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Kapitel 4
ОглавлениеSchlafstörungen waren bisher für Holger noch nie ein Thema gewesen, aber in dieser Nacht fand er keine ruhige Minute, da seine Gedanken und sein Körper rebellierten. Die vergangenen Tage liefen wie ein ständiger Film vor ihm ab und ließen ihm keine Ruhe.
Hellen, seine Frau bekam wegen seiner Unruhe auch kein Auge zu, war sich aber klar darüber, ihrem Mann im Moment nicht helfen zu können. Die letzten Wochen war er, sofern er überhaupt zu Hause war, kaum ansprechbar gewesen. Ihr Gefühl sagte ihr jedoch, dass schwerwiegende Umstände ihrem Mann zu schaffen machen mussten, denn es erforderte viel, ihn so aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Während sie völlig in Gedanken versunken neben ihm lag, spürte sie erleichtert wie er ruhiger wurde und einschlief. Es war noch sehr früh und sie genoss es den Sonnenaufgang zu erleben. Außerdem war heute ihr erster gemeinsamer Ferientag, dem die ganze Familie schon lange entgegenfieberte, besonders die beiden Jungs freuten sich auf ein paar schöne Tage mit ihrem Vater.
Sie zog sich an und holte beim Bäcker um die Ecke frische Brötchen, um damit die drei Herren zu überraschen.
Die Sonne schien bereits durch das Schlafzimmerfenster, als Holger erwachte. Im Haus war alles noch ruhig, aber der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee drang bis an sein Bett. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte er die letzte Nacht durchgemacht. Eine kalte Dusche wäre jetzt genau das Richtige, um dann gemütlich mit seiner Familie frühstücken zu können. Vielleicht sollte er schon einmal seine beiden Jungs wecken, dann könnten sie nach dem Frühstück gleich gemeinsam etwas unternehmen.
Die Tür zu Felix Zimmer stand etwas offen und Felix lag ausgestreckt auf seinem Bett. Mit seinen fast 16 Jahren, einem für sein Alter schon gut ausgeprägten Körperbau und seiner Größe, verwirrte er Holger für kurze Zeit. Irgendwie fiel ihm auf, dass Felix in seiner Vorstellung immer noch ein kleiner Junge war, dabei lag hier im Bett schon fast ein Mann.
Zwei, drei kurze Klopfer an die Türzarge und ein "Hallo Felix, aufstehen", bewirkten nur ein unwilliges Knurren und gleich darauf zog Felix die Decke über den Kopf.
Holger ging nun zur Tür von Christian, er war gerade 14 Jahre alt geworden und ein ganz anderer Typ als Felix. Der Radiowecker spielte bereits Musik und in ein Buch vertieft saß Christian aufrecht in seinem Bett.
"Hey Dad, cool, dass du jetzt zu Hause bist."
Er war immer noch dieser kleine Junge, wie in Holgers Vorstellungen. Es war höchste Zeit, er muss sich wieder etwas mehr um seine Jungs kümmern, sonst wären sie groß und er hätte ihre ganze Entwicklung verpasst, dachte er sich.
Hellen hatte ein herrliches Frühstück vorbereitet und sah nun wie zwei ihrer drei Herren froh gelaunt ins Esszimmer traten.
"Wo bleibt der dritte Mann?", fragte sie, obgleich sie wusste, dass sie hier noch nachhelfen zu musste. Felix war der geborene Langschläfer und Morgenmuffel in einer Person, deshalb setzte sie gleich energisch nach, ihn aus seinen Träumen zu reißen, damit die gute Stimmung erhalten blieb.
