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Um fünf Uhr morgens kam der Kaplan mit den Messknaben und dem Viatikum. Sie waren in kurzen Hosen mit Schneereifen heraufgekommen und mussten im Windfang erst die Messkleider anziehen, ehe sie hereinkamen. Der Kaplan war etwas ärgerlich, dass er zu spät kam, trotzdem er mitten in der Nacht aufgebrochen war. Er konnte wenig anderes tun, als auf die Tröstungen der Religion für die Hinterbliebenen hinweisen und versichern, dass Gott den armen Peter Larotta bestimmt bei sich aufnehmen würde.

Therese blickte ernst und demütig auf den Gottesmann. Es war ihr bei aller ihrer Ungläubigkeit sehr feiertäglich zu Sinn, bei dem Gedanken, dass Gott sich ihres Mannes persönlich annehmen wollte und dass er sogar auf die beiden Jungen Peter und Paul ein Auge haben würde. Sie ging in die Küche und kochte einen riesigen Topf Kaffee und dann sassen sie eine halbe Stunde und frühstückten schweigend, der Kaplan, die Messknaben und die drei Larottas. Sie sprachen vom Wetter, von den Viehpreisen und wie schwierig es sei, die Milch im Winter loszuwerden, wenigstens ausserhalb der Saison. Sie sprachen davon, ob Therese denn wirklich alles allein schaffen konnte. Der Kaplan war ein Bauernjunge und seine Mutter, die Bäuerin, hatte es wohl fertig gekriegt, den Hof allein mit drei Kindern zu halten. Aber sie war dabei früh alt geworden und gestorben. Ob denn Therese auch so schnell altern wolle?

Therese nickte. Ja, das wolle sie. Der Kaplan wusste darauf nichts zu erwidern. Er verabschiedete sich und ging.

Am anderen Tag kamen die Verwandten. Der älteste Schwager, eine Schwägerin mit ihrem Mann und eine ledige Schwägerin. Sie verlangten, dass Therese mit dem Toten nach Promontogno herunterkomme, um ihn dort beizusetzen. Gino Larotta, der Familienpatriarch, hatte es so ungeordnet, und es war auch richtig so, denn seit hundert und mehr Jahren lagen alle Larottas in dem gleichen Winkel des gleichen Friedhofs.

Therese hatte aber schon den Begräbnisplatz gekauft, bei der kleinen Kapelle mittwegs nach Sils. Sie könne es nicht mehr ändern, und sie wolle das Grab auch in Pflege haben. Die Larottas sprachen lange auf sie ein. Dann schwiegen sie erbittert und sassen stumm in der grossen Stube. In der Abenddämmerung aber, als Therese gerade im Stall war, um die Kühe zu melken, spannten sie an, trugen den Sarg mit dem Toten auf ihren Wagen und fuhren im Trabe davon. Paul, der Jüngste, lief schreiend neben dem Wagen her, bis die Larottas ihn mit der Peitsche vertrieben wie eine lästige Bremse.

Peter aber, der Älteste, stürzte in den Stall und schrie: „Sie stehlen uns den Vater.“

Die Bäuerin lief hinaus und sah gerade noch, wie der Wagen in die Schlucht einbog. Sie begriff, dass sie allein nichts ausrichten konnte. Deshalb lief sie auf dem kürzeren Fussweg nach Sils hinunter, alarmierte den Ortsvorsteher und den Gemeindediener. Ein paar Einheimische schlossen sich an, „um es den Fremden zu zeigen.“ Mit Knüppeln und Laternen brach man auf wie zu einer richtigen Verbrecherjagd.

Sie fassten die Larottas an der Stelle, wo der Weg nach Maloja sich mit dem Weg nach Sils trifft. Sie wussten gerade nicht weiter, und der älteste Larotta war auf den Wegweiser geklettert, um die verwitterte Inschrift zu entziffern. Sie setzten sich nicht weiter zur Wehr, sondern lenkten den Wagen murrend zurück und trugen den Sarg wieder in die Kammer, aus der sie ihn geholt hatten. Dann fuhren sie grusslos ab. Die Silser aber blieben die Nacht über als Wache. Abwechselnd stand einer am Sarg, während die anderen in der Stube sassen, Glühwein tranken, das Zimmer vollqualmten und gegen den Schlaf ankämpften.

Am anderen Morgen fand die Beerdigung statt, nur das Ehepaar Guggis war erschienen, der Bauer vom Hang und die Silser Polizei. Es herrschte ein solches Schneetreiben, dass der Sarg während der Rede des Geistlichen ganz unter dem Schnee verschwand, als könnte der Tote nicht schnell genug verschüttet werden. Die Trauernden wurden auf der Windseite mit einer dicken Schneeschicht überzogen.

Der übrige Tag war dann noch mit einer grossen Bewirtung und allerlei unnützen Klagen besetzt, mit Bedauernsformeln, die allmählich unter dem Einfluss des Weines in anzügliches Mitleid übergingen. Therese war froh, als der letzte Trauergast das Haus verlassen hatte. Sie zog ihr schwarzes Kleid aus und begann mit Geschirrspülen ihr neues Leben.

Therese Larotta

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