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~Das Gespräch~

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Wo bist du, Jugendliches! das immer mich

Zur Stunde weckt des Morgens, wo bist du, Licht?

Hölderlin

I

Täglich nutzen wir ungemessene Kräfte wie die Schlafenden. Was wir tun und denken ist erfüllt vom Sein der Väter und Ahnen. Eine unbegriffene Symbolik verknechtet uns ohne Feierlichkeit. – Manchmal erinnern wir uns erwachend eines Traumes. So erleuchten selten Hellsichten die Trümmerhaufen unserer Kraft, an denen die Zeit vorüberflog. Wir waren Geist gewohnt wie den Herzschlag, durch den wir Lasten heben und verdauen.

Jedes Gespräches Inhalt ist Erkenntnis der Vergangenheit als unserer Jugend und Grauen vor den geistigen Massen der Trümmerfelder. Wir sahen noch niemals die Stätte des lautlosen Kampfes, der das Ich gegen die Väter setzte. Nun erblicken wir, was wir ohne Wissen zerschlugen und hoben. Das Gespräch klagt um versäumte Größe.

II

Das Gespräch strebt zum Schweigen und der Hörende ist eher der Schweigende. Sinn empfängt der Sprechende von ihm, der Schweigende ist die ungefaßte Quelle des Sinns. Das Gespräch hebt Worte zu ihm als die Fassenden, die Krüge. Der Sprechende senkt die Erinnerung seiner Kraft in Worte und sucht Formen, in denen der Hörende sich offenbart. Denn der Sprechende spricht um sich bekehren zu lassen. Er versteht den Hörenden trotz seiner eigenen Worte: daß einer ihm gegenüber ist, dessen Züge unauslöschlich ernst und gut sind, während der Sprechende die Sprache lästert.

Aber mag er auch eine leere Vergangenheit orgiastisch beleben, der Hörende versteht nicht Worte sondern das Schweigen des Gegenwärtigen. Denn der Sprechende ist trotz der Seelenflucht und Wortleerheit gegenwärtig, sein Gesicht ist dem Hörenden offen und die Bemühungen der Lippen sind sichtbar. Der Hörende hält die wahre Sprache in Bereitschaft, in ihn gehen die Worte ein und er zugleich sieht den Sprecher.

Wer spricht geht in den Lauschenden ein. Das Schweigen gebiert sich also selber aus dem Gespräche. Jeder Große hat nur ein Gespräch, an dessen Rande wartet die schweigende Größe. Im Schweigen wurde die Kraft neu: der Hörende führte das Gespräch zum Rande der Sprache und der Sprechende erschuf das Schweigen einer neuen Sprache, er, ihr erster Lauscher.

III

Schweigen ist die innere Grenze des Gespräches. Niemals gerät der Unproduktive an die Grenze, er hält seine Gespräche für Monologe. Aus dem Gespräch tritt er in das Tagebuch oder in das Café.

In den gepolsterten Räumen schwieg es schon lange. Hier darf er lärmen. Er tritt unter die Huren und die Kellner wie der Prediger unter die Andächtigen – er, der Konvertit seines letzten Gespräches. Nun ist er zweier Sprachen kundig, der Frage und Antwort. (Ein Fragender ist einer, der sein Leben lang an die Sprache nicht dachte, und nun will er es ihr recht machen. Ein Fragender ist leutselig gegen Götter.) Der Unproduktive fragt – hinein in das Schweigen, unter die Tätigen, Denker und Frauen – nach der Offenbarung. Er ist am Ende erhoben, er blieb ungebeugt. Seine Wortfülle flieht ihn, er lauscht verzückt seiner Stimme; er vernimmt weder Worte noch Schweigen.

