gegeben, auf den Prinzen einzuwirken, und gleichzeitig von diesem verlangt, die Personen zu nennen, die ihm diesen „Irrglauben" beigebracht hätten. Der Prinz nannte Bücher, aber keine Namen. Als sich Friedrich Wilhelm damit nicht zufriedengab, bot Friedrich am 27. Dezember noch einmal seine Unterwerfung an und erklärte den Streit über die Prädestination zu einer rein philosophischen und spekulativen Sache. Da er einsehen musste, dass gegen den König nicht aufzukommen war, fügte er sich in der gleichen Frage zum zweiten Male, ohne von den Argumenten seiner Kontrahenten überzeugt zu sein. Der Zwang zur Subordination veranlasste ihn zur Heuchelei. Von nun an tat er auch in anderen Fragen dem Vater scheinbar Genüge, schrieb Briefe voller Devotion und Liebe, während er tatsächlich gegen die väterlichen Absichten intrigierte und zur Unterwerfung nicht bereit war.
So verhielt er sich beispielsweise auch in der Frage seiner Vermählung. Die preußische Königin hatte ihre Pläne noch immer nicht begraben. Aber der Wind wehte endgültig aus südwestlicher Richtung. Friedrich Wilhelm I. hegte die feste Absicht, das Band mit den Habsburgern durch entsprechende Heiraten seiner beiden ältesten Kinder fester zu knüpfen. Im November 1731 ging Wilhelmine mit dem Erbprinzen von Bayreuth die Ehe ein. Man hatte sie ebenso unter Druck gesetzt, wie das wenig später mit dem Kronprinzen geschah. Diesem schlug Friedrich Wilhelm die Prinzessin Elisabeth Christine von Beiern, eine Nichte der Kaiserin, als Heiratskandidatin vor. Der inzwischen Zwanzigjährige sträubte sich. Er schrieb teils verzweifelte, teils frivole Briefe an Grumbkow. „Was die Prinzessin von Bevern betrifft", so ließ er am 26. Januar 1732 verlauten, „so kann man auf eins rechnen: Wenn ich gezwungen werde, sie zu heiraten, werde ich sie verstoßen, sobald ich der Herr bin, und ich glaube, die Kaiserin wäre darüber nicht sehr erbaut. Ich will keine Gans zur Frau haben." Immer noch voller Ablehnung schrieb er am 11. Februar: „Lieber wäre mir die größte H . .. von Berlin als eine Frömmlerin, der ein halbes Dutzend Mucker an den Röcken hängen." Und am 18. fasste er seine Verzweiflung in den Worten zusammen: „Kurz, lieber will ich sterben als wider Willen heiraten." Aber Friedrich starb nicht. Stattdessen verfasste er einen Tag später zwei Briefe. Der eine war an seinen Vater gerichtet. In ihm hieß es: „...und ist es mir lieb, dass mein allergnädigster Vater von der Prinzessin zufrieden ist. Sie mag sein, wie sie will, so werde jederzeit meines allergnädigsten Vaters Befehle nachleben; und mir nichts Lieberes geschehen kann, als wenn ich Gelegenheit habe, meinem allergnädigsten Vater meinen blinden Gehorsam zu bezeigen." Der andere Brief ging an Grumbkow. Er teilte diesem mit: „Es mag kommen, was da wolle, ich nehme sie nie!" Friedrich beschwor den Minister, dem König die Prinzessin von Bevern mies zu machen. Damit wandte er sich ausgerechnet an den Mann, der der eifrigste Befürworter dieses Plans war. Das sprach für die Unerfahrenheit des Kronprinzen. Grumbkow reagierte ablehnend. Gleichzeitig sprach er sich gegenüber Hille über Friedrich aus: „Je mehr ich über den Charakter des Kronprinzen nachdenke, um so gefährlicher finde ich ihn. Ich habe nie einen so glatt zusagenden Brief gesehen, wie den, den man dem König geschrieben hat.. . Mir aber schreibt er genau das Gegenteil und macht mir tausend ausschweifende Vorschläge, ohne eine Silbe von dem Briefe zu sagen, den er an den König gerichtet hat." Der Versuch, auf Umwegen zum Ziel zu gelangen, brachte dem Kronprinzen nicht mehr als den Ruf ein, ein verschlagener, gefährlicher Charakter zu sein. Der König nahm die von Friedrich gegebene Zusage als bindend. Sie verschaffte ihm die langersehnte Erlösung aus dem Küstriner „Gefängnis".
