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Ursprünge II

Die Geschichte meiner Heimatinsel beschäftigte mich wieder in diesen Tagen an der See. Den Ursprüngen menschlichen Lebens hier wollte ich auf die Spur kommen. Nicht weiter bin ich damit gelangt als die mir zur Verfügung stehenden Quellen es zulassen. Immerhin, einiges Wissen ließ sich zusammentragen. Bereits im ausgehenden Mittelalter lebten Menschen auf der Insel Juist, das lässt sich mit einiger Sicherheit sagen. Zu Beginn der Neuzeit mehren sich die Informationen über das Leben auf der Insel. Im vorhergehenden Kapitel habe ich es knapp zusammengefasst dargestellt.

Juist war wohl, einen anderen Grund gibt es nicht, wegen des Gestüts für den Landesherrn von besonderer Bedeutung. Insofern kam den Vögten als verlängerter Arm der herrschaftlichen Verwaltung eine besondere Funktion zu. Der älteste überhaupt bekannte ostfriesische Inselvogt war Evert van Pylsum, Amtman up der Juest der mindestens von 1516 bis 1534 dieses Amt bekleidete heißt es in De Juest, Zur Kulturgeschichte des alten Eilands. Seine Amtsgeschäfte hat er wohl von Emden aus geführt, wo er ein angesehener Bürger und in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts auch Stadtbaumeister war. Über seine soziale Stellung gibt ein erhaltener Heiratsvertrag seiner Tochter Swane Auskunft, die er 1534 einem Ede Jeltkins zur Frau gab. Als Mitgift erhielt sie ….ein halbes Haus in Emden, zwei Ochsen im Werte von je 20 Gulden, eine Stallkuh, und eine Ausstattung <wall gekledet, so een borgers dochter to steiht>. Von Zeit zu Zeit, möglicherweise auch nach vom Landesherrn vorgegebenen Weisungen, hat er sich zur Insel übersetzen lassen, um nach dem Rechten zu sehen. Ob Tochter Swane wohl gerne einmal mitgefahren wäre frage ich mich. Sicher hat der Vater gelegentlich von seinen Reisen berichtet. Vielleicht hat es sie auch gegraust, wenn der Vogt seine Berichte mit übertrieben finsteren Geschichten über das Leben auf der Insel würzte. Für Menschen die in einer befestigten Stadt lebten, müssen Inseln, mit den wenigen dort in Hütten ähnlichen Behausungen lebenden Personen, sehr exotisch gewesen sein.

Die Nachfolger des Evert van Pylsum lebten offenbar überwiegend auf der Insel, waren nicht selten auch Insulaner. Die älteste bekannte Bestallungsurkunde für einen Juister Vogt datiert vom 4.5.1631. Sie wurde für einen Joris Janßen ausgestellt und vom Landesherrn eigenhändig unterzeichnet. Sie sagt viel darüber aus wie damals auf der Insel gelebt wurde, daher will ich sie in Auszügen und mit Kommentaren hier wiedergeben.

Unter 1) heißt es da, der Vogt möge einen leiblichen Eid schwören, … daß er Uns und Unseren Erben getreu, hold und gehorsam sein möge … Nun, dies ist leicht gesagt, aber unter den herrschenden Bedingungen sicher nicht immer leicht umzusetzen. Der Graf nimmt den Pluralis Majestatis für sich in Anspruch nehme ich verwundert zur Kenntnis. Seine Vorfahren waren ostfriesische Häuptlinge, er ist nun „Wir“ und von Gottes Gnaden.

Ein Verzeichnis möge er anlegen heißt es unter 2), zur genauen Erfassung aller Einwohner des Eilandes, woher sie gebürtig, wie lange schon auf der Insel, sowie umfassende Auflistung ihres Besitzes usw. … damit Wir jederzeit wissen, wie auf dem Eyland gelebet werde. Warum um alles in der Welt will der Landesherr diese Details von kaum zwei Dutzend ärmlichen Haushaltungen wissen frage ich mich. Wenn man allerdings erfährt, wie argwöhnisch selbst der kleinste Handel überwacht, der unter der Hand erfolgte Verkauf von Kaninchenfellen geahndet, oder die nicht ausreichende Lieferung von Fisch oder Schlachtvieh empfindliche Strafmaßnahmen auslöst kann man ermessen, wie engmaschig der Hof seine Untertanen überwacht, um seinen Haushalt in Ordnung zu halten.

