Читать книгу Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse , 1. Band - Walter Brendel - Страница 6

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Der Fall Elsa Buddenboems

Am 23.07.1627 ordnete der Rat der Stadt Münster die Inhaftierung Elsa Buddenboems , 28-jährige unverheiratete und uneheliche Tochter Gretas zur Steinhorst an. Aufgrund der Denunziation von verschiedenen Geistlichen und der verwandtschaftlichen Beziehung zu einer verurteilten Hexe wird Elsa B. verhaftet und am gleichen Tag verhört. Das eigentliche Verdachtsmoment gegen Elsa B. ergibt sich aus einem Vorfall, der sich im Hause ihrer Vermieterin, der Witwe Clara Conerding zutrug. Die Vermieterin beschäftigte eine Magd, die vom „bösen Feind“ besessen ist. Elsa B. schenkte dieser Magd einen Kupferschilling. Während ein Kapuzinermönch an der Magd den Exorzismus vollzog, soll der Teufel aus der Magd gesprochen haben. Er habe gesagt, das Geld tauge nichts und bezichtigte Elsa B. zudem als Hexe. Der Mönch, der das besagte Kupferstück in Händen hielt, erkrankte kurz darauf und verdächtigte Elsa B. öffentlich. Eine andere Magd aus der Nachbarschaft hält sich für besessen und macht Elsa B. dafür verantwortlich. Des weiteren soll Elsa B. für die Besessenheit einer Frau verantwortlich sein, der sie eine Wegge geschenkt hat. Außerdem sei sie verantwortlich am Tode der Hühner des Heinrich Reer. In einem weiteren gütlichen Verhör wird Elsa B. nach ihren familiären Vorbelastungen und dem eigenen schlechten Ruf befragt. Ihr wird von den Richtherren unterstellt, den Kupferschilling mit einer teuflischen Substanz bestrichen zu haben. Dies wird von Elsa B. bestritten. Elsa B. hatte vor und während der Ermittlungen darum gebeten, die Wasserprobe an ihr vorzunehmen. Diese Bitte wird als weiteres belastendes Indiz gewertet, da die Richtherren in einem früheren Prozess dieses Gottesurteil als Teufelsbetrug deklariert hatten. Ebenso sind sie der Meinung, „Unschuldige hätten es nicht nötig, sich durch solche Mittel ehrlich zu machen“. Gegen den Vorwurf, durch eine heiße Wegge (=Brötchen) Besessenheit verursacht zu haben, wehrt sich Elsa B. vehement. Das Mädchen, das die Wegge verzehrte, sei noch 14 Tage gesund auf der Straße und in der Kirche gesehen worden. Am Tage des Verhörs werden Zeugen zu dem Fall gehört, die Witwe Clara Conerding sowie das Ehepaar Nickhorn.

Zeugenaussagen: WITWE CLARA C.: Der Teufel, der aus ihrer Magd sprach, soll Elsa B. auch für die Besessenheit ihrer Tochter verantwortlich gemacht haben. Ein weiteres Mädchen erkrankte, nachdem sie das Geldstück angefasst hatte, gesundete aber nach der Waschung mit Weihwasser. EHEPAAR NICKHORN: Sie berichten von absonderlichen Krankheiten, von denen sie befallen wurden, als Elsa B. bei ihnen wohnte. Als Weiteres sei zu berichten von einem Geistlichen, der zu jener Zeit bei ihnen wohnte, dem Wundersames widerfuhr. Morgens entdeckte er in seinem Nachttopf Wasser, obwohl er diesen abends vorher entleert hatte.

Der Rat hält diese ausgeschmückten Aussagen für beweiskräftige Indizien und verhängt die Folter an Elsa B. Elsa B., die an Depressionen leidet und Suizid gefährdet ist, hält ihre Lage für aussichtslos. Als ihr am 2.August zu Beginn der Folter die Augen verbunden werden, erklärt sie sich bereit zu gestehen. Sie gesteht, dass sie die Tochter ihrer Vermieterin mit einem Apfel vergiftete, der mit ‘schwarzem Zeug’ vom Teufel versetzt war. Dieses schwarze Zeug befand sich auch auf der Münze und in der Wegge. Nach dem Verlesen des Geständnisses fordern die Ratsherren Elsa B. dazu auf, Mitbeteiligte am Hexentanz zu denunzieren. Sie denunzierte daraufhin eine Mutter mit ihrer Tochter und zwei weitere Frauen. Am 6.August trägt man Elsa B. das „Extrahierte Bekenntnis“ vor, das in 11 Punkten alles umfasst, was sie am 2. August gestanden hatte. Sie bestätigt alles. Daraufhin wird sie zum Tode durch das Feuer verurteilt. Gnadenhalber ließ man sie vorher strangulieren.

Es wäre schön, wenn man den Hexenwahn als eine der vielen abstoßenden, aber Gottseidank vergangenen Epochen der Menschheitsgeschichte abhaken könnte, aber da sollte man sich nicht zu sicher sein. Moderner Hexenwahn ist - zumindest im Abendland - von der religiösen in die politische Hemisphäre übergewechselt und hat sich im 20. Jahrhundert insbesondere in den Stalinschen Schauprozessen 1935-1939 manifestiert. An ihnen ließ sich der klassische Mechanismus Denunziation - Anklage - Folter - erzwungenes Geständnis - Selbstbezichtigung - Hinrichtung in furchtbarem Detail noch einmal beobachten (da die nationalsozialistische Judenverfolgung weder auf eine Prozessordnung noch auf Geständnisse Wert legte, unterscheidet sie sich in wesentlichen Aspekten vom Hexenwahn - nicht allerdings in der Sündenbockfunktion).

Meiner Auffassung nach sollte man mit den Begriffen „Hexenwahn“ und „Hexenjagd“ vorsichtiger umgehen. Die McCarthy-Befragungen der 50er Jahre in den USA - übrigens auch dort heftig umstritten - oder die alberne Berufsverbotdebatte im Deutschland der frühen 70er als „Hexenjagd“ zu bezeichnen, halte ich für verfehlt, genau wie die Bezeichnung „Holocaust“ für israelische Siedlungspolitik (eine doppelte Geschmacklosigkeit) oder das Etikett „Faschismus“ oder „Nazi“ für alles und jeden, das einem irgendwie Rechts vorkommt. Hexenwahn und Holocaust waren entsetzliche Dinge, die Menschen anderen Menschen angetan haben, grauenhafte Verbrechen und Schandflecke der Geschichte. Mit Begriffen dieser Art wirft man nicht herum wie mit Konfetti. Satan ist der Gegenspieler Gottes. Daher ist Satan das personifizierte Böse.

