Читать книгу '… Alles andere ist Schnulli-Bulli!' - Werner Hansch - Страница 6
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Ich habe nie Fußball gespielt. Nicht als Kind auf der Straße, was damals üblich war in unserem Viertel, nicht in der Schule und im Verein schon gar nicht. Ich war wohl ein ganz guter Läufer, aber der Ball wollte mir einfach nicht folgen. Mein Untalent für diese Sportart wurde schon sehr früh abgestraft, wenn es darum ging, Mannschaften beim Straßenfußball aufzustellen. Zwei Anführer wählten dann abwechselnd ihre Lieblinge, nach der Methode: einen Fuß vor den anderen. „Ich nehm’ den Kalle.“ „Dann nehm’ ich den Nobbi.“ Einer blieb meistens übrig. Also stand ich mal wieder hinter einem der improvisierten Tore, um Bällen nachzurennen, die vorbeigeflogen waren. Es musste schnell gehen – für die anderen.
Wie sollte sich bei solcher Voraussetzung je ein gesteigertes Interesse oder gar helle Begeisterung für Fußball entwickeln? Wieviel Fantasie muss einer aufbringen, um sich vorzustellen, dass ausgerechnet dieser Sport später mal zum beruflichen Schwerpunkt meines Lebens werden sollte?
Und doch hat eine unwiederholbare Verkettung von Zufällen es tatsächlich so gefügt. Es begann im Februar 1973, mit 34 Jahren, als Stadionsprecher wider Willen. Der Fußball war also längst erfunden und mit ihm wohl auch die so spezifische Fußballsprache. Alle Bewegungsabläufe und Ereignisse, die typischerweise ein Fußballspiel ausmachen, hatten altgediente Sportreporterlegenden quasi schon in Blei gegossen. Als ich 1978 geradezu hineingeworfen wurde in den Reporterjob, erkannte ich schnell: Ohne stereotype Redewendungen und eingefahrene Floskeln kommt da keiner durch. Aber ich spürte schon bald auch eine reizvolle Versuchung, hier und da mal auszubrechen aus dem Stehsatz des Archivs – durch die Einführung neuer Sprachbilder.
Dieser verlockende Doppelpass zwischen Stimme und Sprache wurde schließlich ein nachhaltiges Erkennungsmerkmal meiner Reportagen. Es verblüfft mich immer wieder, wenn fremde Menschen, denen ich zufällig begegne, spontan bildhafte Wortpassagen aus längst verjährten Beiträgen zitieren. „Es war mal in Bochum, da haben Sie gesagt: Das Problem bei Uwe Leifeld liegt zwischen den Ohren!“ Nun ja, der Uwe war seinerzeit ein begehrter Torjäger beim VfL. Manchmal spielte halt sein Kopf nicht mit, dann war er zu rappelig vor der Kiste und vergab dicke Chancen.
Und wie war noch mal die Geschichte mit Olaf Dressel? Ehemals Verteidiger in Bochum von eher grobkantiger Natur. Einmal traf sein verspäteter Tritt nur noch den Fuß eines Gegenspielers. Der stöhnte lauthals auf. Diesen Kracher habe ich beinahe musikalisch vertont. „Dressels Beitrag zum Mozart-Jahr: Ein Foul aus dem Knöchelverzeichnis.“ (Es geschah 1991, im 200. Todesjahr des Komponisten.) Ohrenzeugen aus jener Zeit haben mir diesen „Fußball-Mozart“ noch Jahre später nachgetragen.
Im großen Fußball unserer Tage hat die Abteilung Humor kaum noch Raum. Immer öfter geht es um alles. Manche sagen – wenn auch mit einem Augenzwinkern –, es ginge gar um Leben und Tod.
Aus meiner Distanz habe ich die Dinge immer schon ein gutes Stück weit tiefer gehängt. Ein Spiel halt, mit überschaubaren Regeln, ausgetüftelten Systemansätzen und endlosen taktischen Varianten. Was dann auf dem Platz herauskommt, ist nicht selten langweilig, manchmal spannend bis prickelnd, bestenfalls auch mal begeisternd. Am Ende zählt doch immer nur das eine: Der Ball muss ins Tor – alles andere ist Schnulli-Bulli.