…Keinem Neuen möge er erlauben auf dem Eyland zu wohnen und ihm gar Land Weide und Schifffahrt zu gebrauchen gestatten … heißt es unter 3), es sei denn mit dem Segen der fürstlichen Beamten. Auch hier wird wieder das Prinzip der Überwachung sichtbar. Ein nicht registrierter Untertan könnte ausschließlich zu eigenem Vorteil wirtschaften und den Hof um den ihm zustehenden Anteil bringen.

Dass ein jeder treu, fromm und aufrichtig lebe, darauf möge er achten wird dem Vogt unter 4) aufgetragen. Und wenn jemand eine Missetat beginge, ihn … so an Leib und Leben strafen, denselben soll er alsbald gefangen nehmen und an das Amtshaus mit Angabe seiner Verbrechen wohlverwahrt einliefern….Aber auch Schlägereien und wörtliche Injurien soll er fleißig aufzeichnen, Strafgelder einfordern und alle Jahr auf Michaelistag abliefern. - Das ist stark, sogar an den Streitereien seiner Untertanen will der Fürst noch verdienen. Und auf de Juest wird viel gestritten, wie an anderer Stelle mit Auflistung der Streithähne aufgezeichnet ist. Die verhängten Strafen (Brüche genannt) in Form guter Reichsthaler sind erheblich.

Viermal wöchentlich soll er gemeinsam mit zwei Begleitern den Strand des Eylandes … ringsum umreiten und gute Aufsicht haben, daß davon ohne Unsern Befehl und Erlaubnis nichts an Erde, Sand Soden, Gras, Rohr oder andere Medländereien abgegraben noch die Hasen und Kaninchen gejagt oder gefangen werden …. wird unter 5) angeordnet. Solche Eingriffe zum Nachteil des Landesherrn soll er, wenn es ihm möglich ist, mit Pfändung der Schiffe und wenn nötig mit Hilfe der Einwohner des Eylandes abwehren. - Hier wird offenbar der räuberische Angriff von Festländern oder Bewohner anderer Inseln unterstellt, die per Schiff auf de Juest gelangt sind. Da kann man nur hoffen, dass die Eindringlinge nicht im Dutzend ankommen und mit Schuss-, Hieb- und Stichwaffen ausgerüstet sind.

Das Thema Schiffbruch darf in der Urkunde nicht fehlen, denn ein gesegneter Strand verheißt Einkünfte für die fürstliche Kasse. Unter 6) wird dem Vogt aufgegeben: Auf die durch Schiffbruch oder anderes Unheil angestrandeten oder geborgenen Güter soll er mit allem Fleiß sehen, daß, was möglich, zu retten, gerettet, fleißig und ohne Betrug zusammengebracht wohl verwahrt …. werde…. Den Beamten soll er ungesäumt einen vollständigen Bericht zukommen lassen und dafür sorgen, dass … die Teilung redlich gemacht und nichts unterschlagen werde. Denn sollte Uns durch Betrug oder Nachlässigkeit einiger Schaden entstehen, denselben wollen Wir Uns von ihm zu holen vorbehalten. - Ein probates Druckmittel wird hier angewandt. Solltest du, unser verlängerter Arm auf der Insel, gemeinsam mit den Untertanen etwas zum eigenen Vorteil auf die Seite schaffen und wir hören davon, werden wir uns bei dir schadlos halten. Egal wer beteiligt war, den angerichteten Schaden bezahlst du uns. Da dürfte der Vogt sich schon überlegen, ob er dieses Risiko eingeht. Wie rigoros der Hof vorgeht lese ich an anderer Stelle (Dr. H. Reimers; Ein Rechtsstreit auf Juist). Edzard II hatte ein Mandat an die Juister Fischer erlassen, um sie zu regelmäßiger Lieferung vorgegebener Mengen Fisch anzuhalten, eine Art Steuer gewissermaßen. Unzufrieden mit den Fischlieferungen in einem Jahr, werden dem Vogt Teile seines Gehalts nicht gezahlt. Der beschlagnahmt und verkauft daraufhin zwei Ochsen des Juister Landwirts Harmen Dirks, um seinen Schaden zu kompensieren. Dirks wehrt sich, kann sich aber nicht durchsetzen. Es vergeht einige Zeit, bis sich die Gelegenheit bietet beim Landesherrn eine Audienz zu bekommen. Dirks trägt ihm vor, völlig zu Unrecht um zwei Ochsen gebracht worden zu sein. Da er auch in der Lage ist, mit Unterstützung des früheren Vogtes die Namen der schuldigen Fischer, Reiner Ubben und Poppo Feiken, zu nennen, wird vom Grafen wie folgt Recht gesprochen: Wir Edzarth Graf und Herr von Ostfriesland fuegen Euch, Unserem Vogt und Unserem Auskündiger uff der Juist und lieben Getreuwen Lammert Johanß und Hindrich Martens hiemit zu wissen, daß Unser Unterthan Harmen Dirks supplicando forgebracht welcher gestallt Ihm verruckter Jahren auß mißverstand ein Pahr vierjehrige Ochsen abgenommen, so doch nicht er, sondern andere wegen nicht folgeleistung unsers ausgegangenen mandates brockfellig gewesen, derowegen wir den auch ihm hiebevor unser befehlich schrifft zu Euch mittgetheilet, Ihnen zur Bezahlung der abgenommenen Ochsen bei den ungehorsamen Fischern zu verhelfen. Welchenn aber bis anhero wegen dessen, daß die Namen der Bruchselligen nicht specificiret bis anhero keine folge geschehen.

