Читать книгу Blutrot ist die Heide - Weishaupt Heribert - Страница 8

Montag, 18:14 Uhr

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Es war der vorletzte Ferientag der Sommerferien. Den gesamten Tag über war es düster und regnerisch. Vor einer halben Stunde schloss der Himmel seine Schleusen und die Sonne blinzelte jetzt zwischen den Wolken hervor. Es wurde langsam klarer. Es war Spätsommer. Bald würde der Herbst mit seiner Melancholie beginnen.

Unterhalb des Fliegenbergs erstreckte sich ein schmaler Streifen der Wahner Heide, der von zwei Seiten von Waldgebieten begrenzt wurde. Sandflächen wurden von sanften Hügeln unterbrochen, auf denen violett die Blühten der Besenheide leuchteten.

Das Heidekraut war nass und durch die intensiven Sonnenstrahlen wirkte die Farbe jetzt dunkel und kräftig – fast blutrot. Der leichte Duft der Blüten, der an trockenen Tagen die Bienen in Scharen anlockte, war wegen der noch vorhandenen Nässe nicht zu riechen.

In der Ferne erhob sich der 118 m hohe Michaelsberg mit der Silhouette des Klostergebäudes und der Kirche. Seit über 900 Jahren lebten in der Abtei Michaelsberg Mönche des Benediktinerordens. Nach dem Weggang der Benediktiner im Jahre 2011 sollte auf dem Berg ein neues, geistiges Zentrum entstehen.

Von der Altenrather Straße bog der Fahrer eines Astra Kombi rechts ab und fuhr auf den Wanderparkplatz, wo er den Wagen abstellte. Der Parkplatz war nach dem Regen erwartungsgemäß leer. Sofort öffneten sich die Türen der hinteren Sitze und ein Junge und ein Mädchen sprangen aus dem Wagen. Der Junge war vielleicht vierzehn Jahre alt, das Mädchen ein bis zwei Jahre jünger. Nachdem der Junge die Heckklappe geöffnet hatte, sprang ein kräftiger, schwarzer Rottweiler heraus, überquerte den Forstweg und stob ungestüm in die sandige Heidelandschaft.

Bei den ersten Heidekräutern hielt er inne und schaute sich nach den beiden Kindern um, die laufend auf ihn zukamen. Vater und Mutter der Kinder folgten langsam, nachdem sie die Heckklappe geschlossen und den Wagen verriegelt hatten. Sie lächelten. Es war immer wieder schön für sie anzusehen, wie sich der Hund und ihren Kindern verstanden.

„Steffi und Micha, lauft nicht zu weit voraus und wartet oben am Waldrand“, rief die Mutter ihnen hinterher.

Die Kinder liefen den grasbewachsenen Weg entlang, der gemächlich bis zum Waldrand anstieg. Der Hund vorweg. Von Zeit zu Zeit blieb er immer wieder stehen, schaute sich um und wartete, bis die Kinder zu ihm aufgeschlossen hatten, um dann wieder vorzulaufen.

Kurz vor dem Waldrand löste sich der Weg in eine Sandlandschaft auf. Erst am Waldrand konnte man die Fortführung des Weges wieder erkennen.

Der Hund wälzte sich ausgelassen im losen Sand, dessen Oberfläche durch die Sonnenstrahlen bereits getrocknet war. Wahrscheinlich vor Freude, dass er sich endlich nach dem langen Regentag austoben durfte.

„Bracka, nicht so toll. Schau mal wie du bereits aussiehst!“, rief Michael dem Hund zu, der auch schuldbewusst abrupt stehen blieb und Michael mit traurigen Augen ansah, weil sein Spiel unterbrochen wurde.

Michael hob einen Stock vom Boden auf, hielt ihn hoch und warf ihn dann in hohem Bogen weg.

Bracka war glücklich, dass das Spiel weiterging und schoss in voller Geschwindigkeit auf den Landepunkt des Stockes zu.

Unglücklicher Weise landete der Stock inmitten einer Gruppe Heidekräuter. Bracka hielt aus vollem Lauf an, denn in dieses kratzige Gewächs wollte er nicht hineinspringen.

