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Kapitel 2

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Julia verließ die Klinik, in der sie ihren Vater besucht hatte, und beabsichtigte, bevor sie zurückfuhr, noch ein paar Einkäufe zu erledigen.

Jetzt, da es ihrem Vater wieder zusehends besser ging, fühlte auch sie sich wieder glücklich und von einer schweren Last befreit. Vor zwei Monaten, genau fünf Wochen nach ihrer Hochzeit mit Mike, hatte ihr Vater einen schweren Herzinfarkt erlitten, sein Leben stand auf Messers Schneide. Über zwei Wochen lang lag er auf der Intensivstation, danach folgten fünf Wochen stationäre Behandlung und jetzt befand er sich in der Reha-Klinik bei Professor Rumlich, einem seiner besten Freunde. Hier ging es ihm bereits nach wenigen Tagen so gut, dass er heute schon von seiner baldigen Heimkehr sprach und die Hoffnung äußerte, auch die Geschäfte wieder aufnehmen zu können.

Julia hatte ihm erklärt, dass er sich keine Gedanken über das Geschäft machen müsse, denn Mike und sie hätten alles fest im Griff. Gerade würde ein Großauftrag bereits eine Woche früher als geplant ausgeliefert werden. Kurz vor ihrem Urlaub und gleich nach der Rückkehr hätte Mike einige Abläufe neu koordiniert, so sei man jetzt dem Terminplan um eine Woche voraus. Auch sonst würde alles perfekt laufen. Sie wollte ihm damit zu verstehen geben, dass er sich für seine Genesung genug Zeit lassen konnte. Als sie ihm dies erzählt hatte, schien er sehr erleichtert und der glücklichste Mensch zu sein.

Während sie ganz in Gedanken die Schaufenster entlang schlenderte, ohne ihre Umwelt richtig wahrzunehmen, sah sie immer wieder dieses glückliche Gesicht ihres Vaters. Wenn doch alles nur so schön wäre, dachte sie sich. Es war für alle ein fürchterlicher Schock gewesen, als ihr Vater plötzlich dem Tode näher als dem Leben war. Der Einzige, der noch zu vernünftigen Entscheidungen in der Lage war, glaubte Mike zu sein, denn er erklärte sich sofort bereit die Leitung der Firma vorübergehend, bis ihr Vater wieder okay wäre, zu übernehmen.

Am Anfang war sie froh darüber und mächtig stolz auf ihren Mann, denn schließlich hatte er, wie sie selber auch, Sprachen studiert und weder eine abgeschlossene, praxisbezogene Ausbildung noch irgendwelche Erfahrung in der Führung eines Betriebes. Bis zu ihrem Urlaub verlief auch alles recht gut und ohne größere Probleme, aber seit der Rückkehr verging kein Tag, an dem sich Mike und Holger nicht in den Haaren lagen. Mike sprach danach immer von Lappalien und normalen Diskussionen im Arbeitsalltag. Mehrfach fragte sie sich, ob die Gründe für diese Veränderung in dem Gespräch lagen, in dem sie Mike während ihres Urlaubs von ihrem kurzen, aber sehr intensiven Verhältnis mit Holger vor ihrem Amerika-Aufenthalt erzählt hatte. Obwohl sie damals Holger ihr Ehrenwort gab, niemals mit einem Menschen darüber zu reden, glaubte sie bei Mike eine Ausnahme machen zu können. Im Übrigen hatte sie sowieso das Gefühl, als hätte es ihn eigentlich gar nicht interessiert. Aus diesem Grunde verwarf sie diesen Gedanken auch gleich wieder. Es mussten ja alle froh sein, dass einer da war, der für alle anderen den Kopf hinhielt, fand sie.

Bereits am Ende der Einkaufstrasse angelangt, den Querverkehr völlig ignorierend, riss das Hupen eines neben ihr bremsenden Autos sie aus ihren Gedanken. Der Blick durch die Windschutzscheibe in die Augen der ebenfalls überraschten, aber dennoch erleichterten Autofahrerin, holte sie in die Wirklichkeit zurück. Nur die Aufmerksamkeit dieser Frau hatte einen Unfall verhinderte. Mit zwei schnellen Schritten zurück und einem dankbaren Nicken, ließ sie die Frau vorbeifahren.

