Читать книгу Sammelband 6 Krimis: Die Konkurrenten und andere Krimis für Strand und Ferien - Walter G. Pfaus - Страница 56

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Eine Menge Leute stehen inzwischen vor dem Haus der Hufnagels. Einige halten Abstand, stehen am Straßenrand. Andere stehen im Hof herum und diskutieren.

Max hat sich vor dem Garagentor aufgebaut und versucht, einen Mann daran zu hindern, das Tor zu öffnen.

Ich stelle mich neben Max. „Hat jemand die Garage betreten?“ frage ich ihn.

„Außer mir niemand“, sagt Max. „Aber der hier will unbedingt hinein.“

Es ist der Händele Martin, wie ich jetzt erst sehe. Er ist etwas größer als ich, schlank, Mitte vierzig, trägt einen speckigen Trainingsanzug ist unrasiert und hat eine Säufernase. Ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse. Im Dorf nennt man ihn den Händelmate, weil er oft und gern Streit sucht.

„Warum wollen Sie unbedingt da rein?“ frage ich ihn. Er gehört zu den Leuten im Dorf, die ich nicht duze und die mich auch nicht duzen dürfen.

„Oifach so“, sagt er. „I will sehn, was da drin liegt. I bin halt neugierig wia de andere ao.“

„Dann gehen Sie jetzt da raus zu den anderen Neugierigen. Raus aus dem Hof.“ Ich wende mich an die Leute im Hof. „Bitte machen Sie den Hof frei. Jeden Augenblick können die Leute von der Spurensicherung kommen. Die kommen meistens mit drei oder vier Autos. Es gibt ohnehin nichts zu sehen.“

Ein paar Vernünftige kommen meiner Bitte nach, andere nicht. Zusammen mit Marina gelingt es mir, den Hof frei zu halten. Nur der Händelmate braucht eine Extraaufforderung.

„Würden Sie sich bitte auch zu den anderen begeben“, sage ich überfreundlich.

„Wieso? Do isch doch Platz gnua.“

Für solche Fälle habe ich mir einen bestimmten, streng wirkenden Gesichtausdruck zugelegt. Den habe ich so oft vor dem Spiegel und vor Marina geübt, bis er auf Anhieb sitzt. Dazu gebe ich meiner Stimme einen Ton, der deutlich macht, dass ich keinen weiteren Widerspruch dulde. Und zur besseren Durchsetzung meiner polizeilichen Macht, leihe ich mir eine Redewendung unserer Kanzlerin Angela Merkel aus, die diese benutzt, um glaubwürdig zu klingen.

„Sie wissen es vielleicht noch nicht, deshalb sage ich es Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich sage ungern etwas zweimal!“

Es wirkte. Ich bin immer wieder überrascht, wie Wirkungsvoll so ein Satz sein kann. Der Händelmate sieht mich einen Moment verblüfft an. Ein kurzes Aufflackern von Widerstand kam dann doch noch. „I kann do stehn...“

„Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?“ fahre ich ihn an.

Diesmal trollt er sich tatsächlich.

Ich hebe das Garagentor ein Stück hoch. Drinnen war der blaue Ford Focus von Max zu sehen. Daneben, schräg an die Wand gelehnt und angekettet, das Fahrrad seiner Frau. Dahinter befindet sich an der rechten Wand ein Werkzeugschrank. Zwischen dem Schrank und der hinteren Garagenwund ist noch ein halber Meter Platz für einen Spaten und einer Hacke. Zwischen Garagenwand und Fahrrad liegt ein in ein Tuch eingewickeltes Etwas auf dem Betonboden.

„Schlüpf mal kurz rein“, sage ich zu Marina. „Aber sei vorsichtig. Verwisch keine Spuren.“

Marina bückt sich, geht hinein und kommt sofort wieder zurück. „Da muss man kein Arzt sein, um zu sehen, dass das Kind schon seit ein paar Stunden tot ist. Ich vermute, dass es schon tot zur Welt kam. Es ist sehr klein, richtig winzig. Könnte ein Frühchen sein.“

„Außer dir war sonst niemand in der Garage?“ frage ich den Max.

„Nur ich. Ich war aber nur kurz drin. Ich wollte sehen, ob das Kind vielleicht noch am Leben ist. Das musste ich doch machen, oder?“

„Sonst niemand?“

„Nicht, seit Luise das Kind entdeckt hat.“

„Deine Frau war also auch nicht drin?“

„Nein, sie hat nur hier an dem Platz gestanden und geschrien wie am Spieß.“

„Sie hat also das Garagentor aufgeschlossen und...“

„Wir schließen das Tor nie ab.“

„Und warum nicht?“

„Es lässt sich nur sehr schlecht schließen. Man braucht viel Kraft dazu. Die Luise hat die Kraft nicht. Also lehnt sie das Tor immer nur an. Ich schließe mein Auto immer ab und sie kettet in der Garage ihr Fahrrad an.“

Ich hebe das Garagentor noch mal kurz an. Es quietschte nur leicht in den Angeln.

