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KAPITEL 4 Totaler Krieg

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»Die Kriegssituation hat sich nicht unbedingt zu Japans Vorteil entwickelt«: Der totale Krieg als totaler Gleichmacher

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es kaum ein Land, in dem die Ungleichheit größer als in Japan war. Im Jahr 1938 flossen dem »einen Prozent« des Landes 19,9 Prozent des deklarierten Einkommens vor Steuern und Transfers zu. Doch in den folgenden sieben Jahren schrumpfte der Einkommensanteil dieser Gruppe um zwei Drittel auf 6,4 Prozent zusammen. Mehr als die Hälfte dieses Verlusts entfiel auf das reichste Zehntel dieser Spitzengruppe, dessen Anteil von 9,2 auf 1,9 Prozent abstürzte, also um fast vier Fünftel schrumpfte (Schaubild 4.1).

Doch so rasant und massiv sich die Verteilung der Einkommen auch verschob, die Einkommensverluste der japanischen Elite verblassen im Vergleich zu einer noch dramatischeren Vermögenszerstörung: Der reale Wert der deklarierten Vermögen des reichsten Prozents der Japaner schrumpfte zwischen 1936 und 1945 um 90 Prozent und im Zeitraum 1936–1949 um fast 97 Prozent. Das reichste Promille büßte in diesen beiden Zeiträumen sogar noch mehr ein, nämlich 93 beziehungsweise 98 Prozent. In realen Werten gemessen, hätte das Vermögen, das das reichste Zehntausendstel im Jahr 1949 besaß, 13 Jahre früher lediglich genügt, um Aufnahme in die Gruppe der wohlhabendsten fünf Prozent der Bevölkerung zu finden. Die Vermögen schrumpften derart zusammen, dass nur noch ganz wenige Japaner Besitztümer ihr Eigen nannten, mit denen man in der Vergangenheit lediglich als wohlhabend gegolten hatte. Aufgrund der unterbrochenen Datenreihen ist es schwierig, die Verringerung der Ungleichheit in Japan präzise zu bestimmen, aber die vorhandenen Daten deuten auf eine Verringerung des nationalen Gini-Koeffizienten der Einkommen von 0,45 bis 0,65 Ende der Dreißigerjahre auf etwa 0,3 Mitte der Fünfzigerjahre hin. Der Abwärtstrend ist also unübersehbar, was den von der Konzentration der Einkommens- und Vermögensanteile an der Spitze erweckten Eindruck einer massiven Nivellierung verstärkt.1

Schaubild 4.1 Anteil der Spitzeneinkommen am Gesamteinkommen in Japan, 1910–2010 (in %)

Was die Einkommen der Elite anbelangt, so wandelte sich die japanische Gesellschaft von einer, in der die Einkommen so ungleich verteilt waren wie in den Vereinigten Staaten am Vorabend des Börsenkrachs von 1929 – an diesem Punkt erreichte der Vermögensanteil des »einen Prozents« einen Höhepunkt –, in eine, die ähnlich egalitär wie das heutige Dänemark war, das gemessen an den Einkommensanteilen der Reichsten heute das Industrieland mit der geringsten Ungleichheit ist. Dazu kam, dass die Vermögen der Elite weitgehend ausgelöscht worden waren: Nur Lenin, Mao oder Pol Pot hätten für eine gründlichere Nivellierung sorgen können. Aber Japan hatte weder das Ideal verwirklicht, »nach Dänemark zu gelangen«, noch hatten dort fanatische Kommunisten die Macht an sich gerissen. Das Land war einfach in den Zweiten Weltkrieg eingetreten (oder hatte den Krieg begonnen, je nachdem, wie man es betrachtet). Zunächst hatte Japan versucht, die Kontrolle über China an sich zu reißen, und dann hatte es sich darangemacht, ein Kolonialreich zu errichten, das von Burma im Westen bis zu den mikronesischen Atollen im Osten und von den Aleuten nördlich des Polarkreises bis zu den Solomon-Inseln südlich des Äquators reichte. Auf dem Höhepunkt seiner Macht erhob Japan Anspruch auf etwa so viele Untertanen wie das britische Empire zu jener Zeit, das heißt auf rund eine halbe Milliarde Menschen. Das war ein Fünftel der Weltbevölkerung.2

Um dieses gewaltige imperiale Unterfangen bewältigen zu können, hatte Japan die Truppenstärke seines Militärs, die Mitte der Dreißigerjahre bei einer Viertelmillion Mann gelegen hatte, bis zum Sommer 1945 um das Zwanzigfache auf fünf Millionen Mann erhöht; jeder siebte erwachsene Japaner kämpfte im Krieg. Die Waffenproduktion stieg im selben Ausmaß. Am Ende des Kriegs hatten rund 2,5 Millionen japanische Soldaten das Leben verloren. In den letzten neun Monaten des Konflikts brachten amerikanische Bomber Tod und Zerstörung über Japan und töteten fast 700.000 Zivilisten. So grauenvoll ihre Wirkung sein mochte, die beiden Atombomben waren lediglich ein Nachspiel zu Jahren der Entbehrungen, des Leids und der Verwüstung. Der totale Krieg endete mit einer totalen Niederlage. Die amerikanischen Besatzer zwangen dem Land einschneidende institutionelle Reformen auf, um ihm seine imperialistischen Ambitionen auszutreiben.

Diese dramatischen Umwälzungen schufen nicht einfach geeignete Bedingungen für eine außergewöhnliche Nivellierung: Sie waren der einzige Grund für diesen Prozess. Der totale Krieg verringerte die Ungleichheit in beispiellosem Maß. Und wie neuere Forschungsarbeiten gezeigt haben, war dieses Ergebnis keineswegs auf Japan beschränkt. Andere Länder, die sich am Zweiten Weltkrieg beteiligten und zuvor am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, machten einen ähnlichen Wandel durch, wenn die Resultate auch nicht überall so extrem wie in Japan waren. Dasselbe gilt auch für einige Länder, die sich nicht direkt beteiligten, aber vom Konflikt betroffen waren. Der Massenmobilisierungskrieg war einer der beiden wichtigsten Nivellierungsfaktoren im 20. Jahrhundert. Der andere war die transformative – kommunistische – Revolution, aber da die Revolutionen von den Weltkriegen ausgelöst wurden, können wir den totalen Krieg als eigentliche Ursache der Nivellierung betrachten. Um erneut die Analogie der vier Reiter der Apokalypse zu bemühen: Krieg und Revolution waren Zwillinge, die Seite an Seite ritten.