Die eineinhalb Jahre in Küstrin blieben für die Entwicklung Friedrichs nicht ohne Bedeutung. Sein Mentor Hille führte ihn in die Verwaltungspraxis einer Provinz ein. Hille war ein Mann, der, von den ökonomischen Lehren der englischen Merkantilisten beeinflusst, weitreichende Pläne für eine wirtschaftliche Expansion Preußens entwickelte, die er allerdings nicht durchsetzen konnte. Zwischen ihm und dem Kronprinzen entstand ein von Spannungen nicht freies Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Auf Befehl Friedrich Wilhelms hatte Friedrich die Pachtanschläge der staatlichen Domänen zu überprüfen, ein für ihn langweiliges Geschäft, das er ohne Begeisterung, doch gehorsam verrichtete. Bald konnte Hille an Grumbkow berichten, dass der Kronprinz im Finanzwesen gute Fortschritte mache. Zwar glaubte er, dass sich Friedrich als König mit solcherlei Geschäften nie befassen werde - worin der sonst scharfsinnige Mann gründlich irrte -; dafür erkannte er damals bereits, dass dieser die Arbeit nie hassen, sondern Mittel und Wege finden werde, um Vergnügen mit Arbeitseifer zu verbinden. Bald entwarf Friedrich erste selbständige wirtschaftliche Projekte. So verfasste er einen Plan zur „Hebung der Leinenindustrie", der gar nicht gnädig aufgenommen wurde, nach Hilles Urteil aber erste Ansätze politischen Denkens enthielt. Der König wollte kein selbständiges „Räsonnieren" seines Sohnes. Der sollte in die finanziellen Details einer Gutswirtschaft oder einer Glashütte eindringen, diese verwalten lernen, aber nicht mehr. Genau das aber lernte Friedrich entgegen Hilles Bemühen nicht. Schon nicht mehr in Küstrin, sondern in Ruppin, wandte er sich im Oktober 1732 mit der dringenden Bitte an Grumbkow, ihm ja jemanden zu schicken, der ihm einen Pachtanschlag für die Domäne in Ruppin ausarbeite. Der König hatte einen solchen verlangt, und Friedrich musste bekennen, dass er mit dieser Aufgabe allein nicht fertig würde.
Hille stand in einem durchaus kritischen Verhältnis zum Kronprinzen. Er versuchte, ihm die französische Schöngeisterei auszutreiben, und machte sich über seine dichterischen Versuche lustig. Über die anlässlich des Heiratsprojekts vom Kronprinzen geäußerten frivolen Ergüsse urteilte er mit dem Stolz und Puritanismus eines Bürgers. Er fand, dass sie weniger von einem starken Geist, als von einem Gecken zeugten.
Friedrich entwickelte in seiner Küstriner Zeit Züge, die für den späteren König kennzeichnend blieben: die durchaus nicht bei allen absoluten Herrschern dieser Zeit vorhandene Bereitschaft und Lust zur Arbeit, den Hang zur „Projektmacherei" und Adelsstolz. Hille berichtete von der Verachtung Friedrichs für die Bürgerlichen. Eines Tages hatte der Kronprinz ihm gegenüber seinen Unwillen darüber geäußert, dass ein adliger Landrat dem bürgerlichen Hille Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen habe. Der Bürger Hille konterte nicht ohne Selbstbewusstsein. Die Welt sei eine verkehrte, so erklärte er. Das sähe man am schlagendsten angesichts der Erscheinung, „dass Fürsten, die nicht recht klug wären oder sich nur mit Tand abgäben, trotzdem vernünftigen Leuten Befehle zu erteilen hätten." Hille schloss die Beschreibung dieser Szene mit der Genugtuung darüber, dem Prinzen eine Wahrheit gesagt zu haben, die dieser nicht häufig hören werde.
