Читать книгу Von den Meyerschen in die große, weite Welt ... - Werner Hetzschold - Страница 6

DANIIL-PASHKOFF-PRIZE

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Intensiv liest der junge Mann die Nachrichten, ausgeschrieben im Internet von Veranstaltern für Literaturwettbewerbe. Schon an vielen Wettbewerben beteiligte er sich, war auch schon viele Male erfolgreich. Bereits als kleiner Junge schrieb er. Sobald er das Alphabet beherrschte, verfasste er kleine Geschichten, die ihm wichtig waren, diese für die Nachwelt festzuhalten und zu bewahren. Er wollte Dichter werden. Bereits damals ahnte er, dass der Weg dorthin nicht einfach sei, übersät mit Stolpersteinen, gepflastert mit vielen Hindernissen. Trotzdem strebte er dieses Ziel geradezu verbissen an, verfolgt es bis heute mit der ihm eigenen Energie, Ausdauer und Zähigkeit.

Wiederholt liest er die Angaben des Vereins „Writers-Ink“. Alle zwei Jahre schreibt dieser Verein den Daniil Pashkoff Prize aus, benannt nach dem ersten russischen Studenten der Anglistik an der Technischen Universität Braunschweig. Er erfährt, dass der europaweite Literaturpreis für Lyrik und Prosa sich an Interessierte aller Altersgruppen richtet, die die englische Sprache als künstlerisches Mittel, als Medium zur Kreativität nutzen. Vor allem wendet sich dieser Literaturwettbewerb an Schüler und Studenten. Diese Auszeichnung wurde zum ersten Mal 2001 vergeben, ausgewählt aus ungefähr dreißig Einsendungen aus ganz Deutschland und Großbritannien. Immer mehr Beachtung und Ansehen gewann der Preis. Sendungen aus Europa, Afrika, aus China, Russland und Indonesien trafen ein. Für das Gelingen und den Erfolg dieses literarischen Unternehmens setzt sich der Geest-Verlag als engagierter Partner ein, unterstützt die Organisatoren dieses einmaligen Wettbewerbs in Deutschland wirkungsvoll und tatkräftig.

Der junge Mann hält inne, denkt nach, liest nach, wägt ab, prüft jeden Internet-Beitrag. Wer ist dieser Daniil Pashkoff? Wer ist der Mann, nach dem ein literarischer Wettbewerb seinen Namen erhielt? Zumindest erkennt der junge Mann auf den ersten Blick, dass der Dichter slawische Wurzeln haben muss, zumindest entsprechend des Namens. Er hat sich nicht geirrt. Über ihn steht geschrieben, vom Veranstalter in der englischen Sprache wiedergegeben: Daniil Pashkoff war der erste russische Student der englischen Sprache an der Technischen Universität Braunschweig. Von seiner Heimatstadt Nowosibirsk brachte er mit sich eine geradezu krankhafte Leidenschaft für die englische Sprache und deren Literatur und ein hervorragendes Talent, Freundschaften zu schließen mit Menschen aus allen Ecken der Welt. Plötzlich verstarb Daniil im Alter von 27 Jahren. Woran er gestorben ist, wurde nicht geschrieben, bleibt ein Geheimnis. Beging er Selbstmord? Viele große Künstler schieden freiwillig aus dem Leben, weil sie am Leben verzweifelten, es nicht länger ertrugen, sich verkannt fühlten, annahmen, als Künstler keine Perspektive, keine Zukunft zu haben. Oder starb er an einer unheilbaren, geheimnisvollen Krankheit? Oder wurde er ermordet? Gar aus politischen Gründen? Fragen über Fragen! Sie werden von den Veranstaltern nicht beantwortet. Es gibt zu seinem plötzlichen Tod keine Angaben, keinen Kommentar. Der Daniil-Pashkoff-Preis wurde ins Leben gerufen, um an ihn und an seinen Sterbetag zu erinnern, gleichzeitig drückt er Daniils grenzenlosen Liebe gegenüber der englischen und der amerikanischen Literatur aus, bietet ein Forum für englische Nicht-Muttersprachler, um sich individuell selbst auf literarischem Niveau in der englischen Sprache als Poet zu realisieren. Zum ersten Mal wurde dieser Preis im Jahre 2001 vergeben. Die Resonanz war so enthusiastisch, stellten die Veranstalter fest, dass die Organisatoren entschieden, den Preis erneut im folgenden Jahr zu vergeben, aus dem am 27. Februar 2002 der Verein Writers Ink e.V hervorging.