Viele Bibelgläubige halten Satan für ein reales Wesen, einen von Gott geschaffenen Geist. Satan und die Geister, die ihm folgten, rebellierten gegen Gott. Sie wurden von ihrem Schöpfer aus dem Himmel verbannt. Theologen fragen sich, warum der Allmächtige die „gefallenen Engel“ nicht einfach vernichtete, so wie er es angeblich mit seinen anderen Schöpfungen tat, als es ihnen nicht gelang, rechtschaffen zu sein (er rettete nur Noah und seine Familie). Es wurde Satan gestattet, sein eigenes Königreich in der Hölle zu errichten und Teufel in alle Welt zu schicken, um Bekehrungswillige zu suchen. Die Welt der Dämonen scheint nur aus einem einzigen Zweck errichtet worden zu sein: Um die Menschen in Versuchung zu bringen, sich von Gott abzuwenden. Warum Gott es Satan gestatten sollte, dies zu tun, wird im Buch Hiob erklärt. Als Hiob Gott fragt, warum er es zulässt, dass Satan ihn quält, bekommt er eine klare und endgültige Antwort: Wo warst du, als ich die Erde gründete? (Hiob,38,4). Die Geschichte Hiobs wird von Theologen verschieden interpretiert, aber meine Interpretation ist, dass niemand weiß, warum Gott Satan leben und uns quälen lässt. Gott ist Gott und kann tun, was immer Er will. Wer ist's, der den Ratschluss verdunkelt mit Worten ohne Verstand? (Hiob,38,2).?

Als geistiges Wesen ist Satan weder männlich noch weiblich; er wird jedoch meist, wie sein Schöpfer, als männliches Wesen bezeichnet. Viele glauben, dass Satan – oder der „Teufel“, wie er oft genannt wird – in Menschen „einfahren“ kann. Diese „Besessenheit“ ist die Übernahme des Körpers durch den Teufel. Die katholische Kirche führt auch heute noch Exorzismen bei jenen durch, die man für besessen hält. Von Jesus wird gesagt, er habe Dämonen gebannt, d.h. Exorzismen durchgeführt, und die Kirche behauptet von sich, von Jesus dieselbe Macht erhalten zu haben. In all den Jahrhunderten glaubten viele Fromme, Menschen mit bestimmten geistigen oder körperlichen Erkrankungen seien von Satan besessen.

Häufiger als direkte Besessenheit war jedoch immer die Beschuldigung, jemand habe Umgang mit dem Teufel. Satan werden viele Superkräfte zugeschrieben, unter ihnen auch die Fähigkeit, sich als Mensch oder Tier auszugeben. Dieser Umgang wurde als häufig rein körperlicher und meist sexueller Natur betrachtet. Für den größten Teil der Geschichte des Christentums gibt es Berichte von Satan, der Sex mit Menschen hat, entweder als Incubus (männlicher Teufel) oder als Succubus (weiblicher Teufel). Hexen und Zauberer galten bei vielen als die Frucht dieser Verbindungen. Sie wurden als besonders bösartig gesehen, da sie einige der teuflischen Kräfte erbten.

Carl Sagan zufolge sind Berichte von teuflischem Geschlechtsverkehr häufige kulturelle Erscheinungen:

Parallelen zu den Incubi sind etwa die arabischen djinni, die griechischen Satyre, die Bhut der Hindus, die samoanischen hotua poro, die keltischen dusii ... (Sagan, 124).

Als Kind jedoch, das von den Wegen Satans durch Dominikanerschwestern unterrichtet wurde, wurden mir Geschichten von Nonnen, die von als Priestern verkleideten Incubi vergewaltigt wurden, absolut nicht erzählt. Der Teufel war da, um uns zur Sünde zu verleiten, Punkt. Er war nicht da, um mit uns zu schlafen oder Reproduktionsexperimente durchzuführen, um eine Rasse von Hexen und Magiern auszubrüten. Natürlich würden seine wichtigsten Versuchungen sexueller Natur sein. Ohne jeden Zweifel verbrachte er viel Zeit damit, Mädchen dazu zu bringen, Jungen zu unreinen Gedanken oder Taten zu verführen. Während der Pubertät würde er ständig in unseren Gedanken herumspuken und Verlangen nach sexuellen Erfahrungen einpflanzen, die viel zu böse waren, um sie zu erwähnen, geschweige denn zu machen. Ich denke, der Fairness halber hätte man den Mädchen beibringen sollen, sich vor Jungen zu hüten, die sie – unter Verwendung jeder Schliche, die der Teufel zu bieten hat - dazu bringen wollten, der sexuellen Versuchung nachzu- und „sich herzugeben“. Aber den Mädchen erzählte man, sie seien die Verführerinnen und daher diejenigen, die man davon abhalten müsse, den Jungen mit ihren weiblichen Reizen zu schaden. Man lehrte uns, ständig zu beten und die Heiligen sowie die Heilige Mutter Gottes darum anzuflehen, einzugreifen und uns Schutz vor den Schlingen des Satans zu gewähren. Es muss zahlreichen Beobachtern aufgefallen sein, dass die Angst vor Satan sehr stark an die Angst vor der eigenen Sexualität erinnert.

Trotz der Information, die wir über den Alten Bösewicht erhielten, erinnere ich mich nicht daran, jemals von Papst Innozenz VIII. und seiner Jagd auf Hexen und Häretiker gehört zu haben. In seiner Bulle verkündete dieser Inhaber des Stuhles Petri, dass „böse Engel“, also Teufel, Geschlechtsverkehr mit vielen menschlichen Wesen, Männern und Frauen, hätten. Er war nicht der erste, der auf eine solche Idee kam; schon andere vor ihm, etwa Thomas von Aquin (1227-1274), hatten dieses Gebiet schon sorgfältig erforscht. Thomas macht uns darauf aufmerksam, dass der Teufel, da nicht menschlich, keinen menschlichen Samen produzieren kann. Daher muss er sich in eine Frau verwandeln, einen Mann verführen, seinen Samen aufbewahren, sich in einen Mann verwandeln, eine Frau verführen und ihr den Samen einpflanzen. Etwas von der Essenz Satans wird dabei auf den Samen übertragen, daher ist der Nachwuchs nicht ganz normal. Offenbar brauchte Satan eine Ewigkeit, bis es ihm dämmerte, dass der beste Weg zur Weltherrschaft die Reproduktion mit Menschen sei; die Übernahme unserer Körper schien ihm wohl effizienter als die Übernahme unseres Geistes. Doch der Papst und viele andere fromme Männer hatten einen Plan, um diesen teuflischen Nachwuchs ein für alle Mal auszuradieren: Foltern und Verbrennen! Gegen Terror hilft nur Terror! Man kann doch gegenüber dem Teufel nicht ins Hintertreffen geraten. Tatsächlich reicht das sadistische und abartige Verhalten der heiligen und frommen Inquisitoren beinahe dazu aus, einen Skeptiker zum Glauben an Satan zu bewegen. Die Inquisitoren waren teuflisch genug dafür.