Auch auf dem Gebiet der Außenpolitik entwickelte Friedrich in seiner Küstriner Zeit Ideen und Pläne, die er bis an sein Lebensende weiter verfolgte. Mit einer Leichtfertigkeit ohnegleichen hoffte er in dieser Zeit auf kriegerische Verwicklungen. Der Krieg war für ihn zunächst nicht mehr als ein Mittel, seinem Küstriner Gefängnis zu entrinnen. Der Kronprinz wollte unter Prinz Eugen kämpfen, um das Große und Ganze des Handwerks" zu erlernen. Etwas später, schon nicht mehr in Küstrin, als im Streit um die polnische Erbfolge erneut ein Krisenherd in Europa entstand, schrieb er wiederum an Grumbkow: „Gott weiß, ob wir Krieg bekommen oder nicht, aber ich wünschte es sicherlich, um aus der schlimmen Lage herauszukommen, in die ich zu geraten fürchte." Wer den Krieg so zur Bewältigung persönlicher Schwierigkeiten herbeisehnte, der verwart ihn auch nicht als Mittel der Politik. Aus der Küstriner Zeit, dem Jahre 1731 stammt der berühmt-berüchtigte „Natzmer-Bnef" Friedrichs der 'sein außenpolitisches Konzept für die Zukunft enthielt. Karl Dubislaw von Natzmer war einer der beiden dem Kronprinzen zur Gesellschaft beigegebenen Kammerjunker. Hille und der mit der Aufsicht über Friedrich beauftragte Geheimrat Gerhard Heinrich von Wolden urteilten über Natzmer gar nicht wohlwollend. Sie bezeichneten ihn als „Plänemacher" und „Ränkeschmieder". Dafür kam der Hang des jungen Mannes zu großen Plänen dem Kronprinzen umso mehr entgegen.
Ausgehend von der besonderen Lage Brandenburg-Preußens, seinem uneinheitlichen territorialen Status, sprach Friedrich die Absicht aus, seinen Staat fortschreitend zu vergrößern. Abgesehen hatte er es einmal auf Polnisch-Preußen, ein Gebiet, das der König später, im Zuge der ersten Teilung Polens 1772 tatsächlich annektierte. Schon der Neunzehnjährige begründete seine aggressive Absicht wie folgt: „Gehört es einmal zu Preußen, so hat man nicht nur freie Verbindung von Pommern nach Ostpreußen, sondern man hält auch die Polen im Zaum und kann ihnen Gesetze vorschreiben." Des Weiteren reflektierte er auf den damals noch von Schweden verwalteten Teil Pommerns. „Es würde sich sehr hübsch ausnehmen, wenn es mit unserem Besitz vereinigt wäre." Die Annexion dieses Gebietes betrachtete er als Schritt zu einer weiteren Erwerbung, die sich nach Ansicht des Prinzen von selbst darbot, nämlich die Mecklenburgs. „Hier braucht man nur das Erlöschen des Herzoghauses abzuwarten, um das Land ohne weitere Förmlichkeiten einzustecken." Schließlich meldete er wie seine Vorgänger Ansprüche auf Jülich und Berg an. Großsprecherisch verkündete er: „Ich schreite von Land zu Land, von Eroberung zu Eroberung und nehme mir wie Alexander stets neue Welten zu erobern vor." Einzelheiten darüber, wie das geschehen sollte, ersparte sich der Prinz. Ein Jahrzehnt später waren sie aller Welt bekannt. Vorläufig ging es ihm jedoch, wie er Natzmer schrieb, nur um den Nachweis, „dass Preußen sich bei seiner eigenartigen Lage in der politischen Notwendigkeit befindet, die genannten Provinzen zu erwerben." Der Natzmer-Brief enthielt so, von Einzelheiten abgesehen, in den Grundzügen das außenpolitische, auf Aggression und Ländererwerb gerichtete Programm des späteren Königs. Prinz Eugen, dem der Natzmer-Brief durch Seckendorff in die Hände gespielt wurde, sprach seine Besorgnis über die weitschweifenden Ideen des jungen Herrn aus. Obwohl vieles noch flüchtig und nicht genügend überlegt sei, scheine es Friedrich an Lebhaftigkeit und Vernunft nicht zu fehlen, „mithin er umso gefährlicher seinen Nachbarn mit der Zeit werden dürfte".