Erst jetzt stellte sie fest, dass sie beinahe an ihrem nagelneuen roten Cabrio, dem Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, vorbei gegangen wäre. Für dieses Auto war gerade das ideale Wetter, weshalb es zurzeit nicht viele Dinge gab die sie lieber machte, als mit ihrem Auto herumzufahren. Mit offenem Verdeck auf den Straßen dahinzugleiten und sich den Wind durch die Haare wehen zu lassen, gab ihr das wahre Freiheitsgefühl. Beim Gedanken daran vergaß sie völlig ihre Shoppingtour und die geplanten Einkäufe.

Während sie den Wagen startete, fiel ihr ein, dass das größte jemals von ihnen gebaute Aggregat soeben im Werk abgeholt wurde. Aus diesem Grunde musste jetzt der Sportwagen seinem Namen alle Ehre machen, denn Julia hatte die Absicht das Verladen zu fotografieren. Sie wusste auch: Wer von den Mitarbeitern keine Aufräumarbeiten, beziehungsweise Vorbereitungsarbeiten für den nächsten Auftrag hatte, würde anschließend seinen wohlverdienten Urlaub antreten. Außerdem war es mittlerweile Brauch, ein erfolgreiches und termingerechtes Ausliefern mit einem Abschlusstrunk mit der kompletten Belegschaft in der Halle zu feiern. Dies war auch der eigentliche Grund warum sie es so eilig hatte, denn genau diese Feste, wenn man sie als solche bezeichnen konnte, schienen bereits die Motivation der Arbeiter für den nächsten Auftrag zu wecken. Nach kürzester Zeit herrschte dabei eine unheimlich lockere Stimmung, jeder unterhielt sich mit jedem, auch wenn man sonst nicht allzu gut befreundet war.

Auf solch einem Abschlussfest hatte sie sich damals in Holger verguckt und wollte ihn noch in jener Nacht in ihrem Bett haben. Sie hatte alles dafür getan, aber zu ihrem Bedauern schaffte sie es leider nicht, denn er spielte mit ihr Katz' und Maus und als sie glaubte ihn soweit zu haben, gab er ihr einen Kuss, bei dem ihr fast schwindlig wurde. Danach ließ er sie einfach stehen, setzte sich in sein Auto und fuhr davon. Selbst wenn nun jener Abend nicht den von ihr gewünschten Verlauf nahm, war dieser Kuss wie eine Droge. Mit wie vielen Männern sie schon im Bett gewesen war, wusste sie im Moment nicht, allerdings … wenn sie einen Mann wollte, bekam sie ihn auch. Dass einer sie einfach stehen ließ, hatte es bis dahin nicht gegeben und auch seither nicht mehr. Sicher war für sie damals nur eines: sie würde ihn bekommen, wenn nicht heute dann morgen oder übermorgen.

In den folgenden Tagen und Wochen hatte sie jede Möglichkeit genutzt in seiner Nähe zu sein, um einen schwachen Augenblick zu erwischen. Irgendwann konnte er ihrem verführerischen Drängen dann nicht mehr widerstehen. Für sie war es in ihrem bisherigen Leben das Absolute was den Einfallsreichtum in Sachen Sex anbelangte. Holger war der Mann, der im Bett alles sein konnte — vom zärtlichen, schnurrenden Liebhaber, der eine Frau nach allen Regeln der Kunst verwöhnte und sich ebenso von der Frau verwöhnen ließ, bis hin zum reißenden Tiger, der sein Opfer fast zu vergewaltigen schien. Die ganze Sache hatte nur einen Haken: Zu Hause warteten auf ihn eine Frau und zwei Kinder, die er niemals verlassen hätte. Nach dem ersten Mal war das Verlangen ihn zu spüren für Julia wie eine Sucht, sie konnte nie genug bekommen; so trieben sie sich oft von einer Ekstase in die nächste.

Über vier Monate ging das so, bis … ja bis sie ihn ganz haben wollte. Sie stellte ihn vor die Wahl: entweder oder … Er entschied sich für seine Familie und sie war sehr enttäuscht von ihm; da kam die Zusage für einen Studienplatz in den USA gerade recht. Obwohl sie ihn damals für seine Entscheidung hasste, hatte sie immer noch ein intensives Verlangen ihn zu spüren und wenn er sie jetzt um ein Date im Bett bitten würde, ginge sie sofort mit. Bei diesem Gedanken durchzuckte ein Blitz ihren Körper — was war nur mit ihr los? Schließlich hatte sie erst vor ein paar Wochen geheiratet. Doch schon der Gedanke, wie es wäre wenn, erzeugte in ihrem Innern einen heftigen Aufruhr.