„Ich weiß, ich hätte es längst richten sollen...“, versucht sich Max zu entschuldigen.

„Schon gut“, winke ich ab. „Kannst du dir vorstellen, wer das Kind ausgerechnet hier abgelegt hat?“

„Meine Frau denkt...“ Er bricht ab.

„Ja?“

„Du hast doch auch gehört, dass die Carmen Langer wieder im Dorf ist.“

„Ich habe was gehört. Aber keiner wusste so recht, ob es stimmt, dass sie schwanger ist.“

„Meine Frau ist sich sicher. Sie hat die Carmen gesehen, sagt sie. Die Carmen wäre hochschwanger.“

„Die Carmen ist wieder da?“ fragt Marina überrascht.

„Noch ist es ein Gerücht“, sage ich. „Gesehen wurde sie bisher nur von der Frau Hufnagel.“ Ich sehe Max an. „Das stimmt doch, oder?“

„Nein. Auch die Frau Meringer soll sie gesehen haben“, sagt Max.

„Kennst du die Carmen näher?“ erkundige ich mich.

„Näher? Na ja, was heißt da schon näher. Ich habe sie öfter mit ihrem kleinen Hund spazieren gehen sehen. Einmal haben wir uns kurz unterhalten. Über ihren Hund. Er heißt Goliath, weil, wenn er schon klein ist, soll er wenigsten einen großen Namen haben, hat sie mir erklärt. Mehr war nicht. Aber das ist wirklich schon sehr lange her. Sie ist ja auch schon fast ein Jahr weg.“

„Kennt deine Frau die Carmen näher?“

„Das musst du sie schon selber fragen.“

„Und wo ist sie? Im Haus?“

„Meine Frau im Haus? Wo denkst du hin? Wo es so viel zu erzählen gibt, bleibt meine Frau doch nicht im Haus. Das solltest du eigentlich wissen.“

„Ja“, seufze ich. „Ich kann es mir denken. Hat sie gesagt, wo sie hin will?“

„Sie wollte zum Pfarrer. Aber ob sie da noch ist?“ Er zuckt mit den Schultern. „Vielleicht ist sie ja auch noch gar nicht bis zu ihm gekommen. Wenn sie heimkommt erfahre ich es.“

„Die Carmen ist doch damals mit irgend so einem Kerl abgehauen“, sagt Marina.

„Ja, ich weiß“, antworte ich. „Auf die Bitte ihrer Mutter habe ich den Kerl mal überprüfen lassen. Er heißt Fred Dobermann. Die Kollegen in Ulm haben dem Dobermann dann auch einen Besuch abgestattet. Eine junge Frau, die sich als Carmen Langer ausgewiesen hat, war bei ihm. Er hat den Kollegen versichert, dass er mit der Carmen seine große Liebe gefunden hätte. Richtig glauben konnten es die Kollegen in Ulm nicht. Aber nachdem die Carmen ihnen bestätigt hat, dass sie freiwillig bei dem Mann ist, mussten sie wohl oder übel abziehen. Dobermann ist in Ulm kein Unbekannter. Man verdächtigt ihn mit Rauschgift zu handeln. Außerdem soll er sich an Autoschiebereien beteiligt haben. Und er stand schon unter Mordverdacht. Er soll einen Autohändler umgebracht haben. Aber man hat ihm nie was nachweisen können.“

„Das klingt ja ziemlich beunruhigend“, sagt Max erschrocken.

„Das fand ich auch. Aber offensichtlich wurde er in den letzten Wochen und Monaten nicht mehr auffällig, sonst hätten mich die Kollegen informiert.“

„Ich frag mal die Barbara“, schlägt Marina vor. „Vielleicht weiß die mehr. Sie und die Carmen waren doch mal befreundet.“

„Gut, mach du das“, sage ich.

*


IN DIESEM MOMENT FÄHRT Pfarrer Gottwald mit dem Fahrrad in den Hof. Er lehnt das Rad an die Hauswand. Der Pfarrer ist ein großgewachsener, kräftig gebauter Mann mit dunkelblondem, schon etwas schütterem Haar und sympathischer Ausstrahlung. Er trägt eine schwarze Hose und einen hellgrauen Pullover.