Den Kopf nach unten schlich er schnuppernd um das violett blühende Kraut, bis er plötzlich stehen blieb. Schnell kratze er den lockeren Sandboden auf und grub eine Vertiefung. Dabei winselte er vor sich hin und schließlich bellte er in Richtung seiner beiden Herrchen.

„Was ist los, Bracka? Komm her. Lass alles liegen, was da liegt!“, rief Michael, der ahnte, das Bracka irgendetwas gefunden hatte.

Bracke blieb jedoch an der Fundstelle stehen und bellte weiter.

Michael und Stefanie eilten jetzt dorthin. Womöglich hatte ihr Hund den Eingang zu einem Kaninchenbau gefunden, wie es hin und wieder vorkam. Vielleicht hatte er aber auch ein verendetes Tier gefunden, wovon er sich möglichst fernhalten sollte.

„Komm her, Bracka!“, rief Michael erneut, als sie fast ihren Hund erreicht hatten.

Erkennen konnten die Kinder nicht, weshalb Bracka so bellte und mit den Vorderbeinen im Sand scharrte.

Michael befestigte sofort die Leine am Halsband und zog Bracka zu sich, während Stefanie sich genauer umsah.

„Ihh, Michael komm schnell. Hier liegt eine Hand!“, rief sie angewidert und wich ein Stück zurück.

„Ach, Steffi, ich glaube du spinnst!“, rief er zurück.

Trotzdem näherte sich Michael vorsichtig der Stelle, auf die seine Schwester zeigte. Den Hund hielt er dabei kurz an der Leine.

Tatsächlich ragte aus dem Sand eine menschliche Hand!

„Lass uns von hier verschwinden. Wir müssen sofort Mama und Papa Bescheid sagen!“, schrie Michael, wobei sich seine Augen vor Aufregung weiteten.

Dabei lief er bereits in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Energisch zog er seinen Hund hinter sich her. Auch Stefanie war froh, dass sie dem Fundort den Rücken zukehren konnte und folgte den beiden.

Es dauerte nur wenige Minuten bis die Eltern und Michael an der Fundstelle standen. Stefanie hatten sie mit dem Hund zurück zum Wagen geschickt. Dort mussten sie auf ihre Rückkehr warten. Der Vater hatte entschieden, dass sie noch zu jung dafür war, den Fund mit ihnen zusammen genauer zu begutachten.

Michael und seine Mutter blieben einige Meter entfernt vom Fundort stehen, während der Vater sich hinkniete und den Sand um die Hand herum entfernte. Immer mehr legte er vom Unterarm frei. Dann erhob er sich und stellte mit wichtiger Miene fest:

„Hier liegt ein Toter!“

Mit weit aufgerissenen Augen starrten ihn seine Frau und sein Sohn an. Insgeheim hatten sie es erwartet, aber die unverblümte, nüchterne Mitteilung des Familienvaters schockierte sie trotzdem.

Ein Toter im Sand inmitten der Wahner Heide! Wie ist das möglich? Hier ist doch alles so friedlich, dachte Michaels Mutter.

Worte kamen ihr aber nicht über die Lippen.

Recht hatte sie. Nachdem die belgische Armee Anfang 2004 die beiden genutzten Kasernen in der Heide verlassen hatte, kehrte grundsätzlich Friede in diese strapazierte Landschaft ein. Keine Manöver, keine Panzerbewegungen mehr – es wurde ruhig in der Heide.

Und jetzt das hier!

Michael hatte sich eng an seine Mutter geschmiegt, die wiederum ihren Sohn beschützend mit den Händen an sich drückte. Beide wollten so schnell wie möglich von diesem schrecklichen Ort weg.

Der Vater zog sein Handy aus der Tasche.

„Wie ist noch die Nummer der Polizei. 110 oder 112?“, fragte der Vater, der seine Aufregung nicht verbergen konnte.

„110 natürlich“, informierte ihn sein Sohn kleinlaut.

Der Vater stellte die Verbindung her und berichtete dem Polizeibeamten der Notrufzentrale, was sie gefunden hatten und wo sie sich aufhielten.

„Wir werden am Auto auf Sie warten“, beendete er schließlich das Gespräch und forderte damit gleichzeitig seine Familie auf, den Rückweg anzutreten.

Blutrot ist die Heide

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