Aber er rettet sich in die Erotik. Sein Blick entjungfert. Sich selber will er sehen und hören und also will er des Sehenden und Hörenden mächtig werden. Daher verspricht er sich selbst und seine Größe, er flüchtet sprechend. Aber immer sinkt er vernichtet vor der Menschheit im andern nieder; immer bleibt er unverständlich. Und suchend gleitet der Blick der Schweigenden durch ihn hin zu dem, der schweigend kommen wird. – Größe ist das ewige Schweigen nach dem Gespräch. Es heißt den Rhythmus eigener Worte im Leeren vernehmen. Das Genie hat seine Erinnerung völlig verflucht in der Gestaltung. Es ist gedächtnisarm und ratlos. Seine Vergangenheit wurde schon Schicksal und ist nimmer zu gegenwärtigen. Im Genie spricht Gott und lauscht dem Widerspruch der Sprache.

Dem Schwätzer scheint das Genie die Ausflucht vor Größe. Kunst ist das beste Mittel gegen Unsal. Das Gespräch des Genius ist aber Gebet. Im Sprechen fallen die Worte von ihm nieder wie Mäntel. Die Worte des Genius machen nackt, und sind Hüllen, in die der Lauschende sich gekleidet fühlt. Wer lauscht ist die Vergangenheit des großen Sprechers, sein Gegenstand und seine tote Kraft. Der sprechende Genius ist stiller als der Lauschende, wie der Betende stiller ist als Gott.

IV

Immer bleibt der Sprechende von der Gegenwart besessen. Also ist er verflucht: nie das Vergangene zu sagen das er doch meint. Und was er sagt, hat schon lange die stumme Frage der Schweigenden in sich befaßt, und ihr Blick fragt ihn, wann er endet. Er soll sich der Hörenden vertrauen, damit sie seine Lästerung bei der Hand nimmt und sie bis an den Abgrund führt, in dem die Seele des Sprechenden liegt, seine Vergangenheit, das tote Feld, zu dem er hinirrt. Da wartet aber die Dirne schon lange. Denn jede Frau hat die Vergangenheit und jedenfalls keine Gegenwart. Darum behütet sie den Sinn vor dem Verstehen, sie wehrt dem Mißbrauch der Worte und läßt sich nicht mißbrauchen.

Den Schatz der Alltäglichkeit hütet sie, aber auch die Allnächtlichkeit, das höchste Gut. Darum ist die Dirne die Hörende. Sie rettet das Gespräch vor Kleinheit, auf sie hat Größe keinen Anspruch, denn Größe endet vor ihr. Jede Mannheit ist schon vor ihr vergangen, nun verfließt der Wortstrom in ihre Nächte. Die ewig gewesene Gegenwart wird wieder werden. Des Schweigens anderes Gespräch ist Wollust.

V

das genie Ich komme zu dir, um bei dir auszuruhen.

die dirne So setze dich.

das genie Ich will mich zu dir setzen – eben habe ich dich berührt, und mir ist, als hätte ich schon Jahre geruht.

die dirne Du machst mich unruhig. Wenn ich neben dir läge, könnte ich nicht schlafen.

das genie Jede Nacht sind Menschen bei dir im Zimmer. Mir ist, als hätte ich sie alle empfangen und sie hätten mich freudlos angesehen und wären gegangen.

die dirne Gib mir deine Hand – an deiner schlafenden Hand fühle ich, daß du all deine Gedichte jetzt vergaßest.

das genie Ich denke nur an meine Mutter. Darf ich dir von ihr erzählen? Sie hat mich geboren. Sie hat geboren wie du: hundert tote Gedichte. Sie hat ihre Kinder nicht gekannt, wie du. Ihre Kinder haben mit fremden Menschen gehurt.

die dirne Wie die meinen.

das genie Meine Mutter hat mich immer angesehen, mich gefragt, mir geschrieben. Ich habe an ihr alle Menschen verlernt. Alle wurden mir Mutter. Alle Frauen hatten mich geboren, kein Mann hatte mich gezeugt.

die dirne So klagen alle, die bei mir schlafen. Wenn sie mit mir in ihr Leben blicken, scheint es ihnen wie dicke Asche bis zum Halse emporzustehen. Niemand hat sie gezeugt und zu mir kommen sie, um nicht zu zeugen.

das genie Alle Frauen, zu denen ich komme, sind wie du. Sie haben mich tot geboren und wollen von mir Totes empfangen.

die dirne Aber ich bin die Todesmutigste. (Sie gehen schlafen.)