Einer der interessanteren Aspekte der Satanologie ist das wiederkehrende Thema des Menschen, der einen Pakt mit Satan eingeht. Die Faust-Legende ist die bekannteste Version: Im Austausch für seine Seele schenkt Satan ihm Reichtum oder Macht für eine gewisse Zeitspanne. In den meisten Fassungen legt Faust den Teufel aufs Kreuz und drückt sich vor der Bezahlung; im Original jedoch tötet und verstümmelt der Teufel Faust am Ende der Vertrags-dauer. Sein Gehirn wird an der Wand seines Zimmers zermatscht, seine Augen und Zähne liegen auf dem Boden, und sein Leichnam liegt draußen auf einem Misthaufen.

Heute gibt es immer noch Menschen, die daran glauben, Satan sei ein reales Wesen, aber man hört kaum noch Geschichten von Incubi und Succubi. Am nächsten kommen ihnen Berichte von Entführung durch Außerirdische und von Sternenkindern. Glück-licherweise – für moderne Opfer dieser Entführungen mit vergleichbaren Erzählungen von sexuellen Experimenten, wobei die Aliens Satans Platz einnehmen – gibt es heute keine Kirche mehr, die sie verfolgt, foltert oder ausradiert. Stattdessen gibt es einen aufnahmebereiten und wachsenden Markt für ihre Geschichten und Massenmedien, die mehr als willens sind, diesen Markt zu bedienen.

Leider sind die Nachkommen der alten Inquisitoren immer noch vorhanden. Sie scheinen – außer ihrer Freude an Folter und Mord – nur eines gemeinsam zu haben, und zwar eine Vorliebe für Uniformen: militärische, polizeiliche, gerichtliche oder klerikale. Doch diese Gemeinsamkeit ist trügerisch, da es viele Menschen in Uniform gibt, die nicht foltern und morden, und unglücklicherweise auch nicht wenige, die auch ohne Uniform freudig Grausamkeiten begehen. Die Uniform scheint für die sadistischen Inquisitoren aller Zeitalter wenig mehr als ein Tarnkleid oder ein Vorwand zu sein, den man der Welt präsentieren kann.

Es ist allerdings bemerkenswert, dass viele dieser Mörder und Folterer eine Notwendigkeit spüren, zumindest so zu erscheinen, als täten sie Gutes, während sie ihre Schreckenstaten begehen. Die Motivation, die den modernen Terroristen oder ethnischen Säuberer dazu bringt oder die alten Hexenjäger dazu brachte, Menschen zu vernichten, scheint dieselbe zu sein, die die frommen Killer der Inquisition antrieb. Vielleicht gibt es Satan ja doch – in den Seelen dieser guten Menschen, die für ihre noble Sache kämpfen.

Aus philosophischer Perspektive betrachtet basiert der universelle Glaube an böse Dämonen auf dem Bedürfnis, die ungeheure Menge an moralischem und physischem Bösen zu erklären, das den Menschen durch seine ganze Geschichte begleitet hat. Ich vermute auch, dass Teufel auf ihre Art dazu dienen, unsere eigenen bösen Handlungen zu entschuldigen und unser Verantwortungsgefühl für den Schaden, den wir anrichten, abzuschwächen. Psychologisch gesehen könnten Dämonen eine Projektion unseres Selbst sein, der schlimmste und/oder meistgefürchtete Teil unseres Wesens. Aus literarischer Sicht müssen Dämonen existieren; gäbe es sie nicht, müssten wir sie erfinden. Sie scheinen grundlegend für einen großen Teil unserer Erzählungen zu sein – grundlegender vielleicht als ihre guten Gegenstücke.

Das Schwachwerden der christlichen Religion hat auch Satan erfasst. Es ist kein Zufall, dass Satan den Zenit seiner Macht im dreizehnten Jahrhundert erreichte, als die Kirche auf dem Höhepunkt war. Im Mittelalter nahm man an, der Teufel habe den Hadrianswall zwischen Schottland und England errichtet, riesige Steine für den Bau von megalithischen Steinkreisen und Dolmen bewegt oder Brücken wie die von Saint-Cloud und die Pont de Valentre bei Cahors gebaut – für den Preis der Seele desjenigen, der als erster die Brücke überschreite. Satan konnte Magie wirken, aber man darf dabei nicht vergessen, dass die ganze christliche Religion magisch ist mit ihren Sakramenten, die vor Satan schützen und die Brot und Wein in Jesus Körpersubstanz verwandeln, Wundern, die die natürliche Ordnung zum Guten wie zum Bösen auf den Kopf stellen, oder mit der Wiederauferstehung der Toten und dem Versprechen des ewigen Lebens. Satan repräsentiert das Gegenteil dieser Ordnung: Schwarze Magie, Pakte mit dem Teufel, Wunder gegen die natürliche Ordnung, das Versprechen ewiger Jugend und wundersamer Superkräfte. Diese satanische Ordnung war die Schöpfung der Kirche, notwendig zur Festigung ihrer eigenen Macht über die Welt. Ketzer, Hexen und Zauberer waren eine Bedrohung der von der Kirche angestrebten Herrschaft. Sie mussten ausgelöscht werden. Mit der Zunahme der Zahl und der Macht der Kirchenfeinde nahm auch der Terror zu, und der Einfluss der Kirche wurde fester und fester etabliert.

Als die Macht des Christentums als dominanter sozialer und politischer Kraft in der westlichen Kultur nachließ, geriet auch Satan in eine Krise. Im achtzehnten Jahrhundert waren, zumindest in Europa, die Scheiterhaufen für die Hexen und Ketzer beinahe erloschen. Heutzutage würden es die meisten Menschen in der christlichen Welt für primitiv und barbarisch halten, einen Menschen dafür zu verfolgen oder zu töten, dass er mit Satan Umgang hat. Auch diejenigen, die angeblich Böses im Namen Satans tun, werden wegen des Bösen verfolgt, das sie tun, nicht wegen ihrer teuflischen Verbindungen. Die meisten Polizeibeamten würden heutzutage, wenn konfrontiert mit einem von Satanisten begangenen Verbrechen, die Straftäter als geistig gestört betrachten und nicht davon ausgehen, dass sie wirklich mit jenseitigen Kräften zu tun haben.

