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Ursprünge I

Als ich begann mich mit der Geschichte meiner Juister Familie näher zu befassen, stieß ich beim Studium der alten Kirchenbücher auch auf Ereignisse und Namen, von denen ich nichts wusste, oder nur andeutungsweise gehört hatte. Ich tauchte tiefer ein in die zeitgeschichtliche Entwicklung der Insel und ihrer Bewohner, entdeckte viel Wissenswertes und teilweise auch Amüsantes und beschloss, es meinen Schilderungen über die Lebensspuren meiner Juister Familie voranzustellen.

Ganz genau weiß man nicht wann die ersten Menschen auf Juist siedelten und mich bewegt auch viel mehr die Frage, was sie bewogen haben mag sich auf dieser kargen Insel niederzulassen. Überall anders musste es besser gewesen sein, als auf diesem öden Stück Erde, dessen Boden kaum etwas abzuringen war. Waren es Verurteilte, Ausgestoßene, denen man die bürgerliche Existenz, sofern man damals davon sprechen konnte, aberkannt aber das Leben gelassen hatte? Mit letzter Sicherheit werden wir diese Frage nie beantworten können.

Aber einen Hinweis auf Besiedelung der Insel erhielt man in neuerer Zeit. Bei Bodenuntersuchungen (Heie F. Erchinger) fand man Hellerkannten (Heller = Salzwiese) aus der Zeit um 1000 n. Chr. mit dem Abdruck von Rinderhufen. Wo Rinder waren, waren auch Menschen folgert man daraus. Diese trocken gefallene Hellerkante entdeckte man am Nordstrand vor den Billdünen. Um das Jahr 1000 lagen die ostfriesischen Inseln viel weiter nördlich als heute. Diese Hellerkante könnte also an der Südseite der damals möglicherweise viel breiteren Insel gelegen haben. Da bleiben noch einige Fragezeichen. Belastbarer, so meine ich, ist eine Angabe im Ostfriesischen Urkundenbuch, herausgegeben von Dr. Ernst Friedländer. Dort steht u.a. geschrieben, dass Witzel tom Brook, Herr von Ostfriesland, seine Landschaften aufzählt, darunter auch die ostfriesischen Inseln Borklyn, Just, Burse oder Buise und weitere. Die Urkunde datiert vom 11. September 1398. Sie sagt nichts darüber aus, ob damals auch Menschen auf der Insel lebten, aber wir dürfen es annehmen, denn eine öde Sandbank wäre des Aufzählens kaum wert gewesen.

Ich hoffe mehr zu erfahren, habe aus einem von meiner Mutter aufbewahrten Karton mit Heften und Büchern aus meiner Schulzeit die Abhandlung De Juest, Zur Kulturgeschichte des alten Eilands herausgefischt. Nichts erinnert mich an dieses Heft, umso erwartungsvoller beginne ich darin zu lesen. Und dort finde ich auch einen deutlicheren Hinweis auf die Besiedelung der Insel. Henrikus Ubbius, verfasste 1530, wahrscheinlich in Rom, eine Beschreibung Ostfrieslands in lateinischer Sprache. Ubbius stammte aus Norden, und sein Name ist vermutlich die latinisierte Form des guten ostfriesischen Namens Hinrich Ubben. Ubbius berichtet über Juest: Diese Insel zeugt eine wilde Pferderasse, die sich von den Kräutern oben an den höchsten Dünenkuppen unter freiestem Himmel nährt. Und weiter lässt Ubbius uns über diese Rasse wissen: …Sie hat sich noch nicht an den Anblick der Menschen gewöhnt, geschweige dass sie ihre Annäherung duldete. Sehr schnellfüßige Tiere seien es, die man nur durch ausgespannte Leinen einfangen und in andere Länder abführen könne.

Aber wir wissen heute, diese Pferde sind nicht durch die See zur Insel geschwommen, sie wurden von Menschen dorthin gebracht und betreut. Die gräflich-ostfriesische Pferdezucht hatte sich bereits im 16. Jahrhundert einen Namen gemacht, und ihr größtes Gestüt befand sich damals auf Juist. Menschen, die das nicht wussten und sich der Insel mit einem Boot näherten, konnten zu Recht den Eindruck gewinnen Wildpferde auf der Insel gesehen zu haben. Die Tiere lebten dort in völliger Freiheit, vermehrten sich, wobei das Vermehren durchaus gesteuert wurde. Die gräflichen Eigentümer investierten in Zuchthengste, die sie von ihren Stallmeistern für einige Zeit zur Insel bringen ließen.

