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Der Turm zu Babel ist fertiggestellt DER SUDANESISCHE TÜRSTEHER

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Nur ein einziges Mal in seinem Leben habe er in einem Flugzeug gesessen, gesteht er mir in seinem afrikanisch guttural unterfütterten Englisch. Der stets freundlich grüßende schwarze Riese, der in seinem bodenlangen hellgrauen Umhang meist regungslos vor dem Eingang des Hotels Al Rasheed steht. Oben auf der Freitreppe. Der Besucher, der die Treppe hoch steigt, sieht ihn also auch noch aus der Unterperspektive. Weißes Hemd, eine dunkelbraune Kappe mit geflochtenem Rand auf dem Kopf. Hell blitzendes Schnurrbartlächeln. Für mich das Sarotti-Negerlein von anno dazumal im modernen King-Size-Format. Da kann ich noch so heftig den Kopf über mich schütteln. Dass man die dummen Assoziationen der Kindheit aber auch nicht los wird! Aus dem Sudan sei er gekommen, vor den kriegerischen Auseinandersetzungen aus seiner Heimat geflohen, sagt er. Und ich muss ernst bleiben, den Mund halten, zuhören. „Weil ich ein Freund des Friedens. Nach Irak geflogen. Modernes Land. Reiches Land. Jetzt Empfangschef, ja, so was wie Empfangschef.“

Fliegen heißt die Zeit durcheinander bringen, gleich ob man mit der Sonne fliegt oder gegen sie. Die hatte bei meinem Abflug schon flach über das arrogant stachelige Gesicht Frankfurts hinweg geschielt. Doch bei meiner Ankunft in Amman tat sie wie nie dagewesen. Fliegen, das heißt aber auch den sich drehenden Erdball in Turbulenzen bringen. Aus dem Fenster gleich nach dem Abheben in Frankfurt noch ein wehmütiger Blick auf die dicht-deutschen Wälder, auf dem Bildschirm über mir aber schon eine andere Welt. Denn die vertrauten deutschen Städtenamen erschienen in den malerischen Schnörkeln des arabischen Alphabets. Als hätten die Söhne Allahs nicht zweimal vor den Toren Wiens Kehrt machen müssen, als wären sie nicht bei Tours und Poitiers vernichtend geschlagen worden, als hätte die katholische Reconquista sie nicht auch noch aus der letzten Ecke Spaniens vertrieben. Vor mir auf dem Bildschirm die Deutschlandkarte in Arabisch. Verheißung, Drohung oder nur Vexierbild? Jedenfalls gut, dass man gelernt hat, dem Bildschirm zu misstrauen.

Das Hotel Al Rasheed ist die Standardherberge Bagdads für die neugierigen Ausländer. Oder sollte ich mit stolzgeschwellter Brust sagen: Für uns Frontberichterstatter? Auf der nach Osten in den Tigris hineingedrückten breiten Landzunge, wo nur wenig Wohnbebauung ist, haben sich Hauptbahnhof und Planungsministerium, Ölministerium, Informationsministerium, Parlament und Palast der Republik, auch Rundfunk und Fernsehen sowie Zentrale der Baathpartei mit klotzigen Bauten versammelt. Soviel vom Hörensagen.

Mittendrin das Hotel Al Rasheed, doch von meinem Fenster aus, im neunten der vierzehn Stockwerke, kann ich die imponierend modernen Bauten zwar sehen, aber nur sehr vage ihren Bezeichnungen zuordnen. Weil es keinen Stadtplan gibt. Wie es auch keine Straßenkarte des Irak gibt. Auf meine Frage nach diesen so selbstverständlichen Hilfsmitteln für Fremde heißt es achselzuckend an der Rezeption, das Land sei bereits im Verteidigungszustand. Was ich kommentarlos hinnehmen muss. Selbstverständlich ist diese Behinderung der feindlichen Aufklärung notwendig. Bei dem Gedanken, dass die Amerikaner und Briten sämtliches Kartenmaterial aufgekauft haben könnten, um die Iraker bei ihren Verteidigungsanstrengungen in die Irre zu führen, kann ich mir ein sardonisches Lächeln nicht verkneifen. Jedenfalls wäre der Ankauf aller Karten billiger gewesen als Aufklärungsfotos aus dem Weltraum zu schießen.


Blick aus dem Hotelfenster


Das Hotel Al Rasheed

Das wüstenbraune Hotelhochhaus ist eine moderne Variante des Turms zu Babel. Aber fertiggestellt, das macht den Unterschied. Eine riesige Halle, ein ebenso großzügig dimensionierter Restauranttrakt, Läden, Wechselstuben, die Rezeption an drei langen Theken, sechs Aufzüge. Und keinen einzigen Knopf muss der Gast selbst drücken, weil überall diensteifriges Personal herumsteht. Alles funktioniert, dem desaströsen biblischen Vorbild zum Trotz. Dabei spricht auch hier jeder eine andere Sprache. Und jeder wird sich schon bald in eine andere Weltecke zurückziehen. Wer hier herumläuft, hat eine schwere Videokamera geschultertoder wenigstens ein Stativ. Oder er hat eine Profikamera in der Hand. Oder eins von den netten kleinen Tonbandgeräten in der Jackentasche, mit denen er die O-Töne für seinen Sender einfängt. Alle anderen sind Leute von der schreibenden Zunft. Sie weisen sich dadurch aus, dass sie an buntem Band ein handtellergroßes Schild auf der Brust baumeln lassen, das sie mit Farbfoto als akkreditierte Journalisten ausweist. Ich habe nichts auf der Schulter, nichts in der Hand oder Jackentasche außer meinem Notizheft mit Kugelschreiber und auch kein Schild auf der Brust. Einige Dutzend Journalisten sollen im Moment hier herumwedeln. Und zwischen all den eifrigen Adepten des Aktuellen ein deutscher Schriftsteller in der Rolle des Internet-Publizisten. Immer mit Notieren beschäftigt, im Stehen und Gehen und Sitzen und sogar im Liegen. Und nebenbei mit meiner kleinen Digitalkamera beim Schnappschießen.

Darüber hatte ich vergessen, meinen Mann aus dem Sudan nach seinem Namen zu fragen. Er hätte ihn mir sicher gerne genannt. Was denn war ihm wohl wichtiger als sein Name? Darin sind wir doch alle gleich. Es sei denn, auch er gehörte zum irakischen Geheimdienst, dessen Leute selbstverständlich zwischen den herumwuselnden Fremden waren. Als Journalisten getarnt oder als Personal. Ein Spitzel als sudanesischer Empfangschef? Eine besonders witzige Maskerade. Aber für mich nicht recht glaubhaft. Seit Jahren frage ich mich nun, was aus dem Mann mit dem freundlichen Begrüßungslächeln geworden ist. Und meine Fragen sind so dissonant, wie die täglichen Nachrichten aus dem fernen Irak. Wo steht er heute? Oder muss ich mich fragen: Wo ist er liegen geblieben? Oder sitzt er vielleicht?

Denk ich an Bagdad in der Nacht

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