Wenn man davon ausgeht, dass der Aufstieg der modernen Natur-wissenschaften viel mit dem Sturz der christlichen Kirche von ihrer einflussreichen Position innerhalb der westlichen Kultur zu tun hatte, dann muss man es zum Teil der Wissenschaft anrechnen, dass Satan aus dem westlichen Bewusstsein exorziert wurde. Natürlich ist der Teufel noch nicht erledigt: Er erhält seine Macht von Gott, und mit Gottes Schwächerwerden geht auch Satans einher. Eines Tages werden Gott und Satan vielleicht nur mehr machtlose Fremde für die menschliche Phantasie sein. Aber man sollte sich nicht darauf verlassen. Viele Theisten glauben auch heute noch, dass die Übel der modernen Welt – von denen es reichlich gibt, wie wir alle wissen – zurückzuführen sind auf das Erstarken Satans und den Rückgang des religiösen Denkens. Wenn es nach ihnen ginge, würden wir alle mehr und häufiger beten, um gegen die Schlingen des Teufels vorzugehen. Andere Menschen – etwa der Autor – sind eher der Meinung, dass wir mehr von diesen frommen Menschen zu fürchten haben als von Satan und seinen Bewunderern. Einige könnten sich versucht fühlen, diese frommen Anhänger des gesetzlich verordneten Schulgebets für Teufel in Verkleidung zu halten. Soweit würde ich nicht gehen, doch wenn man an diejenigen Kinder Gottes denkt, die Menschen in Abtreibungskliniken ermorden, dann stellt sich die Frage, wozu Satan eigentlich noch gebraucht wird. Tatsächlich würden Satan und seine Truppe, kehrten sie denn zur Erde zurück, herausfinden, dass viele gute Jobs für Teufel jetzt von den Frommen dieser Welt übernommen wurden.

Schließlich gibt es noch die modernen Satanisten, die Trost und Machtgefühl in okkulter Magie finden, vor allem aber in allem, was irgendwie antichristlich ist. Sie beziehen ihre Anregungen aus den großen Werken der Kunst, Literatur und Dichtung, die vor allem von frommen Christen geschaffen wurde, um sie in ihrem eifrigen Kampf gegen ihre Feinde zu unterstützen, aber auch aus vorchristlichen Kulten wie dem ägyptischen Set-Kult oder aus den Werken nichtchristlicher Okkultisten wie Aleister Crowley und Anton La-Vey.

Die Satanisten des 21. Jahrhunderts werden von frommen Christenmenschen gelegentlich beschuldigt, rituell Kinder zu ermorden, Tiere zu verstümmeln und zu töten, Rückwärtsbotschaften auf CDs zu verstecken, mit denen Menschen zum Töten programmiert werden, subliminale oder geheime Botschaften in teuflischen Symbolen auf Pizzaschachteln und Seifenkartons zu verbergen, etc etc, alles mit dem Zweck, Moral und Zivilisation endgültig in die Knie zu zwingen. Die Beweise dafür, dass Satanisten so böse und mächtig sind, wie ihre Feinde behaupten, sind nicht sehr gut, diejenigen für die Macht und Verruchtheit der Frommen allerdings schon. Man erinnere sich an die Hexenjagden der letzten Jahre gegen Erzieher, Eltern und Verwandten von Kindern. Die Beweise sprechen dafür, dass diese Frommen häufig und zu Unrecht viele Menschen des satanischen rituellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt haben. Dabei wurden sie unterstützt von hingebungsvollen Therapeuten und gläubigen Polizeibeamten und Staatsanwälten.

Die Möglichkeit des Hexenwahns wird immer bei uns bleiben und darf niemals als „überwunden“ angesehen werden. Als Mischung aus Angst, Fremdenhass, Gier, sexueller Unterdrückung, Freude am Schauspiel, Neigung zu blindem Gehorsam und zu religiöser Überzeugung ist er sozusagen eine Synthese von Eigenschaften, mit denen der Mensch von Haus aus leben muss..........( der Verstand ist eine Ansammlung von informationsverarbeitenden Systemen, die von der natürlichen Selektion entworfen wurden, um adaptive Probleme zu lösen, die sich unseren Jäger-Sammler-Vorfahren stellten.

Die Jungfrau von Orleans

Über 500 Jahre sind seit der Hinrichtung der Jungfrau Jeanne d'Arc verflossen. Heute wie nie steht sie uns in überzeitlicher Verbundenheit so nahe. Ihr kurzes Leben war Kampf und Opfer, war Sieg, Martyrium durch den Neid und den Wankelmut der Menschen. Tief ergreifend sind die historischen Quellen. Sie sind ursprünglich, sie sind kritisch, sie sind mannigfaltig, sie sind verbürgt: Ursprünglich, da die Aussagen von ihr selbst und den Zeitgenossen stammen; kritisch, da es Zeugnisse aus harten Prüfungsstunden sind; mannigfaltig, da ihre Träger aus Volk und Adel und der Geistlichkeit, Vertreter vieler Berufe sind; verbürgt, da die Jungfrau selbst zum Zeugnis der Wahrheit das Leben hingab und die Makellosigkeit der Urteile standhielt vor lauteren Gewissen der Ritenkongregation.

Aus den festbewehrten Städten des 15. Jahrhunderts ragen allerorts in Frankreich die hohen Türme gotischer Kirchen und weitläufiger Klosterbauten hervor. Wie abgeschlossene Inseln muten sie an, diese Städte mit Mauerkranz und Wachttürmen, mit Laufgräben und Zugbrücken. Starke, schöne Einheit des Stils! Schon dräuen Wetterwolken all überall! Traurige Kunde vom abendländischen Schisma dringt nach Frankreich herüber, die Türkengefahr steigt wiederum am Horizont christlicher Staaten Europas auf. Frankreichs Erde aber zerstampfen englische Truppen im Norden bis zur Loire, im Süden aufwärts, nimmer weit entfernt vom nämlichen Flussgebiet. Es ist der unselige Krieg, den der englische König Eduard III., durch seiner Mutter Geschlecht aus dem Hause der Capetinger Anwartschaft heischend auf den französischen Thron, eröffnet hat mit den furchtbaren Schlachten bei Sluys 1340 und Cressy 1346 und Poitiers 1356, den Heinrich V. nun fortsetzt mit dem Sieg zu Agincourt 1415 und besiegelt mit dem ungeheuerlichen Vertrag zu Troyes, der bestimmt, dass er die Tochter des französischen Königs heirate, für den kranken König Philipp VI. die Regentschaft führe und bei seinem Tode Frankreichs Herrscher werde. Königin Isabeau von Frankreich gibt eigenes Land und eigenen Erbfolger, den jungen Dauphin Karl verloren. - Mehr noch des Unglücks! Der mächtige Herrscher von Burgund droht im Osten das Vaterland zu zerreißen. Nichts will er mehr von Versöhnung wissen, seit aus dem Gefolge der Königlichen einer seinen Vater ermordete. Was im großen sich abspielt, erlebt der Grenzwinkel Frankreichs: Lothringen, im kleinen. Geplänkel der Königstreuen, Armagnac und Burgund, kleinerer Fürsten. Im Bereich des Dörfchens Domremy an der Maas tragen selbst die Kinderkriegsspiele blutige Ausgänge davon. So sind die kleinen Köpfchen erhitzt durch eigenes Schauen, durch das Tagesgespräch der Eltern. Was aber geht vor am 6. Januar 1412? Das 12jährige Kind Jeannette sieht oft ihre Eltern im ernsten Gespräch und hört ihre trüben Worte vom Niedergang französischer Waffen, von Raub und Mord, von der Unsicherheit der nächsten Wege, ach, und von Geistlichen, die ihre Pflichten versäumen und mehr auf die Ehre ihres Amtes und ihr eigenes Vorwärtskommen als auf das arme, verzweifelte Volk sehen, das aller Willkür preisgegeben ist! Wie nun die Historiker berichten, hört Jeannette eines Tages im Garten zweimal ihren Namen rufen: Sie schaut zur Kirche hinüber. Da umgibt sie plötzlich ein Licht, - und aus dem Lichte heraus strahlen ihr Gestalten entgegen, und sie erkennt besonders deutlich eine, die edle, sanfte Züge hat. Die spricht zu ihr mit lieber und doch hoheitsvoller Stimme: „Jeannette, Jeannette, sei gut und fromm! Liebe Gott, besuche die Kirche!“ Angstvoll fällt sie auf die Knie.