Japan liefert ein gutes Anschauungsbeispiel für die nivellierende Wirkung des Kriegs. Auf den folgenden Seiten werde ich die Erfahrung dieses Landes im Krieg und unter der Besatzung genauer beschreiben und die zahlreichen und vielfältigen Faktoren zutage fördern, die zusammenwirkten, um Vermögen zu zerstören und die Einkommensverteilung erheblich zu komprimieren. Anschließend werde ich die kurzund mittelfristige globale nivellierende Wirkung der beiden Weltkriege systematisch analysieren und mich mit den Entwicklungen in den einzelnen Ländern, dem Einfluss des Kriegs auf die Nachkriegspolitik und den wichtigsten sekundären Wirkungen – darunter Aufstieg der Gewerkschaften und Demokratisierung – beschäftigen. In späteren Kapiteln werde ich untersuchen, wie weit wir die Nivellierungseffekte von Massenmobilisierungskriegen, die Effekte anderer, historisch sehr viel häufigerer Formen des Kriegs und schließlich die Auswirkungen von Bürgerkriegen in die Vergangenheit zurückverfolgen können. Wir werden sehen, dass sich die kriegerische Gewalt im Lauf der Menschheitsgeschichte auf ganz unterschiedliche Art auf die Ungleichheit ausgewirkt hat: Nur die umfassendsten militärischen Konflikte konnten die Kluft zwischen Reich und Arm verringern. In Japan nahm die Ungleichheit zu, nachdem das Land Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte, sich gegenüber der Welt zu öffnen, womit sich die wirtschaftlichen Bedingungen grundlegend änderten. Auf Provinzebene vorliegende Daten aus der Spätzeit des Shogunats deuten darauf hin, dass die persönliche Einkommensungleichheit und die Armutsquoten, gemessen an zeitgenössischen internationalen Maßstäben, relativ gering gewesen waren. Nichts deutet darauf hin, dass die Einkommensungleichheit im Tokugawa-Shogunat zugenommen hätte. Vielmehr gibt es Hinweise auf eine graduelle Verringerung der in städtischen Reislöhnen gemessenen Qualifikationsprämien zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wenn es so war, würde dies auf eine Verringerung der Ungleichheit zwischen den Arbeitskräften hindeuten. Auch die Kluft zwischen Elite und gewöhnlichem Volk verringerte sich möglicherweise. In der Spätphase des Shogunats gerieten die örtlichen Grundherren im Kampf um die wachsenden Überschüsse in Nachteil: Da ihre Einkünfte durch statische Agrarsteuern begrenzt waren, verloren sie Einkommensanteile an Händler und Bauern. Als der Umfang des internationalen Handels im 18. und frühen 19. Jahrhundert deutlich schrumpfte, gelang es den Eliten nicht mehr, Gewinne mit wirtschaftlichen Aktivitäten zu erzielen, was ebenfalls zur Eindämmung der Ungleichheit beitrug.3

All das änderte sich, als Japan in die Weltwirtschaft integriert wurde und eine rasche Industrialisierung durchmachte. Es mangelt an gesicherten Daten, aber es wird angenommen, dass der nationale Gini-Koeffizient der Einkommen und der Einkommensanteil der Reichsten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts stiegen. Nach dem Russisch-Japanischen Krieg (1904–1905) beschleunigte sich die Industrialisierung. Dank der Ausweitung des Handels mit Europa wuchsen die Ausfuhren, obwohl die Reallöhne aufgrund der Preisinflation niedrig blieben. Die Gewinnanteile der Großunternehmen stiegen im Ersten Weltkrieg und das Wachstum der Kapitaleinkünfte begann dem Anstieg der Arbeitslöhne davonzulaufen. Folglich nahm die Ungleichheit in der Zwischenkriegszeit zu. In den Dreißigerlahren sonnte sich die Elite in ihrem Reichtum: Grundbesitzer, Aktionäre und Manager profitierten außerordentlich von der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Aktienbesitz war konzentriert und dank üppiger Dividenden einträglich. Die Führungskräfte der Unternehmen waren oft zugleich Großaktionäre und bezogen hohe Gehälter und Boni. Dank niedriger Steuern ermöglichten ihnen ihre Einkommen eine fortgesetzte Vermögensakkumulation.4

Der japanische Überfall auf China im Juli 1937 bereitete der angenehmen Situation der Elite ein plötzliches Ende. Als aus dem Vorstoß eine Invasion in das bevölkerungsreichste Land der Erde wurde, deren Ende nicht abzusehen war, musste Japan seine Militärausgaben erhöhen. Nach der schrittweise erfolgenden Besetzung Französisch-Indochinas ab September 1940 erhöhte Japan mit dem Angriff auf die Vereinigten Staaten, das britische Empire, Niederländisch-Ostindien, Australien und Neuseeland im Dezember 1941 erneut den Einsatz. In den ersten sechs Monaten des Kriegs im Pazifik waren die japanischen Streitkräfte in einem riesigen Gebiet im Einsatz, das sich von den hawaiianischen Inseln und Alaska bis nach Sri Lanka und Australien erstreckte. Als der Krieg im Jahr 1945 endete, hatten mehr als acht Millionen Japaner, das heißt fast ein Viertel der männlichen Bevölkerung des Landes, im Militär gedient. Die Rüstungsproduktion war zwischen 1936 und 1944 real um das 21-Fache gestiegen und zwischen 1937 und 1941 hatten sich die Staatsausgaben verdoppelt, um sich in den folgenden vier Jahren zu verdreifachen.5