Die Hauptstraße führte direkt an der Firma vorbei. Sie hatte bereits den Blinker zum Abbiegen gesetzt, als sie das gelbe Blinklicht des Sattelzuges hinter der großen Halle hervor auf sich zukommen sah. Jetzt kam sie doch zu spät, der Transport verließ das Werksgelände und auch die ersten Arbeiter gingen bereits. War das Fest vielleicht schon zu Ende, oder … hatte es erst gar nicht stattgefunden? Ein ganz unbehagliches Gefühl überfiel sie, während sie darauf wartete, dass der Transporter an ihr vorüberfuhr, damit sie ihren Parkplatz ansteuern konnte.

Das Verdeck des Sportwagens schloss sich per Knopfdruck, bewundernd verfolgte Julia die verschiedenen Abläufe während dieses Vorgangs. Sie stand noch immer neben ihrem Fahrzeug, als Peter, der Abteilungsleiter der Fertigung, ihr im Vorbeigehen einen schönen Abend wünschte.

"Wünsche ich dir auch", rief sie etwas irritiert zurück. Sie wunderte sich, wieso er nicht wie üblich zu ihr herüber kam, um etwas zu flachsen.

Julia hatte die Vermutung, dass irgendetwas nicht stimmte . Sie ging die Treppe hoch und wollte Holger fragen, wieso kein Verladefest stattfand. Den vorderen Teil des Büros ließ sie schnell hinter sich und wollte gerade an Holgers Tür anklopfen, als sie Frau Fröhlich an ihrem Schreibtisch sitzen sah, deren Gesichtsausdruck jedoch alles andere als ihrem Namen entsprach. Als Julia eintrat, stand Frau Fröhlich auf und kam sofort auf sie zu. Im Hintergrund hörte man, wie hinter einer Tür eine lebhafte Diskussion geführt wurde, doch wer sie führte und um welche Themen es ging, konnte man nicht heraushören.

Frau Fröhlich war die wichtigste Frau im ganzen Büro und als solche von allen anerkannt und akzeptiert. Sie war Empfangsdame, rechte Hand des Chefs, Terminkalender, Organisator, Vermittler, Ratgeber, Aufgabenverteiler und Zuhörer, ohne den Drang zum Weitererzählen. Auch wenn jemand das Bedürfnis hatte sein Herz auszuschütten oder sich etwas von der Seele zu reden, war er bei ihr genau richtig. Sie wusste fast alles, was im Betrieb vor sich ging. Dieses Wissen nutzte sie immer zum Wohle der Firma, ohne irgendjemanden zu verärgern. Nicht zuletzt deshalb war sie im gesamten Betrieb wohl die angesehenste Person. Julia wusste sofort, dass etwas geschehen war, das sie mithelfen sollte zu bereinigen. So aufgeregt kannte sie die sonst so zuvorkommende Frau Fröhlich nicht.

"Herr Frey ist bei deinem Mann im Büro", sagte sie.

Als Julia dies hörte, zuckte sie zusammen. Die beiden diskutierten so lautstark, dass es mittlerweile selbst vor der Tür gut zu hören war.

"Wieso gab es heute nach dem Verladen nichts zu trinken, hat Holger das vergessen?"

Mit dieser Frage machte sie Frau Fröhlich komplett unsicher, denn die wusste nicht, wie sie ihr das erklären sollte, ohne jemanden anzugreifen. "Am Dienstag beauftragte mich Herr Frey alles so zu organisieren und zu veranlassen, wie sonst auch, wenn dein Vater hier ist. Ach ja … wie geht es ihm denn?" Sie sah Julia besorgt an.

"Ihnen soll ich extra einen persönlichen Gruß ausrichten und er wird, wenn es weiter so positiv aufwärtsgeht, bald wieder hier sein."

Frau Fröhlich holte tief Luft und sagte: "Du glaubst ja gar nicht wie mich das freut, allein schon deshalb, damit hier wieder normale und überschaubare Verhältnisse herrschen."

"Sagen sie mir bitte was hier los ist. Wieso gab es keinen Umtrunk und weshalb streiten mein Mann und Herr Frey?

"Ach Julia", Frau Fröhlich kannte sie schon seit frühester Kindheit, deshalb duzte sie Julia auch, "sei mir bitte nicht böse, aber dein Mann … " Dann schwieg sie.

