Читать книгу Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse , 1. Band - Walter Brendel - Страница 4

Einleitung

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Die Geschichte der Justitia ist untrennbar mit der Geschichte des Rechts und dessen Geschichte mit der von Prozessen und die Prozesse letztlich mit Ausspruch von Urteilen und der Verurteilung selbst verbunden.

Die Justitia, die Personifikation der Gerechtigkeit ist dargestellt mit Schwert und Waage. Später auch mit verbundenen Augen (Zeichen des Urteilens ohne Ansehen der Person). Ist nur ein Auge bei der Justitia verbunden? Sieht sie auf dem anderen Auge nichts oder will sie nichts sehen? Sind es gerechte Urteile, die im Namen des Glaubens, des Königs und des Volkes gesprochen wurden und werden? Fragen über Fragen. Die hier nachfolgend aufgeführten Berichte wollen versuchen, diesen Fragen nachzugehen.

Große, berühmte Prozesse spiegeln als Momentaufnahmen ihrer Epoche immer ein Stück Geschichte wider. Bis heute haben Gerichtsverfahren nichts an Reiz eingebüßt. Immobilienhaie, Entführer oder Mörder auf der Anklagebank sorgen für großes öffentli-ches Interesse. Wird der Angeklagte wohl eine gerechte Strafe erhalten? Hat er Schuld oder muss er zu büßen? Ob Familiendramen oder politische Verbrechen, es spiegelt sich auch immer ein Stück Rechtsgeschichte darin. Denn das Rechts- oder Unrechtsbewusstsein ist ständigen Veränderungen unterworfen, genauso wie die Gesellschaft und ihre Spielregeln. Ein Prozess im Mittelalter verlief mit Sicherheit anders als ein heutiges Gerichtsverfahren. Auch die Tat und die Strafen haben sich verändert. Wegen Hexerei wird heute niemand mehr verbrannt.

Angeklagt wird, wer gegen momentan geltendes Recht verstößt. Prozesse zeigen schlaglichtartig, wie sich die Ansichten über das, was „rechtens“ ist, geändert haben. Sie sind häufig auch eine Machtdemonstration des Staates, womit die Vertreter der Macht klar machen, wer hier das Sagen hat. Prozesse stehen am Anfang einer neuen Ära, räumen mit der Vergangenheit auf. Sie markieren Epochen, läuten Aufstieg und Untergang von Machthabern und Regierungen ein. Oftmals gehen diese Urteile in die Geschichte ein, leben als Präzedenzfälle fort, an denen sich die Rechtsfindung heute noch anlehnt. Oder sie bleiben als Legende erhalten und beflügeln die Fantasie der Menschen. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Prozesse und Rechtsfälle den Literaten Stoff gegeben haben: die Kindsmörderin oder der zu Unrecht Verurteilte.

Obwohl ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich das Rechtsbewusstsein von der Antike bis zur heutigen Zeit grundlegend gewandelt hat, bleibt auch vieles unverändert: „Du sollst nicht töten!“, heißt es damals wie heute. Umso Aufsehen erregender, wenn jemand gegen diese Rechtsnorm verstößt. Der bekannteste deutsche Serienmörder, Fritz Haarmann, trieb in den 20er-Jahren sein Unwesen in Hannover. Er hat an schauriger Berühmtheit bis heute noch nichts eingebüßt. Bei dem Prozess wurden grausame Details bekannt.

Oft werden politische und gesellschaftliche Umstürze durch spektakuläre Prozesse unterstützt und publikumswirksam durchgesetzt: Beispielsweise kam Adolf Hitler unter anderem mit Hilfe eines inszenierten Prozesses an die Macht (Reichtagsbrand-Prozess). Es gelang ihm, die Tat politischen Gegnern in die Schuhe zu schieben. Doch es gilt als sicher, dass die NSDAP hinter dem Brand stand, die "Täter" nur als Werkzeug dienten. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches waren es wieder Gerichtsprozesse, die einen tiefen Einschnitt in die deutsche Geschichte markierten. In den Nürnberger Prozessen 1946 sprach der Internationale Gerichtshof sein Urteil über 22 Hauptkriegsverbrecher. 1961 wird in einem spektakulären Prozess in Jerusalem der ehemalige SS-Sturmbannführer, Adolf Eichmann, zum Tode verurteilt. Er war verantwortlich für die „Endlösung“ der Judenfrage im Dritten Reich.

Ein politischer Prozess ist auch der Honecker-Prozess, in dem die Bundesrepublik mit dem Staat DDR abrechnet: Erich Honecker, ehemaliger Staatschef der DDR, wurde 1992 angeklagt wegen Totschlages in 13 Fällen, bei denen Menschen bei der Flucht in den Westen getötet worden waren.

Es gibt aber auch viele Beispiele, in denen die soziale Struktur der Bevölkerung eine Rolle spielt: Spektakuläre Kriminalfälle erregen immer auch dann großes Publikumsinteresse, wie die Mordanklage gegen den ehemaligen Footballstar O. J. Simpson, wenn der Angeklagte berühmt, aber auch Angehöriger einer bestimmten Rasse ist. Der Ausgang dieses „Krimis“ bot den Medien monatelang Stoff.