Diese massive Mobilisierung hatte erhebliche Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft. In den Kriegsjahren glätteten staatliche Regulierungsmaßnahmen, Inflation und physische Zerstörung die Einkommens- und Vermögensverteilung. Die größte Bedeutung kam dem ersten der drei Faktoren zu. Durch staatliche Eingriffe wurde Schritt für Schritt eine Planwirtschaft aufgebaut; nur die Fassade einer kapitalistischen Marktwirtschaft wurde aufrechterhalten. Maßnahmen, die ursprünglich eingeführt wurden, um auf außergewöhnliche Erfordernisse zu reagieren, wurden im Lauf der Zeit institutionalisiert. Die Kommandowirtschaft in der Mandschurei, die ab 1932 unter japanischer Besatzung stand, lieferte das Modell. Im Frühjahr 1938 wurde das Gesetz zur nationalen Generalmobilmachung verabschiedet, das der Regierung weitreichende Befugnisse einräumte, um die japanische Wirtschaft in den Dienst des Kriegseinsatzes zu stellen (der rasch zum totalen Krieg – kokka sôryokusen – eskalierte). Die staatlichen Befugnisse erstreckten sich nun auf Einstellung und Entlassung von Beschäftigten, Festlegung der Arbeitsbedingungen, Planung von Produktion und Vertrieb, Preisfestsetzung und Beilegung von Arbeitskonflikten. 1939 wurden mit einer Verordnung zur Kontrolle von Dividendenausschüttungen und Kapitalströmen die Dividendenerhöhungen eingeschränkt. 1940 wurden der Pachtzins für landwirtschaftlich genutzte Flächen und bestimmte Preise eingefroren. Löhne und Grundstückspreise wurden reguliert. Im Jahr 1940 wurde die Höhe der Managerboni begrenzt, im Jahr darauf eine Mietpreisbindung eingeführt. Die von natürlichen Personen und Unternehmen zu entrichtenden Einkommensteuern stiegen fast in jedem Jahr – 1937, 1938, 1940, 1942, 1944 und 1945. Zwischen 1935 und 1943 verdoppelte sich der Spitzensteuersatz auf Einkommen. Der Staat griff in die Aktien- und Anleihenmärkte ein, um den Verkauf von Kriegsanleihen auf Kosten von Unternehmensanleihen und Aktien anzukurbeln, die zu jener Zeit niedrigere Renditen abwarfen. Eine hohe Preisinflation ließ in Kombination mit festgeschriebenen Mieten und Pachtpreisen sowie Grundstückspreisen den Wert von Anleihen, Spareinlagen und Immobilien schwinden.

Als der Krieg im Pazifik begann, beschlagnahmte der japanische Staat alle privaten Schiffe mit einer Standardverdrängung von mehr als 100 Tonnen. Die Eigentümer sollten nur wenige dieser Schiffe wiedersehen: Vier von fünf Handelsschiffen gingen im Krieg verloren. 1943 wurden offiziell als Rüstungsunternehmen eingestufte Betriebe per Gesetz gezwungen, Produktionsaufseher zu ernennen, die ihre Befehle direkt von den Behörden erhielten. Diese entschieden darüber, in welche Ausrüstung die Unternehmen investieren sollten, wie die Arbeit organisiert und wie das Kapital zugeteilt werden sollte. Gewinne und Dividenden wurden vom Staat festgesetzt. Ab 1943 setzte die Regierung eine umfassende Verschiebung hin zur Kriegsproduktion durch: Haltlose Versprechen einer zukünftigen Entschädigung waren der einzige Produktionsanreiz, der den Unternehmen gegeben wurde. 1944 eignete sich der Staat zusätzliche Befugnisse an und verstaatlichte einen Teil der Unternehmen. In einer Studie werden etwa 70 verschiedene wirtschaftliche Kontrollmechanismen aufgelistet, die zwischen 1937 und 1945 eingeführt wurden, darunter Regelungen zur Rationierung, Kapital-, Lohn- und Preiskontrollen sowie Kontrollen von Pachteinnahmen.6

Diese Eingriffe schwächten das zaibatsu-System großer Unternehmenskonglomerate, die fest in den Händen einiger weniger reicher Familien waren. Da die Unternehmensrücklagen und die Investitionen der Reichen nicht genügten, um das für die Ausweitung der Kriegsproduktion benötigte Kapital aufzutreiben, musste sich der Staat außerhalb dieser früher geschlossenen Gruppe Geld borgen und die Japanische Industriebank verringerte den Marktanteil der privaten Finanzinstitute. In Japan war es üblich, dass die Großaktionäre auch hochrangige Führungspositionen in einem Unternehmen einnahmen, aber die wachsende Kapitalisierung und die außerhalb aufgenommenen Kredite schwächten die enge Beziehung zwischen Eigentümern und Management, was sich nachteilig auf die Vermögensakkumulation auswirkte. Unter den Bedingungen der Kriegsproduktion brach sich die neuartige Vorstellung Bahn, ein Unternehmen solle nicht allein im Besitz der Aktionäre stehen, sondern von allen Interessengruppen kontrolliert werden. Diese Doktrin gab den Anstoß zur Trennung von Eigentümerschaft und Management und gestand den Arbeitnehmern mehr Rechte einschließlich einer Beteiligung an den Gewinnen zu.7