In Deutsch wird verkündet, dass Writers Ink entstanden ist, nachdem der Literaturpreis erstmalig verliehen wurde. Im Gedenken an diesen ersten russischen Studenten des englischen Seminars der Technischen Universität Braunschweig wurde er ins Leben gerufen. Wegen seines auffallend lebhaften Charakters war Daniil bei allen seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen und beim gesamten Lehrkörper äußerst beliebt. Seine Seele gehörte der Literatur. Er war ihr verfallen, offenbarte ihr gegenüber eine Liebe, die eine geradezu an Wahnsinn grenzende Leidenschaft war. Überall und immer schrieb er Gedichte, während der Seminare, der Vorlesungen, in den Pausen; er schrieb sie an Türen und Wände.

Der junge Mann denkt nach, überlegt, entsinnt sich an den russischen Schriftsteller, von dem er damals zufällig gehört hatte. Oder hatte er über ihn etwas in einer Zeitschrift oder in einem Magazin gelesen? Er weiß es nicht mehr. Ist ja auch egal. So wichtig ist das nicht. Aber der Name geht ihm nicht aus dem Kopf. So ähnlich lautetet der Name dieses Schriftstellers. Er notiert sich den Namen, erst in lateinischen Buchstaben, dann in kyrillischen. Auf dem Blatt Papier stehen die verschiedenen Schreibweisen. Ihm fällt ein, nach und nach, seine Großmutter und deren Mutter haben ihn gelesen. Sie lasen damals Dichter und Schriftsteller, die die meisten heute nicht mehr kennen. Auch deren Werke sind in Vergessenheit geraten. Es war eben eine andere Zeit. Jetzt fällt ihm der Name ein. Maxim Gorki heißt der Schriftsteller. Jetzt wird wieder alles lebendig. Er entsinnt sich. Gorki war ein Pseudonym. Auf Deutsch heißt es bitter. Er war bitter geworden. Vielleicht auch verbittert. Das Leben hat ihn bitter gemacht. Nicht einfach war sein Leben. Wie bei so vielen der russischen und der sowjetischen Künstler.

Der junge Mann muss sich über diesen Gorki schlau machen. Er muss googlen.

