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Dem Film kommt es viel weniger darauf an, daß der Darsteller dem Publikum einen andern, als daß er der Apparatur sich selbst darstellt. Einer der ersten, der diesen Umbau des Darstellers durch die Testleistung gespürt hat, ist Pirandello gewesen. Es beeinträchtigt die Bemerkungen, die er in seinem Roman »Es wird gefilmt« darüber macht, nur wenig, daß sie sich darauf beschränken, die negative Seite des Vorgangs hervorzuheben. Noch weniger, daß sie an den stummen Film anschließen. Denn der Tonfilm hat an diesem Vorgang nichts Grundsätzliches geändert. Entscheidend bleibt, daß für eine Apparatur oder vielmehr – im Falle des Tonfilms – für zwei gespielt wird. »Der Filmdarsteller, schreibt Pirandello, fühlt sich wie im Exil. Exiliert nicht nur von der Bühne sondern von seiner eignen Person. Mit einem dunklen Unbehagen spürt er die unerklärliche Leere, die dadurch entsteht, daß sein Körper zur Ausfallserscheinung wird, daß er sich verflüchtigt und seiner Realität, seines Lebens, seiner Stimme und der Geräusche, die er verursacht, indem er sich rührt, beraubt wird, um sich in ein stummes Bild zu verwandeln, das einen Augenblick auf der Leinwand zittert und sodann in der Stille verschwindet … Die kleine Apparatur wird mit seinem Schatten vor dem Publikum spielen; und er selbst muß sich begnügen, vor ihr zu spielen.« (cit Léon Pierre-Quint: Signification du Cinéma L’art cinématographique II Paris 1927 p 14/15)

In der Repräsentation des Menschen durch die Apparatur hat dessen Selbstentfremdung eine höchst produktive Verwertung erfahren. Diese Verwertung kann man daran ermessen, daß das Befremden des Darstellers vor der Apparatur, wie Pirandello es schildert, von Hause aus von der gleichen Art ist, wie das Befremden des romantischen Menschen vor seinem Spiegelbild – bekanntlich ein Lieblingsmotiv von Jean Paul. Nun aber ist dieses Spiegelbild von ihm ablösbar, es ist transportabel geworden. Und wohin wird es transportiert? Vor die Masse. Das Bewußtsein davon verläßt den Filmdarsteller natürlich nicht einen Augenblick. Er weiß, während er vor der Apparatur steht, hat er es in letzter Instanz mit der Masse zu tun. Diese Masse ist’s, die ihn kontrollieren wird. Und gerade sie ist nicht sichtbar, noch nicht vorhanden, während er die Kunstleistung absolviert, die sie kontrollieren wird. Die Autorität dieser Kontrolle aber wird gesteigert durch jene Unsichtbarkeit. Freilich darf nie vergessen werden, daß die politische Auswertung dieser Kontrolle so lange wird auf sich warten lassen, bis sich der Film aus den Fesseln seiner kapitalistischen Ausbeutung befreit haben wird. Denn durch das Filmkapital werden die revolutionären Chancen dieser Kontrolle in gegenrevolutionäre verwandelt. Der von ihm geförderte Starkultus konserviert nicht allein jenen Zauber der Persönlichkeit, welcher schon längst im fauligen Schimmer ihres Warencharakters besteht, sondern sein Komplement, der Kultus des Publikums, befördert zugleich die korrupte Verfassung der Masse, die der Faschismus an die Stelle ihrer klassenbewußten zu setzen sucht.

Die Kunst der Gegenwart darf auf um so größere Wirksamkeit rechnen, je mehr sie sich auf Reproduzierbarkeit einrichtet, also je weniger sie das Originalwerk in den Mittelpunkt stellt. Wenn unter allen Künsten die dramatische am offenkundigsten von der Krise befallen ist, so liegt das in der Natur der Sache. Denn zu dem restlos von der technischen Reproduktion erfaßten, ja – wie der Film – aus ihr hervorgehenden Kunstwerk gibt es keinen entschiedenem Gegensatz als das der Schaubühne mit seinem jedesmal neuen und originären Einsatz des Schauspielers. Jede eingehendere Betrachtung bestätigt das. Sachkundige Beobachter haben längst erkannt, daß »die größten Wirkungen fast immer erzielt werden, indem man so wenig wie möglich ›spielt‹ … Die letzte Entwicklung« sieht Arnheim 1932 darin, »den Schauspieler wie ein Requisit zu behandeln, das man charakteristisch auswählt und … an der richtigen Stelle einsetzt.« (Rudolf Arnheim: Film als Kunst Berlin 1932 p 176/177) Damit hängt sehr eng etwas anderes zusammen. Der Schauspieler, der auf der Bühne agiert, versetzt sich in eine Rolle. Dem Filmdarsteller ist das sehr oft versagt. Seine Leistung ist durchaus keine einheitliche, sondern aus vielen einzelnen zusammengestellt, deren Hier und Jetzt von ganz zufälligen Rücksichten auf Ateliermiete, Verfügbarkeit von Partnern, Dekor usw. bestimmt wird. So kann ein Sprung aus dem Fenster im Atelier in Gestalt eines Sprungs vom Gerüst gedreht werden, die sich anschließende Flucht aber unter Umständen Wochen nachher bei einer Außenaufnahme. – Im übrigen sind weit paradoxere Montagen möglich. Es kann, nach einem Klopfen gegen die Tür, vom Darsteller gefordert werden, daß er zusammenschrickt. Vielleicht ist dieses Zusammenfahren nicht wunschgemäß ausgefallen. Da kann der Regisseur zu der Auskunft greifen, gelegentlich, wenn der Darsteller wieder einmal im Atelier ist, ohne dessen Vorwissen in seinem Rücken einen Schuß abfeuern zu lassen. Das Erschrecken des Darstellers in diesem Moment kann aufgenommen und dann in den Film montiert werden. Nichts könnte drastischer zeigen, wie die Kunst aus dem Reiche des »schönen Scheins« entwichen ist, dessen Klima so lange als das einzige galt, in dem sie gedeihen könne.