Allerdings hatte die Insel um die Wende zum sechszehnten Jahrhundert bereits so viel Grünland verloren, dass das Heu für die Winterfütterung der Pferde nicht mehr auf Juist gewonnen werden konnte. – Ja, und da kommen auch die Menschen wieder ins Spiel, denen ich auf die Spur kommen wollte. Auch für sie war ausreichend Grünland Voraussetzung für ein Leben auf der Insel. Ausreichend Grünland, Weideland für die Tierhaltung, war unabdingbar. Und wie ich der zuvor erwähnten Kulturgeschichte entnehmen konnte, hielten die Juister Kühe, Schafe und Ziegen, sowie Federvieh. Nicht nur für die eigene Versorgung mit Milch und Fleisch war die Tierhaltung wichtig, auch der gräfliche Hof wollte seinen Anteil. Später ging der Hof dazu über die ihm zustehenden Abgaben in Geld einzufordern. Welche Möglichkeiten hatten die Insulaner Geld zu verdienen? Der Verkauf von selbstgezogenem Vieh, sowie mit Netzen und Spießen gefangenen Fischen gehörte dazu, ja und natürlich Schill (Muscheln zum Kalkbrennen). Im Zusammenhang mit dem Schill werden die ältesten namentlich bekannten Juister genannt, Sypke und Johan von de Juest, zwei Schiffer, die 1526 in Emden ihre Schiffsladungen verkauften.

Wenn das Glück auf der Seite der Insulaner war strandete ein Schiff, oder verlor seine Ladung und die See warf sie an den Strand. Es wurde gerecht geteilt, so man darin Gerechtigkeit sehen will. Ein Drittel stand dem Landesherrn zu, ein Drittel dem Eigner des gestrandeten Schiffes, das restliche Drittel den das Strandgut bergenden Inselbewohnern. Letztere verkauften es unter Umständen wieder an den Eigner und besserten auf diese Weise ihre Kasse auf. Übrigens, auch der Pastor erhielt seinen Anteil, selbst wenn er nicht unmittelbar an den Bergungsarbeiten mitgewirkt hatte. Dafür musste er jährlich aufs Neue die Strandordnung von der Kanzel verlesen; auch hatte er gemeinsam mit dem vom Landesherrn eingesetzten Vogt die Bergung zu überwachen. Auch die Kirche wurde in dieses Geschäft einbezogen. Geborgenes Strandgut wurde dort zwischengelagert; es gab keinen anderen größeren Raum auf der Insel. Geht man von den Nachrichten über Strandungen und Strandgut in früheren Zeiten aus, so scheint der Juister Strand nicht sehr gesegnet gewesen zu sein. Allerdings, so heißt es in dem bereits erwähnten Heft De Juest, dürfe man wohl annehmen, …. daß die meisten Strandungen nicht zu Ohren der Behörden gekommen sind und jedenfalls keinen Niederschlag in den uns erreichbaren Akten gefunden haben.

Immer häufiger ist in Berichten aus dem 17. und 18. Jahrhundert von Sandstäubungen die Rede. Der Wind blies die Insel davon, könnte man daraus schließen. Und in der Tat konnten die Inselbewohner, trotz der auch damals bereits durchgeführten Schutzmaßnahmen durch Anpflanzen von Helm, nicht verhindern, dass ihr Weideland weniger wurde. Und die See nagte an der Insel, nahm sich immer wieder ein Stück. Im 17. Jahrhundert, auch das ist überliefert, versank die erste Inselkirche in der See, die ihr zu nahe gekommen war.

