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Die Arroganz der Macht MEIN KLEINER FAHRER

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Die Staatskarossen, nagelneue Drei-Liter-Limousinen mit getönten Scheiben und verhängtem Rückfenster, stehen immer vor der Hoteltreppe für uns bereit. Ein schwarzer Mercedes und zwei helle Hyundai. Die Fahrer plaudern mit Hotelangestellten und eilen zu ihrem Fahrzeug, sobald wir zum Hotelausgang kommen. Wir, das ist die kleine Gruppe von sechs Deutschen, die auf Vorschlag der Deutsch-Irakischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Europäische Außen- und Sicherheitspolitik in den Irak eingeladen wurden, damit sie sich ein Bild von dem Land machen können, das der amerikanische Präsident George W. Bush als den aktuellen Gefahrenherd für den Weltfrieden bezeichnet und mit einem Angriffskrieg bedroht. Einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer vom Spiegel, zwei Mitarbeiter diverser anderer Blätter, dazu der Organisator, ein freier Journalist, und ich als der Herausgeber des politisch-literarischen Internet-Magazins „Netzine.de“, das weltweit gelesen wird, wobei die amerikanischen Leser nach den deutschen die zweitstärkste Gruppe bilden.

Wir sechs Mann wurden eingeladen, weil Saddam Hussein der Welt das wahre Bild des Irak zeigen wollte. Dafür werden wir in Luxuskarossen mit Stander herumgefahren. Denn für die Information der Weltöffentlichkeit ist in diesem allerletzten Augenblick natürlich jeder Aufwand gerechtfertigt. Ich gehöre zu dem dritten Wagen, dem mit dem kleinsten, aber auch fröhlichsten Fahrer.

Dieser Mann im grauen Anzug mit lichtblauem Hemd ist fast so breit wie hoch, mit nur noch wenig Haar, schwarz und militärisch brav kurzgeschoren. Dafür trägt er das unvermeidliche schwarze Schnurbärtchen. Der Prophet Mohammed hat vorgeschrieben, dass ein gläubiger muslimischer Mann Bart trägt, habe ich gelesen. Und auch dieser dunkle Strich gilt als Bart. Schöner Kontrast zu den tadellosen Zähnen, die aufblitzen, wenn er lacht. Und er lacht fast immer. Wenn wir auf Englisch mit ihm sprechen, über Belangloses natürlich nur, und wenn er mit seinen Kollegen zusammen ist und auf uns wartet. Erst recht lustig findet er es, wenn er sieht, wie die Leute mit ihren durchweg altersschwachen Vehikeln zur Seite flitzen, sobald sich unsere Wagenkolonne nähert. Er hat seine helle Freude an den jähen Ausweichmanövern und den Vollbremsungen, gleich ob das Taxis sind oder Lastwagen oder Privatwagen. Sämtlich meist halbverrostete Karren. Auf der Straße zeigt das vom Westen über den Irak verhängte und schon zu lange währende Handelsembargo Wirkung. Verrottete VW-Taxis aus brasilianischer Produktion. Die Wagen der Einheimischen müssen 20 und 30 Jahre durchhalten. Da wird mit Blechstreifen und Draht und Kordel und Lederriemen nachgeholfen, damit das Gefährt zusammenhält. Ich sehe diese armseligen Vehikel und kann mir gut vorstellen, wie schwer hier der Alltag eines kleinen Händlers oder Handwerkers oder Taxifahrers ist.

Umso eindrucksvoller das Straßensystem selbst. In gigantischen Schwüngen führen sich überschneidende Fahrbahnen und Brücken durch die Stadt mit ihren imponierenden Bauten. Das Auge bemüht sich vergebens mitzukommen. Gerade noch erwischt: Da entblättert sich das riesige Oktogon einer Moschee, die erst im Bau ist, wie die nach Längengraden aufgeschnittene Schale einer Orange. Und schon raus aus der Hauptstadt. Jetzt sind wir erst recht die Eindruckmachenden. Wie wir mit 140 bis 160 Stundenkilometern auf der Ausfallstraße nach Norden rasen, mit Lichthupe und vollem Horn, in engster Kolonnenfahrt, natürlich nur links, auf der Überholspur. Sicherheitsabstand unter zehn Metern. Die 270 Kilometer nach Samarra sind bloß ein Panthersprung. Und dabei eine peinliche Demonstration staatlicher Macht. Unser Fahrer lacht über jeden Fahrer, der erschrocken Platz macht. Erst recht lustig findet er den Verkehrspolizisten, der es gerade noch schafft, zur Seite zu springen, aber noch im Sprung salutiert.

