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SCHÖNHEIT UND GEFAHR sind Geschwister, und Italien ist ein schönes und gefährliches Land. Ich schaukelte auf meiner Luftmatratze auf den Wellen des Ligurischen Meeres, ein Kind und genau die klassische Wasserratte, die erst mit blauen Lippen und verschrumpelten Fingern ihr Lieblingselement verlässt, nur um eine Viertelstunde später wieder hineinzutauchen.

Der Campingurlaub in Ligurien erschien mir paradiesisch. Luft und Wasser waren so warm, dass man fast pausenlos im Meer sein konnte. Ich lernte schnorcheln und tauchen mit Schwimmflossen, sah Fische in Schwärmen, kleine Kraken und Seesterne. Fasziniert tauchte ich vor Felsenritzen herum, hatte Angst vor Muränen, über deren Gefährlichkeit viele Geschichten im Umlauf waren, war gleichzeitig von ihnen fasziniert und kaufte mir vom Taschengeld einen billigen Dreizack, um eine Muräne zu erlegen. Zum Glück bin ich nie einer begegnet.

Das Dahinplätschern auf der Luftmatratze endete abrupt. Eine heftige Welle warf mich auf den nächsten Felsen; ich traf ihn mit der Kinnspitze voran. Es war ein klassischer Knockout, ich ging einfach unter. Die kleine Narbe unter dem Kinn habe ich immer noch; beim Rasieren sehe ich sie, weil auf Narbengewebe kein Haar mehr wächst. Und dann denke ich immer an Italien, an Schönheit und Gefahr.

Als ich wieder zu mir kam, erschrak ich furchtbar. Alles um mich herum war voller schwarzer Haare. Ein Mann hielt mich in den Armen; niemals im Leben hatte ich so viele schwarze Haare an einem einzigen Menschen gesehen. Der Mann, der klein und rund war, redete in einer mir unbekannten Sprache auf mich ein. Er war über und über mit schwarzen Haaren bedeckt, nur sein Gesicht war glattrasiert und lächelte mich an. Er strich mir über den Kopf und sprach mir zu, ich verstand keins seiner Worte, wusste aber, dass jedes ein freundliches war.

Mit der herrlichen Luftmatratzen-Freibeuterei war es erst mal Essig; meine Eltern verdonnerten meinen zwei Jahre älteren Bruder dazu, auf mich aufzupassen, was keinem von uns im mindesten gefiel. So werden lebenslange Antipathien gestiftet. Nach einer Woche unter Aufsicht durfte ich wieder allein ins Wasser. Ich machte mich sogar nützlich und sammelte Miesmuscheln, die von meiner Mutter zubereitet wurden. Ich aß selber niemals etwas von dem weichen Gewabbel, als das es mir damals erschien, und als ich hörte, dass Miesmuscheln auf italienisch Cozze heißen, wusste ich, warum ich so gern verzichtete. Es gibt ein Lebensalter, in dem man so etwas komisch finden darf. Die von mir ungeliebten Kutteln heißen auf italienisch Trippa, und das reicht mir bis heute als Grund, sie fast übertrieben höflich dankend abzulehnen.

Das Wasser ist immer mein Lieblingselement geblieben; ich wurde sogar Rettungsschwimmer und lernte, wie man Ertrinkende vor dem Tod bewahrt. Bei der Abschlussprüfung zum Lebensretter fielen mir viele schwarze Haare ein, und als mir später überall selber solche wuchsen, was ich mit äußerstem ästhetischem Argwohn betrachtete, fügte ich mich irgendwann und dachte: Ja, so geht das. Da hat dir wohl jemand eine Fa­ckel in die Hand gedrückt.

Auch die Kalauer mit dem Italienischen konnte ich mir nie abgewöhnen. Für manche muss man aber bezahlen. Pizza ist Pizza, Pizzo heißt Schutzgeld, und als ich in einem Restaurant in Palermo aus einer Dummejungenlaune heraus eine »Pizza Pizzo« bestellte, hatte ich das auf der Stelle zu bereuen. Die Augen des Kellners, die mir steinkohlefarben erschienen, bewiesen, dass auch die dunkelsten Augen kalt wie Gletschereis schimmern können. Oder waren sie grün, braun oder blau? Kontaktlinsen gibt es schließlich in allen Farben, und diese Vielfalt wurde erfunden für Leute, die Distanz halten wollen zu jedem, der ihnen in die Augen zu sehen versucht.

Zu meinem Glück war ich nicht allein ins Lokal gegangen. Einer meiner beiden befreundeten Ess­genossen, dem die atmosphärische Störung nicht entgangen war, spielte sofort in Speisekarten­italienisch den Clown, stand auf, ging mit dem Kellner zur Vitrine, in der frisch gefangene Fische und andere Meerestiere lagen, gestikulierte, lächelte, rabulierte und ramenterte freundlich auf ihn ein, und, darum ging es, bestellte nichts von dem Zeug für Touristen. So glättete er die Wogen des rabiaten Sizilianismus, und ich erhielt Gelegenheit, einen Seeigel auszulöffeln. Dass ich mir später die Rechnung schnappte und beglich, versteht sich von selbst.

Seeigel hatte ich vorher noch nicht gegessen, aber dann fiel mir wieder ein, wie ich als Junge im Ligurischen Meer in einen dieser Stachelpanzer getreten war. Als die abgebrochenen Spitzen aus einem Kinderfuß herauseiterten, war das mit Schmerzen verbunden.

Italien ist schön und gefährlich.

Nomade im Speck

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