VI

Die Frau hütet die Gespräche. Sie empfängt das Schweigen und die Dirne empfängt den Schöpfer des Gewesenen. Aber niemand wacht über die Klage wenn Männer sprechen. Ihr Gespräch wird Verzweiflung, es erschallt im tauben Raum, und lästernd greift es in die Größe. Zwei Männer sind bei einander immer Aufrührer, am Ende greifen sie zu Feuer und Beil. Sie vernichten die Frau durch die Zote, das Paradoxon notzüchtigt die Größe. Die Worte gleicher Geschlechter vereinigen sich und peitschen sich auf durch ihre heimliche Zuneigung, ein seelenloser Doppelsinn steht auf, schlecht verhüllt durch die grausame Dialektik. Lachend steht die Offenbarung vor ihnen und zwingt sie zum Schweigen. Die Zote siegt, die Welt war aus Worten gezimmert.

Nun müssen sie aufstehen und ihre Bücher erschlagen und sich ein Weib rauben, sonst werden sie heimlich ihre Seelen erwürgen.

VII

Wie sprachen Sappho und ihre Freundinnen? Wie kam es, daß Frauen sprachen? Denn die Sprache entseelt sie. Die Frauen empfangen keine Laute von ihr und keine Erlösung. Die Worte wehen über die Frauen hin, die beieinander sind, aber das Wehen ist plump und tonlos, sie werden geschwätzig. Ihr Schweigen thront aber über ihrem Reden. Die Sprache trägt die Seele der Frauen nicht, denn sie vertrauten ihr nichts; ihr Vergangnes ist nie beschlossen. Die Worte fingern an ihnen herum, und irgend eine Fertigkeit antwortet ihnen geschwind. Aber nur im Sprechenden erscheint ihnen die Sprache, der gequält die Leiber der Worte preßt, in die er das Schweigen der Geliebten abbildete. Worte sind stumm. Die Sprache der Frauen blieb ungeschaffen. Sprechende Frauen sind von einer wahnwitzigen Sprache besessen.

VIII

Wie sprachen Sappho und ihre Freundinnen? – Die Sprache ist verschleiert wie das Vergangene, zukünftig wie das Schweigen. Der Sprechende führt in ihr die Vergangenheit herauf, verschleiert von Sprache empfängt er sein Weiblich-Gewesenes im Gespräch. – Aber die Frauen schweigen. Wohin sie lauschen, sind die Worte ungesprochen. Sie nähern ihre Körper und liebkosen einander. Ihr Gespräch befreite sich vom Gegenstande und der Sprache. Dennoch hat es einen Bezirk erschritten. Denn erst unter ihnen und da sie bei einander sind, ist das Gespräch selbst vergangen und zur Ruhe gekommen. Nun erreichte es endlich sich selber: Größe wurde es unter ihrem Blick, wie das Leben Größe war vor dem vergeblichen Gespräche. Die schweigenden Frauen sind die Sprecher des Gesprochenen. Sie treten aus dem Kreise, sie allein sehen die Vollendung seiner Rundung.

Sie alle bei einander klagen nicht, sie schauen bewundernd. Die Liebe ihrer Leiber ist ohne Zeugung, aber ihre Liebe ist schön anzusehen. Und sie wagen den Anblick an einander. Er macht eratmen, während die Worte im Raum verhallen. Das Schweigen und die Wollust – ewig geschieden im Gespräch – sind eins geworden. Schweigen der Gespräche war zukünftige Wollust, Wollust war vergangenes Schweigen. Unter den Frauen aber geschah der Anblick der Gespräche von der Grenze schweigender Wollust. Da erstand erleuchtend die Jugend der dunklen Gespräche. Es erstrahlte das Wesen.

Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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