Am 26. Februar 1732 durfte Friedrich Küsttin verlassen. Bereits drei Tage später wurde er zum Obersten eines Infanterieregimentes ernannt. Von nun an verbrachte der inzwischen mit der Prinzessin von Bevern verlobte Prinz seine Tage in der Garnison Ruppin. Hier lebte er verhältnismäßig sorglos, kümmerte sich um sein Regiment, beschäftigte sich viel mit Musik, las auch bisweilen, aber immer noch ohne spezielle geistige Interessen und sammelte junge, leichtfertige Leute um sich. Mit einem Wort: Er lebte das standesgemäße Leben eines jungen Fürsten, wenn, auch im Vergleich zu anderen weniger wüst und weniger luxuriös; denn die beschränkten Mittel und der sittenstrenge Vater erlaubten es nicht anders. Unterbrochen wurde dieses Leben nur durch gelegentliche Aufenthalte im düsteren Wusterhausen, in Potsdam oder Berlin, wo es erneut zu unerfreulichen Szenen kam. Erleichtert kehrte er jedes Mal in die Garnison zu seinen Freunden und flüchtigen Liebschaften zurück.
Der 1733 beginnende Polnische Erbfolgekrieg, der Frankreich und die Habsburger erneut auf den Plan rief, bot Friedrich die lange erhoffte Chance: An der Seite des kaiserlichen Feldherrn Prinz Eugen nahm er 1734 an den Kämpfen um Philippsburg teil. Aber das „Große und Ganze des Handwerks" ließ sich vom alten Prinzen Eugen nicht mehr erlernen. Eine schwere Erkrankung des Königs rief Friedrich auch bald nach Potsdam zurück. Friedrich Wilhelm I. litt, wie später sein Sohn und einige englische Herrscher aus dem Flause Stuart, an einer erblichen Krankheit, die moderne englische Mediziner als Porphyria erkannt haben, eine Stoffwechselstörung, die mit Gicht, Hämorrhöiden, Migräne und Koliken verbunden, nicht selten zu Depressionen und Wahnsinn führte. Von einer Attacke dieser Krankheit wurde Friedrich Wilhelm I. 1734/35 betroffen. Gicht, Wassersucht und Lungenentzündung brachten ihn an den Rand des Todes. Friedrich rechnete damals mit dem Ende des Vaters. Die Briefe, die er und seine Schwester Wilhelmine während dieser Zeit wechselten, waren im höchsten Maße makaber. Als er im August der Schwester die Krankheit des Vaters mitteilte, konnte er sich nicht enthalten festzustellen, dass der Dicke sich wohl hüte, „den Weg allen Fleisches zu gehen". Auf einige mitfühlende Worte der Schwester reagierte er kalt: „Die Nachrichten vom König sind schlecht. Man prophezeit ihm kein langes Leben. Doch ich habe beschlossen, mich über alles, was geschehen mag, zu trösten; denn schließlich bin ich fest überzeugt, dass ich bei seinen Lebzeiten keine guten Tage haben werde, und ich glaube, ich finde hundert Gründe gegen einen, dass auch Du ihn rasch vergessen wirst." Schon machten die Geschwister Pläne für den Fall des Thronwechsels. Und wenn sich auch angesichts des schrecklich leidenden Vaters Töne des Mitgefühls in die Briefe mischten, so überwog doch die Hoffnung auf dessen Tod und die Enttäuschung über jede kleine Besserung. Im Januar 1735 teilte Friedrich Wilhelmine mit, dass sich der König zu seinem „großen Erstaunen" wieder erholt habe. Sie tröstete den Bruder damit, dass dies sicher nicht von Dauer sein werde, und prophezeite ein paar Tage später, dass der König bestimmt einen Rückfall bekomme. „Nur etwas Geduld, liebster Bruder, und meine Prophezeiung wird in Erfüllung gehen." Aber Wilhelmine irrte. Friedrich Wilhelm hatte noch fünf Lebensjahre vor sich.
