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~Der Ball~

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Um welches Vorspieles willen berauben wir uns unserer Träume? Denn mit leichter Hand drängen wir sie beiseit, in die Kissen, lassen sie zurück, während einige unser erhobenes Haupt lautlos umflattern. Wie wagen wir es, Wachende, diese hineinzutragen ins Helle? O, in der Helle! Alle unter uns tragen die unsichtbaren Träume um sich, wie tief verschleiert sind die Häupter der Mädchen, ihre Augen sind heimliche Nester der Unheimlichen, der Träume, ganz ohne Zugang, leuchtend vor Vollendung. Die Musik hebt uns alle zur Höhe jenes erleuchteten Strichs – du kennst ihn – der unter dem Vorhange durchbricht, wenn ein Orchester die Geigen stimmte. Der Tanz beginnt. Da gleiten unsere Hände alle aneinander ab, unsre Blicke fallen in einander, schwer, schütten sich aus und lächeln aus dem letzten Himmel. Unsere Körper berühren sich vorsichtig, wir alle wecken einander nicht aus dem Traume, rufen einander nicht heim in die Dunkelheit – aus der Nacht der Nacht, die nicht Tag ist. Wie wir uns lieben! Wie wir unsre Nacktheit behüten! Wir haben sie alle gefesselt in Buntes, Maskiertes, Nacktes-Versagendes, Nacktes-Versprechendes. Es ist in allen ein Ungeheures zu verschweigen. Aber wir werfen uns in die Rhythmen der Geigen, niemals war eine Nacht körperloser, unheimlicher, keuscher als diese.

Wo wir allein stehen, auf einem Fuder Fanfaren, allein in der hellen Nächte-Nacht, die wir beschworen, bittet unser flüchtendes Gemüt eine Frau noch zu sich, die – ein Mädchen – steht in einer fernen Saalflucht.

Sie schreitet über das Parkett, das so glatt liegt zwischen den Tänzern, als spiegele es die Musik, denn dieser glatte Boden, dem die Menschen nicht zugehören, schafft Raum für das Elysische, das die Einsamkeiten der Menschen zum Reigen schließt. Sie schreitet und ihr Schritt ordnet die Tanzenden, einige drängt sie hinaus, die zerschellen an den Tischen, wo der Lärm der Einsamen waltet, oder wo in Gängen Menschen gehen wie auf hohen Drahtseilen durch die Nacht.

Wann jemals gelangte Nacht zur Helle und ward ausgestrahlt, wenn nicht hier? Wann jemals ward Zeit überwunden? Wer weiß, wen wir zu dieser Stunde treffen? Sonst (gäbe es ein »sonst«) waren wir eben hier, aber schon vollendet, sonst vielleicht gossen wir die Neige des abgebrauchten Tages fort und schmeckten den neuen. Aber nun gießen wir den schäumenden Tag über in das purpurne Krystall der Nacht, er wird ruhig und funkelt.

Die Musik entrückt die Gedanken, unsere Augen spiegeln die Freunde rings umher, wie sich alle bewegen, umflossen von Nacht. Wirklich sind wir in einem Hause ohne Fenster, in einem Saal ohne Welt. Treppen geleiten hinauf und hinunter, marmorn. Hier ist die Zeit eingefangen. In uns regt sie nur noch manchmal widrig ihren ermüdeten Atem und macht uns unruhig. Aber ein Wort, hineingesprochen in die Nacht, ruft einen Menschen zu uns, wir gehen mit einander, die Musik war uns schon entbehrlich, ja im Dunklen könnten wir beieinander liegen, dennoch würden unsere Augen blitzen wie nur je ein blankes Schwert zwischen Menschen. Um dieses Haus wissen wir alle gnadenlosen, ausgestoßenen Wirklichkeiten flattern. Die Dichter mit ihrem bittern Lächeln, die Heiligen und die Polizisten und Autos, die warten. Manchmal dringt Musik hinaus, die sie verschüttet.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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