Verschiedene staatliche Eingriffe im Krieg waren Vorboten jener umfassenden Bodenreform, die später unter amerikanischer Besatzung durchgeführt wurde. Vor dem Krieg gehörte die Hälfte des gesamten landwirtschaftlich genutzten Bodens Grundbesitzern – die mehrheitlich nur einen bescheidenen Wohlstand genossen – und ein Drittel aller Bauern bearbeitete das Land als Pächter. Die Armut auf dem Land hatte in der Zwischenkriegszeit Konflikte und Unruhen ausgelöst, die jedoch bestenfalls halbherzige Reformversuche nach sich gezogen hatten. Das änderte sich 1938 mit dem »Gesetz über die Anpassung des landwirtschaftlich genutzten Bodens«, das die Grundbesitzer zum Verkauf drängte und die Enteignung nicht bewirtschafteten Landes ermöglichte. 1939 wurden die Pachtgebühren mit dem »Gesetz zur Kontrolle der Bodenpacht« auf dem bestehenden Niveau eingefroren und der Staat erhielt das Recht, die Verkleinerung von Grundbesitz anzuordnen. 1941 wurden die Grundpreise per Verordnung auf dem Niveau von 1939 eingefroren und mit einer »Verordnung über die Bodenkontrolle« erhielt der Staat das Recht, zu entscheiden, welche Feldfrüchte angebaut werden. 1942 wurde ein Gesetz über die Lebensmittelkontrolle verabschiedet, das den Behörden die Befugnis einräumte, die Preise von Grundnahrungsmitteln festzulegen. Die Bauern mussten ihre über den Eigenbedarf hinausgehende Reisernte an den Staat verkaufen und alle Pachterträge, die nicht zur Befriedigung der Grundbedürfnisse erforderlich waren, waren an das Finanzamt abzutreten. Um in Ermangelung von Ertragsanreizen die Produktion anzukurbeln, zahlte der Staat Subventionen an die Bauern. Dank dieser Subventionen hielten die Einkommen der Primärproduzenten mit der Inflation Schritt, während die Einkünfte der Grundbesitzer rasch zusammenschmolzen. Die Folge war eine deutliche Einkommensnivellierung auf dem Land. Die realen Pachteinnahmen für landwirtschaftliche Flächen fielen zwischen 1941 und 1945 um vier Fünftel und ihr Anteil am Nationaleinkommen schrumpfte von 4,4 Prozent Mitte der Dreißigerjahre auf nur noch 0,3 Prozent im Jahr 1946. Die Lage der Grundbesitzer hätte sich sogar noch deutlicher verschlechtern können, wäre einer der zahlreichen Vorschläge zur Verstaatlichung des Bodens in die Tat umgesetzt worden.8

Die Arbeiter profitierten nicht nur von Mietpreisbindung, Lohnzuschüssen und zunehmenden staatlichen Eingriffen in die Unternehmensführung, sondern auch von einer Ausweitung der Sozialleistungen, die aus Sorge um die Gesundheit von Rekruten und Arbeitern und mit dem erklärten Ziel eingeführt wurden, die Sorgen der Bevölkerung zu zerstreuen. 1938 wurde ein Wohlfahrtsministerium gegründet, das sofort begann, die Sozialpolitik umzugestalten. Eine vom Staat teilfinanzierte Gesundheitsversicherung wurde ab 1941 deutlich ausgebaut und dasselbe galt für die Armenhilfe. Mit verschiedenen öffentlichen Rentenplänen wurde versucht, den Konsum anzukurbeln, und 1941 entstanden die ersten Sozialwohnungen Japans.9

Im Krieg entfaltete eine zweite Nivellierungskraft wachsende Wirkung: die Inflation. Die Verbraucherpreise stiegen zwischen 1937 und 1944 um 235 Prozent, im letzten Kriegsjahr erhöhten sie sich gar um 360 Prozent. Die Inflation ließ den Wert von Anleihen und Spareinlagen rasch zusammenschmelzen, während die Pacht- und Mietpreisbindung die Realeinkommen von Grundherren und Vermietern drastisch verringerte.10

Anders als auf den europäischen Kriegsschauplätzen kam der dritte Faktor, die materielle Zerstörung von Kapital, in Japan erst im Endstadium des Kriegs zum Tragen, obwohl die Handelsschifffahrt bereits sehr viel früher in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bis September 1945 wurde ein Viertel des physischen Kapitalbestands ausgelöscht. Japan verlor 80 Prozent seiner Handelsschiffe, 25 Prozent seiner Gebäude, 21 Prozent der Haushaltseinrichtungen und persönlichen Besitztümer, 34 Prozent der Fabrikausrüstung und 24 Prozent der Fertigprodukte. Die Anzahl der funktionierenden Fabriken und der Umfang ihrer Belegschaft halbierten sich im letzten Kriegsjahr. Das Ausmaß der Schäden schwankte von Industrie zu Industrie erheblich: Während die Stahlindustrie kaum Verluste hinnehmen musste, gingen in der Textilindustrie zehn Prozent, im Maschinenbau 25 Prozent und in der chemischen Industrie 30 bis 50 Prozent der Produktionskapazitäten verloren. Der Großteil dieser Einbußen war direkt auf Luftangriffe zurückzuführen. 1946 ergab eine Studie der amerikanischen Streitkräfte zum strategischen Bombenkrieg, dass die Alliierten 160.800 Tonnen Bomben auf Japan abgeworfen hatten. Das war weniger als ein Achtel der Menge, die über Deutschland abgeladen worden war, aber in Japan richteten die Angriffe größeren Schaden an, da die Ziele weniger gut verteidigt wurden. Der Angriff mit Brandbomben auf Tokio in den Nächten des 9. und 10. März 1945, der nach konservativen Schätzungen fast 100.000 Einwohner der Stadt tötete und in einem Gebiet von 40 Quadratkilometern mehr als eine Viertelmillion Gebäude zerstörte, war lediglich eine besonders spektakuläre Episode, vergleichbar mit der Auslöschung Hiroshimas und Nagasakis fünf Monate später. Die Autoren der Studie schätzen, dass in 66 bombardierten Städten rund 40 Prozent der Gebäude zerstört worden und dass etwa 30 Prozent der städtischen Bevölkerung Japans obdachlos geworden waren. Trotz der Verluste, die Immobilieneigentümern und Investoren dadurch entstanden, sollte die Gesamtwirkung dieser Zerstörungen auf die Ungleichheit nicht überschätzt werden. Dank der aggressiven Ausweitung der Produktion in der chemischen und Schwerindustrie verfügte Japan 1945 trotz der Verluste über mehr Industrieanlagen als 1937. Und sieht man von der Schifffahrt ab, so war die physische Zerstörung im Wesentlichen auf die letzten neun Kriegsmonate beschränkt. Zu dieser Zeit hatte der rasante Schwund der Einkommens- und Vermögensanteile der reichsten Japaner bereits begonnen (siehe Schaubild 4.1). Die alliierten Bombenkampagnen beschleunigten lediglich einen Trend, der schon viel früher begonnen hatte.11

