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EINE GUTE BAR IST EIN PLATZ, an dem man mit sich und der Welt ins Reine kommen kann. Manchmal ist das nötig, weil alles, was man am Tag zu hören und zu sehen bekam, sich erst mal sacht setzen muss. Das ist kein dramatischer psychoanalytischer Vorgang, bloß private Hygiene, und genau das ist so angenehm daran: Man belästigt niemanden mit seinem Kram, sondern siebt und sortiert ihn für sich selbst.

Ob man dazu einen Kaffee, einen Mojito, ein Bier, einen Wein oder ein Wasser trinkt, ist eine Frage des Geschmacks oder der Gewohnheit und spielt ansonsten keine Rolle. Hauptsache, man kann das Trübe klären und filtrieren, Gratisgeschwätz von Substantiellem unterscheiden und gewissermaßen geistige Mülltrennung betreiben. Besser als in den eigenen Wänden gelingt das oft an Orten, die genau zu diesem Zweck errichtet wurden: in einer Kirche oder in einer guten Bar. Man ist dort nicht allein, doch wenn man es sein möchte, ist man für sich.

Weihwasser zählt nicht zu meinen Lieblingsgetränken, und den himmlischen Freuden ziehe ich die irdischen entschieden vor. Sie sind greifbar, erreichbar und bezahlbar, und mit diesen Worten ist man schon in der Bar. Was für ein Genuss, einem guten Barmann bei der Arbeit zuzusehen: wie er Gläser poliert, seinen Laden fein in Schuss hält und diese Mischung aus Aufmerksamkeit, Zurückhaltung und Autorität verströmt, die so selten ist.

Man fühlt sich aufgehoben, wird beachtet, ohne belästigt zu werden, und ehe man sich’s versieht, steht das gewünschte Getränk auf dem Tresen oder auf dem Tisch, selbstverständlich auf einer kleinen Serviette und niemals servil serviert, sondern immer elegant. So kann Glück aussehen: schön einfach und einfach schön. Man muss es aber können.

Die Schwertfischposaunenbar, in der ich über ein Jahrzehnt lang immer wieder einmal vor Anker ging, hieß nicht so, aber ich gab ihr für mich diesen Namen, weil dort stets nur Musik ertönte und niemals akustischer Raumspray versprüht wurde. Wie wohltuend ist es, wenn man sich konzentrieren darf und sich nicht zerstreuen lassen muss! Nord- und Südpol sind längst hektisch erforscht und zerlatscht; wer aber einen Ruhepol entdeckt, ist ein glücklich gelandeter Reisender.

Und so lauschte ich der »Swordfishtrombone« von Tom Waits, unbehelligt vom Gewühl der Welt, denn der Besitzer der Bar und seine Leute kannten das erste Gesetz für eine gute Bar: Nicht die Kundschaft sucht sich die Bar aus, sondern die Bar ihr Publikum. Lieber hat man einen ruhigen Abend mit wenigen, angenehmen Gästen, als eine vollgepfropfte Durchgangsstation für den globalen Vergnügungsviehtrieb zu sein. Geld ist nur Geld, das Ziel aber heißt Stil, und den kann man nicht kaufen oder simulieren.

Mit Qualität vertreibt man zwar nicht die Dummheit aus der Welt, aber man kann sie auf Abstand halten. Ab und an kam ein Trupp Werbeagenturbubis in die Bar, laut und feierwütig, aber die Musik von Bob Dylan, Van Morrison, Johnny Cash, Miles Davis, Randy Newman oder Tex Perkins erwies sich stets als geeignetes Mittel zur Entmutigung von Leuten, denen die Welt bloß als Kulisse zum Sichselbstgutfinden dient. Sie wurden mit jener Art formvollendeter Höflichkeit bedient, die selbst sie nicht mehr missverstehen konnten. Mürrisch zogen sie ab und kamen niemals wieder, und so war es ja auch gedacht.

Manchmal sperrte der Barbesitzer sein Lokal auch einfach zu und blieb mit den Gästen, die er mochte, bis zum frühen oder späteren Morgen, spielte Lieblingsmusik, in einigen Nächten wurden die Tische und Stühle beiseite getragen, manche Paa­re tanzten. In solchen Momenten konnte man bar jeder Belästigung ganz zu sich kommen und zur konzentriertesten Form des Denkens finden: bei völliger Klarheit nichts denken, nur reine Daseinsfreude empfinden.

Nach solchen Nächten in den Morgen hinaus­zutreten und glücksdurchgossen in den Tag zu strunkeln und strummseln, gehört zu den großen Freuden, die man nicht der vorgefundenen Natur verdankt, sondern der Stilentschlossenheit einer guten Bar.

Dass der Besitzer der Schwertfischposaune irgendwann von dem lärmenden, die Welt betrampelnden Amüsier- und Party-Party-Party-Gemüse die Nase voll hatte, ist bedauerlich, aber verübeln kann ich es ihm nicht. Besser gehen als sich noch am eigenen Niedergang beteiligen, das gilt in der Liebe und sowieso.

Plätze, an denen man dem Irrsinn, dem Lärm und dem Wahn der Welt immerhin temporär entfliehen kann, sind selten, aber sie existieren. Gute Bar ist rar, aber auffindbar. Danke dafür.

Nomade im Speck

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