Ach ja, die Juister, ihre Kirchen und ihre Pastore. Fünf Kirchen in zweihundert Jahren wenn wir nur das 17. und 18. Jahrhundert betrachten. Sechs Kirchen sind es wenn man vom 20.Jahrhundert zurückblickt, die 1910/1911 errichtete katholische Kirche noch nicht mitgezählt. Wann die eben erwähnte erste Kirche erbaut wurde und von wem hat bisher kein Historiker in den ausgewerteten Quellen entdecken können. Es war vermutlich der kluge Landesherr Ulrich Cirksena, der sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts errichten ließ. Mich bewegt die Frage warum auf einem abgeschiedenen Flecken Erde mit selten mehr als zwanzig Haushalten eine Kirche gebaut wurde. Das Bistum Bremen, zu dem Ostfriesland gehörte, hat sich jedenfalls nicht engagiert, denn sonst wäre Juist im damaligen Kirchenverzeichnis des Bistums aufgeführt worden. Andererseits sind die ostfriesischen Landesherrn nicht durch besondere Frömmigkeit in Erinnerung geblieben. Es spricht also viel für die von Historikern geäußerte Vermutung, die erste Juister Kirche, mit ihrem etwa zwanzig Meter hohen Turm (nach anderen Angaben sogar siebenunddreißig Meter und noch höher), sei eine wichtige Landmarke für Seefahrer gewesen. Sichere Schifffahrtswege durch Westerems und Osterems nach Emden, das war immer ein Thema und ist es bis in die heutige Zeit geblieben. Auch zur Verteidigung könnte der hohe Turm gedient haben, ließ uns Dr. Arend Lang, der einst auf Juist lebende Forscher, in einem Festvortrag wissen. Im Turm befanden sich Kämmerchen mit Bettgestellen und Schießscharten. Vermutlich nur mit Hilfe von Strickleitern, die hochgezogen werden konnten, gelangte man dort hin. Auch auf anderen Inseln und an der Küste gab es solche Türme. Es war die einzige Möglichkeit zu überleben, wenn Kriegsschiffe landeten, und die Soldaten ausschwärmten um Wasser und Vieh zu suchen. Bei geringstem Widerstand wurde alles niedergemacht. Übrigens, Dr. Lang glaubte aus den von ihm ausgewerteten Quellen den Bau der ersten Juister Kirche ab 1420 ableiten zu können. Wir, die wir den wissenschaftlich exakten Nachweis nicht benötigen, nehmen es zur Kenntnis.

Es war die schwere Petriflut im Jahr 1651, die die bereits stark angegriffene nördliche Dünenkette durchbrach und die Insel in zwei annähernd gleichgroße Teile zerriss. Dort, wo die See die Insel teilte, stand auch die erste Kirche. Nur wenige Jahre hielt sie noch stand. Im Jahr 1661 macht der Kirchvogt Eilardt Suntken eine Eingabe an die gräfliche Verwaltung. Da heißt es unter anderem …. das bei vorgewesenem leidigen Sturmwind der alte Kirchturm daselbst durch Kraft der ungestümen Meereswellen heruntergeworfen worden, daß die Steine meistenteils ins Wasser gefallen …. und das wir Eiländer mit gesamter Hand und ungespartem Fleiß mit ziemlicher Mühe einige Steine aus dem Wasser wieder hervorgeholet und geborgen haben, welche wir zum Besten der Kirche beiseitegelegt und verwahrt haben. Die Juister führten weiter aus, dass …. zur Zeit diese Steine für unser Kirchengebäude nicht von Nöten und darin verbaut werden können… und kamen nun mit dem Vorschlag …. ist uns der Gedanke eingefallen selbige Steine zu unserer Kirchen Besten jetzt zu verkaufen … Die Verwaltung war sich offenbar nicht ganz schlüssig über das korrekte Vorgehen und ordnete an, die Steine zunächst einmal zu zählen und zu verzeichnen. Sollten sie dann nicht ohne Gefahr der Korruption weiter aufbewahrt werden können, möge man sie verkaufen. Diese Anordnung ging einher mit der Aufforderung für die gute Anlage des eingenommenen Geldes Sorge zu tragen. Wie es damit weiterging kann ich den mir bekannten Unterlagen nicht entnehmen. Ich denke, die Juister bauten mit noch erhaltenen Steinen ihrer ersten Kirche und mit dem Geld von verkauften Steinen ihre zweite, wesentlich kleinere und auf der östlichen Inselhälfte gelegene Kirche. Auf beiden Inselteilen lebten einige Familien. Ich versuche mir vorzustellen wie die auf dem Westteil lebenden Menschen bei Flut zu den Gottesdiensten gelangten. Denn schon der Hochwasserstand bei einer mittleren Tide dürfte zu einer leichten Überschwemmung der Strandfläche zwischen den bewohnten Inselteilen geführt haben. Wurden die Gottesdienste dem Tidekalender angepasst? Und wie war es im Winter, wenn bei stürmischen Nord-West-Winden viel Wasser in den Durchbruch getrieben wurde, das auch bei Ebbe kaum vollständig ablief? Etwa 5 Kilometer dürften es von der westlich gelegenen Bill-Siedlung bis zur Kirche gewesen sein. Bei eisigem Ostwind kamen die Kirchgänger durchgefroren und vielleicht auch noch mit feuchten Schuhen zum Gottesdienst. Verständlich, wenn manch einer lieber in der geheizten Hütte blieb – und ein Vaterunser sprach.

