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Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas ganz außerordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue etwa stand in einem durchaus andern Traditionszusammenhange bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Kirchenvätern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem andern Wort: ihre Aura. Die ursprünglichste Art der Einbettung des Kunstwerks in den Traditionszusammenhang fand ihren Ausdruck im Kult. Die ältesten Kunstwerke sind, wie wir wissen, im Dienst eines Rituals entstanden, zuerst eines magischen, dann eines religiösen. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, daß diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritualfunktion sich löst. Mit andern Worten: der einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks ist immer theologisch fundiert. Diese Fundierung mag so vermittelt sein wie sie will: sie ist auch noch in den profansten Formen des Schönheitsdienstes als säkularisiertes Ritual erkennbar. Diese profanen Formen des Schönheitsdienstes, die sich mit der Renaissance herausbilden, um für drei Jahrhunderte in Geltung zu bleiben, lassen nach Ablauf dieser Frist bei der ersten schweren Erschütterung, von der sie betroffen wurden, jene Fundamente deutlich erkennen. Als nämlich mit dem Aufkommen des ersten wahrhaft revolutionären Reproduktionsmittels – der Photographie (gleichzeitig auch mit dem Anbruch des Sozialismus) – die Kunst das Nahen der Krise spürt, die nach weiteren hundert Jahren unverkennbar geworden ist, reagierte sie auf das Kommende mit der Lehre vom l’art pour l’art, die eine Theologie der Kunst ist. Aus ihr ist dann weiterhin geradezu eine negative Theologie der Kunst hervorgegangen, in Gestalt der Idee einer reinen Kunst, die nicht nur jede soziale Funktion sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenständlichen Vorwurf ablehnt. (In der Dichtung hat Mallarmé als erster diesen Standort erreicht.) Diese Zusammenhänge zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist unerläßlich für eine Betrachtung, die es mit der Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit zu tun hat. Denn sie bereiten die Erkenntnis, die hier entscheidend ist, vor: die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual. Das reproduzierte Kunstwerk ist in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks. Von der photographischen Platte zum Beispiel ist eine Vielheit von Abzügen möglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn. In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual ist ihre Fundierung auf eine andere Praxis getreten: nämlich ihre Fundierung auf Politik.

Bei den Filmwerken ist die technische Reproduzierbarkeit des Produkts nicht wie z. B. bei den Werken der Literatur oder der Malerei eine von außen her sich einfindende Bedingung ihrer massenweisen Verbreitung. Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begründet. Diese ermöglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie vielmehr geradezu. Sie erzwingt sie, weil die Produktion eines Films so teuer ist, daß ein Einzelner, der zum Beispiel ein Gemälde sich leisten könnte, sich den Film nicht mehr leisten kann. Der Film ist eine Anschaffung des Kollektivs. 1927 hat man errechnet, daß ein größerer Film, um sich zu rentieren, ein Publikum von neun Millionen erreichen müsse. Mit dem Tonfilm ist hier allerdings zunächst eine rückläufige Bewegung eingetreten; sein Publikum schränkte sich auf die Sprachgrenzen ein und das geschah gleichzeitig, mit der Betonung nationaler Interessen durch den Faschismus. Wichtiger aber als diesen Rückschlag zu registrieren, der im übrigen durch die Synchronisierung bald kompensiert wurde, ist es, seinen Zusammenhang mit dem Faschismus ins Auge zu fassen. Die Gleichzeitigkeit beider Erscheinungen beruht auf der Wirtschaftskrise. Die gleichen Störungen, die im Großen gesehen zu dem Versuch geführt haben, die bestehenden Eigentumsverhältnisse mit offner Gewalt, also in faschistischer Form, festzuhalten, haben das von der Krise bedrohte Filmkapital dazu geführt, die Vorarbeiten am Tonfilm zu forcieren. Die Einführung des Tonfilms brachte sodann eine zeitweilige Erleichterung der Krise. Und zwar nicht nur, weil der Tonfilm von neuem die Massen für den Kinobesuch mobil machte, sondern auch weil der Tonfilm neue Trustkapitalien aus der Elektrizitätsindustrie mit dem Filmkapital solidarisch machte. So hat der Tonfilm von außen betrachtet nationalen Interessen Vorschub geleistet, von innen betrachtet aber die Filmproduktion noch mehr internationalisiert als sie es bereits vordem war.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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