Die Erscheinungen wiederholen sich, bis eines Tages der Anführer der himmlischen Heerschar sich offenbart: „Ich bin Michael, der Beschützer Frankreichs!“ - Das Kind macht eine tiefe Verneigung. Der Erzengel enthüllt er ihr ein trostloses Bild vom tiefen Unglück ihres Vaterlandes. Frankreichs Lage wird immer düsterer und auch die „Lothringischen Marken“ werden vom ehernen Schritt des Krieges nicht verschont. Der Jungfrau Name war nun nicht mehr unbekannt im Lande. Der kranke Herzog von Lothringen, Karl II., verlangte das Mädchen zu sehen. Mit Begleitschaft zog sie dahin, kehrte zurück, nachdem sie sich für seine verstoßene Gemahlin verwandt, mit reichem Geldgeschenk und einem Rappen aus dem herzoglichen Marstall bedacht. Bald schlägt die Stunde des Erfolges. Sie tritt vor Baudricourt hin und sagt ihm in aller Bestimmtheit Tag und Umstände der Schlacht bei Rouvray voraus: „Im Namen Gottes, Ihr zögert zu sehr, mich zu senden. Heute hat der edle Dauphin bei Orleans großen Schaden gelitten. Und er wird Gefahr laufen, noch größeren zu erleiden, wenn Ihr mich nicht bald zu ihm schickt.“ Ihre Vorhersage bestätigte sich. Jeanne la Pucelle - Johanna, die Jungfrau, wie sie von jetzt ab genannt wird - stand offensichtlich unter Schutz. Ein böser Anschlag unwilliger Fahrtgenossen, denen es zu wenig dünkte, ein Mädchen zu geleiten, wurde verhindert. Beim Empfang auf dem Königsschloss will man sie irreführen, sie aber findet den Dauphin unter allen heraus. Als Zeichen ihrer Sendung von Gott offenbart sie ihm seine Gebete, beruhigt ihn über seine Zweifel, tut ihm kund, dass sie gekommen sei, sein Königreich zu retten. Da schenkt der König ihr Glauben. Es wird ihr ein Gemach in seinem Schloss angewiesen, er übergibt sie der Obhut einer der edelsten Frauen am Hofe und bestimmt Ludwig von Coutes ihr als Pagen. Bald nun tritt Jeanne den Großen des Reiches näher, immer die weibliche Würde wahrend, aber furchtlos und bestimmt. So werden ihr Freunde und Feinde im Rate des Königs. Die Guten halten sich zu ihr, wer aber eigenes Interesse über das Wohl des Ganzen stellt, wird ihr lauteres Wesen nicht verstehen können, ja, sie hassen. Marie von Anjou, die junge Gemahlin des Dauphins, und der Herzog von Alençon gehören zu den ersteren, wie auch der Beichtvater des Dauphins Gérard Machet, anders aber verhalten sich Georg von la Trémoïlle, der mächtige Günstling von Karl VII. und Regnault von Chartres, Erzbischof von Reims und Frankreichs Kanzler.

Es handelte sich um eine Tat von weltgeschichtlicher Bedeutung. Der Dauphin durfte sich als der verantwortungsvolle Repräsentant von Frankreichs Krone unter keinen Umständen vor anderen Nationen bloßstellen. So ordnet er die genaue Prüfung von Jeannes Aussagen durch hervorragende Geistliche und Laien an; ihre Sitten lässt er durch die Mutter seiner Gemahlin, Königin Yolande von Sizilien, überwachen; Boten schickt man in die Heimat des Mädchens, über sie und die Familie nachzuforschen. Alles fällt zur Zufriedenheit aus. Der König aber beruhigt sich noch nicht. Ein erweiterter Rat tritt in Poitiers zusammen, der soll den Glauben der Jungfrau prüfen. Jeanne wird dorthin beschieden. Ein paar Züge seien vermerkt. Der Erzbischof Regnault von Chartres führt den Vorsitz, ein Unterpfand, dass die Prüfung kritisch ist und Jeanne keinen leichten Stand hat. Die Sitzungen finden im Hause eines bedeutenden Rechtsgelehrten, Jean Rabateau statt, im nämlichen, wo Jeanne Wohnung genommen hat und zahlreiche Besuche aus allen Ständen empfängt. Dreizehn Tage dauerten die Verhandlungen; am Schlusse konnte man nicht umhin, als Endergebnis in den Worten „Es hieße dem Heiligen Geiste widerstehen und sich der Hilfe Gottes unwürdig machen, wollte man noch länger zögern.“ Die Waffenrüstung wird vom Dauphin in Tours beordert. Sie wird in den Grafenstand erhoben. Ihr Gefolge wird erweitert. Johann von Aulon wird ihr Waffenmeister. Sie wird dem Heere als Führerin zugeführt. Aber die Hauptleute spotten über sie und murren über des Dauphins Anordnungen. Da tritt La Hire, einer der tapfersten Ritter, vor und schwört, ihr mit seiner Kompagnie zu dienen, möge sie diese führen, wohin immer sie wolle. Das Beispiel wirkte; der Widerstand war gebrochen. Nun bereitete Jeanne die Soldaten zum Kampf vor - anders, als andere Heerführer es bisher getan. Am 27. April 1429 brach die Truppe von Blois nach Orleans auf. Voran schritt die Geistlichkeit, Hymnen singend, unter der Fahne des Gekreuzigten. Am Mittag des 28. April kamen die Mauern von Orleans in Sicht.

