Читать книгу Der Gott zwischen den Schlachten - Walther von Hollander - Страница 6

3

Оглавление

Felix von Perm trat mit einem heftigen Tritt den hinter ihm sitzenden Kniestedt gegen das Schienbein. Kniestedt knuffte Perm in die Rippen. Die vier Gesichter der Offiziere erschienen in einer Reihe an der von der Bühne her taghell erleuchteten Logenbrüstung. Rudo Mense flüsterte elegisch: „Hübsch. Aber kein Klärchen.“ Kniestedt sagte ziemlich laut: „Natürlich ist sie aus meiner Gegend. Die möchte ich kennenlernen.“ Christian Hasselberg, die etwas zu große Nase witternd in die Luft gehoben, lachte: „Gute Idee, Hänschen.“

Die Petersen hatte ihr Lied beendet. Langsam, während sie mit der Mutter und Brackenburg sprach, wandte sie den Kopf zur Loge. Sie spürte die Unruhe, sie hörte die Worte. Ihr Blick ging über die vier gespannten, jungen, lachenden Gesichter. Er glitt über Perm, Mense, Kniestedt, und jetzt hatte er Christian Hasselberg erfaßt. Sie sah noch, wie das übermütige Lachen verlegen wurde, einfror. Wie die Augen aufloderten, wie Hasselberg beide Hände auf die Brüstung legte, übermäßig lange und im Handrücken merkwürdig breite Hände, so als wollte er im Hechtsprung über die Logenbrüstung hinweg auf die Bühne springen.

Sie sah noch, wie die Hände den roten Samt der Brüstung drückten, als wollten sie ihn abreißen. Dann wandte sie den Blick wieder auf Brackenburg, der schon eine Sekunde zu lang auf seine Antwort gewartet hatte. Das Publikum hatte nichts von dem Zwischenspiel bemerkt. Es hielt die Entrücktheit der Petersen für einen ihrer seltsamen Einfälle, die oft abrupt aussahen, aber schließlich sich immer der Gestalt einfügten.

Die Petersen lächelte. Ja, es lächelte die berühmte Schauspielerin darüber, daß sie die vier Offiziere gebändigt hatte. Aber gleichzeitig, in einer sekundenschnellen Verwandlung lächelte Klärchen dem Schicksal zu, das die Liebe über sie verhängt hatte und gegen das sie machtlos war. Und sonderbar: zum ersten Male in dieser Sekunde verstand die Schauspielerin das Schicksal Klärchens, das ihr bisher fremd gewesen war und dem sie sich nur hatte nähern können, indem sie sich aufgab. Zum ersten Male spürte sie, daß sie eigentlich arm gewesen war. Bis zu dieser Sekunde arm?

„Ich bin in einer wunderlichen Lage“, sagte Klärchen in diesem Augenblick. „Wenn ich so nachdenke, wie es gegangen ist, weiß ich’s wohl und weiß es nicht.“ Sie machte wieder eine Pause. Und wieder war diese Pause von so viel drängenden Fragen erfüllt, daß die Menschen unten im Parkett gepackt wurden von einer Gewalt, die sie nicht benennen konnten.

Es war ein glücklicher Abend. In der Pause kam Stedtner, der den Egmont spielte, der außen etwas starre, innen zerbrechliche, bewegliche Stedtner, in die Garderobe der Petersen. Er lehnte in einer Ecke des schäbigen Sofas, die Hände in die Taschen des spanischen Wamses gesteckt, die Zigarette in einer langen Spitze zwischen den Zähnen wippend, die Beine ausgestreckt. Er sagte: „Du wirst noch einmal eine Schauspielerin, Petra. Als Penthesilea rasen, das kann leicht jede, die als Kind zu sehr gegängelt und gezügelt wurde. Aber als Klärchen einfach lieben ... dazu muß man schon viel können. Und das liebe Herz, Petra, darf sich nicht vor Schmerzen fürchten.“

Die Petersen, jetzt im Augenblick wieder ganz die hochmütige, berühmte Schauspielerin, lächelte spöttisch: „Eure Schmerzen, Stedtner. Laßt mich in Ruh. Vor lauter Angst, daß Ihr nichts mehr fühlen könnt, macht Ihr pausenlos Herzmuskelgymnastik, und jeder, der nicht mitmacht, ist ein Feigling, nicht wahr? Oder unmodern. Oder kalt. Laßt mich mit Eurer Hitze in Ruh.“