„In der heutigen Zeit brauchst du nur zu googlen, wenn du etwas wissen willst“, sagt die Großmutter. „Da brauchst du keine teuren Bücher mehr zu kaufen, die auf den Regalen verstauben. Auch ist Googlen Platz und Zeit sparender, viel bequemer. Das Holz vieler Bäume kann andersartig anderswo verwendet werden. Ressourcen werden gespart, sagen diejenigen, die es wissen müssen oder es vorgeben zu wissen.“ Bei den Wörtern und Wortgruppen Ressourcen, Bäume erhalten, die Umwelt nicht belasten, sie schonen, den Bergbau abbauen, einstellen fällt ihm das Spektakel um den Hambacher Forst ein. Wie viel und wie oft wurde über dieses Waldgebiet zwischen Köln und Aachen geschrieben, polemisiert, gestritten, gekämpft. Erst jetzt wurde ein 27jähriger Journalist Opfer dieser Eskalation zwischen den Entscheidungsträgern und den Umweltschützern, als die Baumhäuser von der Polizei geräumt wurden. Längst ist dieser Konflikt auch Thema der Bundesregierung. Die Grünen unterstützen die friedlichen Proteste gegen die Rodung des Waldes, auch gegen die Räumung des Waldes durch die Polizei. Eine der Galionsfiguren der Grünen verkündete lautstark: „Reden statt Räumen und Roden.“ 2016, als die Grünen gemeinsam mit der SPD in Nordrhein-Westfalen regierten, stimmten sie der Räumung und Rodung zu; offenbar waren dieser so genannten Umweltpartei Ministerposten wichtiger als die Bäume im Forst. Jetzt stehen wieder Wahlen an. Wieder wird auf fette Pfründen spekuliert. Die Ansichten ändern sich entsprechend der augenblicklichen Situation in der Tagespolitik. Schon immer hat er den Entscheidungsträgern, den Mächtigen misstraut, am meisten den Politikern. Ihm droht übel zu werden, falls er sich mit diesem Thema weiter beschäftigt. Er muss auf andere Gedanken kommen. Der junge Mann googled. Viel, sehr viel Raum haben die für Google Verantwortlichen Gorki gegeben. Jetzt weiß er, wieso er auf den Namen Gorki gestoßen ist. Der Ausgangspunkt war sein richtiger Name: Peschkow! Alexej Maximowitsch Peschkow! Er vergleicht die Schreibweisen. Noch einmal schreibt er den Namen in kyrillischen Buchstaben. Горкый. Das ist das Pseudonym. Peschkow sein Familienname. Er malt ihn auf das Papier. Fein säuberlich. Пешков! Die in Deutsch geschriebene Form muss lauten: Peschkoff oder Peschkof oder Peschkov oder Peschkow! Die in Englisch geschriebene Form muss lauten: Pashkoff oder Pashkof oder Pashkov! Er muss es finden! Deutlich erinnert sich der junge Mann an das Buch. Er sucht im Regal unter den Nachschlagewerken, der so genannten Sekundär-Literatur. Er hält das Buch in den Händen, das Lexikon der Weltliteratur, 1963 vom Volksverlag Weimar herausgegeben. Er hat es von seiner Großmutter erhalten, als sie es damals für die Unterrichtsvorbereitungen in der Schule nicht mehr benötigte. Mit Bleistift war der Preis im Buch eingetragen. 15,00 DM kostete es damals. Länger als Fünfjahrzehnte liegt es zurück, dass seine Urgroßmutter und seine Großmutter, beide einst Sprachlehrerinnen im Land der aufgehenden Sonne, dieses Buch im Unterricht benutzten. Er besitzt nur wenige Bücher, verglichen mit der Anzahl, die sein Vater, die Großmutter und deren Mutter besaßen. Sie alle vertraten die Ansicht, eine Bibliothek kann nur größer, umfangreicher werden; niemals kleiner. Die Großmütter verfügten über eine kleine russisch-sowjetische Bibliothek in deutscher Sprache, aber auch in russischer. Sie besaßen Nachschlagewerke wie das Lexikon der Weltliteratur, 1963 publiziert im Volksverlag Weimar. Er ist gespannt, was über ihn in einem sozialistischen Nachschlagewerk geschrieben steht. Maxim Gorki nimmt Raum ein von Seite 259 bis Seite 262. Und dann die „Geschichte der klassischen russischen Literatur“, herausgegeben vom Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1973 in einem Band. Und dann besaßen die beiden Damen noch die zweibändige Ausgabe von 1986. Der Titel des ersten Bandes hieß „Geschichte der russischen Literatur von den Anfängen bis 1917“ und der Titel des zweiten Bandes „Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1917“. Heute könnten die beiden Damen nicht einmal mehr die Miete für die Wohnung bezahlen, die nur allein ihre Bibliothek an Raum einnahm. Sie wären gezwungen, ihre Bibliothek zu verhökern, auf die sie so unermesslich stolz waren, nur allein aus Platzgründen. Jeder Parkplatz kostet heute Geld. Er blättert in dem Buch von 1963, wendet Seite für Seite. Das Papier ist vergilbt. Das Alter ist ihm anzusehen. Schnell hat er den Autoren gefunden. In der Ausgabe von 1986 sind Maxim Gorki im zweiten Band die Seiten 396 bis 427 gewidmet. Auf den Seiten 398 und 399 ist nachzulesen „Wie er schreiben lernte“. Nur wenigen Dichtern und Schriftstellern wurde so viel Raum gewährt, eingeräumt. Schon daran ist erkennbar, dass er ein äußerst wichtiger Künstler war, ein Repräsentant des Sozialismus, der angestrebten Vorstufe des Kommunismus.

