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Petra Petersen, das Meerwunder, saß in ihrer Garderobe schon fertig geschminkt. Die Frisöse legte ihr gerade die langen Haare um, deretwegen es einen Krach zwischen der Petersen und dem Intendanten gegeben hatte. Sie wollte mit ihren halblangen Haaren auftreten. Sie fand, man solle in jeder Zeit die Gestalten neu gestalten und dem neuen Gefühl und Geschmack gemäß. Gegen Zöpfe könne man nicht anspielen. Aber sie hatte den Kampf verloren. Unwillig sah sie, wie ihr schöner Katzenkopf durch die Haarkrone ins Breite verschwamm. Fräulein Frühling, die Frisöse, steckte die letzte Nadel und flüsterte ihren gewohnten Spruch: „Reizend, Fräulein Petersen. Sie können ganz beruhigt sein. Reizend.“ Und da die Petersen nicht antwortete, drehte sich die Frühling um und ging mit einem Seufzer über die unausstehliche Person hinaus.

Die Petersen war endlich mit ihrem Spiegelbild allein. Prüfend besah sie sich noch einmal, wischte an den Schatten unter den Augen und versank in eine wohlige Gedankenlosigkeit. Sie wußte, daß jetzt jene dunkle Macht sich ihrer bemächtigte, die ihr die Kraft gab, in den wenigen Szenen, die das Drama ihr ließ, die freudvoll-leidvolle Figur zu prägen und lebendig zu machen. Jahrelang hatte sie gegen diese Macht angekämpft. Wozu hatte sie den scharfen Verstand, die beißende Ironie gegen sich selbst, die ungeheure Härte gegen alle Menschen, wenn sie sich zum Schluß doch immer der dunklen Gewalt ausliefern mußte? Aber sie hatte es nun zu oft erfahren. Spielte sie aus Können und Erfahrung, so war es glänzend, virtuos, aber leer. Ließ sie sich treiben, dann hatte sie Gewalt über die Herzen, dann klang ihre brüchige Stimme plötzlich glockenhaft, dann hatte der etwas eckige Körper eine seltsame Harmonie, obwohl ihre Gesten fremdartig waren.

Die Petersen drehte sich vom Spiegel weg. Die Klingel schrillte das erstemal. Sie probte mit leiser Stimme das erste Lied: „Die Trommel gerühret.“ Sie sang es kunstlos, soldatenhaft. Sie hörte die quenglige, hohe Stimme des Intendanten: „Wie’n Grenadier, Petersen. Aber das Weibliche liegt Ihnen nun mal nicht. Ziehn Se doch Stiebel an als Klärchen!“

Vorsichtig probierte sie noch einmal. Sie wußte, wo ihr Fehler steckte. Fortissimo oder pianissimo, ganz oder gar nicht. Die Penthesilea hatte sie berühmt gemacht, weil die ganze Rolle aus einem einzigen Schrei besteht und außer ihr niemand in Deutschland die Kraft hatte, diesen Schrei einen Abend lang durchzuhalten. Nach der Penthesilea aber begann erst die Arbeit.

Die Petersen stand jetzt mitten in der kleinen Garderobe, wieder dem Spiegel zugewandt. Sie summte, als ginge es sie nichts an:

„Die Trommel gerühret!

Das Pfeifchen gespielt!

Mein Liebster gewaffnet

Dem Haufen befiehlt.“

Und jetzt spürte sie, daß Petra Petersen, die Amtsrichtertochter aus Husum, ausgelöscht wurde. Einen Augenblick sah sie noch den winzigen Hafen von Husum, die Fischerboote, die kleinen Handelsdampfer, die Lichter von damals, als man noch die Nacht erhellen durfte. Sie roch das Meer, die Fische, den Knaster der Seeleute, in den Nebel gemischt, sie hörte, wie das Wasser schurrte und gluckerte, sie fühlte die Fünfzehnjährige am Wasser stehen. Noch ein paar schwankende Lichter, dann hatte der Nebel das Bild zugezogen. Petra Petersen, die Sehnsüchtige von damals, war verschwunden, und Petra Petersen, die Schauspielerin, die alles erreichte, wonach sich das Mädchen am Hafen so brennend gesehnt hatte, die Schauspielerin war auch verschwunden. Im Spiegel war nichts mehr zu sehen als blinder Nebel.

Ein Wunder? Nein. Aus einem unbekannten Untergrunde waren Tränen aufgestiegen, verschleierten das Bild, schwemmten den Hochmut fort, und das Bürgermädchen, die Geliebte Egmonts, Klärchen, ging durch den zugigen Gang, setzte sich auf ihren Stuhl, nahm die Wolle, die sie abwickeln sollte, und der Vorhang ging auf.

Der Gott zwischen den Schlachten

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