Wortlos bemühe ich mich um Verständnis für das offensichtliche Kompensationsbedürfnis des kleinen Kerls mit der großen Lache, dabei betrachte ich aufmerksam und schweigend das hinter den getönten Scheiben vorbeisausende Land. Und nehme es als berechtigt hin, dass das Fotografieren und Filmen während der Fahrt nicht erlaubt ist. Wir waren dringend gebeten worden, dieses Verbot zu beachten. Denn an der Ausfallstraße nach Norden stehen nicht nur die herrlichen alten Eukalypten und die einzelnen Palmen, manchmal sogar in der Gesellschaft von Weinstöcken. Da sind, wie wir bloß im Vorbeirasen sehen können, hin und wieder kleine Rundwälle aufgeworfen, mit Sandsäcken auf der Krone, und da und dort hat man Schützenlöcher ausgebuddelt, ebenfalls mit Sandsäcken gesichert. Einmal ist sogar eine richtige kleine Maschinengewehrstellung zu sehen. An einer Hauptkreuzung. Bei manchen Gebäuden sind auf dem Flachdach Sandsäcke gestapelt, wohl als Mini-Abwehrstellung. Dafür hat man die Hausecken bevorzugt. Das kenne ich von den Singdrosseln her, die daheim dieselbe strategische Maßnahme vorführen. Effekt: Weitester Schallwinkel, hier eher ein Streuwinkel. Doch lässt der Gedanke an die neuesten Superwaffen, mit denen Amerika das Land bedroht, mir all diese Schutzmaßnahmen mit ihrem Fotografierverbot und dem fehlenden Kartenmaterial zu Juxnummern werden.

Und doch kann ich nicht mit unserem kleinen Fahrer lachen. Dafür sind diese Kriegsvorbereitungen zu peinlich. Will man dem amerikanischen Präsidenten damit vielleicht zeigen, dass man ihn nicht ernst nimmt? Oder will man die weltweite Werbung für die höchstentwickelte US-Waffen-Produktion, als die sich der erste Golfkrieg erwiesen hat, diesmal einfach ins Leere laufen lassen? Will man die globale Verkaufsschlacht der großen Waffenproduzenten gegeneinander, die schon wieder begonnen hat, zu Lasten der Amerikaner mit diesen Sandsäcken ad absurdum führen? So oder so, jedenfalls dienen diese Schutzmaßnahmen von Vorgestern dazu, das Volk zu beruhigen. Die Leute sehen, es wird etwas zu ihrem Schutz getan. Und notfalls können diese Vorsichtsmaßnahmen ja auch dazu dienen, das Volk mit Gewalt ruhig zu halten.

Das Fotografieren oder Filmen unterwegs sei nicht erwünscht, waren wir vorher instruiert worden. Im Gegenzug hatten wir uns vorgenommen, vor den Fahrern wie vor allem sonstigen Personal keinen einzigen Satz von Bedeutung oder gar Kritik zu sagen. Man weiß ja nie, wie viel Deutsch die Leute verstehen, die angeblich nur auf Englisch mit uns radebrechen können. Sind ja vermutlich sämtlich handverlesene Mitarbeiter des Geheimdienstes, die jedes falsche Wort sofort weitergeben würden. Also kleiner Rütlischwur: Wir wollen den beiden internationalen Organisationen, die uns zu dieser Erkundungstour verholfen haben, keine Schwierigkeiten machen.

In Samarra können wir fotografieren, soviel wir wollen, auch mal ein paar Sätze untereinander austauschen. Die drei Fahrer sind bei den Wagen geblieben, als wir darangehen, das Spiralminarett zu besteigen, den Satz auf den Lippen: „Der Weg zum Himmelreich ist steinig, aber es lohnt sich.“


Das Spiralminarett

Vordergründig lohnt der Blick in die entkernte ehemalige Große Moschee nebenan. Im neunten Jahrhundert erbaut, verkündet ein Schild mit ausführlichen Erläuterungen in Englisch. Dazu gehört dieses einmalig kurios geformte Minarett. Ein Kalif namens Al Muatassim hatte das Bedürfnis, Größe zu zeigen und Staunen zu erregen, und einer seiner Nachfolger, der Kalif Al Mutawakel übertraf ihn in diesem Bestreben und baute die Moschee zu der heute noch erkennbaren Größe aus. Die Außenmauern mit ihren vierundvierzig Halbtürmen stehen noch und machen den Eindruck einer riesigen Karawanserei. Soviel zu historischer Großmannssucht und zum Pflichtbesuch an einer der vielen Sehenswürdigkeiten des Landes. Jede Frau zeigt sich nur von der schönsten Seite, warum sollte ein Land das anders halten?

Ich ziehe mich zurück zu meinem kleinen Fahrer mit seiner aktuell individuellen Variante der Großmannssucht und setze mich zum Notieren in den Wagen. Da bin ich ungestört. Denn selbst wenn er im Schielen geübt sein sollte, was weiß ich, was alles zur Ausbildung von Geheimdienstlern gehört, jedenfalls wird er meine schwer entzifferbare Handschrift nicht lesen können, kann ich ja selbst kaum.

Eines jedenfalls ist sicher: Seinen Job als Fahrer einer Staatskarosse, der ihm soviel Freude gemacht hat, den wird er verloren haben. Ob auch sein Leben? Wer weiß das. Oder ist er einer von denen geworden, die selbst zur Waffe gegriffen haben? Oder hat er sich den Sprengstoffgürtel umgebunden?

Denk ich an Bagdad in der Nacht

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