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Vorgespräch: Geschichten hinter Schweißperlen

Der deutsche Sauna-Knigge meint: In öffentlichen Saunen hat es gefälligst still zu sein. Atemlos ruhig, kein Pieps im schummerigen Licht, damit sich der nackte Mensch auf die Rinnsale des Schweißes konzentrieren und gleichzeitig sein Hirn konzentriert durchputzen kann.

Die Sauna meines Sportstudios hat zwar die typisch gleiche Optik, Bänke und Wandverkleidung ganz unspektakulär in durchgeschwitztem Holz, eine ständig von Fingerabdrücken übersäte Glastür, automatischer Aufguss, alternde Fliesen, metallische Wandhaken als einziges Interieur, die aufgesplitterte Lampenverkleidung fällt auf. Aber sie bietet kein Stillleben, keine Verbotsblicke fürs Reden, genau das Gegenteil, da sitzt eine vertraut redende Community drin. Menschen, die sich vielfach trotzdem nur namenlos kennen, aber regelmäßig an den Sportgeräten erleben. Das reicht für eine fast schon mehr gedankliche als körperliche Entblößung. Mit grandiosen Überraschungen, merkwürdigen Bekenntnissen und irritierenden Einblicken in verzwickte Lebenswelten, Inspirationen, gewöhnungsbedürftigen Sichtweisen.

Man erzählt mit souveränem Gesicht, was anderen oder woanders höchstpeinlich wäre. Rot schämende Gesichter passen tatsächlich nicht zu nackten Körpern, aber das kann nicht die wirkliche Erklärung für die unerschrockene Intimität in dieser Sauna sein. Wenn Persönliches preisgeben wird, gegensätzliche Ideen aufeinander prallen, greller Witznonsens hochkocht, traurige Momente das Lachen verätzen. Die Sauna erlebt sich als selbstorganisierte Theaterbühne, auf der im einen Moment ein verqueres Musical gespielt und kurz darauf sinnfreier Karneval inszeniert wird, dazwischen ein Schauspiel mit tiefgründigen Betroffenheitsszenen oder bloß ein verbales Armdrücken. Alles völlig ohne Plan, die Geschichten suchen sich ihren eigenen Weg und entwickeln sich gerade dadurch anders als üblich.

Zumal sich in diesem bunten Kommunikationstreiben jeder wohlfühlen kann. Niemand wirkt auffällig, selbst wenn sehr spezielle Wesensmerkmale pur zur Entfaltung gebracht werden. Etwa die Frau mit der großflächigen Tätowierung über dem Busen. Draußen Briefträgerin, hier drin erlebt man sie gelichtet, ihr Verhalten von den üblichen Alltagskonventionen freigelegt. Die meisten kennen sie, ihr akustisches Markenzeichen ist eine gejohlte, heitere Stimme, oft in einer Endlosschleife, kaum Sätze ohne vereinnahmende Lachsirenen. Bis sich niemand mehr wehrt, Widerstand gegen ihre offensive Art duldet sie nicht. Bevorzugt groovt sie durch die Gespräche anderer Leute und kommentiert ungefragt Äußerungen. Sie hat jederzeit die ganze Palette an möglichen Meinungen parat, von anstößig bis tief reflektiert, irgendeine passende Bemerkung findet sich immer auf dem Wühltisch ihrer Gedanken. Immer in lächelnde Laune verpackt, selbst ihre Schweißperlen machen Dauerparty.

„Patina nennt sich jetzt dein Glanz von irgendwann mal.“

Bevorzugt boshafte Töne, niemand kann ausweichen, und das meist in der ihr eigenen Botox-Sprache, also alles sehr gestrafft.