Am 6. Mai zieht sie an der Spitze von 4000 Mann aus der Stadt. Es gilt, die schreckenerregende Festung „des Augustins“ einzunehmen. Kampfessturm, Kampfesnot. Schon hat die Jungfrau die Fahne auf den Wall gepflanzt, da geht ein Erschrecken durch die Reihen - man flieht vor der Überzahl der Gegner -, nur noch 5 oder 6 Krieger sind bei der Jungfrau und diese ziehen sie mit Gewalt zurück. Nicht lange hält sie es, da geht sie mit La Hire und anderen Hauptleuten zum Gegenstoß vor. Erstaunen und lähmender Schrecken und sinnlose Flucht auf der Seite des Feindes. Jeanne pflanzt zum zweiten Male ihr Banner auf; ihre Verwundung achtet sie nicht. Die Bastille ist gewonnen. - Kriegsrat wird am Abend gehalten. Der Lebensmittel sind genug, Verstärkung hat der Dauphin versprochen. Am Morgen des 7. Mai hört Jeanne die heilige Messe, zieht die Waffenrüstung an und verlässt nüchtern das Haus. Auf Befehl des obersten Rates aber hat man das Tor de Bourgogne verriegelt, Raoul von Gaucourt ist der gestrenge Hüter. Die „Jungfrau“ lässt das Tor öffnen, sammelt die Hauptleute außerhalb Orleans, von selbst folgen die anderen. Der Kampf beginnt. Jeanne nimmt eine Leiter und versucht, damit den Wall zu erklettern - ein Pfeil trifft sie. Sie sinkt zurück und das Blut entfließt ihrer Wunde. Sie selbst zieht den Pfeil heraus, - dann beichtet sie unter Tränen. Den Augenblick benutzen die Generale zu kurzem Kriegsrat. Einstimmig ist der Beschluss: „Zurück!“ Jeanne bittet um Verzögerung! Aber der Bâtard von Orleans lässt schon zum Abmarsch blasen. Da fährt Jeanne zusammen, sie springt auf, nicht achtend ihrer Wunde, und mit aller Bestimmtheit, der niemand wagt entgegenzutreten, erklärt sie: „Im Namen Gottes, bald werdet Ihr in das Fort des Tourelles einziehen. Wenn Ihr meine Standarte gegen die Bastille wehen seht, ergreift die Waffen, sie ist Euer! Nun aber ruht Euch noch aus, trinkt und esst, um neue Kraft zu schöpfen.“ Man gehorcht. Sie selbst steigt zu Pferde, übergibt ihre Fahne d'Aulon. Orleans Bewohner haben eine Brücke geschlagen. Nikolaus von Giresme eilt darüber hinweg, legt eine Sturmleiter an die Feste Tourelles an; - Jeanne dringt von der anderen Seite ein, - pflanzt hoch auf die Zinne ihre siegreiche Standarte. Noch verweilt sie zur Vorsicht ein paar Stunden in der obersten Feste. - Te Deum laudamus! - läutendie Kirchenglocken von nah und fern. Nun zieht sie in Orleans ein, wie sie vorhergesagt, über die Brücke der Loire. Die Engländer halten am 8. Mai schweren Kriegsrat. Verloren ist ihnen die Bastille Saint Loup rechts der Loire, verloren die festen Stützpunkte des Augustins, les Tourelles. Wohl verblieben ihnen im Westen noch Forts, stark befestigt und verteidigt durch treffiche Artillerie. Die Führer streuten ein Wort in die Reihe der Soldaten, ein Wort, das ihnen die Furcht nehmen sollte: Hexe nannten sie die Jungfrau. Die Universität in Paris sollte der gemeinen Verleumdung den nötigen Nachdruck geben. Kriegsrat wurde gehalten. Talbot verordnete: die Truppen verlassen die Bastille, stellen sich in Schlachtreihe auf. Unterdessen weilt der Dauphin Karl inmitten seiner Familie auf dem königlichen Schloss in Chinon. Er sendet Siegesbotschaft hinaus. In einem Brief an die Bewohner von Narbonne zeigt sich seine Dankgesinnung Jeanne gegenüber: „Ihr könnt nicht genug die hohen Taten und wunderbaren Handlungen der Jungfrau, die persönlich zur Ausführung der großen Dinge gearbeitet hat, ehren.“ Zwei angesehene Würdenträger der Kirche sprechen offiziell ihr Urteil über Jeanne als die Gottgesandte aus: es sind der Johann Gerson und der Erzbischof von Embrun, Jakob Gélu.