"Was ist mit meinem Mann?", fragte Julia erschrocken. "Sagen sie mir auf der Stelle was hier los ist!"

Beide waren wieder an Frau Fröhlichs Arbeitsplatz angekommen, wo sich diese erst einmal hinsetzen musste. Man hörte jetzt deutlich, trotz verschlossener Türen, dass es dahinter hoch herging.

Erst nachdem sie zwei-, dreimal tief Luft geholt hatte, konnte Frau Fröhlich mit der vorher abgebrochenen Erklärung fortfahren. "Als ich für einen kleinen Umtrunk so weit alles organisiert hatte, wollte ich von deinem Mann wissen, ob er anstelle deines Vaters ein paar Worte zu der Belegschaft sprechen wollte oder ob dies Herr Frey übernehmen solle. Ich bin mittlerweile fast 20 Jahre in diesem Betrieb, aber so etwas ist mir bis zum heutigen Zeitpunkt noch nie passiert: Dein Mann hat mich angesehen, als verfolge ich eine böse Absicht, und schrie mich an. Es wäre eine absolute Frechheit was sich Leute hier in diesem Betrieb über seinen Kopf hinweg alles herausnehmen würden, damit müsse jetzt sofort Schluss sein. Es gäbe keinen Grund zum Feiern und schon gar keinen, den auch noch der Betrieb bezahle. Leute die feiern wollten, sollten ihre Feier gefälligst selbst bezahlen. Im Übrigen wäre in Zukunft Schluss mit solchen Scherzen, denn ab jetzt würde alles über seinen Schreibtisch laufen. Im gleichen Atemzug fragte er mich, ob Herr Frey hier so etwas wie Narrenfreiheit genieße und ob er in letzter Zeit noch weitere Bestellungen in Auftrag gegeben hätte. Darauf habe ich ihm erklärt, Herr Frey habe bereits die ganzen Bestell- und Zulieferteile auf Abruf für die Kalenderwoche 34 nach dem Betriebsurlaub in Auftrag gegeben. Ja, Julia", Frau Fröhlich sah sie mit einem seltsamen Blick an, "ich glaube du solltest, nein du musst mit deinem Mann reden. So kann der Betrieb, bis dein Papa wieder kommt, nicht weitergehen. Alle Bestellungen, die noch nicht bei uns im Hause angeliefert wurden, müssten sofort storniert werden, befahl er mir, und ab jetzt sage nur er was wann und wo bestellt werde. Ich wies ihn darauf hin, dass Vorarbeiten wie Qualitätssicherung, die Zertifizierung der Zulieferer und die Einhaltung der Liefertermine während der Urlaubszeit sichergestellt sein müssen, damit der neue Auftrag nach den Betriebsferien termingerecht anlaufen kann. Darauf hin sagte er zu mir, das hätte mich nicht zu interessieren und ich solle sofort machen was er mir befohlen hätte, ansonsten würden hier demnächst ein paar Köpfe rollen."

"Haben Sie die Aufträge bereits storniert?", fragte Julia mit blassem Gesicht.

Die Antwort kam mit viel Verzögerung und Unsicherheit in der Stimme: "Nein, ich wollte erst mit dir oder Herrn Frey darüber reden."

"Gut gemacht, Frau Fröhlich."

Julia musste sich setzen und erst mal tief Luft holen. Vor nicht einmal einer Stunde hatte sie ihrem Vater noch versichert, alles wäre in bester Ordnung, und nun so etwas. Beide Frauen saßen sich noch gegenüber und jede überlegte angestrengt, wie man dieser Situation wohl Herr werden könne, als die Lautstärke im Nebenraum nochmals deutlich anstieg. Julia sprang von ihrem Stuhl auf und ging zu der Tür, hinter der die beiden zu hören waren. Ein ganz unbehagliches Gefühl beschlich sie, als plötzlich nichts mehr zu hören war, außer dem Geräusch umherfliegender Gegenstände. Sie klopfte an und trat sofort ein.