Das Verfahren des Regisseurs, der, um das Erschrecken der dargestellten Person aufzunehmen, experimentell ein wirkliches Erschrecken ihres Darstellers hervorruft, ist durchaus filmgerecht. Bei der Filmaufnahme kann kein Darsteller beanspruchen, den Zusammenhang, in dem seine eigene Leistung steht, zu überblicken. Die Anforderung, eine Leistung ohne unmittelbaren erlebnismäßigen Zusammenhang mit einer – nicht spielmäßig geregelten – Situation zu liefern, ist allen Tests gemeinsam, den sportlichen so gut wie den filmischen. Dies brachte Asta Nielsen gelegentlich auf sehr eindrucksvolle Weise zur Geltung. Es war in einer Pause im Atelier. Man drehte einen Film nach dem »Idioten« von Dostojewski. Asta Nielsen, die die Aglaia spielte, stand im Gespräche mit einem Freund. Eine der Hauptszenen stand bevor: Aglaia bemerkt von weitem den Fürsten Myschkin, der mit Nastassja Philippowna vorübergeht, und die Tränen treten ihr in die Augen. Asta Nielsen, die während der Unterhaltung alle Komplimente ihres Freundes abgelehnt hatte, sah auf einmal die Darstellerin der Nastassja, ihr Frühstück verzehrend, im Hintergrunde des Ateliers auf und ab gehen. »Sehen Sie, das verstehe ich unter Filmdarstellung« sagte Asta Nielsen zu ihrem Besucher, während sie ihn mit Augen ansah, welche sich beim Anblick der Partnerin, wie die kommende Szene es vorschrieb, mit Tränen gefüllt hatten, ohne daß eine Miene in ihrem Gesicht sich verzogen hätte.

Die technischen Anforderungen an den Filmdarsteller sind andere als die an den Bühnenschauspieler. Fast nie sind Filmstars hervorragende Schauspieler im Sinn der Bühne. Vielmehr sind es meist Schauspieler zweiten oder dritten Ranges gewesen, denen der Film eine große Laufbahn eröffnet hat. Und wiederum sind es selten die besten Filmdarsteller gewesen, die den Versuch, vom Film zur Bühne zu gelangen, gemacht haben – einen Versuch, der zudem meist gescheitert ist. (Diese Umstände hängen mit der besondern Natur des Films zusammen, dem es viel weniger darauf ankommt, daß der Darsteller dem Publikum einen andern als daß er der Apparatur sich selbst darstellt.) Der typische Filmschauspieler spielt nur sich selbst. Er steht im Gegensätze zum Typ des Mimen. Dieser Umstand beschränkt seine Verwertbarkeit auf der Bühne, erweitert sie aber außerordentlich im Film. Denn der Filmstar spricht sein Publikum vor allem dadurch an, daß er jedem einzelnen aus ihm die Möglichkeit zu eröffnen scheint, »zum Film zu gehen«. Die Vorstellung, sich durch die Apparatur reproduzieren zu lassen, übt auf den heutigen Menschen eine ungeheure Anziehungskraft aus. Gewiß schwärmte auch früher der Backfisch davon zur Bühne zu gehen. Der Traum zu filmen hat aber davor zweierlei entscheidend voraus. Er ist erstens erfüllbarer, weil der Konsum von Darstellern durch den Film (da hier jeder Darsteller nur sich selbst spielt) ein viel größerer als durch die Bühne ist. Er ist zweitens kühner, weil die Vorstellung, die eigene Erscheinung, die eigene Stimme massenweise verbreitet zu sehen, den Glanz des großen Schauspielers zum Verblassen bringt.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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