Читать книгу Eisvogel - Walter Klipfel - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеDie Lichter in den Werkshallen waren bereits ausgeschaltet und die Türen geschlossen, wie Holger auf dem Weg zu seinem Auto mit einem bedrückenden Gefühl feststellen musste. Unter normalen Umständen würden jetzt alle fröhlich in der großen Halle sitzen, etwas trinken und den Teamgeist hochleben lassen, der sie bisher so stark gemacht hatte, aber kein Arbeiter war mehr zu sehen — entweder waren alle bereits nach Hause gegangen oder sie tranken noch irgendwo anders etwas.
Am liebsten würde er sich jetzt richtig volllaufen lassen. Auch wenn er sonst so gut wie überhaupt keinen Alkohol trank: jetzt würde er sofort mit Peter oder sonst einem seiner verlässlichen Mitarbeiter ein paar Bierchen trinken gehen. Nein, das würde auch nicht weiter helfen, denn er hatte Urlaub. Er musste jetzt einfach mal abschalten und danach würde man weitersehen.
Der Wind blies ihm feuchte Luft um die Ohren und im nächsten Moment begann es zu regnen. Gerade noch trockenen Fußes erreichte er sein Auto, als ihm einfiel, Julia nicht einmal nach dem Befinden ihres Vaters gefragt zu haben. Im gleichen Augenblick schienen ihm die geschäftlichen Probleme nicht mehr so wichtig, denn jetzt plagte ihn fast ein schlechtes Gewissen, da er sich nicht informiert hatte, wie es seinem Chef gesundheitlich ging. Seit der Verlegung in die Reha-Klinik bekam er keine Informationen mehr von Julia, weder wohin Herr Schleer verlegt wurde noch ob er sich auf dem Weg der Besserung befand.
Während Holger in Gedanken versunken hinter seinem Lenkrad saß, sah er Julia und Mike unter einer Jacke gebückt zu Julias Auto rennen. Obwohl es vom Büro zum Auto nur ein kurzes Stück Weg war, waren beide vom Regen völlig durchnässt, da half auch der Schutz der Jacke nichts mehr. Holger war gerade dabei das Fenster zu öffnen und Julia nach dem Befinden ihres Vaters zu fragen, doch als er einen kurzen Moment in das Gesicht von Mike blickte, verwarf er dieses Vorhaben gleich wieder.
Beide Fahrzeuge verließen zur gleichen Zeit das Werksgelände. Julia bog mit ihrem Sportwagen nach links auf die Hauptstraße ab und Holger nach rechts, wobei er bei einem kurzen Blick nach links nur das Grinsen von Mike auf dem Beifahrersitz wahrnahm. Gleichzeitig spürte er, wie der Hass gegenüber diesem Kerl wieder in ihm hochstieg. Jetzt gab es für ihn nur noch eine Richtung, und zwar nach Hause.
Die Beleidigung von Mike, keine Ahnung zu haben und ein kleines Rädchen zu sein, geisterte ihm immer noch im Kopf herum. Er war die ausführende Hand von Herrn Schleer, bei ihm liefen alle Fäden zusammen. Im Grunde hatte Mike ja recht, auch ein Holger Frey war nur ein Rädchen. Diesen Spruch hatte Mike sowieso von ihm, denn normalerweise benutzt er ihn selbst — aber nicht um seine Mitarbeiter herunterzuputzen oder ihnen zu zeigen wie klein ihr Stellenwert war, nein er machte ihnen das Gegenteil deutlich. Er wollte ihnen damit zeigen, dass auch die größte Maschine nur dann funktioniert, wenn jedes einzelne Rad die benötigte Leistung erbringt. Damit machte er der Belegschaft klar, dass jeder eine Funktion erfüllte, die für einen reibungslosen Betriebsablauf unverzichtbar war. Seine Devise war: Jeder ist für seinen Arbeitsplatz selbst verantwortlich. Mobbing und Neid werden sofort an der Wurzel bekämpft. Harmonie und intakter dynamischer Teamgeist sind Arbeitsplatzsicherheit Nummer eins. Jeder sollte abends den Betrieb zufrieden verlassen, mit dem Gefühl, den geforderten Aufgaben gewachsen und nachgekommen zu sein. Sie alle waren gemeinsam nur dann stark, wenn die Energie jedes Einzelnen in Produktivität umgesetzt wurde. Energieverschwendung durch Rivalität und Machtkämpfe schadeten allen. Aus diesem Grunde traf er sich zwar unregelmäßig, aber doch stetig mit seinen Meistern und Vorarbeitern zu privaten abendlichen Runden. Das Geschäftliche blieb dabei außen vor, obwohl es letztlich nur oder hauptsächlich diesem diente. Diese Treffen wurden meist spontan angesetzt und jeder, der es irgendwie einrichten konnte, nahm daran teil. In der Regel wurde zuerst eine sportliche Aktivität unternommen, wie Schwimmen, Kegeln oder auch Fahrradfahren, und hinterher wurde dann der Durst gelöscht. Geschäftliche Angelegenheiten wurden im Betrieb geregelt, von unten angefangen bis zur obersten Etage. Dabei beschwor Holger seine direkten Untergebenen, Erfolg versprechende Ideen umzusetzen und weiterzuleiten. Der Erfolg der Vergangenheit gab ihm recht. Der Betrieb wuchs mit ihm und er wuchs mit dem Betrieb. Die Mitarbeiter dankten es ihm mit guten Leistungen, wenig Krankmeldungen und geringer Fluktuation. Kündigungen gab es nur sehr selten. Herr Schleer ließ Holger freie Hand, denn seit er im Betrieb war, stiegen jährlich die Umsatzzahlen und sie erzielten höhere Gewinne. Holger behielt dank seiner guten Mitarbeiter einen gesunden Überblick über alles. Er war zwar nur ein Rädchen, aber er erfüllte seine Aufgabe — zumindest bis heute. Das war etwas, wovon dieser Mike überhaupt keine Ahnung hatte. Seit dessen Auftauchen schienen Holgers langjährige gute Arbeit und seine umgesetzten Vorsätze infrage gestellt. Mike provozierte genau das Gegenteil und Herr Schleer war im Moment außer Gefecht.