Holger, der Mike gerade in festem Griff über den Schreibtisch zog, sah etwas verwirrt aus. Mike schaute mit schmerzverzerrtem Gesicht Richtung Tür, in der Julia mit offenem Mund stand und vor Schreck keinen Ton mehr über ihre Lippen brachte. Holger löste seinen Griff mit viel Schwung, die Schwerkraft tat ihr Übriges und Mike ging zwischen Schreibtisch und Chefsessel zu Boden. Julia kam sich vor wie im falschen Film. Die dargebotene Szene überforderte selbst ihre Vorstellungskraft. Holger, immer noch ihre heimliche Liebe und der Inbegriff ihrer sexuellen Sehnsüchte, als Rambo. Dahinter das völlig verängstigte und nach Hilfe flehende Gesicht ihres vor Kurzem angetrauten Ehemannes. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sich Holger um und ging mit noch völlig erregtem Gesicht auf Julia zu, die noch in der offenen Tür stand. Julia lief ein kalter Schauer über den Rücken, denn so hatte sie Holger noch nie erlebt, und wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde sie es nicht glauben. Sie ging unwillkürlich zur Seite, da er ihr richtig Angst machte, als er auf sie zu trat.

Auge in Auge blieb er vor ihr stehen, dann begann sich sein Gesicht zu verändern, als ob er lächeln würde, und er sagte in ganz ruhigem Ton: "Schade, es war für mich einer der schönsten Lebensabschnitte mit dir Julia, bevor du nach Amerika gingst. In drei Wochen werde ich wieder aus meinem Urlaub zurück sein und dann entweder unter der Führung deines Vaters weiterarbeiten oder meine Papiere verlangen." Bei den letzten Worten kam er mit seinem wieder völlig versteinerten Gesicht ganz nahe vor das ihre, sodass sie ganz deutlich seinen Atem spüren konnte. "Einen schönen Tag wünsche ich noch, einen schönen Urlaub hattet ihr ja bereits, während andere Tag und Nacht arbeiten mussten, um eure zur Selbstbefriedigung gesteckten Termine einzuhalten." Holger ging ohne noch einmal zurückzuschauen hinaus und verabschiedete sich von Frau Fröhlich, die immer noch fassungslos hinter ihrem Schreibtisch stand.

Mike war zwischenzeitlich aufgestanden, hatte den umgeworfenen Chefsessel aufgestellt, sich schnell hineingesetzt, Krawatte und Sakko zurechtgerückt und auch sein breites Grinsen aufgelegt: "Frau Fröhlich sie können Feierabend machen." Er sprang sofort wieder auf, ging an Julia vorbei und schloss die Tür. Mit einem breiten triumphierenden Lachen nahm er sie in den Arm. "Mein Schatz, zur Feier des Tages werden wir beide nun schön gemütlich essen gehen! Was hältst du davon? Ich habe bereits im besten Restaurant der Stadt zwei Plätze reservieren lassen."

Julia stand noch so unter dem Eindruck dessen, was gerade vor ihren Augen abgelaufen war. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Eines wusste sie jedoch ganz sicher: jetzt würde sie keinen Bissen runterkriegen, die Situation verschlug ihr schlicht die Sprache. Sie löste sich energisch aus seiner Umarmung und drehte sich zur Seite. Der Klos in ihrem Hals versagte ihr die Stimme. Sie hatte jetzt nur ein Bedürfnis, und zwar mit ihrem Mann zu reden … die Frage war nur: wie?

Ein Glas Wasser aus dem Barschrank spülte ihren trockenen Hals mitsamt dem Klos fast frei. "Okay, Mike, Vater braucht noch einige Wochen bis er die Sache hier wieder übernehmen kann, Holger ist jetzt drei Wochen in Urlaub und die Stimmung im Betrieb ist so schlecht, wie ich sie noch nie erlebt habe." Ihre Gedanken rasten wild durcheinander; sie wollte ihrem Mann nicht wehtun, aber sie wusste, dies alles war auf seine Einstellung zurückzuführen. Er musste sich umstellen, aber wie sollte sie ihm dies erklären? "Wir sollten heute nicht essen gehen. Ich würde lieber bei einem Glas Wein zu Hause über die nächsten Aufträge der Firma mit dir reden."

Mike, der ihr erwartungsvoll zugehört hatte, legte nun sein Sakko über den einen Arm und den anderen wieder über ihre Schulter. "Okay, lass uns fahren, Wein trinken und reden und … "

Sie legte ihren Finger auf seinen Mund und zog ihn einfach mit Richtung Ausgang. Er konnte doch so ein lieber Kerl sein, warum nicht auch hier im Geschäft, dann wäre doch alles gut? Im gleichen Moment, als sie sich diese Frage stellte, wusste sie, dass es darauf nie eine Antwort geben würde.

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