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3. Arbeitsbereiche der Literaturwissenschaft

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Teilbereiche der Literaturwissenschaft

Literaturwissenschaft beschäftigt sich, lässt man die Teilbereiche des Faches Revue passieren, mit den folgenden Themen:

biografische und bibliografische Recherche

literaturhistorische Lexikografie (Autoren- und Sachlexika)

Textbeschreibung

Texterstellung in Edition und Kommentar

Textlektüre, Textverständnis, Textanalyse und Texterklärung, die zur Einordnung der Texte in ihren historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext einerseits oder der Interpretation des Textes andererseits ausgefächert werden

Literaturtheorie (inkl. Ästhetik und Erzähltheorie) und Modellbildung, in denen die Funktionsweise der Literatur und die Funktion der Literatur in der und für die Gesellschaft reflektiert wird

Methodik, um die Qualität der Forschung und ihre Ergebnisse durch die Reflexion ihrer Vorgehensweisen zu garantieren

Kultur- und Literaturgeschichte unter Einschluss der Autorenbiografien und der Veränderungen des Literaturbetriebs

Rezeption von Literatur

Literaturdidaktik, also die Vermittlung von Literatur

Begriffs- und Fachgeschichte als Versuch, die historische Situierung des Faches zu erforschen und festzuhalten.

Mit anderen Worten beschäftigen sich Literaturwissenschaftler damit, die Basis ihrer eigenen Tätigkeit, also Texte zu sichern und zur Verfügung zu stellen. Sie ordnen diese Texte dann in Klassen und Rubriken ein, kümmern sich um diejenigen Personen, die diese Texte hervorgebracht haben, um sich ein möglichst genaues Bild vom Text, seiner Entstehung, seinen Entstehungsbedingungen und seiner Bedeutung zu machen. Sie ordnen Autoren zu Strömungen oder Gruppen und analysieren die Strukturen, in denen sie sich bewegen. Sie nehmen die Texte genau unter die Lupe und analysieren ihre Elemente auf den verschiedenen Ebenen (Themen, Motive, Stil, Konstruktionen etc.), sie interpretieren sie und sie erklären sie (d.h. sie beschäftigen sich damit, welche Themen, Fragestellungen und Lösungen sie für welche Probleme anbieten, und aus welchem Grund sie dies tun). Schließlich beschäftigen sie sich damit, wie Texte zu überliefern und zu vermitteln sind. Dieser ganze Komplex wird theoretisch erfasst und es werden Modelle entworfen, wie Literatur arbeitet und welche Funktionen sie übernimmt. Daneben beschäftigen sich Literaturwissenschaftler damit, wie sie das, was sie tun, korrekt tun. Sie definieren Begriffe und schreiben die Geschichte ihres eigenen Faches.

Literarische Texte als Kernbereich

Im Kern des Faches stehen aus Gründen der Tradition die literarischen Texte, also jene fiktionalen Sprechweisen, in denen Realität reflektiert, simuliert und diskutiert werden kann. In diesem Sinne bilden Romane, Erzählungen, Gedichte und Dramen und die sich darauf beziehenden sonstigen Textäußerungen den historischen Kern des Faches. Hauptgegenstand sind Texte, die zur Prosa, Lyrik oder Dramatik gehören und zudem zu einem bestimmten Korpus von Texten mit breiter Anerkennung (Kanon).

Der Ort bestimmt die Wissenschaft

Wissenschaft findet in der Universität statt. Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen sind unter anderem deshalb literaturwissenschaftliche Tätigkeiten, weil sie in Bibliotheken, Archiven, Akademien, Instituten, Tagungen und Hörsälen stattfinden und die literarische Qualität von Texten in den Fokus nehmen. Eine Bibliothek ist ein anderer Ort als eine sommerliche Liegewiese in einem Freibad, obwohl an beiden Orten (unter anderem) gelesen und geschrieben wird, auch wissenschaftlich.

Das Ziel der literaturwissenschaftlichen Arbeit ist das bessere Verständnis der Texte, des Schreibprozesses und der Rezeption. Handlungsrelevant wird diese Tätigkeit, wenn wir Texte als Symbolisierungs- und Simulationsformen verstehen, die Kommunikation überhaupt erst ermöglichen. Das heißt, indem Texte verstanden werden, kann die von ihnen behandelte Realität verstanden und behandelt werden. Dies aber wird nur über weitere Texte möglich, die aus dem wissenschaftlichen Prozess heraus entstehen. Die literaturwissenschaftliche Tätigkeit ist also zirkulär und zugleich fortschreitend angelegt.

Methoden und Theorien

Methoden und Theorien sind Handwerkszeug, ohne die die literaturwissenschaftliche Arbeit nicht möglich und nicht wissenschaftlich wäre (Baasner, Zens 1990). Methoden sind Verfahren, die es ermöglichen, Erkenntnisse zu schaffen, zu sichern, vergleichbar und nachvollziehbar zu machen. Sie folgen Regeln, die dies ermöglichen. Allerdings bedeutet das nicht, dass damit festgelegt wäre, welche Methoden und Modelle ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin benutzt. Lediglich in der Editionswissenschaft hat sich ein Standard durchgesetzt, der einigermaßen stabil ist. Aber sobald wir diese einigermaßen sichere Basis der literaturwissenschaftlichen Arbeit verlassen, herrscht große Vielfalt. Welcher Methode Wissenschaftler folgen, hängt von vielen Voraussetzungen ab. Außerdem lassen sich verschiedene Methoden miteinander kombinieren.

