Читать книгу Regenbogenflecken - Wiebke Saathoff - Страница 6
Оглавление2
Damals 1
Irgendetwas ist anders in Marlys übersichtlicher Zweizimmerwohnung, aber ich komme nicht darauf was. Ich schaue mich nervös um, kleinste Veränderungen scheinen mich aus der Ruhe zu bringen. Als Marly mit den zwei dampfenden Tassen Tee aus der Küche kommt, ist es mir aufgefallen.
„Dein Regal ist viel leerer“, sage ich gedankenverloren, während ich meinen Blick weiterhin auf dieses gewendet habe.
„Ja“. Marly stellt die Tassen auf den Couchtisch neben mir und setzt sich dann zu mir auf das Sofa, wobei sie automatisch in die schon vom häufigen Gebrauch eingesessene Kuhle rutscht.
„Irgendein Grund? Simplify your life, oder so?” Ich umklammere mit beiden Händen die dampfende Tasse, lasse dann wieder von ihr ab, da die Hitze unangenehm an den Handflächen wird.
„Ja. Ich ziehe um.“
„Was?“ Ich wende mich ruckartig zu ihr hin und starre sie an, aber sie wendet ihren Blick ab. Sie schaut auf ihre Tasse runter, die trotz der ausströmenden Hitze zwischen ihren Händen gefangen ist. „Ja, ich ziehe um. Ich ziehe zu Fabian.“
Ich bin geschockt. Was sie da sagt, fasse ich kaum. In mir bricht eine kleine Welt zusammen, ach, was sage ich da, nein, meine Welt bricht zusammen. Marly zieht zu diesem arroganten Blender, meine Marly, meine beste Freundin, meine Verbündete.
„Aber…aber warum hast du mir das denn nie erzählt? Ich meine, du musst doch irgendwann diese Entscheidung getroffen haben, oder? Also, das hast du doch nicht heute einfach so entschieden? Und wieso der, Marly, da laufen tausende von hübschen Männern rum, aber du ziehst zu diesem Fabian?“ Mein Gestammel verrät mich. Mein Gestammel und meine angespannte Körperhaltung.
„Deswegen, Sasha. Genau deswegen. Deswegen haben wir dir noch nichts davon erzählt. Weil ich von dir kein Verständnis für unsere Entscheidung erwarte.“ Sie hat ihren Blick von der Tasse abgewendet und schaut mir in die Augen. Sie sieht etwas abgekämpft und müde aus. „Ich habe dir noch nichts erzählt, meine ich. Außerdem: Du gibst dich mit diesem Kevin ab, der ist nun wirklich auch nicht der Hauptgewinn!“
„Das habe ich auch nie behauptet! Das mit Kevin ist was es ist, wir haben Spaß miteinander, aber in ne fesche Eigentumswohnung werden wir bestimmt nicht zusammen ziehen!“
Vielleicht ist es Neid, der mich so reagieren lässt, denke ich. Neid auf die Liebesbeziehung, die sie führt und Neid auf die finanzielle Sicherheit, die aus Fabians gut bezahltem Job resultiert. Ich hätte das gerne für mich.
„Ich freue mich für dich“, sage ich etwas unterkühlt. Marly lächelt. Sie weiß, dass das schon mehr ist, als sie von mir erwarten kann.
„Es ist nur so, dass ich Angst habe, dass wir uns dann noch weniger sehen werden. Seit die Sache mit Fabian läuft, hat sich einiges verändert. Ich weiß, dass das normal ist, und ich will auch, dass du glücklich bist, aber für mich ist das auch eine neue Situation, und so ganz einfach scheint das für mich nicht zu sein.“
Ich lasse mich mehr in das weiche Sofa fallen. Meine angespannten Schultern beruhigen sich wieder ein wenig. Leicht fällt mir das nicht, ehrlich zu sein. Ich bin stolz auf mich, dass ich es in dieser Situation geschafft habe. Die meisten Menschen sind nicht ehrlich, nicht zu sich, und auch nicht zu anderen. Und natürlich wäre es fatal, wären wir immer und zu jedem Menschen ehrlich, wirklich, das würde so viele Konflikte heraufbeschwören, als hätten wir nicht schon genug Ärger, ständig und immer um uns herum. Da ist die eine oder andere Notlüge eher wertvoll. Sie glättet die Wogen. White Lie, sagt der Engländer, die liebenswerte, unschuldige weiße Lüge.