In den Kriegsjahren warf das Kapital praktisch keinen Ertrag mehr ab: Der Anteil der Miet- und Zinseinkünfte am gesamten Nationaleinkommen fiel von einem Sechstel Mitte der Dreißigerjahre auf nur noch drei Prozent im Jahr 1946. 1938 hatten Dividenden, Zinserträge und Mieteinkünfte zusammen etwa ein Drittel des Einkommens des »einen Prozents« ausgemacht; der Rest entfiel auf Betriebseinkünfte und Erwerbseinkommen. Bis 1945 war der Anteil der reichsten Japaner an den Kapitaleinkünften auf weniger als ein Achtel und jener an den Erwerbseinkommen auf ein Zehntel geschrumpft; die einzige nennenswerte Einkommensquelle, die den (ehemals) reichen Japanern zugänglich war, waren die Betriebseinkünfte. Sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen gemessen, litten Dividenden und Arbeitseinkommen am meisten unter den staatlichen Interventionen. Rentiers und hochbezahlte Manager waren als Klasse praktisch ruiniert. Die reichsten Angehörigen des »einen Prozents« hatten unverhältnismäßig hohe Einbußen erlitten.

Eine vergleichbare Kompression des Wohlstands der folgenden Gruppen der Einkommensverteilung blieb jedoch aus. Der Einkommensanteil der Haushalte zwischen dem 95. und 99. Perzentil (das heißt der einkommensstärksten vier Prozent unterhalb des obersten Prozents) verringerte sich im Krieg fast nicht und blieb danach lange Zeit stabil auf dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts beobachteten Niveau, das heißt bei zwölf bis 14 Prozent des Nationaleinkommens. Die meisten Japaner mussten Einkommenseinbußen hinnehmen, aber nur die Reichsten verloren auch in Relation zu den anderen Gruppen: Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte das reichste Prozent durchweg einen Anteil am Gesamteinkommen gehabt, der jenen der nächsten vier Prozent um die Hälfte überstieg. Nach 1945 gelang es dieser Spitzengruppe nie wieder, sich einen derart hohen Einkommensanteil zu sichern. Der gesamte Verlust des obersten Prozents führte zu einem Anstieg des Anteils der unteren 95 Prozent der Bevölkerung, deren Anteil am Nationaleinkommen zwischen 1938 und 1947 von 68,2 auf 81,5 Prozent stieg. Das war eine spektakuläre Verschiebung, die den Einkommensanteil der unteren 95 Prozent der Bevölkerung, der im Jahr 1938 noch dem in den Vereinigten Staaten im Jahr 2009 entsprochen hatte, auf ein Niveau hob, das dem gegenwärtig in Schweden zu beobachtenden entspricht. Und das geschah in weniger als einem Jahrzehnt.12

»Die Zukunft wird nicht länger von einigen wenigen bestimmt«: Die Nivellierung verstärkt sich und wird konsolidiert

Die Entwicklung im Krieg war lediglich ein Teil eines größeren Nivellierungsprozesses. Japan mag insofern ein Sonderfall unter den großen kriegführenden Ländern gewesen sein, als die ab Ende der Dreißigerjahre beobachtete Nettoeinkommenskompression nicht wie in anderen Ländern überwiegend während des Kriegs und in geringerem Maß in der Nachkriegszeit, sondern zur Gänze im Zweiten Weltkrieg stattfand (siehe dazu Tabelle 5.2). Doch wie in den anderen Ländern wurde die Dekonzentration von Einkommen und Vermögen auch in Japan langfristig von einer egalisierenden Nachkriegspolitik geprägt. Im Fall Japans waren diese politischen Eingriffe samt und sonders ein direktes Ergebnis des Kriegs. Als Kaiser Hirohito am 15. August 1945 eingestand, dass sich »die Kriegssituation nicht zu Japans Vorteil entwickelt« habe und dass der Zeitpunkt gekommen sei, »das Unerträgliche zu ertragen« – die bedingungslose Kapitulation und die Besetzung durch alliierte Streitkräfte –, lag die japanische Wirtschaft in Trümmern. Die Produktion war zusammengebrochen, da es dem Land an Rohstoffen und Treibstoff fehlte. 1946 war das reale Bruttonationalprodukt 45 Prozent niedriger als 1937 und die Importe waren real auf ein Achtel des Volumens von 1935 zusammengeschmolzen. Während sich die Wirtschaft erholte, glätteten verschiedene Maßnahmen und mit dem Krieg zusammenhängende Effekte die Vermögensverteilung noch weiter.13

Als der Krieg endete, begann die Hyperinflation. Der Verbraucherpreisindex war bereits zwischen 1937 und 1945 um das 14-Fache gestiegen, aber danach beschleunigte sich die Inflation bis 1948 erheblich. Es gibt widersprüchliche Daten zur Entwicklung des Index, aber nach einer Schätzung waren die Verbraucherpreise im Jahr 1948 um 18.000 Prozent höher als zu dem Zeitpunkt, als die japanische Armee in China einmarschierte. Das wenige, was vom festen Kapitaleinkommen übrig geblieben war, löste sich in nichts auf.14