Am 28.03.1868 wurde Maxim Gorki in Nishni-Nowgorod geboren. Damals hieß sie die untere Neustadt, heute heißt sie Gorki, auf deutsch Bitter. Er verstarb am 18.06.1936 in Moskau. Er war ein führender russisch-sowjetischer Schriftsteller, Begründer der Literatur und der Theorie des sozialistischen Realismus. Früh verwaist, spürte er am eigenen Leibe die Kindheit und Jugend eines proletarischen Jungen, obwohl er unter soziologischem Aspekt betrachtet dem Kleinbürgertum entstammte. Die Herausbildung seiner Weltanschauung vollzog sich gemeinsam mit der Entwicklung der revolutionären Arbeiterklasse Russlands, die er leidenschaftlich unterstützte. Gründlich beschäftigte er sich mit dem Marxismus. In Kasan, dort beabsichtigte er zu Beginn der achtziger Jahre zu studieren, entwickelte er sich zum Revolutionär, begann als Schriftsteller in Erscheinung zu treten. Er knüpfte an die Traditionen des kritischen Realismus an, beschränkte sich nicht nur auf die naturalistische Darstellung als Ankläger der kapitalistischen Wirklichkeit, sondern zeigte seine Kunst-Figuren als typische Menschen ihrer Zeit. Spannende Erzählungen schrieb er ähnlich wie Jack London. Das Lied vom Sturmvogel oder das Lied vom Falken spiegeln programmatisch seine Lebensphilosophie wider.

Der junge Mann erinnert sich, dass seine Großmutter ihnen allen bei einer Geburtstagsfeier erzählte, dass sie eine Theateraufführung von Gorkis „Nachtasyl“, aufgeführt von einem sowjetischen Theater in russischer Sprache in Berlin, erlebt habe. Grandios sei die Aufführung gewesen. Unvergesslich! Während dieser Aufführung seien ihr die Schönheiten der russischen Sprache bewusst geworden, die Musikalität der Sprache, ihr Vokalreichtum, ihre Klangfarbe und Klangfülle. Und das Einzigartige an dieser Aufführung sei gewesen, dass das Ensemble nach der Stanislawski-Methode gespielt habe. Meine Großmutter sagte, sie sah die Schauspieler auf der Bühne echte Gefühle spielen, sie lachten und weinten, und ihre Tränen waren echt. Jeder Schauspieler gestaltete die von ihm verkörperte Rolle individuell, wie er sie erlebte, wie sie auf ihn wirkte und einwirkte. Jeder Schauspieler realisierte seine Rolle, indem er seiner Rolle seine eigenen Erfahrungen und Gefühle verlieh, sie einmalig machte. „Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll“, sagte Großmutter, „ich erahne nur, dass der Schauspieler sich vollständig in seine ihm übertragene Rolle einbringen musste, er musste mit seiner Rolle zu einem Menschen verschmelzen, vollständig in der Rolle aufgehen, sich mit seiner Rolle identifizieren. Er hört auf Herr Müller zu sein, er wird zum Ferdinand oder zum Wilhelm Tell. Er verwandelt sich in die von ihm verkörperte Figur. Im Gegensatz zu Stanislawski forderte Brecht von seinen Schauspielern, dass sie der Herr Meier oder Herr Müller bleiben sollten und nicht zum Ferdinand oder Wilhelm Tell mutieren mussten. Für Brecht sollte für den Zuschauer sichtbar bleiben, dass Herr Müller oder Herr Meier den Ferdinand spielt, aber nicht ist; für Stanislawski sollte Herr Müller oder Herr Meier die Figuren so spielen, dass sie zum Ferdinand oder Wilhelm Tell sich verwandeln, diese Figuren sind. Stanislawskis Methode fand auch Zugang an den amerikanischen Schauspielschulen.“