Bereits wenige Jahrzehnte später standen die Insulaner vor einer neuen Herausforderung. Die Märzflut im Jahr 1715 zerstörte ihre zweite Kirche. Auf Befehl des Landesherrn und mit der Unterstützung aus einer auf dem Festland durchgeführten Sammlung, wurde nun auf jedem Inselteil eine kleine Kirche errichtet. Für eine Handvoll Menschen auf der einen wie auf der anderen Inselhälfte jeweils eine eigene Kirche, auch wenn diese vermutlich nicht viel größer waren als die anderen Insulanerhäuser. Offenbar hatte man sich mit dem Gedanken abgefunden nun zwei bewohnte Inselteile zu haben. Der Pastor hatte jetzt zwei Gemeinden zu versorgen. Beispielsweise vormittags bei ablaufendem Wasser in der Ostkirche, nachmittags dann bei tiefer Ebbe in der Westkirche, das ist denkbar. Nun war es nicht mehr Sache der Kirchgänger, wie sie bei Flut zum Gottesdienst gelangten, sondern der Pastor musste die freie Fläche zwischen den Inselhälften überqueren. Der Durchbruch – Hammer genannt – soll bis zu 2 Kilometer breit gewesen sein. Die Hosenbeine aufgekrempelt, den Talar über die Schulter geworfen, die Schuhe und Socken in der Hand, das Blatt Papier mit den Stichworten zu seiner Predigt in der Jacke verstaut, ja, so könnte es gewesen sein.

Mich beschäftigt der Gedanke, wie die Geschichte der beiden Teile verlaufen wäre, hätte es nicht die verheerende Weihnachtsflut im Jahr 1717 gegeben. Hätte die See die weite Sandfläche zwischen den beiden Inselteilen weiter Jahr für Jahr abgetragen, wäre dort vermutlich ein Seegat entstanden, wie zwischen Juist und Norderney beispielsweise. Hätte es dann einen Namensstreit gegeben? Gäbe es heute ein West-Juist und ein Ost-Juist? Möglicherweise, jedoch die von uns Menschen nicht beinflussbaren Naturgewalten lenkten das Schicksal des angeschlagenen Eilands in eine andere Richtung. Die Sturmflut zu Weihnachten 1717 gilt als die schwerste aller Sturmfluten an der Nordseeküste. Von Amsterdam bis Tondern kamen 11000 Menschen ums Leben. Die See durchbrach die Billdünen auf dem Westteil von Juist an vier Stellen, beschädigte die Kirche und alle 18 Häuser, spülte 9 von ihnen ganz fort, und 28 Menschen mussten ihr Leben lassen. Die Überlebenden beschlossen sich auch auf dem Ostteil anzusiedeln, wo Kirche und Häuser unbeschädigt geblieben waren.

Und was sagt die Geschichtsschreibung über die Menschen die dort lebten?

Um 1580 ist dem Protokoll des Landrichters zu entnehmen, dass das Leben auf der Insel Juist und die Eigenarten der Juister „rauh, primitiv und sehr handgreiflich in dieser Abgeschiedenheit“ waren. - Darüber muss man sich nicht wundern, es werden nicht die frömmsten gewesen sein, die bereit waren in einem abgeschiedenen Stück der Welt zu leben. Davon berichtet auch der Juister Pastor Cordes, der im Jahr 1680 schreibt: „Ich kann es hier nicht länger aushalten, hier lebt ein allesamt schlimmes Gesindel, zusammengekoppelt um Böses zu tun. Ich bitte zu Gott mich von den Juistern zu erlösen und mich zu versetzen.“ – Wenn wir uns daran erinnern wie es in deutschen Landen damals ausgesehen hat, muss uns diese Aussage nicht verwundern. Um 1650 wurde, nach dreißigjährigem Krieg, der westfälische Friede geschlossen. Plündernde Truppen waren umhergezogen, kaum eine Stadt blieb verschont, von vielen Dörfern blieben nur noch verkohlte Trümmer. Menschen verwahrlosten und verrohten, davon gab es noch genügend um 1680, und sicher auch auf Juist.