Unternehmen und Grundbesitz wurden einer aggressiven Umstrukturierung unterzogen. Die drei Hauptziele der amerikanischen Besatzungsbehörden waren die Auflösung der zaibatsu, die Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen und die Bodenreform. Dazu kam eine stark progressive Besteuerung der Einkommen. Die Besatzer wollten Japan nicht nur die materielle Fähigkeit zur Kriegsführung nehmen, sondern auch die Grundlagen der imperialistischen Aggression zerstören. Die Wirtschaftsreformen waren Teil umfassender Demokratisierungsmaßnahmen, mit denen die japanischen Institutionen umgebaut werden sollten. Dazu zählten eine neue Verfassung, das Wahlrecht für Frauen und ein gründlicher Umbau des Justizsystems und der Sicherheitsdienste. All diese Eingriffe waren eine direkte Folge des Kriegs, der zur ausländischen Besatzung geführt hatte.15

Der erklärte Zweck der Eingriffe in die Wirtschaft war eine Nivellierung, die zu den angestrebten Ergebnissen führen sollte. Die »Basic Directive« für die amerikanischen Besatzungsbehörden trug den Titel »Demokratisierung der wirtschaftlichen Institutionen Japans« und enthielt die Vorgabe, für eine »breite Verteilung der Einkommen und des Eigentums an den Produktionsmitteln« zu sorgen. In dem Bemühen, einen japanischen Sozialstaat aufzubauen, ergriffen die Besatzer Maßnahmen, die in engem Zusammenhang mit denen des New Deal in den Vereinigten Staaten standen. In den Jahren 1943 und 1945 gelangten amerikanische Forscher zu dem Ergebnis, der geringe Anteil der japanischen Industriearbeiter und Bauern am Nationalvermögen habe den Konsum gebremst und so den Druck zur wirtschaftlichen Expansion jenseits der Grenzen Japans erhöht. Um dieses Problem zu beheben, wurden die Arbeitsbeziehungen neu geordnet. Höhere Löhne kurbelten den Binnenkonsum an und erleichterten die Entmilitarisierung Japans. Die wirtschaftliche Demokratisierung und Nivellierung waren kein Selbstzweck, sondern dienten dem politischen Ziel, den Militarismus zu bekämpfen. Es wurden jene Bestandteile der japanischen Wirtschaft neu gestaltet, die eine Aggression gegen andere Länder begünstigen konnten. Letzten Endes waren auch hier der Krieg und seine Konsequenzen die Ursache für die Veränderungen.16

Die Besatzer setzten die Waffe der Besteuerung mit großer Härte ein. Zwischen 1946 und 1951 wurde eine hohe und progressive Vermögensteuer mit einem niedrigen Freibetrag und einem hohen Spitzensteuersatz von 90 Prozent eingehoben. Diese nicht auf Einkommen oder Grundbesitz beschränkte, sondern auf den Nettowert der Vermögenswerte angewandte Steuer war von unverhohlen konfiskatorischer Natur. Die Amerikaner wollten das Privateigentum umverteilen und die Erträge den unteren Schichten zukommen lassen, um ihre Kaufkraft zu erhöhen. Anfangs war jeder achte Haushalt betroffen und letzten Endes eignete sich der Staat 70 Prozent des Vermögens der reichsten 5000 Haushalte sowie ein Drittel der Vermögenswerte der Steuerpflichtigen an. Diese Steuer zielte zu einer Zeit, als die Steuerbelastung insgesamt gering war, spezifisch auf die Reichen. Sie diente nicht der Maximierung der Staatseinnahmen, sondern der Umverteilung. Zudem wurden im Jahr 1946 viele Bankguthaben eingefroren und von der Inflation aufgezehrt und Guthaben oberhalb einer bestimmten Schwelle wurden zwei Jahre später gelöscht.17

Die Besatzungsbehörden hielten wenig von den zaibatsu. Die Amerikaner betrachteten diese von einigen wenigen mächtigen Familien kontrollierten Unternehmenskonglomerate als Partner der militaristischen Führung der Kriegsjahre und allgemein als Einrichtungen, die halbfeudale Beziehungen zwischen Management und Arbeitern aufrechterhielten, was es den Großkapitalisten ermöglichte, die Löhne niedrig zu halten und gewaltige Profite anzuhäufen. Die größten zaibatsu wurden aufgelöst, womit die reichen Familien die Kontrolle über die japanische Wirtschaft verloren. (Weiterführende Pläne zur Reorganisation Hunderter Unternehmen fielen einer politischen Neuausrichtung im Kalten Krieg zum Opfer.) Die zaibatsu-Familien wurden gezwungen, 42 Prozent ihrer Aktien zu verkaufen, was zur Folge hatte, dass sich der Anteil der Aktien im Besitz der Unternehmen erheblich verringerte. In einer landesweiten Aktion zur Säuberung der japanischen Unternehmensführungen wurden rund 2200 Führungskräfte aus 632 Unternehmen entlassen oder traten in Erwartung der Entlassung zurück. So wurde das System beseitigt, in dem die Kapitalisten die uneingeschränkte Kontrolle über die Unternehmensführung gehabt hatten. In seiner Neujahrsansprache im Jahr 1948 erklärte General MacArthur:

Die Politik der Alliierten hat die Zerschlagung des Systems erforderlich gemacht, das in der Vergangenheit einer Minderheit feudaler Familien die Möglichkeit gab, den Großteil des Handels, der Industrie und der natürlichen Ressourcen ihres Landes zu kontrollieren und zu ihrem alleinigen Vorteil auszubeuten.18

Ursprünglich waren sehr harte Eingriffe geplant gewesen. In den Jahren 1945 und 1946 dachten die Besatzungsbehörden darüber nach, alle Anlagen für industrielle Fertigung und Stromerzeugung zu beseitigen, um den Lebensstandard der Japaner auf dem Niveau der späten Zwanziger- oder frühen Dreißigerjahre einzufrieren und alles, was darüber hinausging, als Reparationen einzufordern. Die Politik gegenüber Japan änderte sich in Reaktion auf die Gegebenheiten des Kalten Kriegs rasch, aber trotzdem wurden zahlreiche einschneidende Maßnahmen ergriffen. Rüstungsfabriken und verbundene Unternehmen wurden beschlagnahmt, um Reparationsforderungen zu begleichen. Im Juli 1946 ordneten die Amerikaner mit dem Argument, der Krieg sei »keine Unternehmung mit Gewinnzweck«, eine Einstellung der Entschädigungszahlungen an, die der japanische Staat seinerzeit den Unternehmen für die im Krieg erlittenen Verluste versprochen hatte: Alle offenen Forderungen wurden gestrichen. Das belastete die Bilanzen von Unternehmen und Banken zusätzlich. Vielen Betrieben drohte die Auflösung. Andere griffen auf Reserven und Eigenkapital zurück oder zahlten ihre Schulden nicht mehr, um zu überleben.19