Das war schwierig, wenn alle längere Zeit zu Hause waren, denn meistens brauchten die Herren ein paar Tage, bis sich alle arrangiert hatten. Holger benötigte oft zwei bis drei Tage, um vom Geschäftlichen auf Urlaub umzuschalten, deshalb freute sich Hellen besonders, denn trotz schlecht geschlafener Nacht machte er mit Christian bereits Witze. Da über geschäftliche Dinge bei ihnen nicht gesprochen wurde, war es für sie oft schwierig Holger in bestimmten Situationen zu helfen oder auch nur mit ihm darüber zu reden. Das Geschäft betraf ihn, damit musste er alleine fertig werden, die Familie hingegen war etwas anderes, das hatte er ihr schon oft erklärt und sie versuchte sich auch daran zu halten.
Nach dem nunmehr fünften Nachhelfen hatte sich auch Felix völlig verschlafen am Frühstückstisch eingefunden, während die anderen bereits einen Plan für den Tag schmiedeten. Die Vorschläge reichten von Fahrradfahren, Zoo- oder Schwimmbadbesuch, Hochseilklettergarten bis hin zu Computerspielen oder Bücher lesen. Drei Wochen hatte man jetzt Zeit und da konnte so einiges unternommen werden.
Felix, der bis dahin nur da gesessen und seine Milch getrunken hatte, stellte klar, dass er sich mit einem Freund treffen würde und auf heile Familie verzichten könne. Danach stand er auf und trottete zurück in sein Zimmer.
Holger und Hellen sahen zuerst ihrem Sohn hinterher und dann sich gegenseitig an. Die Stimmung schien binnen weniger Sekunden in den Keller zu rutschen. Auf dem Heimweg hatte sich Holger gestern fest vorgenommen, seinen Frust im Geschäft zu lassen und den Urlaub mit seiner Familie von der ersten Stunde an zu genießen. Es musste doch möglich sein, auch zu Hause ein paar schöne Tage gemeinsam genießen zu können, deshalb nahm er sich vor gleich mit Felix über seinen Abgang zu reden.
Hellen sah, wie ihr Mann hinter Felix her wollte und hielt ihn energisch zurück. "Lass ihn, er hat im Moment mit sich selbst zu tun", versuchte sie ihren Mann von seinem Vorhaben abzubringen.
"Gut dann bleiben wir eben alle zu Hause und werden uns um liegen gebliebene Sachen, das Haus und den Garten kümmern."
Christians Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, was er davon hielt. "Wenn das so ist, dann habe ich auch eine Verabredung, und zwar gleich." Holgers jüngster Sohn stand auf und ging wie sein Bruder in sein Zimmer.
Eben hatte Holger sich noch auf gemeinsame Stunden mit den Jungs gefreut und nun saß er mit seiner Frau allein am Tisch. Felix und Christian befanden sich momentan in einem schwierigen Alter, aber war das ein Grund einfach aufzustehen und zu gehen? Unstimmigkeiten waren da, um beseitigt zu werden, und nicht um sie vor sich herzuschieben, dies war seine Einstellung und die müsste er jetzt auch diesen beiden klarmachen.
Hellen stand auf, lächelte ihn an und sagte: "Der Tag ist viel zu schön um zu streiten oder zu diskutieren. Lass uns nach draußen gehen und das Leben genießen."
Holger folgte ihr auf die Terrasse und spürte die Wärme, die dieser Sommertag bereits am Vormittag entwickelte und nun sah er auch ein, dass seine Frau wieder einmal recht hatte . Von der ersten Minute an, wollte er seinen Urlaub genießen und dazu bedurfte es keiner Diskussionen und Zurechtweisungen. Dennoch beschäftigte ihn, was beim Frühstück passiert war und es wuchs in ihm das Bedürfnis noch darüber zu reden.
"Ich würde gerne mit der ganzen Familie etwas unternehmen. Es sollte doch möglich sein, alle für eine Sache zu begeistern, oder?"