Ein Jahrhundert später bezeichnet ein hoher Beamter der Königlichen Preußisch-Ostfriesischen Kriegs- und Domänenkammer in Aurich das Betragen der Insulaner als sehr widerspenstig. Die Juister seien ungehorsame Untertanen. Durch welches Verhalten das Inselvolk sich diesen Tadel eingehandelt hatte kann ich nicht feststellen. Aber es gefällt mir sehr, dass sie widerspenstig und ungehorsam waren. Untertanen! Allein dieses Wort auf Menschen anzuwenden und sie entsprechend zu behandeln fordert doch zum Widerstand auf. Lever dood as Slaav (lieber tot als Sklave) war schon immer die Devise der Friesen. Und im Wappen Ostfrieslands steht das stolze Eala fria Fresena, was in etwa Steht auf ihr freien Friesen bedeutet; der Friese kniet vor keinem Herrn. Niemals!

Als der königlich-preußische Beamte den Tadel in seinen Besuchsbericht schrieb, war Gerhard Otto Christoph Janus Pastor auf Juist. Ob er mit diesem Tadel etwas zu tun hat, sogar persönlich betroffen war, darüber wissen wir nichts. Es ist eher unwahrscheinlich. Aber seine Lebenssituation war vermutlich auch nicht viel besser als die seiner Vorgänger. In einer von ihm verfassten Bittschrift an seine vorgesetzte Dienststelle erfahren wir (aus der Jubiläumsschrift „Zweihundert Jahre Kirche im Juister Inseldorf“): …Da ich schon vierzig Jahre erreicht und die Gelegenheit, meine Umstände durch eine reiche Heirat zu verbessern, hier gänzlich fehlt, so habe ich mich zu einer ehelichen Verbindung mit einem tugendsamen Mädchen entschlossen, das kein Vermögen besitzt… Die Bitte um Gehaltserhöhung war somit wohl begründet. Wie sie beschieden wurde, ist aus den mir bekannten Unterlagen nicht ersichtlich. Während der Dienstzeit von Pastor Janus, und unter anderem aus diesem Grund habe ich ihn in meine Betrachtungen aufgenommen, wird die fünfte Inselkirche errichtet, an der Stelle, wo auch die heutige steht. Die vierte Kirche, die im Gebiet des heute als Loog bekannten Teils des Inseldorfs stand, war für die auf etwa 350 Seelen angewachsene Gemeinde zu klein geworden. Mich überrascht diese Information. War noch im vorhergehenden Jahrhundert viel von Not und Elend, Verlust an Weideland und damit wichtiger Lebensgrundlage, die Rede, hat die Bevölkerung nun deutlich zugenommen. Nur eine verbesserte wirtschaftliche Lage, so meine ich, kann diesen Zuwachs bewirkt haben. Tatsächlich finden sich Hinweise auf Verdienstmöglichkeiten in der Schifffahrt. Um 1750 soll es 32 Schiffseigner auf Juist gegeben haben, und der Norder Amtmann Damm urteilt 1756: ….von keinem Orte dieser Provinz (Ostfriesland) fahren so viele und schwere Schiffe als von Juist, ausgenommen die Stadt Emden… Was hatte diese erstaunliche Entwicklung ausgelöst? Wir erinnern uns: Die Weihnachtsflut des Jahres 1717 hatte viele Häuser zerstört, fast 30 Menschen und fast das gesamte Vieh waren ertrunken. Eine menschliche und wirtschaftliche Katastrophe. Und nur wenige Jahrzehnte später ein völlig anderes Bild. Waren die Abkömmlinge der Menschen die der Pastor Cordes 1680 als ein allesamt schlimmes Gesindel bezeichnet hatte und ihm die Lebensfreude vergällten zu erfolgreichen Unternehmern geworden? Ja, in der Tat, der zunehmende Verlust an Weideland und die Katastrophe von 1717 hatte eine tiefgreifende Umstrukturierung der Bevölkerung bewirkt. Aber bereits 1772 sind es nur noch 24 Schiffe und 1798 ganze elf. Runde 80.000 Gulden Betriebsvermögen holte sich die See und dazu noch die Menschen. Im Jahr 1771 konnten sich von vierzig auf Juist lebenden Familien nur noch sechs selber unterhalten, vierzehn waren ausgestorben. Zu der Zeit lebte Pastor Altmanns auf Juist. Er schrieb auf … daß auch er bald kein Geld mehr für Brot habe oder für Öl, bald in Hunger und Durst dahinleben muss oder in Frosteskälte und kann doch nichts ändern.“

