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Während der zweiten Heuernte, die in diesem ersten Jahr etwas verspätet gegen Ende August begann, schien es mit Larotta etwas besser zu werden. Er schwang die Sense kräftig wie immer. Er schnitt das Gras an den Steilhängen und auf den abschüssigen Halden so schnell wie andere auf ebenen Wiesen. Mit seinem Rechen wirbelte er das Heu so gleichmässig wie eine Wendemaschine, und die riesige Zeltplane mit Heu trug er in den Stall, wie andere ein Brot tragen.

Nein ... er brauchte keinen Knecht zur Hilfe. Als Guggis, der Wirt, einmal das Gespräch darauf brachte — er hatte einen italienischen Hausknecht, der untüchtig war und den er gern losgeworden wäre — lehnte Larotta heftig ab. Platz genug war natürlich im Haus. Zwei von den vier Stuben standen leer, aber sie sollten auch leer bleiben, wenn nicht noch kleine Larottas hineinzögen. Denn es sei noch nicht aller Tage Abend.

Guggis schüttelte lachend den Kopf. Das war ja eine famose Nachricht. Larottas erwarteten Nachwuchs! Er sah Therese den Hang herunterkommen. Von der Erntesonne war sie verbrannt. Der Heustaub hatte die Augenbrauen gelbgrau gefärbt. Ihre Hüften waren breiter geworden. Guggis konnte es gut verstehen, dass Larotta noch Kinder wollte, wenn auch ...

„Larotta hält das Klima nicht aus“, erzählte Guggis nachher seiner Frau, „die kalten Nächte sind nichts für ihn ... und die heissen erst recht nicht.“

Frau Guggis lachte über diesen Witz den halben Tag. Immer wieder kicherte sie: „... und die heissen auch nicht.“

So blitzschnell, wie der Frühling gekommen war, kam auch der Herbst. Oder nicht eigentlich der Herbst, sondern gleich der Frühwinter. Der Schnee rutschte die Berge hinunter, wich noch ein paarmal unter Föhnstürmen zurück und blieb dann. Die letzten Sommergäste reisten ab. Die Veranden im Berghotel wurden zugenagelt, die Fenster mit Säcken verhängt. Larotta aber brachte das fremde Vieh wieder ins Tal.

Therese hätte ihn gern begleitet. Wie wohl eine Birke im Herbst aussah, ein buntes Buchengebüsch, hätte sie gern wieder gesehen. Hagebutten gab es wohl auch in Sils und Vogelbeeren, knallrot, mitten im ersten Schnee. Aber Äpfel gab es nicht, und die gelben süssen Pflaumen waren jetzt in Promontogno reif, und es musste doch merkwürdig sein, wieder durch ein Dorf zu gehen, zwischen hundert neugierigen Fenstern, und die Bekannten herauszuwinken und mit ihnen zu reden.

Sie wäre gern mitgegangen, aber der Mann merkte nichts von ihren Wünschen, obwohl Therese ihn weit über Maloja hinaus begleitete, obwohl sie ihren Lodenmantel anhatte und das rote Tuch um den Kopf, mit dem sie gekommen war. Weil er dann immer noch nichts sagte, musste sie am oberen Ende der Seen stehenbleiben. Sie trug noch allerlei Grüsse auf, klopfte noch dieses oder jenes Tier zum Abschied. Dann ging sie schnell wieder ins Tal zurück. Denn ein Unwetter zog sich vom Berg herunter, streifte mit tiefhängenden Wolkenfetzen den Arvenwald und schlug auf Therese ein mit einem Wind, der von allen vier Seiten gleichzeitig zu blasen schien, mit körnigem graupelhaftem Schnee und dann wieder mit riesigen nassen Flocken, die im Gesicht schmolzen und es eiskalt machten.

„So ist der Winter“, sagte sie sich und bekam eine furchtbare Angst. Sie ging so schnell sie konnte. Sie lief das letzte Stück. Sie war froh, dass sie einen Stecken hatte, auf den sie sich stützen konnte, denn sonst wäre sie immer wieder ausgeglitscht.