„Ist das Kind da drin?“ fragt er Max und deutet auf das Garagentor.

„Da können Sie jetzt aber nicht rein“, halte ich ihn zurück. „Wegen der Spuren. Schließlich wollen wir ja herausfinden, wer das Kind da abgelegt hat. Und die von der Spurensicherung waren noch nicht da.“

„Das Kind ist tot, Herr Pfarrer“, sagt Marina. „Die letzte Ölung kommt da zu spät.“

„Haben Sie eine Ahnung, wer die Mutter des Kindes sein könnte?“ frage ich den Pfarrer.

„Ich könnte da jetzt das weitergeben, was mir die Frau Hufnagel erzählt hat...“

„Das wissen wir schon“, sage ich. „Sie kennen doch alle im Dorf. Wissen Sie, wer zurzeit schwanger ist?“

„Ich kenne nicht alle. Nur meine Schäfchen, also Katholiken. Und von denen sind nur die Helen Maurer und Christine Grassel schwanger. Die eine ist im sechsten, die andere im siebten Monat. Sonst wüsste ich im Moment keine. Sie kennen doch sicher mehr Leute, als Polizist.“

„Wir werden auf jeden Fall ein paar Besuche machen müssen“, sage ich.

„Könnte ich mich mal mit der Barbara unterhalten?“ wendet sich Marina an den Pfarrer. „Sie war doch mit der Carmen befreundet.“

„Ich weiß nicht“, zögert Pfarrer Gottwald. „Es geht ihr gerade nicht besonders. Sie hat wieder mal einen ihrer MigräneAnfälle. Das nimmt sie immer ziemlich mit.“

„Ich werde sie nicht lange aufhalten.“

„Gut, wenn ich hier ohnehin nichts tun kann...“ Er geht zu seinem Fahrrad. „Kommen Sie. Reden wir mit der Barbara. Ich fürchte nur, sie wird auch nicht mehr wissen.“

„Ich komme dann nach, wenn die von der Spurensicherung hier fertig sind“, sage ich.

Die beiden gehen weg. Pfarrer Gottwald schiebt sein Rad neben Marina her.

Max und ich stehen jetzt blöd vor dem Garagentor herum. Der Händelmate ist schon wieder ein Stück näher gekommen. Aber so richtig traut er sich doch nicht.

Dann kommen sie endlich. Erst zwei Autos. Dann kommt noch ein weiteres hinterher. Die drei Autos spucken vier Männer und eine Frau aus. Ich kenne nur den Joachim Großmann. Ich kläre ihn kurz auf und ziehe das Garagentor hoch. Der Kollege, der zuletzt gekommen ist, hat eine Kamera dabei. Er macht eine Menge Fotos von dem toten Kind. Dann setzt er sich wieder in seinen Wagen und fährt weg.

„Mit Spuren ist da wohl nicht viel“, sage ich zu Großmann.

„Nein, Betonboden gibt nicht viel her. Wir werden uns auf das Kind und das Tuch beschränken müssen.“

„Wie hoch sind die Chancen, dass man herausfindet, wer die Mutter ist?“

„Das ist Arbeit der Kollegen in Ulm und deine“, sagt Großmann.

„Vermutlich bleibt es an mir alleine hängen“, sage ich. „Die in Ulm haben im Moment Personalmangel.“

„Ich habe davon gehört. Aber ich denke, es ist ohnehin besser, wenn du das zunächst alleine machst. Du kennst doch die Leute hier. Und du weißt, wie du mit ihnen umgehen musst. Das hat sich doch bisher gut bewährt. Außerdem, so viele Schwangere wird es sicher nicht geben.“ Er deutet zur Garage. „Und in dem Fall, gegeben haben.“

„Könnte ja auch eine von auswärts sein“, vermute ich.

„Kann sein, kann auch nicht sein. Wenn du uns eine Verdächtige hast, können wir das an Hand von DNA schnell feststellen, ob sie die Richtige ist.“

„Was ist es denn? Mädchen oder Junge?“

„Mädchen. Vermutlich eine Frühgeburt. Näheres kann ich dir in zwei Tagen sagen.“

Ich sage nicht, dass ich eventuell schon jemanden habe. Ich will nicht voreilig sein. Das ist nicht meine Art. Außerdem glaube ich grundsätzlich nichts, was von der Hufnagel kommt. Damit bin ich bisher recht gut gefahren.

Eine halbe Stunde später war alles vorbei. Der Hof von Max Hufnagel war wieder frei. Selbst der Martin Händele hat sich verzogen.

Ich setze mich in meinen blauweißen DienstJaguar und fahre als erstes zu Carmens Mutter.

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