Großmutter hatte sich in die für sie typische Begeisterung hinein geredet. Sie redete und redete. Ununterbrochen. „Später vertrat Brecht die Ansicht, dass der Schauspieler eine kritische Distanz zu seiner Rolle haben müsste, sprach von Verfremdung …“

Wieder hält der junge Mann inne, wird sich bewusst, dass seine Gedanken abschweifen, sich schließlich im Irgendwo wieder finden werden. Er denkt nach, sortiert die Gedanken. Die Großmutter hat damals Stanislawskis Biografie erwähnt. Er muss im Computer nachschlagen. Nicht alles hat er sich merken können. Aus Zeit-Gründen benutzt er in letzter Zeit den Computer, den Laptop und das ipad, um rasch und ohne viel Aufwand die von ihm erwünschten Ergebnisse erfragen zu können. Für ihn ist diese Informationstechnik Mittel zum Zweck, mehr nicht. Er gehört nicht zu denen, die sich laufend die aktuellste Geräte kaufen, um auf dem neusten Stand zu sein. Es wäre schon höchst interessant zu erfahren, ob der Daniil Pashkoff und der Alexei Maximovich Peshkov oder Peschkow oder Peschoff oder Peschkov miteinander verwandt sind, einen gemeinsamen Vorfahren haben. Der Name Пешков, in kyrillischen Buchstaben geschrieben, kann mit verschiedenen lateinischen Buchstaben verschieden in den europäischen Sprachen wiedergegeben werden

Der junge Mann trifft seine Entscheidung. Genügend hat er sich mit dem Dichter Daniil Pashkoff beschäftigt und auseinander gesetzt, sich über den Wettbewerb informiert. Per E-Mail schreibt er: Mit dem Text >There was an old man< beteilige ich mich an dem Wettbewerb unter dem Thema Daniil Pashkoff Prize (Einsendeschluss: 31.01.2018, Schlagwort: Creative Writing in English for Non-Natives, Thema: Daniil Pashkoff Prize).

Bitte teilen Sie mir per E-Mail den Empfang meines Manuskriptes und die Konto-Nummer zwecks Überweisung der Teilnehmergebühr mit, damit ich beruhigt bin und weiß, dass Sie mein Text erreicht hat.

Wenige Tage später empfängt er eine Antwort per E-Mail von den Veranstaltern. Ihm wird bestätigt, dass die E-Mail mit Manuskript angekommen ist. Ihm wird versichert, dass er noch eine gesonderte Benachrichtigung erhält, wenn alles geprüft ist, aber so beruhigen ihn die Organisatoren des Wettbewerbes, dass sie schon mal Bescheid sagen.

Umgehend antwortet er: Herzlich bedanke ich mich für Ihre Antwort per E-Mail. Jetzt bin ich beruhigt und sicher, dass Sie mein Text erreicht hat. Gestern am Vormittag erfolgte die Überweisung der Teilnahme-Gebühr in Höhe von 10.00 €.

Wenige Tage später empfängt er eine weitere Botschaft, dieses Mal in Englisch.

Thank you for participating in this year’s Daniil Pashkoff Prize.

We have received your entry fee and I have processed your entry. I will pass it on to our jury, together with all the other texts in your category.

The judging period will last until mid-April. Shortlisted authors will be notified shortly afterwards.

Good luck

Der junge Mann ist beruhigt. An alles hat er gedacht. Nun muss er nur abwarten. Rechtzeitig werden sie ihn informieren. Sie haben es ihm schriftlich zugesichert.

