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2.1.4 | Anlage und Umwelt
ОглавлениеWenngleich die Anlage-Umweltkontroverse heute beigelegt und aus systemtheoretischer Sicht auch obsolet ist, so sind diesbezüglich dennoch einige Bemerkungen im Rahmen dieses Kurzlehrbuchs sinnvoll:
Der genetische „Einfluss“ auf die Entwicklung besteht in der zeitlich mehr oder weniger befristeten Aktivität der Gene in den Zellen, die mit der von ihnen angeregten Proteinsynthese sowie mit komplexen biochemischen Prozessen innerhalb und außerhalb der Zelle und einer Reihe weiterer (z.B. neuronaler) Prozesse interagieren (Johnston/Edwards 2002, → Abbildung 2.1). Über einige Umwege hat das Verhalten des Individuums selbst einen Einfluss auf die Genaktivität (Johnston/Edwards 2002). Das bedeutet, dass Gene und Verhalten in einer letztlich nicht auflösbaren Wechselwirkung miteinander verbunden sind.
Die meisten psychischen Eigenschaften werden nicht durch einzelne, sondern durch mehrere Gene beeinflusst, im Gegensatz zu einigen Krankheiten für deren Entstehung ein einziges Gen verantwortlich ist. Bei der Phenylketonurie beispielsweise fällt wegen eines defekten Gens die Produktion eines Enzyms aus, das wiederum ein Eiweiß (Phenylalin) umwandeln sollte.
Bei einer Reihe von Krankheiten nimmt man heute eine multigenetische Vererbung an (z.B. bei diversen Organtumoren, Schizophrenien). Wenn in der eigenen Verwandtschaft solche Krankheiten vorkommen, besteht ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Ob ein Individuum von der Krankheit betroffen ist, hängt aber von zusätzlichen Faktoren, etwa den Ernährungsgewohnheiten oder den Stressbelastungen, ab.
Auch Persönlichkeitseigenschaften und geistige Fähigkeiten (z.B. Intelligenz) sind multi- oder polygenetisch beeinflusst. Um bei solchen Merkmalen entscheiden zu können, wie hoch Anlage- und Umwelteinflüsse sind, wurden spezielle populationsgenetische Datenerhebungs- und Analysemethoden eingesetzt (insbesondere Zwillingsstudien), die hier nicht näher erläutert werden.
Abb. 2.1 | Interaktion von Genaktivität und Verhalten (nach Johnston/Edwards 2002)
Anlage-Umwelt-Kovariation
Die Erblichkeit (der Einfluss der Gene) steigt im Verlauf der Entwicklung (Plomin 1986). Getrennt aufwachsende Geschwister und eineiige Zwillinge werden sich im Verlauf von Kindheit, Jugend- und Erwachsenenalter ähnlicher. Auch Adoptivkinder gleichen sich mit zunehmendem Alter ihren biologischen Eltern an.
Intuitiv würde man wohl das Gegenteil annehmen, dass Umwelteinflüsse im Verlauf des Lebens immer wichtiger und stärker werden und die Anlage beim Neugeborenen und in der frühen Kindheit am stärksten zum Ausdruck kommt. Um diese Befunde zu erklären, ist ein Modell notwendig, das sowohl Anlage- als auch Umwelteinflüsse gleichzeitig einbezieht. Es sei hier der Erklärungsansatz von Plomin (1986) vorgestellt, der drei Anlage-Umwelt-Kovariationstypen beschreibt:
In der Ontogenese am frühesten zu beobachten ist die passive Anlage-Umwelt-Kovariation. Das Kind trifft auf eine Umwelt, die ihm (seinem Genotyp) mehr oder weniger entspricht. Entspricht sie ihm, so ist die Kovariation gegeben, sonst nicht. Das Kleinkind kann sich dem Angebot noch kaum entziehen und die Angebote noch nicht selber gestalten.
Die evokative Anlage-Umwelt-Kovariation liegt vor, wenn das Kind aufgrund seiner (genetisch mitbedingten) Eigenart gewisse Angebote auslöst. Das sportliche, bewegliche Kind erhält zum Beispiel Sportgeräte, das technisch begabte Kind einen Werkzeugkasten etc.
Die aktive Anlage-Umwelt-Kovariation besteht darin, dass das Kind und der Jugendliche selber Tätigkeiten, Objekte etc. auswählt, die seinem Genotyp entsprechen.