Über den Flusssteg musste sie sich wie eine Blinde tasten, so wild wirbelte hier der Schnee, und der Fluss begrüsste sie mit lautem, lockendem Gurgeln, als wäre er bereit, sie schnell und billig ins Tal hinunterzuschaffen mitsamt den Hölzern und Steinen, die es auch nicht mehr hier oben aushielten und die er brodelnd mit sich zog.

Als sie endlich atemlos beim Hause ankam — Gott sei Dank, die Jungen prügelten sich noch, die Kühe, die Schweine, die Ziegen schrien nach Futter — war der Schnee schon hoch vor der Tür zusammengeweht. Sie musste sich ganz umziehen, so nass war sie von Schnee und Schweiss.

Nachher heizte sie in der einen Stube, setzte sich im Dunkeln an den Ofen und wärmte sich den Rücken. Immer wieder schob sie die Holzkloben ins Feuer und horchte auf das Knacken und Prasseln, auf das Rasseln des Wassers, das aus den feinen Holzadern herausgekocht wurde. „Ich friere wie der Mann“, flüsterte sie und schauderte zusammen. Jetzt in diesem Augenblick, jetzt wusste sie es, jetzt gestand sie es sich ein, dass der Mann auf den Tod krank war und dass sie viele Jahre noch so allein würde sitzen müssen, zwischen Herbst und Winter. Wollte sie etwa mit dem Mann sterben? Nein, nein! Sie hob abwehrend die Hände. Nein, nein! Sie wollte noch leben, und sie hatte in diesem Augenblick eine fürchterliche Angst, dass er sie mitziehen würde.

Lange stand sie nachher am Bett der beiden Jungen, die nun schon grosse kräftige Kerle geworden waren, Bengels, denen die harte Hitze und die schneidende Kälte gut taten, stand im Dämmer des kleinen Schlafzimmers, starrte die Wiege an, die zwischen den Betten stand und nun leer bleiben musste, und sagte leise in die Dunkelheit hinein: „Ich will noch bleiben.“

Als Larotta nach zwei Tagen wieder vom Tal heraufkam, fiel sie ihm zum ersten Male in ihrer Ehe leidenschaftlich um den Hals. Sie umarmte ihn, als wäre er vom Himmel zurückgekommen. Und so war es auch für sie. Noch hatte sie ihn, den sie in der ersten Nacht schon tot gesehen, den sie schon hergegeben hatte, noch hielt sie ihn, noch konnte sie zu ihm sprechen.

Der Bauer war ganz verdutzt. Woher wusste sie denn, dass er zum ersten Male in seinem Leben leichtsinnig gewesen war, dass er ihr aus Dankbarkeit etwas Grossartiges mitgebracht hatte, einen Schafspelz nämlich, nicht einen Kutscherpelz etwa, wie seiner war, sondern eine richtige Pelzjacke vom Kürschner gearbeitet, mit einem guten kunstseidenen Futter, wie sie die Damen im Sommer hier trugen? Nein ... Therese ahnte nichts von diesem Pelz. Sie war ganz beschämt, als er das Paket vor sie hinstellte. Sie musste es gleich aufmachen. Das verlangte er. Er hob mit zwei Fingern die Jacke aus dem Seidenpapier des Kartons, drehte sie nach allen Seiten und hielt sie ihr hin.

„Immer einsteigen“, krächzte er und versuchte eine Verbeugung wie ein Sommergast. „Immer einsteigen. So machen’s doch die Männer da oben bei ihren Frauen.“

Therese wurde über und über rot, fasste die langen Ärmel des Kleides mit den Fingerspitzen und fuhr, ohne sich umzusehen, in die Pelzjacke hinein. Es war der glücklichste Tag in der Ehe Peter Larottas und seiner Frau Therese.

Therese Larotta

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