„Achte du bei deinen Bakterien auch gefälligst auf den Artenschutz!“

Genauso der Mann, dem diese Bemerkung einmal galt, er hat mit seinen nebensächlichen Auffälligkeiten nichts Aufregendes. Sie zählt ihn zu den belanglosen, aber umso enthemmteren Mitlachern, die nur ihre Poren und nicht sich selbst öffnen wollen. Seine Lachereien dürfen sich hier frei entfalten, weil sie mit dem monatlichen Studiobeitrag bezahlt sind, für seine Kommunikation mit Kollegen in der Kantine gilt das nicht.

Als anderes beliebig ausgewähltes Beispiel lässt sich die Mitsaunerin nennen, die manche unter uns als eine Muse der Sauna bezeichnen. Zuständig für seelisches Kuscheln, mit vielen auf den Holzbänken verbandelt, ein großes Gespür für Verletzlichkeiten und abseitige Mentalitäten. Gerne schweißige Freundschaftsumarmungen, sie hilft mit ihrem Geburtstagsgedächtnis aus, streichelt fröhlich oder tröstend durch nasse Gesichter. Eine Frau mit goldenem Mund, ihre Anwesenheit löst sanftere Wortwechsel aus, lautere Stimmen bleiben dann die Ausnahme. Sie richtet immer so lange ihre Aufmerksamkeit auf jemanden, bis sich jemand einmischt, der auf andere Schönheiten des echten Lebens pocht, und dann tritt sie auch entspannt beiseite.

Tatsächlich, es gehört zur unausgesprochenen Regel, dass hier jeder seine ganz persönliche Duftnote abgeben darf. Das gilt auch für den häufig anwesenden Mann in den Fünfzigern, lustige Halbglatzenfrisur mit Spaß an akademischer Sprache. Genetisch hätte es wohl auch bei viel Bemühen in jüngeren Jahren nie zu einem Beachboy gereicht. Zu seinen Lieblingen gehören jene Charaktere, die mit ihren besonders ausgeprägten Eigenarten fast automatisch für Spektakel sorgen. Prallen sie zusammen, zieht er seinen launigen Spaß.

„Wenn selbstverliebte Sixpacks auf fleischgewordene Abrissbirnen treffen.“

Ausgerechnet sowas passierte natürlich nicht, genauso wie die Charakteristik, die von Menschen im Vordergrund steht. Sondern es sind die Geschichten, die aus den Konfrontationen dieser Menschen und ihrer Themen entstehen. Unterhaltsame wie spaßvolle und berührende Momente. Unbedingt erzählenswert, ich habe einige von ihnen protokolliert, damit sie nicht mit unserem Schweiß im Abfluss versiegen.

Herausgekommen ist ein Band mit Nacktgesprächen, Streifzüge durch Lebensüberraschungen von Menschen und ihren in der Sauna freigelegten Auffälligkeiten. Das gilt etwa für den Wildschweinjäger mit ökosexueller Beziehung zu einer Veganerin, das Vergewaltigungsopfer und seine aggressive Offenheit, die versteckten Hilferufe eines Rentners und seine altersverzweifelten Dating-Ambitionen. Ebenso der Migrant, der mir die Augen öffnete, wie viel Vorurteile manche meiner Alltagsmeinungen offenbaren.

Ganz anders bei dem nackten Politikerpenis, der in mir abstruse Gedanken entfachte, oder die Frau, die den großen Trend nach narzisstischer Individualität als moderne Droge geißelt. Sie das Gegenteil eines Diktaturliebäuglers, der in akademischen Theorievokabeln absolutistischen Staatssystemen das Wort spricht, aber letztlich nur sein grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Dummheit geltend machen konnte.

Von solchen Gedanken ist ein anderer ergrauter Mann weit entfernt, er ließ uns stattdessen seinen traurigen Kampf gegen die Zeit miterleben. Der Versuch, seiner krebskranken Schwester noch schnell den Wunsch zu erfüllen, sich einmal wenigstens für ein paar Minuten als Model zu fühlen, misslang. Einer meiner Herzhelden in den Nacktgesprächen.

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