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Petra kam in die Garderobe zurück. Sie war gestorben. Ja, sie war wirklich tot, vollkommen fühllos, ausgeleert. Die Gestalt hatte sie verlassen und umgaukelte schmetterlingshaft, ein buntes Erinnerungsbild, die Zuschauer im halbhellen Parkett. „Halt! Nun ist es Zeit! Mich scheucht des Morgens Ahndung in das Grab!“

Petra schloß die Tür. Gedankenlos schlüpfte sie aus ihrem Kleid, legte schnell die schweren Zöpfe ab, schüttelte die Haare wie ein erwachendes Füllen und zog den zerschlissenen, kostbaren Kimono an, der, um den Hals herum mit allerlei Schminkfarben verschmiert, ihr seit Jahren als Schminkgewand diente und von dem sie sich, abergläubisch, nie trennen würde.

Sie rieb das Gesicht fingerdick mit dem Abschminkfett ein und hielt plötzlich inne. Man würde sie heute bestimmt rufen. Man würde sie noch sehen wollen. Warum hatte sie das vergessen? Wie oft saß sie und horchte, ob man ihren Namen rief, besorgt, ruhmgeizig, unsicher, ob sie stark genug gewesen war! Und heute, da sie sicher stark war, heute hatte sie nicht daran gedacht.

Sie zögerte einen Augenblick. Sie griff schon wieder nach den Zöpfen und nach Klärchens Kleid. Aber dann nahm sie das Handtuch und wischte schnell und heftig die Schminke samt dem Schminkfett vom Gesicht. Die nackte, blasse Haut kam zum Vorschein. Sie brannte und war doch farblos. Die Augen taten weh.

Sie war sehr müde und freute sich auf ihre Zimmer, auf den heißen Tee, auf den kleinen elektrischen Kachelofen, in dessen Maul die glühende Flamme hin und wieder ging. Elma Hübner, die Freundin, mit der sie die Wohnung teilte, würde auch da sein. Sie würde im marzipanfarbenen Schlafrock auf der großen Couch liegen und mit ihren kleinen, unruhigen Händen etwas basteln. Eine Puppe aus Stroh, ein Pferd aus Bast, einen Soldaten aus Wollresten, eine Blume aus Watte.

In diesem Augenblick klopfte es. Die Petersen, in ihr Bild vertieft, antwortete nicht. Es konnte ja nur die Frühling sein, die Klärchens Zöpfe einsammeln wollte. Noch ein Klopfen. Dann wurde die Tür aufgestoßen. Herein trat Christian Hasselberg.

Die Schauspielerin, noch im Kimono, sah nicht auf. Sie sagte gleichgültig: „Nehmen Sie sie nur schon weg.“

Hasselberg, etwas erstaunt, antwortete: „Sie haben sie ja noch nicht einmal ausgepackt.“

Petra wandte ihr Gesicht langsam dem Offizier zu. Sie sagte hochmütig: „Was?“

Hasselberg nickte den Rosen zu: „Es war sehr mühsam. Wir mußten einen alten Mann aus dem Bett holen. Ihretwegen. Sie könnten wenigstens gnädigst einen Blick draufwerfen.“

Petra Petersen wickelte die Rosen aus, besah sie, nickte anerkennend: „Nett von Ihnen.“

Hasselberg lachte: „So ... und nun kommen Sie. Die andern sind nämlich neidisch. Die haben seltsame Vorstellungen. Garderobe der Schauspielerin mit Palmen und Wüstenhauch. Kristallspiegel ... Mense hat das erzählt. Hat gelogen, der Gute.“

Petra mußte lachen: „Wer ist Mense?“

Hasselberg antwortete unerschüttert: „Der Vollmond ... rechts gestaffelt hinter mir. Großartiger Junge. Pomadig. Meist ein Buch vor der Nase. Gelehrtes und Klassisches durcheinander. Aber wenn’s drauf ankommt, blitzschnell wie ’n Wiesel. Und nun müssen wir gehen.“

Petra sagte abweisend: „Die Vorstellung ist ja noch lange nicht aus.“

Hasselberg beugte sich vergnügt vor. Er flüsterte geheimnisvoll: „Ich habe die Enthauptung geschwänzt. Ich dachte, Sie laufen uns sonst davon. Da habe ich mich, als Intendant verkleidet, durch die Gewappneten geschlichen. An Egmonts Stelle würde ich diesen schlecht geschminkten Schlappiers übrigens entkommen. Der eine ’n Tritt in die Kniekehle, daß er nach vorne abkippt, der zweite knockout auf den Punkt getroffen und Handgalopp weg. Also, nun kommen Sie.“

