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Leben ohne Glauben?

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Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass ein Mensch ganz ohne Glauben zu leben vermag und bei seinen Entscheidungen nur jene Fakten zulässt, die als Wissen gesichert sind. Er wäre damit einem Roboter vergleichbar, dessen Wissen auf Programmen beruht, die ihn steuern, auf Datenbanken oder auf interaktiven Verbindungen zur Außenwelt. Sie alle ermöglichen es dem Roboter, sich zuverlässig, schnell und umfassend in der auf ihn reduzierten Welt zu bewegen und Leistungen zu erbringen, die oft weit über menschliche Fähigkeiten hinausgehen. Fehler sind so gut wie ausgeschlossen.

Was aber geschieht, wenn er aus seinem vertrauten Arbeitsfeld herausfällt oder dieses sich durch nicht vorhersehbare Ereignisse verändert? Wenn zum Beispiel bei einem Roboter, der ein Auto steuert, der Wagen plötzlich in einen Wirbelsturm gerät und von der Straße gefegt wird? Der Androide steht dann vor einer Situation, die in seiner Wissensbank nicht vorgesehen ist, und wird daher vermutlich völlig sinnlose Aktionen durchführen, die alles bloß noch schlimmer machen.

Zwar besitzen Roboter in ihren komplexeren Ausführungen ein Gehirn, das dem des Menschen nachgebildet ist und über neuronale Netze verfügt, die aber genauso deterministisch funktionieren wie eine Maschine und daher den Roboter nicht „retten“, wenn er in massive Schwierigkeiten gerät.

Anders beim Menschen.

Wenn dieser in eine Situation gerät, die er mit seinen Erfahrungen und seinem Wissen nicht mehr meistern kann, wird er versuchen, das Neue und Unbekannte zu verstehen, und so eine Basis für angemessene Reaktionen schaffen. Dazu muss er zwangsläufig dem ihm nicht Bekannten Eigenschaften zuordnen, aus denen sich eine Strategie zur Bewältigung der neuen Situation herleiten lässt. Diese Eigenschaften kann er dann zu Theorien ausbauen, die er als real und absolut betrachtet und an denen er sich orientieren kann.

Und diese neuen Eigenschaften und Theorien sind Glaubensinhalte.

Ohne diese wäre der Mensch nämlich in unbekannten Situationen genauso verloren wie der Roboter im Straßengraben. Glaubensinhalte sind notwendig und essentiell zum Bewältigen des Neuen und damit zum Überleben. In diesem Sinne kann Glaube in schwierigen Situationen Hoffnung, Trost und Zuversicht vermitteln und damit die Basis zur Überwindung von Problemen sein. Bereits Voltaire, der große französische Philosoph des 18. Jahrhunderts, hat gesagt: „Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.“

Weil das Nichtwissen in seiner Gesamtheit größer ist als das Wissen, stehen wir oft vor unlösbaren Problemen, wenn wir allein das Wissen zur Problemlösung zulassen. Und so gelangen wir – ob wir es wollen oder nicht – zu Glaubensinhalten.

Im Umkehrschluss heißt das nichts anderes, als dass es für ein sinnvolles Leben unmöglich ist, an nichts zu glauben.

Wer an nichts glaubt, kann sich nämlich in einer ausweglosen Situation nicht befreien. Was einem tief im Menschen verankerten Bestreben zuwiderliefe, für die Beherrschung einer Notlage Strategien zu finden, selbst wenn das Wissen versagt – und deshalb greift er bereitwillig auch auf unbewiesene Glaubensinhalte zu. Glaube und Wissen sind also gleichermaßen wichtig und notwendig für ein gelingendes Leben, wobei der Glaube uns zudem den Sprung in eine neue Sichtweise ermöglicht, die uns erweiterte Perspektiven bietet und uns aus Erstarrung und Isolation befreien kann.

Kein Wissen ohne Glaube

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