Längst ist die ihm angegebene Frist abgelaufen. Er zögert, ist überzeugt, dass er bald Nachricht bekommen wird. Er will nicht drängen, die Veranstalter verärgern. Er fasst den Entschluss, das Internet einzusetzen. In großer Schrift erscheint auf dem Bildschirm: Verleihung des Daniil Pashkoff Prize 2018. Er denkt, er ist im falschen Film. Das gesamte Prozedere lief in dem angekündigten Zeitraum ab, nur ohne ihn. Festlich herausgeputzt posieren die Veranstalter auf Fotos, bilden den Rahmen der riesenhaften Ankündigung: Daniil Pashkoff Prize, darunter Preisverleihung 2018 und Awards Ceremony. Auf dem rechten unteren Rand ein Logo: eine Schreibfeder mit einem Tintentropfen, links daneben der Hinweis: Writers Ink. Er liest: „Es gibt zwei Altersgruppen – bis einschließlich 19 Jahren und ab 20 Jahren – sowie die Kategorien Prosa und Lyrik. In diesem Jahr wurde zusätzlich der Lawrence Guntner Prize for Best Sonnet verliehen.

Der junge Mann macht sich kundig, wer sich hinter diesem Lawrence Guntner Prize verbirgt. Er wird fündig. Er erfährt, dass Lawrence Guntner ein Literaturwissenschaftler ist, der 1941 in Chicago in den USA geboren wurde und nunmehr seit Jahrzehnten in Braunschweig lebt, aber auch in Wolfsburg. Er promovierte über altenglische Versdichtung an der Universität Wisconsin-Madison, übte Lehrtätigkeiten an Hochschulen in den USA und in Deutschland aus, publizierte zur deutschen Shakespeare-Rezeption, u. a. zu Heiner Müllers Shakespeare-Bearbeitungen, dazu Interviews mit Heiner Müller und B. K. Tragelehn. Die Namen Heiner Müller und B. K. Tragelehn erwähnten seine Großmutter und deren Mutter. Schon in der DDR waren sie bekannte Namen in der Theaterwelt. Beide Frauen fanden die Shakespeare-Übersetzungen der Romantiker Schlegel und Tieck sprachlich eleganter, stilvoller, emotionaler, einfach klangvoller, gaben ihnen den Vorzug vor den Übersetzungen von Tragelehn, die sie mitunter vulgär fanden. Großmutter räumte ein, dass der unterschiedliche Geschmack in Bezug auf die Shakespeare-Texte auch eine Angelegenheit der Erziehung sein könnte. Beide Frauen liebten zeit Lebens nicht das Gewöhnliche, sie bevorzugten eine gepflegte, kultivierte, elegante Ausdrucksweise. Lawrence Guntner äußert sich auch über Trump als Präsidenten. Er sagt über ihn als Präsidenten: „Da hätte man auch den Profi-Wrestler Hulk Hogan nehmen können.“ Der junge Mann findet diese Äußerung unangebracht und geschmacklos. Mit welchem Recht maßt sich der Herr Guntner ein Urteil über den Intelligenzquotienten des Herrn Hulk Hogan an? Muss ein Profi-Wrestler solche Defizite hinsichtlich seines Verstandes haben, wie er sie Herrn Trump bescheinigt? Er selbst hätte davon Abstand genommen.

Die Veranstalter schreiben: 275 Texte von etwa 250 Autoren wurden in diesem Jahr eingereicht. Aus Braunschweig und Umgebung nahmen rund 35 Autoren teil, darunter auch zahlreiche Schüler. Die jüngsten TeilnehmerInnen waren 13 Jahre alt.“

Die Veranstalter erwähnen „etwa 250 Autoren“, die Texte eingereicht haben. Wieso kennen die Veranstalter nicht die exakte Zahl? Wer außer ihm wurde noch vergessen? Wurden die Texte überhaupt alle zur Kenntnis genommen? Gelesen? Alle bewertet? Fragen über Fragen!

Ohne zu zögern, setzt er sich an seinen Computer und schreibt: Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Text “There was an old man” beteiligte ich mich an dem Wettbewerb unter dem Thema Daniil Pashkoff Prize 2018.