Ein Vergehen wurde damals auch als Bruch bezeichnet. Und da die Namen der Übeltäter, der Bruchselligen“ bisher nicht specificiret waren, konnte Edzarth bisher auch nicht Recht sprechen. Das holte er jetzt nach. … Als befehlen wie Euch sambttlich und sonderlich hiemit gnediges ernstes, daß Ihr gedachten Reiner Ubben und Poppo Feiken ernstlichen ufferleget, supplicanten Harmen Dirks die abgenommenen zwei Ochsen zwischen dato und nebstkunftigen Michaelis unverzuglich und ohne verweigerung zubezahlen und clageloß zu machen bei Poen 10 Goldgulden. .…

Berumb den 22. Augusti Anno 1591

Das Ganze mit dem gräflichen Siegel versehen. Und auch noch 10 Goldgulden Strafe angedroht bei Nichtbefolgung. Interessant ist, der Graf fordert nicht den Vogt, der die Ochsen requiriert und verkauft hatte, zur Wiedergutmachung auf, sondern verdonnert die saumseligen Fischer. Die Klage des Harmen Dirks war somit erfolgreich; die sogenannten kleinen Leute waren also doch nicht gänzlich ohne Beistand stelle ich zufrieden fest.

Was lesen wir noch in der Bestallungsurkunde. Unter 7) geht es wieder um die gleiche Sache. Der Vogt möge … Unsere auf dem Eyland fälligen Renten und Einkommen rechtzeitig einsammeln und am verordneten Ort abliefern und sich … auch darüber quittieren lassen, denn wo er auch hierin nachlässig, soll er Uns den Schaden und Abgang aus dem Seinen erstatten. – Der Vogt wird am kurzen Zügel gehalten, aber vermutlich wäre eine erfolgreiche Regentschaft in damaligen Zeiten auf andere Weise gar nicht möglich gewesen. Nun ja, ist es in heutiger Zeit so viel anders?

Keinem soll es erlaubt sein auf der Insel nach eigenem Gefallen etwas zu bauen oder zu verändern, gibt die Urkunde unter 8) vor. … darum Unser Vogt gute Aufsicht haben soll, daß keiner mehr Ländereien gebrauche noch dieselben anders bestelle, als wir ihm zu Anfang seiner Verpachtung gegönnt haben. – Also nicht einmal anders bestellen darf ein Pächter sein Fleckchen Erde, wenn er es aus guten Gründen für richtig hält. Das ist nun mehr als kleinlich, steckt doch der Gedanke dahinter ein Pächter könnte bei anderer Bewirtschaftung größeren Gewinn erzielen und die Herrschaft wäre nicht daran beteiligt. Die mittelalterliche Feudalwirtschaft ist noch in voller Blüte. Andererseits soll der Vogt der Herrschaft durchaus darstellen, wie bspw. durch Verpachtung der unverpachtet gebliebenen Ländereien das Einkommen verbessert werden kann. Dazu wird unter 9) festgelegt. Einen ausführlichen Bericht soll er liefern … und was Wir darauf verordnen mit fleißigem Gehorsam folgen und verrichten. – Fleiß und Gehorsam der Untertanen sind die tragenden Säulen einer repressiven Herrschaft. Es sollte noch rund einhundertfünfzig Jahre dauern, bis dieses Prinzip mit der Französischen Revolution erstmals in Europa in Frage gestellt wurde.