Aber Marly, das ist ein anderes Kapitel. Es gibt zwei Menschen, die meine Ehrlichkeit verdient haben. Marly, meine langjährige beste Freundin, und ich, der Mensch, mit dem ich bis jetzt mein ganzes Leben verbracht habe, und mit dem ich viele weitere Jahre verbringen werde, vorausgesetzt ich sterbe nicht so bald.
Plötzlich merke ich, dass Marly mich anstarrt. Etwas verwirrt reißt meine Gedankenkette ab und ich versuche, die Aufmerksamkeit wieder in diesen Raum, in Marlys kleine Wohnung zu lenken. Noch ist es ihre Wohnung. Nicht mehr lange.
„Ich weiß, dass das nicht leicht für dich ist, Sasha“. Marly nimmt meine Hände in ihre, während sie im Schneidersitz eine flauschige Einheit mit dem alten Sofa bildet. „Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb ich hinausgezögert habe, es dir zu erzählen. Ich meine, das ist jetzt eine ganz andere Situation, das mit Fabian ist mir schon ernst. Auch wenn du ihn nicht magst. Aber er ist echt ein guter Kerl. Dabei gönne ich es dir so, dass du auch jemanden wie ihn findest.“
Ich lasse Marlys Hände los. Mein Puls kocht hoch, Wut breitet sich in mir aus. Sie versteht mich nicht. Sie will mich einfach nicht verstehen.
„Nein, Marly. So einfach ist das nicht. Ich habe jemanden, zwar keinen wie Fabian, aber ich komme nicht vor Einsamkeit um! Du hast mich völlig falsch verstanden, Marly!“ Ich schaue sie mit wutentbrannten Schlitzaugen an. Auch Marly ist von mir zurückgewichen, überrascht von meinem plötzlichen Wutanfall.
„Nein, ist es nicht? Wie oft hast du mir denn erzählt, dass du auch gerne mal wieder einen romantischen Videoabend hättest, mit einem Mann der bleibt, der nicht am nächsten Morgen wieder weg ist und dessen Namen du nach zwei Monaten vergessen hast? Fabian ist nicht gegangen. Er bleibt. Und ich weiß überhaupt nicht, warum du ihn immer so schlecht machst!“ Sie wird lauter, stufenweise, mit jedem Wort.
„Natürlich hätte ich das gerne, Marly! Klar! Aber du verstehst da was ganz Grundsätzliches nicht. Nämlich wie ich mir diese Beziehung vorstelle! Und darüber haben wir so oft geredet, so oft, Marly, daran müsstest du dich auch erinnern, wirklich, du warst doch immer ganz meiner Meinung, nie würdest du einen Mann an erste Stelle setzen, nie, du würdest immer deine Unabhängigkeit behalten, immer, und dein eigenes Leben an erster Stelle setzen, denn das mit dem „wir“ auf ganzer Linie, das geht nie gut, Marly. Und das weißt du auch. Auch nicht mit Fabian. Wenn man all seine Bedürfnisse hintenanstellt, dann ist das auf Dauer nicht gut für die Beziehung. Und vor allem nicht für einen selbst. Und erst recht nicht für die Freunde!“ Ich verleihe meinen Sätzen mit wild fuchtelnder Gestik mehr Bedeutung.
Auch Marlys Bewegungen werden heftiger. „Ich gebe mich nicht auf. Und das weißt du auch. Ich ziehe mit Fabian zusammen, weil ich ihn liebe. Und er mich auch. Und weil er bleibt. Und wir es ernst meinen. Du bist ja nur neidisch, Sasha. Nur neidisch, weil Kevin so ein untreues Arschloch ist!“
Ich bin sauer. So verdammt wütend. Was ist nur in sie gefahren?
„Du hast sie nicht mehr alle, Marly! Treue war nie ausgemacht zwischen Kevin und mir! Das muss ich mir nicht anhören von dir! Geh und fick deinen Fabian! Oder einfach dich selber!“
Marly ist ruckartig aufgestanden, ihr Körper angespannt bis in die Haarwurzeln, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagt sie mit monotoner, tiefer Stimme.
„Ja, da hast du endlich mal Recht!“
Ich reiße meinen Wintermantel von dem Garderobenhaken und renne mit energischen Schritten zur Tür. Ich knalle die Tür hinter ihr zu und nehme hastig zwei Stufen auf einmal, bis ich außer Atem draußen ankomme. Die kalte Luft sticht mir in die Lunge. Ich ziehe meinen Mantel enger um den Körper und setze mich in Bewegung. Die Tränen schießen mir in die Augen. Ich bin froh, dass es dunkel ist, so sieht niemand, dass ich heule.