Читать книгу Die Corona-Falle - Walter Sonnleitner - Страница 10
1.1.5 Auf der Suche nach der neuen Normalität
ОглавлениеMitte Juli, als mit Beginn der Reise- und Urlaubssaison bereits ein Großteil der Vorschriften und Einschränkungen im öffentlichen Leben wieder gelockert oder aufgehoben worden waren, musste man feststellen, dass sich die Zahlen der Neuinfektionen nicht nur insgesamt, sondern in den einzelnen Bundesländern und auch in den einzelnen Regionen im Lande sehr unterschiedlich entwickelt hatten. Infektions-Hotspots und -Cluster konnten klar identifiziert und die betroffenen Personen nachverfolgt werden. Cluster nennt man Zentren im sozialen Umfeld, von denen eine höhere Zahl von Infektionen ausgeht. Das können beispielsweise öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Polizeistationen oder Gottesdienste in Kirchen sein oder private Partyveranstaltungen. Das zeigt sich automatisch dann, wenn bei einer neu positiv getesteten Person nach den Menschen gefahndet wird, mit denen sie zuletzt Kontakt hatten. Wenn sich dann zeigt, dass diese Menschen, die zuletzt Kontakt hatten, etwa im selben Betrieb arbeiten, dieselben Lokale regelmäßig frequentieren oder familiären oder verwandtschaftlichen Umgang pflegen – bei Familienfeiern, Begräbnissen und Hochzeiten – zusammenkommen, dann hat man ein „Cluster“ identifiziert.
Im Zuge der Nachforschungen stellte sich auch heraus, dass diese Nachverfolgung der Kontaktpersonen („contact tracing“) von Covid-positiv getesteten Personen im regionalen Kleinbereich einfacher zu organisieren waren als im bundesweiten Modus. Die Folge waren dann zunächst Schutzverordnungen im konkreten regionalen oder lokalen Bereich. Beispielsweise wurde in einigen Kärntner Urlaubsorten mit intensiver Nachtlokal- und Ausgeh-Szene die Maskenpflicht in den Abend- und Nachtstunden von den Kärntner Behörden verhängt, oder auf den Wochenmärkten, wo die Menschen zumeist sehr eng aneinander vorbeigehen müssen und die Pflicht-Abstände nicht einhalten können. In Oberösterreich wurden die Vorschriften zum Tragen von Mund- und Nasenschutz-Masken sogar landesweit wieder eingeführt. Als es in St. Wolfgang am See zu einem Cluster kam, von dem mehrere Hotels betroffen waren, konnte man es bei einer Sperre von einigen wenigen Betrieben belassen. In Niederösterreich wurden nach dem Auftreten von Infektions-Clustern in einzelnen Betrieben – vor allem in Schlachtereien – die betroffenen Unternehmen zumindest vorübergehend geschlossen. Der wirtschaftliche Vorteil lag auf der Hand: Bei regionalen Problemen konnten Betriebsschließungen auf regionale Einzelfälle beschränkt bleiben und großflächige Wirtschaftsstörungen im gesamten Bundesgebiet mit entsprechenden Folgen somit vermieden werden.
Ob damit regional differenzierte Maßnahmen auch in der Folge – und bis hinein in den Herbst – eine gangbare Lösung sein könnten, wurde von den Experten bezweifelt, die schon zu Sommerbeginn die Wieder-Einführung der Maskenpflicht im gesamten Bundesgebiet gefordert haben. Die Hoffnungen auf die Rückkehr zur „alten Vor-Corona-Normalität“ waren längst auf ein Minimum geschrumpft. Der Übergang zu einer „neuen Normalität“ mit wechselnder Strenge bei den verfügten Schutzmaßnahmen konnte bereits erahnt werden.
Und die kam dann auch pünktlich Mitte Juli. Die Zahlen für die täglich aktuellen Neu-Infektionen waren in den dreistelligen Bereich geklettert, lagen zuweilen über der 100er-Grenze. Es gab einige besorgniserregende Cluster in einigen Bundesländern, eine zunehmende Zahl von Neu-Infektionen, die auf Heimkehrer-Fälle aus den Ländern des Westbalkan, also den Ländern Südost-Europas zurückzuführen waren, und – das musste besonders ernst genommen werden – eine alarmierende Sorglosigkeit in der Bevölkerung, was die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen in der Pandemie-Vorsorge betraf. Es wurden die Bestimmungen über die Nasen-Mund-Schutzmasken-Pflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht konsequent eingehalten, ebenso wie auf den öffentlichen Plätzen und bei Versammlungen, aber auch das Abstandhalten nach der vielzitierten Elefantenbaby-Formel fand zu wenig Widerhall. Was aber insbesondere den Innenminister erzürnte, das war der Umstand, dass die von den Behörden an die Corona-Infizierten ausgesprochenen Quarantäne-Pflichten in steigendem Maße nicht mehr eingehalten wurden. Die Polizei, die das zu überwachen hatte, musste zahlreiche Anzeigen aussprechen.