1736 siedelte der seit zwei Jahren verheiratete Friedrich mit seiner jungen Frau nach Rheinsberg über, dessen Besitz Friedrich Wilhelm I. für den Sohn erworben hatte. Das unansehnliche Schloss war von dem damals noch jungen Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff umgebaut worden und hatte jene Harmonie und Leichtigkeit erhalten, die wir noch heute bewundern können. Hier sammelte Friedrich erneut einen Kreis von Freunden um sich, die - wie der Hugenotte Charles Etienne Jordan - bereits von anderem Format als seine ehemaligen Ruppiner Gefährten waren. Überhaupt entwickelte der Kronprinz nun tatsächlich wissenschaftliche und philosophische Interessen.
Zur Philosophie kam Friedrich durch die Lektüre Christian Wolffs, des 1679 in Breslau geborenen Mathematikers und Aufklärers, den Friedrich Wilhelm I. auf Drängen seiner Widersacher 1723 unter Androhung des Stranges aus Halle, wo er an der Universität lehrte, vertrieben hatte.
Endlich vom Drucke seines Vaters befreit, warf sich Friedrich mit Feuereifer auf das Studium. Schon morgens um 4 Uhr begann er zu lesen, Auszüge anzufertigen, selber zu schreiben und sich im Französischen zu vervollkommnen. Dabei leistete ihm vor allem sein „Sekretär", der schon erwähnte Jordan, gute Dienste, der von seinen Reisen her mit vielen französischen Frühaufklärern persönlich bekannt war. Erst nach Mitternacht endete für den Kronprinzen der Tag. Wie ein „Galeerensträfling" - so sein eigener Ausdruck - las und schrieb er in den Rheinsberger Tagen. Auch wenn trotzdem Zeit für höfische Geselligkeit, für Musik, Theateraufführungen, Maskeraden und für Freundschaft blieb, wird man nicht verkennen können, dass Friedrich in Rheinsberg den Grundstein für seine das ganze Leben prägende geistige Ausrichtung legte. Wie ein Schwamm sog der Kronprinz die französische Kultur in sich auf.
Hatte Friedrich in Küstrin Grundzüge seiner außenpolitischen Konzeption entwickelt, so begann er sich jetzt unter dem Einfluss der Philosophie seiner Zeit Gedanken über die Innenpolitik und seine Herrschaft überhaupt zu machen. Er tat das in Auseinandersetzung mit einer Schrift des Italieners Niccolö Machiavelli. Dessen Buch „II Principe" (Der Fürst), 1532 erschienen, stieß auf die heftigste Ablehnung des Kronprinzen.
Friedrichs „Antimachiavell" war eines der vielen gegen den großen Florentiner gerichteten Pamphlete. Man hätte es sicher vergessen, wäre sein Verfasser nicht der Kronprinz von Preußen gewesen. Dass ein Fürst die machtpolitischen Maximen des Italieners kritisierte, das fand damals Voltaire reizvoll und das zwingt heute den Historiker, vom „Antimachiavell" Kenntnis zu nehmen.
Er entschied über Wohl und Wehe, über Krieg und Frieden. Sein Volk „glücklich" zu machen, darin gipfelte die ganz in diesem Sinne zu verstehende Forderung des jungen Fürsten. „Ein zufriedenes Volk wird niemals an Aufruhr denken, ein glückliches Volk bangt vor dem Verlust seines Herrschers", so schrieb Friedrich im „Antimachiavell". Der Kronprinz fürchtete keinen Aufruhr, schon gar nicht in Preußen. Aber er hatte aus der Erhebung der Niederländer gegen den spanischen Absolutismus gelernt, dass eine alles Maß übersteigende Gewaltherrschaft zu Aufruhr und Empörung führen kann. Sie zu vermeiden, musste sich ein Herrscher angelegen sein lassen. Aus Friedrichs Worten sprach - wenn auch unbewusst - ein Gefühl schwindender Sicherheit, noch ehe der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg und die Französische Revolution den Monarchen Europas die Gefahr ihres eigenen Untergangs vor Augen führten. Wie ein Seismograph reagierten er und andere Vertreter der herrschenden Klasse auf die noch kaum spürbaren Veränderungen ihrer Zeit.
Friedrich überließ im April 1740 die Schrift Voltaire zur Überarbeitung und Drucklegung. Voltaire tat das Seine; aber als das Buch erschien, war es dem Verfasser nicht mehr recht. Am 31. Mai starb Friedrich Wilhelm I. Friedrich II., nunmehr preußischer König, hatte Rücksichten zu nehmen.