In 10) geht es dann recht ausführlich um die Entlohnung des Vogts. Fünfzig „schlechte“ Taler soll er jährlich bekommen, dazu zwei Kühe, Weideland für seine Pferde, Heu und Gras usw. Kaninchen dürfe er für sein Haus genießen aber nicht zum Zweck des Gewinns an andere verkaufen. … Auch soll er alleine auf dem Eyland Wein und Bier schenken dürfen und den Krug haben und nur an Uns die verordnete Wein- und Bierakzise bezahlen …. Von den verordneten Bußgeldern soll ihm der zehnte Pfennig zu genießen gestattet werden.

Kein Wort verliert diese Bestallungsurkunde über die Beziehungen des Vogts zu den Insulanern. Er muss sich doch mit ihnen gut stellen, will er seiner Aufgabe bestmöglich nachkommen. Müsste er nicht dazu angehalten werden im guten Einvernehmen mit dem Inselvolk zu leben, es zu fördern und zu unterstützen bei allen Tätigkeiten die den Lebensunterhalt sichern und die verwundbare Insel schützen? Letztendlich sichert er doch auf diese Weise auch Besitz und Einkommen des Herrscherhauses. Aber im 17. Jahrhundert war der Adel in mancher Hinsicht noch in der spätmittelalterlichen Gedankenwelt zuhause. Eine Verbrüderung ihres Bevollmächtigten mit den Untertanen war unerwünscht, man hätte ja manchen Handel an der Obrigkeit vorbei steuern können. Nein, man regierte mit harter Hand, das hatte sich bewährt.

Der Vogt jedoch, durch das Wasser vor überraschender Kontrolle durch seine vorgesetzte Dienststelle geschützt, musste sich mit den Insulanern arrangieren. Er wird kaum viermal die Woche mit zwei Bewohnern die lange Insel mit dem Pferd umritten haben. Gutgestellt hat er sich mit den Einheimischen denke ich, hat mal den einen, mal den anderen zu einem Erkundungsritt aufgefordert. Es war ja im Interesse aller über eine Strandung oder über angeschwemmtes Strandgut rechtzeitig Bescheid zu wissen. Joris Jansen allerdings, für den die Bestallungsurkunde ausgestellt wurde, hat es nicht verstanden sich mit den Insulanern zu arrangieren. Nur fünf Jahre blieb er im Amt, dann wurde ihm der Prozess gemacht. Er hatte es wohl zu wüst getrieben mit seiner Herrschaft über das Inselvolk. Das wiederum war auch nicht im Sinne des Grafen.

Das Gestüt, ich hatte meinen Bericht eingangs damit begonnen, möchte ich noch etwas eingehender betrachten. Die auf Juist betriebene gräflich-ostfriesische Pferdezucht muss für einige Zeit recht erfolgreich gewesen sein. Es wurden häufig Zuchttiere hinzu gekauft. Im Jahr 1608 konnte Graf Enno III dem englischen König Jakob I vier Pferde schicken, begleitet von einem Stallmeister (das war immer ein Adeliger), zwei Edelknaben und Helfern. König Jakob I war selbst ein erfolgreicher Züchter, und so darf man davon ausgehen, dass die ostfriesischen Pferde von herausragender Qualität waren. Ein nobler Gruß von der Pferdeinsel Juist. Die Pferdetransporte von und zur Insel stellten zweifellos eine besondere Herausforderung dar. Damals, wie auch heute noch, konnten tiefgehende Schiffe nicht durch das Watt zur Insel gelangen. Es werden flachgehende offene Segelboote gewesen sein, mit denen man übersetzte. In Greetsiel hatte man Tauwerk, Halfter und auch Bier an Bord genommen … so den Bauern daselbst verehret, daß sie die Fohlen fangen und zu Schiffe bringen helfen. Freibier für die Juister Helfer also. Manch einer mag sich dabei Blessuren zugezogen haben. Es gab weder Hafen noch Anleger. Die Boote werden während des Gezeitenwechsels im Watt beladen worden sein; über Stege gelangten die Pferde an Bord, so stelle ich es mir vor. Während des Gezeitenwechsels von Ebbe auf Flut deshalb, um mit den Pferden an Bord auch bald in Richtung Festland segeln zu können.