Die See fraß sich immer weiter in den Hammer hinein und in 1774, so kann man nachlesen, sei die Westkirche schon längst von der See fortgerissen. Die im Loog stehende Ostkirche war aber schon 1737 zu klein geworden, doch ein 1748 erfolgter Antrag auf Neubau wurde abgelehnt. 1770 steht die vierte Kirche nur noch 50 Schritt vom Strand entfernt. Der Pastor klagt über ihre Baufälligkeit und dass er nicht mehr warm wohnen könne und alle Gärten versandet seien. Das ist die Situation der Insel, als Pastor Janus seinen Dienst antritt. Am 3. März 1772 hält er - ohne Erlaubnis der vorgesetzten Behörde - seinen Eröffnungsgottesdienst in der vierten Inselkirche. - Pastor Janus war sehr rührig. Er verfasste Berichte über die durch See und Wind verursachten Veränderungen der Insel, mit alleruntertänigst vorgetragenen Vorschlägen für zu ergreifende Maßnahmen. Er bemühte sich, mit mäßigem Erfolg, den regelmäßigen Schulunterricht der Juister Kinder zu gewährleisten. Er war es, der die vorgesetzten Dienststellen davon überzeugte den Bau der fünften Inselkirche in Angriff zu nehmen. Und schließlich: Er schrieb 1783 den berühmt gewordenen Brief an den preußischen König Friedrich II mit dem er vorschlug auf Juist ein Seebad zu errichten. Darin heißt es unter anderem: … Die landesväterliche Sorgfalt, welche Ew. Majestät für die Erhaltung der Gesundheit der Unterthanen beweisen, bewegt mich, hierdurch bekannt zu machen, was ich durch eigene Erfahrung und durch Beobachtung an anderen von dem großen Nutzen des Gebrauchs der Bäder im See wasser in der bequemsten Jahreszeit wahrgenommen habe …. Er schreibt ferner, die Seeluft sei immer mit den feinsten Salzkristallen angefüllt, welche durch ihre auflösende Kraft das Unreine aus dem menschlichen Körper wegschaffen können. Eine andere Beobachtung wird die zur Bewertung der Vorschläge eingesetzten Mediziner eher amüsiert haben. Janus berichtet: … Oder ist der Magen verdorben und verschleimt bzw. sind weitere Hindernisse vorhanden, welche der Verdauung nachteilig sind, so befördert die Seeluft während der Überfahrt vom Festland zur Insel ein Erbrechen bzw. löst die Säfte, so daß die Zirkulation wieder hergestellt wird und guter Appetit folgt. … Gerade die Insel Juist wäre zum Aufenthalt von Gästen sehr geeignet. Ich hoffe, daß mein Vorschlag einer näheren Untersuchung gewürdigt und letztere allgemein bekannt gemacht wird.

Wir dürfen bezweifeln, dass Friedrich II den Brief gelesen hat, aber einen Anstoß gegeben hat das Schreiben doch. Janus handelte vermutlich in der Hoffnung auf diese Weise auch seine persönliche wirtschaftliche Lage verbessern zu können. Er war erfolgreich, wenn auch anders als er es sich vorgestellt hatte. Die zur Beratung dieser Eingabe angesprochene königliche Kommission griff den Gedanken auf und entschied sich für die Gründung eines Seebades. Allerdings erst Jahre später, 1794 in Doberan an der Ostsee und einige Jahre später auf Norderney. Juist musste noch einige Jahrzehnte warten. Aber trotzdem haben die Juister dem Pastor Janus, fast zweihundert Jahre später, ein Denkmal errichtet; nicht in Marmor oder Bronze, sondern in Form einer kleinen Grünanlage die seinen Namen trägt. Kaum 150 Meter entfernt von der Stelle, an der er die fünfte Inselkirche errichten ließ, findet man den Janus-Platz.

Da ich bereits in einhundert Jahresschritten die von den jeweiligen Zeitgenossen protokollierten und nicht sonderlich schmeichelhaften Aussagen zu den Juistern von 1580 bis 1780 aufgeführt habe, möchte ich mit einem Satz aus einem Ostfrieslandbuch aus dem Jahr 1880 diese Betrachtung abschließen: Auf Juist trifft man ein Inselvölkchen, das treu und bieder, gerade und ehrlich ist und nur von einem Dichter als Korsaren und Strandräuber verunglimpft werden mag. Im Jahr 1880 wurde mein Juister Großvater geboren. Wenn ich davon ausgehe, dass die eben zitierte Aussage die damaligen Verhältnisse weitgehend korrekt wiedergibt, so ist mein Großvater schon in einem zivilisierten Umfeld aufgewachsen. Wir werden darüber noch mehr lesen.

Von Dünen, See und Strand

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