Am 11. Juni erreicht Jeanne, gefolgt vom Herzog von Alençon, Dunois, La Hire, Gaucourt und anderer Führer, Orleans. Im Sturm wird die Stadt genommen. Graf Suffolk ergibt sich als Gefangener. Mit mildreicher Sorge lässt Jeanne ihn und seine Begleitschaft in Sicherheit bringen. 6-700 tote englische Krieger decken das Schlachtfeld. Währenddessen aber genießt der Dauphin auf dem Schloss Sully in vollen Zügen die Gastfreundschaft des eigennützigen Ministers Trémoïlle. Fortwährend sucht dieser Karl vom übernatürlichen Einfluss Jeannes fernzuhalten. Noch kann er nicht den Kriegsruhm des jungen Kindes schmälern. Aber Verwirrung bringen, das kann er schon. Von ihm aufgehetzt, verbietet der Dauphin dem Herzog, den Connetable Richemont als Streiter in die Reihen aufzunehmen. Was nun tun? Draußen stand das englische Heer, ausgerüstet durch Bedford, befehligt von Falstoff. Talbot, in grimmigem Hass, drängt zum Kampf. Die Garnison des Schlosses Beaugency ergibt sich von selbst, - in Eile räumen die Feinde Meung. Verfolgung der Feinde ist diesmal Jeannes Losungswort. Am ersten Juli lagerte man vor den Mauern von Auxerre. Leicht hätte man die Festung einnehmen können. Trémoïlles Rat war ausschlaggebend für den Dauphin. Sie solle ruhig ihre Tore geschlossen halten, wohl aber Lebensmittel für das Heer liefern. Saint Florentin-Brienon, Saint Phal ergeben sich dem angestammten Herrscherhause. Ein schwieriger Fall war Troyes. Wegen des Vertrages mit Burgund verweigerte man den königlichen Truppen den Einlass. Die aber schmachteten schon fünf Tage, da der Proviant ausgegangen war. Am anderen Morgen öffnen sich die Tore der Stadt, im selben Augenblicke, als Jeanne das Zeichen zum Kampfe gibt. Heraus treten der Bischof und angesehene Bürger und bitten um schonungsvolle Übergabe. Welch ein Umschwung! Was war die Ursache? Die Garnison von Troyes hatte das große Feldherrentalent Jeannes erkannt und mit Staunen die allgemeine begeisterte Bereitwilligkeit, ihrer Weisung zu folgen, wahrgenommen. Die englisch-burgundischen Truppen marschierten anderen Tags aus der Garnison. Die Bewohner von Troyes senden Kunde an die Reimser, fordern sie auf, ihren Beispiele zu folgen. Jeanne eilt mit dem Heere voran. Auf ihre Botschaft hin öffnen sich weitere Pforten von Schlössern und Städten dem Einzuge des angestammten Herrschers. Am 22. Mai erfährt Jeanne von den Vorbereitungen von Philipp dem Guten, des Herzogs von Burgund, zur Einnahme von Compiègne. Wilhelm von Flavy, der ehrgeizige und eifersüchtige Gouverneur der Festung rät Jeanne am 23. Mai zu einem Ausfall. Im selben Augenblick läuten die Glocken von Compiègne. Das war ein Zeichen für die Feinde. Heroisch verteidigen sich die Franzosen gegen Burgunder, gegen die Engländer, gegen die Truppen von Johann von Luxemburg. Flavy fürchtete eine Wundertat der Jungfrau. Er ließ die Zugbrücke hochziehen, die Tore schließen, die Artillerie von Compiègne gab keinen Schuss auf die heranstürmenden Feinde. Die Heldin verteidigte sich tapfer mit 5 oder 6 Mann gegen die Übermacht. Keine Hilfe naht. Ein Picarde aus der Kompagnie von Lionel von Wandonne ergreift sie. Mit ihr werden Peter, ihr Bruder, Johann von Aulon, ihr treuer Waffenmeister, Paquerel, ihr Beichtvater und Poton le Bourguignon gefangen genommen. Eine Inquisitionssitzung folgt der andern. Mutig und beherzt, trotz aller schmachvollen Behandlung während eines langen, bangen Jahres Haft, beantwortet Jeanne das immer wieder erneute Kreuzfeuer übelwollenden Verhörs. Die Grausamkeit ihrer Feinde kennt keine Grenzen. Selbst am Tage des Todes steigen die Peiniger in den Kerker; sie möchten so gerne durch verfängliche Fragen der ermatteten Jungfrau irgendeine unsichere Antwort ablauschen, die den Schein des Unrechts trüge und das falsche Todesurteil bemäntelte.

Am 30. Mai 1431 kniet sie denn, so die Überlieferung, und ruft mit lauter Stimme die Gottesmutter und die Heiligen des Paradieses an. Noch einmal bekennt sie feierlich ihren Glauben, erfleht vom Himmel Verzeihung für alle Fehler ihres Lebens, bittet den König um Verzeihung, sollte irgendetwas durch sie geschehen sein, was nicht recht, bittet um Verzeihung alle Umstehenden, selbst die Feinde. Dann bittet sie alle insgesamt um Gebet und die Priester insbesondere um eine Messe für ihre Seelenruhe. Nach einem Kreuz verlangt sie. Dann bekennt sie noch einmal laut und feierlich: „Ich erkläre noch einmal, meine Stimmen waren von Gott. Auf göttlichen Befehl tat ich alles Gute. Nein, nein, meine Stimmen haben mich nicht getäuscht, sie kamen in Wahrheit vom Himmel.“ Sie lässt den Dominikaner hinuntersteigen. „Haltet das Kreuz hoch empor vor meine Augen, bis zum letzten Augenblick.“ Rauch umhüllt sie. Furchtbar soll nun die Rache für die qualvollen Leiden der Jungfrau gewesen sein: Nikolaus Midi, den Prediger auf dem Alten Markt, trifft der Aussatz. La Trémoïlle wird vom Hofe verbannt; an seine Stelle tritt wieder der ein, den er in blindem Hasse verfolgt, Richemont, der Connetable. Der Bischof Cauchon wird auf dem Konzil in Basel exkommuniziert; das Erzbistum Rouen hat er nicht erhalten. Er stirbt eines plötzlichen Todes. Jean d'Estivet findet man ertränkt in einer Kloake. Der englische König Heinrich VI. stirbt, verraten von den Seinen, eines gewaltsamen Todes. Loyseleur wird vom Kapitel zu Rouen verworfen, er stirbt in Basel, wohin er geflüchtet, plötzlich.

Am 21. September 1435 kommt das große Ereignis zustande, dass das Königreich in Staunen versetzt: der Herzog von Burgund versöhnt sich mit Karl VII.; diese Einigung stärkt unberechenbar die Waffenkraft Frankreichs. Am 16. April 1436 nimmt der Connetable Richemont im Namen des Königs Besitz von Paris; am 12. November hält der Herrscher seinen feierlichen Einzug. Der Herzog Karl von Orleans kehrt 1440 aus der englischen Gefangenschaft zurück.

Allmählich unterwirft ganz Frankreich sich dem gesetzmäßigen Herrscher, die Engländer sind vom Lande vertrieben: 1449 kehrt die Normandie in französichen Besitz zurück. 1451 Guyenne. Talbot versucht das Verlorene zurückzuerobern. Am 17. Juli 1453 findet er in der furchtbaren Schlacht bei Castillon den Tod. Am 9. Oktober 1453 nannten die Engländer nur noch ihren alten Seehafen Calais ihr eigen. Karl VII. herrschte nun ganz über das eroberte Land.

Wie mag dem König nur zumute gewesen sein, als er zum ersten Male das wiedereroberte Rouen betrat, den Ort, wo die Heldenjungfrau litt und starb? Die Erinnerungen lassen ihn nicht los. Er erlässt eine Aufforderung an Wilhelm Bouillé, den gelehrten Doktor der Theologie, genaueste Erkundigungen über den Prozess einzuziehen, wegen dem Jeanne, wie er sagt, „durch den großen Hass der Feinde grausam sterben musste“. Auf Betreiben der Familie von Jeanne d'Arc bereitet man in Rom den Rehabilitierungsprozess vor.