Die Niederlage verursachte noch weitere Verluste. In den Dreißigerjahren waren große Mengen japanischen Kapitals in die Kolonien in Taiwan, Korea und der Mandschurei abgeflossen. Im Krieg erhöhten die japanischen Unternehmen ihre Aktivitäten in den Kolonien und in den besetzten Gebieten einschließlich China. Mit dem 1951 geschlossenen Friedensvertrag von San Francisco verzichtete Japan auf sein gesamtes Auslandsvermögen (das zum größten Teil ohnehin bereits von den betreffenden Ländern beschlagnahmt worden war).20

Der Finanzsektor lag am Boden. 1948 hatten die Verluste der Banken ein solches Ausmaß erreicht, dass sie nur noch ausgeglichen werden konnten, indem man sämtliche Kapitalerträge und einbehaltenen Einkünfte abschrieb, das Kapital der Banken um 90 Prozent verringerte und sämtliche Einlagen oberhalb einer bestimmten Schwelle strich. Die Aktionäre mussten nicht nur gewaltige Verluste hinnehmen, sondern es wurde ihnen auch verboten, in den folgenden drei Jahren Neuemissionen zu zeichnen. Das Ergebnis war, dass Kapitaleinkünfte praktisch verschwanden. 1949 war der Anteil von Dividenden, Zinsen und Mieteinkünften am Einkommen des obersten Prozents der Verteilung auf 0,3 Prozent zusammengeschmolzen – 1937 hatte er noch bei 45,9 Prozent, 1945 immerhin noch bei 11,8 Prozent gelegen.21

Der Aufbau von Gewerkschaften zählte zu den zentralen Anliegen der Besatzer. Vor dem Krieg waren weniger als zehn Prozent der japanischen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert gewesen und die bestehenden Gewerkschaften waren 1940 aufgelöst und durch patriotische Industrieverbände der Arbeiter ersetzt worden. Diese Form der Arbeiterorganisation diente dazu, die Arbeiterschaft für den Kriegseinsatz zu motivieren, und schuf die Grundlage für den Aufbau von Betriebsgewerkschaften unter der amerikanischen Besatzung. Schon kurz nach der Ankunft der amerikanischen Streitkräfte wurde im Herbst 1945 ein Gewerkschaftsgesetz vorgelegt, das auf den vor dem Krieg entwickelten, dann jedoch aufgegebenen Vorhaben beruhte. Das noch im selben Jahr verabschiedete Gesetz gestand den Arbeitern das Recht zu, sich zusammenzuschließen, zu streiken und Kollektivverhandlungen zu führen. Die Mitgliederzahl der Gewerkschaften stieg rasch: 1946 hatten sich 40 Prozent der japanischen Arbeiterschaft einer Gewerkschaft angeschlossen und bis 1949 stieg der Anteil auf 60 Prozent. Die Zusatzleistungen wurden ausgeweitet und die im Krieg eingeführte Gesundheits- und Rentenversicherung wurden ausgebaut. Die Gewerkschaften trugen wesentlich zur Entwicklung kooperativer Arbeitsbeziehungen bei, wobei das Hauptaugenmerk auf vom Dienstalter abhängigen Löhnen, Arbeitsplatzsicherheit und – was unter dem Gesichtspunkt der Nivellierung besonders wichtig war – einem Konsens über eine neue Lohnstruktur lag, die den Lohn von Alter, Bedarf, Lebensstandard, Preisen und Inflation abhängig machte. Für neue Arbeitskräfte wurde ein Mindestlohn eingeführt, der abhängig vom Alter, den Dienstjahren und der Familiengröße stieg. Häufige Anpassungen des Mindestlohns an die Inflation verringerten die anfangs große Einkommenskluft zwischen Arbeitern und Angestellten.22

