Читать книгу Blutrot ist die Heide - Weishaupt Heribert - Страница 11

Felix

Оглавление

Es war dunkel im Kinderzimmer. Felix lag in seinem Hochbett und lauschte. Musik aus dem Wohnzimmer drang leise zu ihm herüber.

Wahrscheinlich schauen meine Eltern irgend so eine dieser blöden Musiksendungen, dachte er.

Es war schon eine gefühlte Ewigkeit her, seitdem seine Mutter ihm heute den „Gute-Nacht-Kuss“ gegeben hatte. Sein Vater kam nie zu ihm ans Bett, um „gute Nacht“ zu sagen. Meistens sagte er nur einfach „Nacht, Felix“, wenn Felix an ihm vorbei ins Kinderzimmer ging. Dabei schaute er ihn noch nicht einmal an. Das Programm im Fernsehen schien immer wichtiger zu sein. Felix hatte gelernt, diese Kälte zu erwidern. Er ging nie zu seinem Vater. Weder abends, wenn er ins Bett ging, noch bei sonstigen Gelegenheiten tagsüber. Seine Mutter war die Ansprechperson für ihn – und nur ausschließlich sie.

Zu seinem achten Geburtstag hatte sein Vater ihm einen Zwerghamster geschenkt. Ohne Käfig. Lieblos - nur in einem winzigen Karton. Dann hatte er sich wie immer mit einer Flasche Bier vors Fernsehgerät gehockt. Über seinen Geburtstag oder über den Hamster verlor er kein Wort mehr.

Felix hatte sich nie einen Hamster gewünscht. Sein Vater hatte seiner Mutter erklärte, dass ein Hamster das Einsteigetier für jedes Kind wäre.

„Er braucht wenig Platz und vor allem: er lebt nicht lange“, waren seine überzeugenden Worte.

Wo sollte Felix den Hamster lassen? Seinen Vater interessierte das recht wenig. Lediglich seine Mutter versuchte ihm zu helfen. Sie holte als Notunterkunft für das kleine Tier einen alten Vogelkäfig aus dem Keller. Die Seiten kleidete sie mit engmaschigem Kaninchendraht aus, den sie ebenfalls im Keller fand. In einer Höhe von ungefähr zwanzig Zentimetern befestigte sie eine dünne Holzplatte zwischen den Streben des Käfigs. Zwerghamster klettern gerne an den Gitterstäben empor und lassen sich von dort aus fallen. Daher darf der Käfig nicht zu hoch sein. Das war vor fünf Wochen – und dabei blieb es bis heute.

Für die Versorgung und Ernährung war Felix verantwortlich. Er besorgte Heu, das er alle paar Tage wechselte, wenn er denn daran dachte. Wenn es mal wieder in seinem Zimmer zu sehr stank, war sein Vater der erste, der ihn deshalb anmeckerte und mit Strafe drohte, wenn er den Käfig nicht sofort säuberte.

Seine Mutter schenkte ihm eine kleine Schale für Wasser, das er täglich wechseln sollte. Auch für das Futter musste er selbst sorgen. Löwenzahnblätter von der Wiese im nahen Park. Manchmal nahm er auch ein Stück Salatgurke, eine Möhre oder ein Stück Apfel von seinem Essen für den Hamster. Von seinem geringen Taschengeld sollte er hin und wieder im Zoohandel spezielles Körnerfutter kaufen. Heimlich, ohne dass sein Vater es bemerkte, kaufte meistens seine Mutter das Futter. Dafür erhielt sie dann aus Dankbarkeit einen besonders dicken Kuss.

Der Hamster, die damit verbundene Arbeit und Verantwortung war das Geschenk seines Vaters, über das er sich riesig bis zu seinem nächsten Geburtstag freuen sollte.

Inzwischen hasste er den Hamster, der natürlich nichts dafür konnte.

Am vergangenen Samstag kam sein Vater von einer mehrtägigen Montagereise zurück.

„Ich habe meinem lieben Felix auch etwas für seinen armen Hamster mitgebracht“, überraschte er Felix.

Felix nahm das hämische Grinsen seines Vaters genau wahr, als er ihm als Willkommensgeschenk zu allem Überfluss ein Laufrad schenkte. Felix warf das Geschenk wütend auf den Boden und lief weinend aus dem Zimmer. Am nächsten Tag versuchte seine Mutter nette Worte für seinen Vater zu finden und Felix zu einer gewissen Freude über das Geschenk zu überreden. Schließlich brachte sie selbst das Laufrad im Käfig an.

Jetzt lag Felix in seinem Bett und starrte in die Finsternis des Zimmers, und in seinen Gedanken beschäftigte er sich mit seiner Mutter, die er über alles liebte, mit seinem Vater, den er hasste, insbesondere jedoch mit dem grässlichen Hamster.

Wenn er auch schlafen wollte, das monotone Drehen des Laufrades im Hamsterkäfig machte das unmöglich. Das nachtaktive Tier hatte jetzt ein Gerät, womit es seinen Bewegungsdrang befriedigen konnte.

Felix hatte sich in Wut gedacht und sprang auf, kletterte die Leiter aus dem Hochbett hinab und tastete sich im Dunkeln zum Hamsterkäfig. Er öffnete die Türe und nahm den Hamster in seine Hand.

Ein Hamster hat keinen Höhensinn. Er merkt nicht, ob es aus der Situation zehn Zentimeter oder einen Meter nach unten geht. Man stelle sich die kleinen Knochen vor, wie dünn und zerbrechlich die sind. Ein Sturz aus einem Meter Höhe ist für einen Hamster wie ein Sturz aus dem zweiten Stock für uns Menschen. Wenn er sich bedroht fühlt, beißt er oder will weg, und dann springt er einfach. Unten an, kommt man bestimmt. So primitiv denkt ein Hamster.

Felix Hamster fühlte sich nicht bedroht. Er kauerte sich in der hohlen Hand. Er biss nicht und er sprang nicht.

Felix streichelte ihm mit der anderen Hand zärtlich über den Rücken.

Dann öffnete er seine Hand zu einer geraden Fläche. Der Hamster blieb zusammengekauert sitzen. Unverhofft warf er das kleine Tier mit Schwung in die Höhe.

Ein leises Aufklatschen auf dem Laminatboden entlockte Felix ein breites, lautloses Grinsen.

In der Dunkelheit suchte er den Fußboden nach dem Tier ab. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er das tote Tier gefunden hatte. Behutsam, als wenn er mit zu groben Bewegungen das Tier wieder zum Leben erwecken würde, legte er es in den Käfig.

Was für ein schrecklicher Unfall, dachte er. Hat sich der Hamster im Käfig doch selbst umgebracht!

Zufrieden legte er sich ins Bett. Ein Lächeln blieb noch lange, nachdem er eingeschlafen war, auf seinem Gesicht.

Blutrot ist die Heide

Подняться наверх