Graf Enno ist selbst mehrmals auf der Insel gewesen. Ein Vorauskommando erkundete …ob s’uffm Eylandt auch gesund wäre. Dann rückte der Burggraf von Greetsiel mit Helfern und Feldausrüstung an, um Zelte für den Grafen, seine Söhne und Bedienung aufzuschlagen. Dies war offensichtlich komfortabler als die ärmlichen Behausungen der Inselbewohner zu nutzen.

Juist verfügte im Spätmittelalter und zum Beginn der Neuzeit über ausreichend Weideland. Das war die Voraussetzung für die Ansiedelung einer Pferdezucht. Bis zu siebzig Pferde, so heißt es an einer Stelle in alten Unterlagen, weideten dort. Unterstellt man im Durchschnitt zwanzig Haushaltungen - das ist ausreichend belegt - die alle Kühe, Schafe, Schweine und vereinzelt auch Pferde hatten, bekommt man eine Vorstellung davon wieviel Weide- und Ackerland benötigt wurde. Aber bereits um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert hatte die See der Insel manchen Schaden zugefügt und die Nutzflächen ernährten die Pferde nicht mehr. Es musste Futter zugekauft werden. Auf der damals noch vorhandenen Insel Bant wurde gemäht aber auch auf dem Festland wurde Heu gekauft.

Graf Enno hatte im Ostteil von Juist einen Stall – wohl eher eine offene Halle - bauen lassen, wo die Pferde im Winter gefüttert wurden. Bereits ein Jahr später ordnete er an, die Halle wieder abzubrechen und weiter westlich neu aufzubauen. Der damals auf Juist amtierende Vogt Hinrich Luiken war nicht nur des Schreibens kundig, sondern offenbar auch jemand der mitdachte und selbst den Widerspruch nicht scheute. In einem an den Grafen gerichteten Brief von 1601/1602 schreibt er von der Weisung zum Umsetzen der Halle, die er vom Amtmann Reiners aus Greetsiel erhalten habe. Er beteuert E.G. (Euer Gnaden) gehorsamer Diener sein zu wollen, müsse aber auf folgenden Sachverhalt hinweisen:

… daß solches Haus auf dem angedeuteten Ort nicht wohl dienlich oder bequem in Anbetracht, daß das Eilandt dort am schwächsten und viele der weißen Sanddünen, so E.G. letztmal gesehen, da gegenüber gelegen und nun so feinartig mit jungem Helm und Gras besetzt und wachsend, daß es eine Lust ist anzusehen.“ Würde das Pferdehaus an diese Stelle gesetzt, führt Luiken dann weiter aus, bestehe Gefahr dass der junge Helm zur Winterzeit von den Pferden zertreten und im Fressen abgerauft und vernichtet würde. Als Folge würde dann wenn der Helm vertilget der Dünensand bei schweren Windeszeiten davon geweht werden. Der Vogt weist ergänzend auf die bereits vollzogene Umsiedlung einiger Insulanerhäuser hin und erwähnt auch, dass die Kirche bereits mit Sand überweht werde. Der sehr umsichtige Hinrich Luiken gibt mit diesem Schreiben eindeutige Hinweise auf die sich zuspitzende Situation im mittleren Inselteil, dort, wo auch die erste Kirche steht. Luiken war offenbar von Amtsträgern angegriffen worden, weil er sich weigerte der Aufforderung zum Umsetzen der Halle nachzukommen. Mit diesem direkt an den Landesherrn gerichteten Brief versucht er ihn mit nachvollziehbaren Argumenten von den nachteiligen Folgen zu überzeugen. Einen Seitenhieb auf des Grafen Beamte lässt er auch nicht aus:

…. Ob nun ein solches Haus anderswo hinzusetzen, wie es von dem Auskündiger oder anderen Leuten vorgestellt worden ist, so haben dieselben so viel Witz nicht oder Sinn im Gehirn, daß sie E. G. und des Landes Bestes können bedenken, haben auch – wie ich als ein alter Hausmann - kein Verstand….