Stedtner lachte. Sein gesundes Gebiß leuchtete. „Wäre ich, als ich so jung war, so weise gewesen! Recht hast du, eckige Petra. Das, was die Menschen suchen, wonach sie laufen ... das gerade kommt von selbst. Aber das, was nicht von selbst kommt, wonach man sich dehnen muß oder verrecken, darum kümmert sich keiner. Das nennen sie dann Begabung, und man hat es oder hat es nicht.“

Er stand auf. Er straffte sich. Er schlug seinen gewaltigen Brustkasten. Er murrte: „Klingt es hohl oder klingt es voll? Darauf kommt es an, Petra. Dafür lohnt’s schon.“ Er ging auf die Tür zu, und die Klinke in der Hand, sagte er: „Du bist die Probe aufs Exempel, kleine Petra. Ich habe gedacht: sie ist ehrgeizig und kalt, und darum bringt sie’s zu einer ansehnlichen Position. Hoftheater, beste Klasse. Aber vielleicht zeigt es sich doch eines Tages, daß Zucht nicht nur Zucht ist, nicht nur in der Manege hohe Schule reiten, sondern auch Hindernisreiten auf freier Wildbahn.“

Die Petersen lachte: „Habe ich heute die Hecken übersprungen?“

Stedtner schüttelte den Kopf. Er sagte: „Du hast mich ganz gut verstanden, Petersen. Nur weil ich die Worte nicht so setzen kann, denkst du, du kannst entkommen. Aber du kannst nicht. Und das ist gut so.“

Petra ging auf ihn zu. Sie legte ihm die beiden Hände auf die Schultern. Sie sah ihn prüfend an. Sie sah das Eitle und das Große, das Verbrauchte und das sich Erneuernde in diesem zwiespältigen Gesicht, in dieser leidenschaftlichen Landschaft eines komödiantischen Antlitzes. Sie sah in die riesigen, hellen Augen Stedtners, in denen sich eine nebelhafte Erneuerung, ein irrlichterierendes, spätes Suchen kundtat. Sie kam sich seltsam nüchtern vor neben diesem vulkanischen Menschen, dessen ausgebrannte Krater ihr noch mehr Wärme zu spenden schienen als anderer Männer unverbrauchte Herzen. Sie sagte: „War ich wirklich anders als sonst?“

Stedtner packte sie am Hinterkopf und schüttelte ihren Kopf hin und her. Dabei sagte er lachend: „Immer fragen, was man weiß. Weiberart. Denn die Weiber sind heute die Intellektuellen. Und immer zwischen Ja und Nein.“ Und indem er ihr einen kleinen Schubs gab: „Aufgewacht bist du heute, Petra. Wenigstens ein bißchen. Das meiste schläft noch den Schlaf der Angst.“

„Warum Angst?“ sagte die Petersen.

Und Stedtner antwortete: „Warum wohl, katzenköpfige Petra? Weil’s sich im Bächlein munter plätschert, und du kannst gleich ans Ufer. Aber die Wellen, Petra. In Husum, am Haff gibt’s keine Wellen. So ’n bißchen Nebel und Melancholie und Schluß. Na, du weißt schon. Und darum ahoi, kleine Petra. Die Wellen heben das Schifflein. Das Herz hat zum ersten Male in einem Wort geschlagen wie der Klöppel in der Glocke. Warum? Darum. Das ist der Glockenton. Fürchte dich nicht, steht auf deiner Glocke eingraviert. Aber schwer ist’s. Darum ahoi.“

Damit ging er hinaus und knallte die Tür ins Schloß. Gleich danach kam Fräulein Frühling, säuerlicher noch als sonst lächelnd, einen der Zöpfe, den sie indes durchgekämmt hatte, in der einen Hand, in der anderen einen Strauß roter Rosen. An den Rosen baumelte eine Karte, und auf der Karte stand hastig gekritzelt: „Rosen, unter dem Schutze der Verdunkelung erobert von den Leutnants Kniestedt, Mense, Hasselberg und von Perm. Erbitten als Belohnung Abendessen zu fünft. Leutnant Hasselberg, vom Lose dazu bestimmt, wird sich Ihr Jawort holen. PS. Neinwort wird nicht entgegengenommen.“ Die Petersen las, lachte, ließ sich den Zopf wieder feststecken, begann ihr Gesicht noch einmal zurechtzumachen und hatte schon im Zurechtmachen den Zettel vergessen. Die Rosen hatte sie nicht einmal ausgewickelt. Sie lagen während des ganzen „Egmont“ verlassen in der Garderobe.

Der Gott zwischen den Schlachten

Подняться наверх