Im Dome Unserer Lieben Frau zu Paris warten als Delegierte des Papstes Erzbischof Johann Juvénal des Ursins von Reims und der Bischof Wilhelm Chartier und Jean Bréhal, Inquisitor Frankreichs. Die Pforte tut sich auf und herein tritt eine Dame in Trauer, gestützt auf den Arm ihres Sohnes. Es ist die Mutter von Jeanne d'Arc und deren Bruder Peter. In der Hand hält sie ein Schreiben von Papst Calixtus III. Sie kniet nieder und erzählt unter Schluchzen einfach und schlicht den Lebensgang ihrer Tochter Jeanne und bittet, mit Hilfe ihres Rechtsanwaltes Peter Maugier in Gegenwart noch vieler kirchlicher und weltlicher Persönlichkeiten um Revision des ungerechten Urteils. Die Mutter will sich ganz dem Urteile der Kirche, wie immer es sei, unterwerfen. Am 17. November folgte in ihrem Beisein im bischöflichen Palais eine Beratung der angesehensten Theologen der Zeit. Der folgten Vorladungen der Zeugen. Die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens wurde an den Kirchentüren bekannt gegeben. Nun stehen die Zeugen auf, im ganzen 115: Graf Dunois, Raoul de Gaucourt in Orleans, in Paris der Herzog von Alençon, in Rouen der Gelehrte Seguin von Seguin, Johann d'Aulon reicht schriftlichen Bericht ein.

In Paris prüfen die Delegierten des Apostolischen Stuhles die Unterlagen. In Rouen reiht sich Sitzung an Sitzung, aber niemand meldet sich, das gesammelte Material zu widerlegen.

Am 7. Juli 1456 wird im erzbischöflichen Palais zu Rouen der end-gültige Urteilsspruch durch den Erzbischof von Reims, Johann Juvénal des Ursins feierlich verkündet. Es sind zugegen die Bischöfe von Paris und Coutances, der Generalinquisitor Frankreichs Johann Bréhal, ein Bruder Jeann d'Arcs, der Dominikaner Fr. Martin Ladvenu, eine Schar auserlesener Theologen und Laien. Tiefe Stille herrscht im Saale. Andachtsvoll lauscht die Menge. Da ertönen die Schlussworte:

„Wir sagen, sprechen aus, setzen fest und verkünden, dass besagter Prozess und die Urteilsgründe tatsächlich und von Rechts wegen von Betrug, Verleumdung, schwerer Ungerechtigkeit, Inkonsequenz und offenbaren Irrtümern angefüllt sind; wir sagen, dass sie, sowohl als die oben angeführte Abschwörung, ihre Ausführung und alles, was folgte, null und nichtig, ohne Wert und Wirkung gewesen sind, sind und sein werden. Dessen ungeachtet zerreißen wir sie, vernichten sie, heben wir sie auf und erklären sie für wirkungslos, so weit als nötig und es die Vernunft befiehlt.“

Dieses Urteil findet im ganzen Lande begeisterten Widerhall.

Einmal begonnen, ruhte man nicht. Gleichviel interessierte man sich in Orleans und Rom. Der Erzbischof Touchet war die Seele der neuen Untersuchung über das Heroische von Jeanne d'Arcs Tugend. Leo XIII., der Papst, prägte indessen das schlichte und doch so tiefe Wort: „Ioanna nostra est. Johanna gehört uns.“ Auf seinem Sterbebette freute er sich, dass man in Orleans seiner in frommer Fürbitte bei der Heldenjungfrau gedenke.

Am 18. April 1909 pflückte Papst Pius X., der kindlichfromme Heilige Vater, die reife Frucht langer Geistesarbeit. 40'000 Franzosen, unter ihnen Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Mitglieder des Parlamentes, Offiziere, ein Herzog von Alecon, Nachfahren der Familie d'Arc eilen zur St. Peterskirche in Rom, um Zeuge der Seligsprechung von Jeanne d'Arc zu sein. Freudenfeste folgen in ganz Frankreich und fernab in den Kolonien.

Doch naht ein Hochfest für die ganze christliche Welt. Erzbischof Touchet von Orleans ist am 6. Januar 1910 im Namen vieler französischer Kirchenfürsten der offizielle Antragsteller zur Heiligsprechung Jeannes. Die Wunder auf Fürbitte Jeannes werden von der Ritenkongregation bestätigt. Konsistorialsitzungen folgen. Dann kommt der Tag, auf den Jahrhunderte gewartet. Wieder eilen Tausende nach Rom, jene, die auserlesen sind durch die Bande der Familie, den Adel der Geburt, die Würde des Amtes, den Segen frommen Wesens, 60 Mitglieder der Familie d'Arc, der belgische König, Herzog und Herzogin von Vendôme, der Kardinal Begin von Quebec mit 2 Erzbischöfen, 3 Bischöfen und 20 Priestern aus Kanada. Frankreichs offizieller Vertreter war der frühere Außenminister Nanotaux, der sich als Historiker mit Jeannes Leben befasste, ferner sechs Kardinäle, 69 Bischöfe Frankreichs, 16 Missionsbischöfe und mehr als 600 Priester. Die historische Wahrheit der zitierten Worte der jungen Frau ist nicht verbürgt. Für meinen dokumentarischen Abriss des Stoffes standen zahlreiche Verfilmungen der Geschichte Pate.

Ein Kreuz mit dem Kreuz

Und noch einmal soll uns ein Urteil zum Kreuz und unterm Kreuz beschäftigen. Dieses allerdings 550 Jahre später. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“. Der bayerische Volkszorn kochte. Das Urteil des höchsten deutschen Gerichts ließ die damalige „Stoiber-Republik“ erzittern. In diesem sogenannten „Kruzifix-Urteil“ des BVerfG heißt es u.a.:

„1. Art. 4 1 GG schützt die Glaubensfreiheit. Die Entscheidung für oder gegen einen Glauben ist danach Sache des einzelnen, nicht des Staates. Der Staat darf ihm einen Glauben oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten. Zur Glaubensfreiheit gehört aber nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Insbesondere gewährleistet die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet. Dem entspricht umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit bezieht sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art. 4 1 GG überlässt es dem einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in der der einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. Insofern entfaltet Art. 4 I GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind. Dem trägt auch Art. 140 GG i. V. mit Art. 13 6 IVWRV dadurch Rechnung, dass er ausdrücklich verbietet, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen.

Art. 4 1 GG beschränkt sich allerdings nicht darauf, dem Staat eine Einmischung in die Glaubensüberzeugungen, -handlungen und -darstellungen einzelner oder religiöser Gemeinschaften zu verwehren. Er erlegt ihm vielmehr auch die Pflicht auf, ihnen einen Betätigungsraum zu sichern, in dem sich die Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet entfalten kann, und sie vor Angriffen oder Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender Religionsgruppen zu schützen. Art. 4 1 GG verleiht dem einzelnen und den religiösen Gemeinschaften aber grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen. Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 I GG folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 1 GG, sondern auch in Art. 3 III, Art. 331 sowie Art. 140 GG i.V. mit Art. 1361 und IV und Art. 1371 WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz kommt es dabei nicht an. Der Staat hat vielmehr auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten. Auch dort, wo er mit ihnen zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften führen.“

Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse , 1. Band

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