Ein weiteres wichtiges Ziel der Besatzungsbehörden war die Bodenreform. Diese war einer der wenigen Berührungspunkte zwischen den Amerikanern und den Kommunisten, die zur selben Zeit in China die Macht ergriffen, denn auch die amerikanischen Besatzer betrachteten den Großgrundbesitz als Übel, das beseitigt werden müsse. In einem Bericht der Besatzungsbehörde wurde die Umverteilung des Landes als Voraussetzung für den Aufbau einer friedfertigen Gesellschaft in Japan bezeichnet. Die Autoren wiesen darauf hin, dass das japanische Militär die armen Bauern seinerzeit davon überzeugt hatte, eine Aggression gegen andere Länder sei ihr einziger Ausweg aus der Armut. Ohne Bodenreform, so die Studie, würde der ländliche Raum möglicherweise eine Brutstätte des Militarismus bleiben. Auch dieser gesellschaftspolitische Eingriff hatte seinen Ursprung im Krieg. Ein vom japanischen Landwirtschaftsministerium vorgelegtes und noch Ende des Jahres 1945 verabschiedetes Gesetz über die Bodenreform lehnten die Vereinigten Staaten ab, weil es ihnen nicht weit genug ging, und im Oktober 1946 trat ein überarbeitetes Gesetz in Kraft: Der gesamte Boden im Besitz abwesender Grundbesitzer (als solche wurden Eigentümer definiert, die nicht in dem Dorf wohnten, zu dem das Land gehörte) wurde zwangsenteignet und dasselbe galt für alle von einheimischen Grundbesitzern verpachteten Felder, deren Fläche größer als ein Hektar war. Von seinen Eigentümern bewirtschaftetes Land jenseits einer Schwelle von drei Hektar konnte ebenfalls in den Zwangsverkauf einbezogen werden, sofern die Behörden den Eindruck gewannen, dass es nicht effizient bewirtschaftet wurde. Die entsprechenden Enteignungsentschädigungen wurden rasch durch die galoppierende Inflation aufgezehrt. Dasselbe galt für die Pachtpreise, die auf dem Niveau von 1945 eingefroren wurden, was zur Folge hatte, dass die Inflation die Einnahmen schrittweise entwertete. Der damit einhergehende Verfall des realen Bodenwerts war dramatisch: Von 1939 bis 1949 fiel der reale Preis von Reisfeldern, gemessen am Reispreis, um den Faktor 500 und, gemessen am Zigarettenpreis, um etwa halb so viel. Die Reform erfasste ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Japans; dieses Land wurde auf die Hälfte der ländlichen Haushalte übertragen. Der Anteil des Pachtlands an der japanischen Landwirtschaftsfläche, der vor dem Krieg bei beinahe der Hälfte gelegen hatte, sank bis 1949 auf 13 Prozent und bis 1955 auf neun Prozent, während der Anteil der Bauern, die ihr eigenes Land bestellten, von 31 auf 70 Prozent stieg. Die Figur des landlosen Pächters verschwand fast. Der Gini-Koeffizient der Einkommen fiel auf dem Land von 0,5 vor dem Krieg auf 0,35 in der Nachkriegszeit. Obwohl diese Reform auf Maßnahmen und Konzepten beruhte, die im Krieg entwickelt worden waren, war diese einschneidende Umsetzung ein direktes Ergebnis der Besatzung. Mit der für ihn charakteristischen Bescheidenheit sprach General MacArthur von der »möglicherweise erfolgreichsten Bodenreform der Geschichte«.23

In den Jahren des totalen Kriegs und der anschließenden Besatzung – von der Invasion in China 1937 bis zum Friedensvertrag von 1951 – wurden die Quellen und die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Japan vollkommen umgestaltet. Die am Anfang dieses Kapitels beschriebene abrupte Verringerung der Einkommensanteile der Reichsten und der dramatische Zusammenbruch der großen Vermögen wurden in erster Linie durch den Rückgang der Kapitalrenditen herbeigeführt, der sich keineswegs nur auf die Reichsten auswirkte. Die Zusammensetzung der neun Prozent der größten Vermögen änderte sich erheblich. Der Anteil von Aktien, Anleihen und Spareinlagen, die 1935 noch fast die Hälfte des Vermögens dieser Gruppe ausmachten, sank bis 1950 auf ein Sechstel und der Anteil des Ackerlands fiel von fast einem Viertel auf weniger als ein Achtel. Die meisten dieser Veränderungen fanden während des Kriegs statt: Der gesamte Rückgang des Einkommensanteils der Reichsten und in absoluten Zahlen fast der gesamte Rückgang (rund 93 Prozent) des realen Werts der Vermögen des reichsten Prozents zwischen 1936 und 1949 waren im Jahr 1945 bereits abgeschlossen.24

Dennoch trug die Besatzungszeit als direktes Ergebnis des Krieges entscheidend dazu bei, die im Krieg ergriffenen Maßnahmen auf eine solidere Grundlage zu stellen und ihre dauerhafte Wirkung zu gewährleisten. Wie General MacArthur in seiner ersten Neujahrsansprache an das japanische Volk erklärte, würde die Zukunft des Landes nicht länger »von einigen wenigen bestimmt«. Die Eingriffe der amerikanischen Besatzungsmacht in die japanische Wirtschaft konzentrierten sich auf Besteuerung, Unternehmensführung und Arbeitsorganisation, allesamt Bereiche, in denen der japanische Staat der etablierten Vermögenselite bereits im Krieg großen finanziellen Schaden zugefügt hatte. Der Krieg und die ersten Nachkriegsjahre lösten also eine gewaltige Verschiebung aus, in der die Herrschaft einer reichen und mächtigen Aktionärsklasse, die die Unternehmen kontrollierte und hohe Dividenden abschöpfte, durch ein egalitäreres System ersetzt wurde, dessen Säulen Lebensarbeitsplätze, von den Dienstjahren abhängige Löhne und Betriebsgewerkschaften waren. Neben der Neuordnung von Unternehmen und Arbeitsbeziehungen sowie der Bodenreform trug auch die progressive Besteuerung entscheidend zur Fortsetzung der im Krieg beobachteten Nivellierung bei. Ab den Fünfzigerjahren wurde ein Steuersystem mit einem Spitzensteuersatz von 60–75 Prozent auf die höchsten Einkommen und eine Vermögensteuer von mehr als 70 Prozent auf die größten Vermögen entwickelt. Mit diesen progressiven Steuern konnten Einkommensungleichheit und Vermögensakkumulation bis in die Neunzigerjahre eingedämmt werden, während ein starker Mieterschutz die Mieteinkünfte verringerte und Kollektivverhandlungen eine anhaltende Einkommenskompression gewährleisteten.25

Der Krieg und seine Folgen sorgten für eine plötzliche, massive und dauerhafte Nivellierung. Die blutigsten Jahre der japanischen Geschichte mit einem Krieg, der Millionen Menschenleben kostete und große Zerstörung über das Land brachte, hatten eine unvergleichliche egalisierende Wirkung. Ermöglicht wurde dieses Ergebnis durch eine neuartige Kriegführung, die eine umfassende Mobilisierung von Gesellschaft und Wirtschaft erforderlich machte. Die extreme Gewalt verringerte die extreme Einkommens- und Vermögensungleichheit in der japanischen Gesellschaft. So führte der totale Krieg durch Massenmobilisierung, Zerstörung und Besatzung zur totalen Nivellierung.

Nach dem Krieg sind alle gleich

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