Am 21. Juli war es dann so weit. Die Regierungsspitze trat in der bereits bekannten Formation – Kanzler, Vizekanzler, Gesundheitsund Innenminister – vor die Fernsehkameras und die Journalisten. Und wie ohnedies bereits erwartet, wurde eine Wiedereinführung der Mund- und Nasen-Schutzmasken-Pflicht in ganz Österreich verkündet. Zwar nicht generell, aber in jenen öffentlichen Orten, die alle Menschen in der Bevölkerung einfach zwangsläufig aufsuchen müssen: die Lebensmittel-Geschäfte und Supermärkte, die Bäckerstuben oder die Lebensmittel-Shops in den Tankstellen, die Filialen der Banken und der Post. Diese Einrichtungen müssten auch den als „Risiko-Gruppe“ definierten älteren und kranken Menschen ohne größeres Risiko zugänglich sein, so wie die Krankenanstalten, Ärztepraxen und Apotheken und Gotteshäuser, wo die Schutzmasken auch bisher verpflichtend waren. „Werfen Sie ihre Masken nicht weg – sie werden Sie noch brauchen“, hatte es bei der Rücknahme der allgemeinen Maskenpflicht geheißen, nun hatte sich die Voraussicht bewahrheitet. Eine Neben-Bemerkung, die dabei mehrfach gefallen ist, ließ allerdings die aufmerksamen Zuhörer aufhorchen: Über die virologische und medizinische Wirksamkeit der Maske konnten aufgrund unterschiedlicher Auslegung zwar keine verbindlichen Aussagen gemacht werden. Aber in jedem Fall würde das Tragen der Mund- und Nasenschutz-Masken das Bewusstsein für die Existenz und die Gefährlichkeit des Virus steigern und aufrechterhalten.
Gleichzeitig wurden an diesem Tag neue und strengere Einreise-Beschränkungen und Kontrollen im Grenzverkehr mit einigen Staaten des Westbalkan und bald darauf auch einigen anderen in- und außerhalb von EU-Europa verfügt. Was bereits als eine Vorbereitung auf die mit Sicherheit erwartete „Zweite Welle“ der Corona-Pandemie im Herbst angekündigt wurde, das waren eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Maßnahmen zur zeitgerechten Abwehr einer rasch ansteigenden Zahl von Neu-Infektionen und Belastungen der Krankenanstalten. Man sprach von 17 Sondermaßnahmen, in deren Zentrum die sogenannte „Corona-Ampel“ stehen sollte. Man wollte österreichweite Beschränkungen und Verordnungen – vor allem Betriebsschließungen – vermeiden für den Fall, dass in einigen Bezirken im Lande plötzlich Ansteckungs-Cluster unabhängig voneinander auftauchen würden. Ein Ampelsystem sollte den nach einheitlichen Kriterien definierten Alarmzustand in den einzelnen Bundesländern und Regionen anzeigen und in den abgegrenzten Gebieten die spezifisch notwendigen Maßnahmen transparent und nachvollziehbar machen. Damit sollte ein „Fleckerlteppich“ an Bezirks-spezifischen Verordnungen nach jeweils eigenen Kriterien vermieden werden.
Eine weitere Verschärfung der Maßnahmen wurde schließlich Mitte August notwendig. Zwar waren mit Beginn der Urlaubssaison die Reisebeschränkungen in die wichtigsten Feriengebiete im nahen Ausland aufgehoben worden, doch stellte sich dann doch bald heraus, dass vor allem aus den kroatischen Badeorten sehr viele infizierte Urlaubs-Rückkehrer ins Land kamen. Die Regierung musste dann fast überfallsartig neue strenge Kontrollen an den Grenzen anordnen und durchführen lassen, was zu teilweise großen Unannehmlichkeiten bei den Betroffenen führte. Für die Opposition war es hauptsächlich ein Grund für hämische Kritik.
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher war, was noch alles im Laufe der kommenden Monate auf die Bevölkerung zukommen sollte, so konnte man schon ziemlich erahnen, wie die immer wieder zitierte „Neue Normalität“ aussehen könnte – sicher anders als normal.