Wissenschaftliche Methode

Grundsätzlich heißt „wissenschaftliche Methode“:

1. Sie gehen mit dem Ziel vor, die gewählten Texte zu verstehen und erklären zu können, das heißt, die gewählte Fragestellung beantworten zu können. Dafür müssen Sie Ihr Vorgehen auf Ihren Gegenstand anpassen. Methodisch vorzugehen heißt hier vor allem erst einmal, dass Sie kontrolliert und von Regeln geleitet vorgehen.

2. Sie bewegen sich in der Regel in drei Arbeitsbereichen: in der Literaturgeschichte (unter Einschluss der Kulturgeschichte), in der Literaturtheorie und in der Interpretation. Jeder Arbeitsbereich hat seine besonderen Anforderungen an methodisches Vorgehen.

Theorien haben in den letzten Jahrzehnten einen unglaublichen Boom erlebt. Konnte man in den 1960er Jahren noch grob von zwei Schulen sprechen, der Kritischen Schule und der werkimmanenten Schule, hat sich das Feld heute stark ausdifferenziert. Das von Ansgar Nünning herausgegebene Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie referiert auf über 720 Seiten theoretische Entwürfe, Modelle, Begriffe und die damit verbundenen Autoren. Das führt uns zu dem Widerspruch, dass wir heute zwar mehr Möglichkeiten haben, Literatur zu begreifen, dabei jedoch außer den Texten keine Arbeitsbasis (also Theorie oder Methode) haben, die verbindlich und verpflichtend wäre. Das heißt, wir verzichten heute darauf, verbindliche Aussagen zu treffen, um stattdessen in ein permanentes wissenschaftliches Gespräch eingebunden zu sein, in dem es unter anderem darum geht, Einverständnis über Texte zu erzielen.

Das führt uns zur Funktion von Theorien:

Theorien

Theorien sind Erklärungsmodelle, die es erlauben, Ereignisse und Gegenstände zu ordnen, aufeinander zu beziehen sowie ihre Eigenschaften und ihre Funktion zu erklären.

Sie können erklären, was geschieht und wie das zu beurteilen ist, sie sind aber nicht identisch mit dem Geschehen. Sie sind die notwendige Voraussetzung für Erkenntnis. Je nach Prämisse und Interesse können sie sich jedoch deutlich voneinander unterscheiden.

Sie werden feststellen, dass sich auf der einen Seite die wesentlichen methodischen und theoretischen Zugriffe hinreichend deutlich voneinander unterscheiden lassen. Auf der anderen Seite hat jeder dieser Zugriffe ein bestimmtes Ziel und lässt deshalb auch Grenzen in seinen Ergebnissen erwarten. Außerdem ist seit den 1970er Jahren die Zahl der Methoden und Theorien stark gewachsen.

Theorien- und Methodenvielfalt

In einem 1975 erschienenen Standardwerk wurden zum Beispiel vier Methoden voneinander unterschieden: Positivismus, Formalismus/Strukturalismus, Hermeneutik und Marxismus (Hauff et al. 1975). Ein 1990 erschienener Band zu neueren Literaturtheorien erklärte nicht nur, dass sich aus Methoden Theorien entwickelt hätten. Der Band benannte auch eine Vielzahl neuerer Methoden/Theorien: unter anderem Diskursanalyse, Psychoanalyse, Semiotik, Kultursoziologie, Systemtheorie, Feministische Theorie, Dekonstruktion (Bogdal 1990,3.2005). Zugleich sind die Übergänge zwischen Methoden und Theorien immer fließender geworden, da die Basis jedes Verfahrens Denk- und Erklärungsmuster sind (vgl. Geisenhanslüke 2008).

In der literaturwissenschaftlichen Praxis dominiert heute ein Methodenund Theoriepluralismus, der sich zum wesentlichen Teil nach dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand und nach den Fragen richtet, die an seinem Beispiel beantwortet werden sollen.

Wenn Sie eine Theorie oder Methode wählen, dann sollten Sie ihr auch konsequent folgen. Das widerspricht nicht einem Methoden- und Theorienmix. Aber zum einen sind Sie verpflichtet, die Theorien und Methoden ernsthaft anzuwenden. Die Wahl eines psychoanalytischen Ansatzes hat mit Küchenpsychologie nichts zu tun. Achtung also vor Kurzschlüssen etwa der Art, dass ein merkwürdiges Verhalten einer Romanfigur oder eine Aufsehen erregende Themenwahl eines Lyrikers auf ein Kindheitstrauma des Autors schließen lasse. Zum anderen dürfen Sie nur Elemente verschiedener Theorieansätze oder Methoden miteinander kombinieren, bei denen das möglich ist. Sie müssen Kombinationen verschiedener Theorien und Methoden allerdings immer begründen.

Literaturwissenschaftliche Arbeitstechniken

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