Die elektronischen Medien geben in jüngerer Zeit den Zuschauern die Gelegenheit, „live“ dabei zu sein, wie bei dem Prozess gegen den ehemaligen Footballstar. Kamerateams übertrugen nicht nur die Verfolgungsjagd, sondern auch die gesamte Gerichtsverhandlung. Die Geschworenen mussten sich verpflichten, für die Zeit der Verhandlung weder fernzusehen noch Zeitung zu lesen. Der Prozess spaltete die amerikanische Nation in zwei Fraktionen: in diejenige, die ihn für schuldig hielten (überwiegend die weiße Bevölkerung) und in die, die meinten, er sei unschuldig (vor allem die schwarze Bevölkerung).

Welche Auswirkungen Gerichtsurteile haben können, war 1992 deutlich geworden. Der Freispruch der Polizisten, die den dunkelhäutigen Amerikaner Rodney King brutal zusammenschlugen, löste Rassenunruhen in Los Angeles aus.

Serienmörder, zum Beispiel, erfuhren im Deutschland des 20. Jahrhunderts großes Interesse, das sich in verschiedenen Medien manifestierte: Zeitungen, Zeitschriften und mit fortschreitender Technisierung Hörfunk und Fernsehen berichteten ausführlich über ihre Auffindung und Verurteilung. So forderte z.B. der Fall des vierfachen Jungenmörders Jürgen Bartsch die bundesrepublikanische Gesellschaft in besonderem Maße: Denn selten gab es in der deutschen Rechtsgeschichte einen Prozess, in dem so viele Gutachter aus den verschiedensten Fachgebieten hinzugezogen worden waren. Das Interesse und die Ratlosigkeit von Psychologen, Psychiatern, Sexualforschern, Psychoanalytikern und anderen Experten waren groß. Ebenso groß war die Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit am Fall Bartsch.

Eine emotionsgeladene Berichterstattung der Medien ging einher mit einem gesellschaftlichen Klima der Angst und mit verstärkten Abgrenzungsmechanismen innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung: Von der Straße klangen die Rufe nach „aufhängen“ oder „totschlagen“, und auch das Gericht war erkennbar befangen von dem kollektiven Angsttrauma einer Gesellschaft, die nichts anderes wollte, als sich vor einem solchen Monstrum in Menschengestalt auf Dauer geschützt zu sehen. Ähnliches ließ sich in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts im Zusammenhang der Ermittlung und Verurteilung des bereits erwähnten Serienmörders Friedrich Haarmann beobachten. Die enge Wechselwirkung von gesellschaftlichen Interessen und furioser Berichterstattung beeinflusste allem Anschein nach den Verhandlungsverlauf und das richterliche Urteil.

Eine wichtige Rolle spielen auch die Zeugen. Von idealen Zeugen können Richter und Kriminalisten in der Realität nur träumen. Schon häufig bewiesen DNS-Analysen in den USA, dass Verurteilte als Täter gar nicht in Frage kamen. Dabei hatten in mehr als 75 Prozent dieser Fälle Zeugenaussagen zur Verurteilung geführt. Auch in Deutschland werden Justizirrtümer häufiger durch falsche Zeugenaussagen verursacht als durch alle anderen Gründe zusammen, so Günter Köhnken, Vernehmungspsychologe an der Universität Kiel. Dabei sind absichtliche Lügner eher selten. Ohnehin sind diese für einen Experten oft leichter zu entlarven als diejenigen Zeugen, die sich irren und selbst davon überzeugt sind, die Wahrheit zu sagen. Denn unzählige Kleinigkeiten beeinflussen das individuelle Bild, das sich ein Mensch von der Vergangenheit macht.

In der Ausbildung von Polizisten und Kriminalisten spielt die Psychologie der Vernehmung mittlerweile eine große Rolle. Für Juristen trifft das jedoch nicht zu. In deren Stundenplänen sucht man vergeblich nach Fächern wie Aussage- oder Wahrnehmungspsychologie und Vernehmungstaktik. Es gibt lediglich die Möglichkeit zur freiwilligen Fortbildung, die aber nur selten wahrgenommen wird. Verdächtigen könne das zum Verhängnis werden, denn mit dem nötigen psychologischen Knowhow ließe sich mancher Justizirrtum verhindern. Teile der hier aufgezeigten Prozesse zeigen, dass die meisten Gerichte einer grandiosen Überschätzung, was ihre Fähigkeiten angeht, Zeugenaussagen zu beurteilen, unterliegen.

Die Rechtsordnung ist die Gesamtheit der Rechtsnormen und ihr zusammenhängendes System samt den aus ihm ausfließenden Gesetzen, die eine Rechtsgemeinschaft konstituieren und für sie gelten. In der Regel hat heute jeder Staat eine eigene Rechtsordnung, z. B. auch alle deutschsprachigen Staaten. Es gibt jedoch - meist geschichtlich bedingte - Verwandtschaften von Rechtsordnungen z. B. der angelsächsische Rechtskreis, zu dem Großbritannien, die USA und viele frühere britische Besitzungen gehören (hier in weiten Bereichen Richterrecht, Gewohnheitsrecht und englische Rechtstradition).

Die Justiz (lateinisch iustitia) beinhaltet die Rechtsprechung im organisatorischen Sinn, die Gerichte und Richter. Die Rechtsprechung wiederum wird als Rechtsprechung im formellen Sinn betrachtet. Dazu gehören der Ausspruch der in Entscheidungsform ergehenden Akte der Gerichte (Urteile, Bescheide, Beschlüsse, Verfügungen) und deren Vorbereitung durch das Gericht.

Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse , 1. Band

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