Bis heute warte ich vergebens auf die am 29.01.2018 verkündete gesonderte Benachrichtigung, die ich erhalten sollte, sobald alles geprüft ist. Unter dieser gegebenen Konstellation bietet sich viel Raum für Spekulationen. Die Nicht-Beachtung und die Nicht-Kenntnisnahme meines Textes gewährt der Fantasie ein weites Feld der Interpretation.

Im Internet verkündet Ihr Verein: Am 01. Juni 2018 wird in Braunschweig der Daniil Pashkoff Prize zum 12. Mal verliehen. Der Preis, großzügig gefördert von dem Fachbereich Kultur der Stadt Braunschweig, richtet sich an Menschen aller Altersgruppen, die sich in der englischen Sprache kreativ ausdrücken wollen. Wer Prosa und Lyrik in englischer Sprache schreibt und dessen Muttersprache nicht Englisch ist, kann noch bis zum 31. Januar 2018 eigene Texte bei Writers Ink. e.V. unter: www.writers-ink.de einreichen.

Ich wünsche Ihnen und Ihrem Verein für die Zukunft alles Gute.

Er verschickt die E-Mail an die E-Mail-Adressen, die in der Wettbewerbsankündigung genannt worden sind. Dann wendet er sich nochmals den eben gelesenen Texten zu, verfällt ins Grübeln. Schon immer hat er bedauert, nicht der geborene Naturwissenschaftler zu sein. Die Naturwissenschaften fordern exakte Ergebnisse, machen keine Zugeständnisse an den Geschmack des Einzelnen, fordern Klarheit und Eindeutigkeit, haben ein Ergebnis, das bewiesen werden muss. In den Künsten gibt es viele Ergebnisse. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Da gibt es den individuellen Geschmack. Und jeder Mensch hat einen anderen. Oft hat er darüber nachgedacht, ob die Sieger bei künstlerischen Wettbewerben im Vorfeld bereits feststehen. Es werden nur noch Teilnehmer, Probanden gesucht, die dem bereits feststehenden Sieger als möglichst viele Teilnehmer, Mitkämpfer, Mitstreiter zugeordnet werden können. Allgemein gültige objektive Kriterien existieren entsprechend seiner Kenntnis, seiner Erfahrung im Bereich der Künste nicht. Da gibt es wie überall Entscheidungsträger, die auswählen, begutachten, ein allgemeingültiges Urteil, ihr Urteil fällen. Er hatte damit gerechnet nach der Vorankündigung, dass ihm ein Ergebnis mitgeteilt wird. So aber haben sie ihn gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Er existiert nicht für die Veranstalter als Teilnehmer. Sie ignorieren ihn. Auf sein Schreiben antwortet ihm nur der Redakteur der Zeitung. Er teilt mit: „sie haben ihre Mail an das Stadtmagazin BS-Live! geschickt. Wir haben mit dem Wettbewerb leider nichts zu tun, außer das wir davon berichtet haben. Bitte wenden Sie sich mit Ihrer Beschwerde an den entsprechenden Veranstalter. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Zumindest eine Rückmeldung! Auf den Fotos mustert der junge Mann noch einmal ausgiebig die illustre Gesellschaft, die Repräsentanten dieses in Deutschland einmalig stattfindenden Englisch sprachlichen Literaturwettbewerbes. Er kennt sie nicht, weiß nicht, was sie beruflich machen, weiß absolut nichts über sie. Auf seine erneute E-Mail hat er keine Rückmeldung bekommen. Seine Teilnahme-Gebühr haben sie kassiert, ohne etwas abzuliefern. Das ist Abzocke. Sie hätten schreiben können: „Aufgrund ihrer mangelhaften Kenntnis der englischen Sprache war bedauerlicherweise ihre Nominierung nicht möglich.“

Als Veranstalter sollten sie eigentlich wissen, es ist nicht möglich, nicht zu kommunizieren. Wer redet, teilt etwas mit, wer schweigt ebenfalls.

Von den Meyerschen in die große, weite Welt ...

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