Die Schauspielerin sagte: „Es ist sehr nett von Ihnen. Aber ich kann noch nicht. Und ich bin todmüde.“ Hasselberg schüttelte den Kopf: „Von dem bißchen Spielen? Sie möchte ich mal in meiner Kompanie haben.“

„Das wird sich schlecht machen lassen“, sagte Petra verärgert, streckte ihm die Hand hin und schloß: „So, und nun müssen Sie gehen.“

Hasselberg ergriff ihre Hand, ließ sie nicht los und sagte: „Wir kennen uns nicht. Da darf ich offen sprechen. Wissen Sie, wenn ich allein wäre, würde ich sagen: Laß fahren dahin. Sie sind mir nämlich zu hochnäsig. Aber da sind meine drei Kameraden, und denen habe ich versprochen .. falls Sie nicht verstorben sind ... tatsächlich, man hätte das glauben können. Das Gift hat Sie blaß gemacht. Ein Herzschlag und weg. Also, Ihr realer Tod wäre die einzige Entschuldigung für mich, Sie nicht mitzubringen.“

Petra entzog dem Offizier endlich die Hand. Sie seufzte: „Sie dürfen nicht böse sein. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie und Ihre Kameraden da sind. Und denken Sie, ich habe etwas vor.“

Hasselberg ließ sich nicht abschrecken. Er sagte: „Was meinen Sie, was wir alles vorgehabt haben ... Damals ... vor zwei Jahren. Ich hatte zum Beispiel vor, den großen Stall auszubauen ... und fünfzig Morgen Wiese untern Pflug zu nehmen. Und Rudo Mense hatte vor, in die Diplomatie zu gehen. Und Hänschen Kniestedt ... weiß nicht, was der vorhatte, aber auch nicht grade ’ne Reise nach Rußland. Nur Perm ... Felix von Perm ... na, den kennen Sie ja aus dem Wehrmachtbericht ... der hat immer fliegen wollen, und nun fliegt er. Er ist aber sehr klein. Da kriegt man noch die Wünsche erfüllt, die man hat. Soll ich also Perm schicken? Ja?“

Petra schüttelte den Kopf. Sie sagte: „Nicht nötig. Ich komme. Für eine Stunde. Aber irgendwo hier in der Nähe. Ich bin sehr müde. Warten Sie draußen.“ „Uff“, sagte Hasselberg, „Sie sind aber eine schwierige Dame. Na, die Hauptsache ... ich habe gesiegt.“ Damit drehte er um und ging.

Er stand dann regungslos in einer Bühnengasse, die Arme untergeschlagen, das Gesicht verschlossen, die flinken Augen auf Egmont-Stedtner gerichtet, der gerade seinen Dialog mit Ferdinand hatte.

„Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und des Wirkens! Von dir soll ich scheiden.“ Egmont sagte das fast heiter, sehr schnell, flüchtig und brennend. Gebannt lauschte Hasselberg. Aber als Ferdinand, ein gezierter junger Schauspieler, auf pathetischen Stelzen einherredend antwortete, wandte er sich und wartete am Bühnenausgang, ohne sich zu rühren, ohne die Statisten und Schauspieler zu beachten, die wieder als unansehnliche Privatleute fröstelnd in ihr kleines Leben zurückgingen. Endlich kam die Petersen umgekleidet aus ihrer Garderobe. Sie trug jetzt einen schwarzen Mantel mit einer Halskrause aus Pelz, die stachelartig abstand, eine schwarze enganliegende Samtkappe und am Mantel zwei von den Rosen der Offiziere. Hasselberg packte sie am Arm und zog sie mit sich. Er flüsterte: „Sonderbar, ich hatte gedacht ... Goethe ... was geht mich das an?“

Sie kamen auf die steinerne Wendeltreppe. Die Schauspielerin fragte: „Und nun geht es Sie doch an?“

Hasselberg zögerte. Dann erwiderte er: „Ohrenblind, sagte meine Mutter immer. Ihr hört. Aber ihr hört nicht zu.“

Die Schauspielerin sah den jungen Offizier prüfend an. Sein Gesicht war ernst, auf eine seltsame Art alt. Sie sagte leise: „Sie hörten woanders hin, nicht wahr? Der Krieg ...“

Als sie aus dem Hause traten, sagte er: „Ja, so ähnlich war’s.“ Und nach ein paar Schritten: „Da sind die anderen. Und schönen Dank für den Goethe.“

Der Gott zwischen den Schlachten

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