Hellen sah ihm deutlich an, wie wichtig ihm das war, und machte sich nun darüber Gedanken. Die letzten zwei Jahre bekamen die Jungs ihren Vater oft nur an Sonn- und Feiertage zu sehen. Die übrige Zeit war Hellen für ihre Wünsche und Anliegen zuständig, dies dankten sie ihr durch die Mithilfe im Haus und standen bei Problemen an ihrer Seite. Sie hatte einen sehr guten Draht zu beiden Jungs und wusste, mit Druck und Forderungen würde sie nichts gewinnen. Sie wollten gerne gefordert, aber nicht überfordert werden. Auch brachten sie gerne ihre eigene Meinung mit ein, für die sie ein gewisses Maß Anerkennung erwarteten. Felix saß am liebsten den ganzen Tag an seinem PC, surfte im Internet oder mailte seinen Freunden. Christian war immer auf Achse bei Freunden oder beim Angeln … wo etwas geboten wurde, stand er in der ersten Reihe. Das Handy war des Öfteren die wichtigste und einzige Verbindung, um ihn an zu Hause zu erinnern. Es gab einen grob eingespielten Tagesablauf, an den sich beide einigermaßen hielten. Nach der Schule gab es Mittagessen, anschließend wurden die Hausaufgaben gemacht und ab und zu mussten sie mithelfen, die eine oder andere Hausarbeit zu erledigen. Erst danach konnten sie sich verabreden oder vor den PC setzen. Doch jetzt sollte alles anders ablaufen, denn es waren Ferien und Holger war den ganzen Tag zu Hause. Für diesen neuen Tagesablauf brauchten alle erst ein wenig Zeit, um sich daran zu gewöhnen.
"Lass den Jungs ein paar freie Tage und uns auch. Es sind schließlich Ferien, die wir genießen sollten. In ein oder zwei Tagen sieht die Lage besser aus", sagte Hellen und nahm dabei seine Hand.
Holger war es ein Graus im Urlaub nur herumzusitzen und den Tag zu vergeuden, aber er wollte jetzt nicht der Spielverderber sein. Er sah seine Frau lächelnd an, nickte ihr zu und sagte: "Okay, dann werden wenigstens wir beide etwas gemeinsam unternehmen, oder soll ich alleine los? Vielleicht eine Runde joggen oder … "
Hellen unterbrach ihn, weil sie sah, dass er sich im Moment nicht wohlfühlte in seiner Rolle: "Ja, wir zwei … ich freue mich, mit dir etwas zu unternehmen. Lass uns eine Bergwanderung machen, dann sind wir abends wieder zurück."
Seine Begeisterung für den Einfall seiner Frau hielt sich in Grenzen, aber da er auch keine bessere Idee hatte, sagte er: "Einverstanden, immer noch besser als hier herumzusitzen."
Beide standen auf, Hellen schmierte Brote und Holger sorgte für Getränke.
Ihr Haus stand in herrlicher Lage in der Vorgebirgszone, etwas abseits am Rande eines kleinen Dorfes. Sie wohnten in einer Gegend, in der Leute viel Geld ausgeben mussten, um ihren Urlaub dort verbringen zu dürfen. Hinter ihrem Haus erhoben sich Berge, deren Gipfel bisweilen auch im Sommer mit Schnee bedeckt waren. Direkt vor ihrer Haustür begann das ruhige Seitental, welches erst an der Stadt am großen Fluss endete. Dieser Fluss und das Große dazugehörige Tal teilten zwei mächtige Gebirgszüge, welche mehr als 100 Kilometer lang waren. Bei klarer Sicht konnte man die großen Schleppkähne, die auf dem Fluss fuhren, und auch die Schneegipfel der dahinterliegenden Berge sehen. Trotz der Höhe der Vorgebirgszone, bedingt durch die südliche Lage, hatten sie bereits im Frühling angenehme Temperaturen. Im Sommer wehte immer ein leichter Wind die Hänge entlang, was das Wohlgefühl noch verstärkt. Für Holger war dies der schönste Fleck auf Gottes Erden und würde es immer bleiben.