Wie der Graf entschieden hat konnte ich nirgends nachlesen. Wahrscheinlich blieb die Halle dort wo sie stand. Aber die nie ermüdende See nagte weiter an der Insel, das Weideland schrumpfte und Graf Enno, in großer Sorge um seine Pferdezucht, wollte den Insulanern die Viehhaltung verbieten, um mehr Weideland für seine Pferde zu behalten. Eine erste Eingabe der Juister doch von dieser Anordnung abzusehen war erfolglos. Und wieder griff man zur Feder um den Grafen flehentlich zu bitten:

… uns zur Erhaltung unserer armen Weiber und kleinen Kinder den Ackerbau, den wir angefangen haben fernerhin zu bestellen und nur noch dies Jahr allein die Früchte davon zukommen zu lassen … Sollte der Graf bei dem ausgesprochenen Verbot bleiben, würden sie sich …samt und sonders aus Not und großer Bedrängnis an einen anderen Ort begeben und unsere schmale Kost und eine Verbesserung suchen müssen….

Es konnte nicht im Sinne Graf Ennos sein die Eiländer zu vertreiben. Er rückte von seinem Vorhaben ab. Verschiedene Gründe mögen dabei eine Rolle gespielt haben, nicht zuletzt auch die Einnahmen. Immerhin 140 Reichstaler mussten die Insulaner gemeinsam aufbringen, nachdem der Hof von der Zahlung in Naturalien abgerückt war.

Im Jahr 1628 gab Graf Enno die Pferdezucht auf Juist auf. Den Juistern ist das offensichtlich gut bekommen. Obwohl der Zustand der Insel sich weiter verschlechtert hatte, wurde 1655 ein erstaunlich großer Viehbestand auf der Insel registriert. Die Juister konnten nun über das gesamte nutzbare Weideland verfügen, so lässt sich dieser Zuwachs erklären.

Eine Pferdeinsel sei Juist schon vor Jahrhunderten gewesen haben wir erfahren. Sie ist es auch heute noch. Wenn in den frühen Morgenstunden die Arbeitspferde der Juister Fuhrunternehmer in leichtem Trab von den östlichen Hellerflächen zu ihren am Ortsrand gelegenen Ställen unterwegs sind, unterscheidet sie auf den ersten Blick nichts von ihren Ahnen aus dem Gestüt der Cirksenas.

Mit dem Blick auf die Ursprünge der Insel Juist, beginnend im ausgehenden Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts habe ich versucht Leserinnen und Lesern eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie menschliches Leben dort ausgesehen hat. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sah es auf Juist nicht anders aus als in den letzten des vergangenen. Das wirtschaftliche Leben war vom Niedergang der Seeschifffahrt gekennzeichnet. Die im Zusammenhang mit Napoleons Kriegsführung errichtete Kontinentalsperre unterband jeden Seehandel mit England. Das führte zum vollständigen Zusammenbruch des einzigen Wirtschaftszweiges, der Seeschifffahrt. Französisch/holländische Besatzungssoldaten hatten die Befehlsgewalt auf Juist. Die Kirche wurde zur Festung umgebaut. Als die „Franzosenzeit“ 1815 endgültig endete, waren die Juister völlig verarmt. Ein Zweig meiner Vorfahren mütterlicherseits lebte damals bereits auf Juist. Ein anderer Zweig kam etwa Mitte des Jahrhunderts hinzu. Um mehr darüber zu erfahren begann ich die Kirchenbücher einzusehen und alte Dokumente aus dem Familienbesitz auszuwerten. Anhand der dort gefundenen Daten und Berichte habe ich versucht das Leben auf Juist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darzustellen, beginnend mit der Suche nach meiner Ururgroßmutter, die vom Festland kam, einen Sohn mitbrachte und den Juister Fährschiffer heiratete.

Von Dünen, See und Strand

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