Читать книгу Nacktgespräche - Wilfried Heinrich - Страница 6

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Horden schwuler Hooligans

Neumitglied im Sportstudio, es könnte schlimmer kommen, trotzdem.

„Was geht? Kann ich dir helfen, dich hier zurecht zu finden?“ Eine gnadenlose Frage, so gut gemeint wie entblößend.

„Oh nein, lieben Dank, wirklich nett von dir, aber das ist wirklich nicht nötig.“ Freundliche Atmosphäre zum Einstieg, aber als hilfsbedürftig identifiziert werden? Never, Sport geht leicht.

Selbstsicher von sich gegeben, nur anders gedacht. Niemand soll aus den schüchtern herumirrenden Gesichtsbewegungen der Novizen herauslesen, wie gerne man in dem Dschungel an monströsen Geräten eine erste grundsätzliche Orientierung bekommen würde. Der Stolz spricht dagegen, das Ego stößt kräftig in die Rippen, egal ob Frau oder Mann: Nicht die kleine Maus geben, geht’s noch peinlicher?

Solch ein Zwiespalt wiederholt sich täglich, sobald Neulinge die Klippe der Anmeldung überwunden haben und sich möglichst unerkannt unter die Horde der offensichtlichen Besserkönner mischen wollen.

Dabei war irgendeinmal jeder einmal gymgrün hinter den Ohren. Geschlüpft als muskelbedürftiges Geschöpf, das unsicher durch die komische Gerätewelt tappert. Inmitten mystischer Metallmaschinen mit irgendwas dran, das man drücken, ziehen oder sonst wie bewegen muss. Unverständlicherweise geben andere bei dem persönlichen Konflikt mit den so anstrengend bedienbaren Hebeln und Griffen eine weitgehend souveräne Figur ab.

Der Gegenentwurf sind solche, die zwischen Hanteln sozialisiert worden sind. Rechts neben mir beobachte ich zwei solcher Exemplare. Der eine als Poolboy gut vermittelbar, bräunlicher Teint, der Körper ein einziger Bizeps. Den anderen, optisch mit südfranzösischem Akzent, würde man auch gut untergebracht kriegen. Sie verschlingen die Muskelpowergeräte mit einer imposanten Leichtigkeit der Reihe nach durch.

So etwas wahrzunehmen, kann für den durchschnittlichen Frischling nur Frust erzeugen. Sie scheitern bereits daran, eine halbwegs nutzbare Gebrauchsanweisung für die einschüchternden Studio-Accessoires zu finden. Irgendetwas, das ihnen sagt, wie sich die unsympathischen Apparaturen vielleicht zu Best Buddies umfunktionieren lassen. Wenigstens eine Prognose bekommen, wie den Geräten in absehbarer Zeit eine gewisse Kooperationsbereitschaft abgewonnen werden kann. Die Geräte können ruhig ihren Spaß an den mutig gestarteten und grandios gescheiterten Versuchen haben, irgendwann beim Kampf gegen die überflüssige weiche Körperphysiologie ein Einsehen bekommen.

Viel Wunsch, wenig Realität. Die Apparate bleiben in den ersten Sessions ziemlich unergründlich und stur. Da bleibt den Debütanten wenig anderes übrig, als das Gesicht zu wahren. Mit gekünsteltem Selbstbewusstseinslächeln in betont modischem Trainingsoutfit, Frauen auch gerne mal mit aufgetakelten Haaren und grellroten Lippen, um die klobigen Geräte herum tänzeln und sie um kleine Freundschaftsdienste bitten. Viel Wunsch hilft wie gesagt wenig, Geräte kennen keine Freundschaften und auch bei netter Zuwendung keine Gnade. Auf den Gedanken, es mit verführerischen Kosenamen oder Küsschen an irgendeine Stange zu versuchen, sollte man gar nicht erst kommen. Dann bockt die Muskelmaschine noch mehr, sie will Gewichte spüren und keine Romantik.

Deshalb wenigstens mal so tun als ob. Hier mal etwas drücken, dort ein bisschen drehen, ein bisschen angestrengt atmen. Abguckende Blicke, hoffentlich bemerkt niemand die Ungeschicklichkeit. Was nicht schlimm wäre, denn viele kluge Menschen sind schon grandios an Ikeas Inbusschlüssel gescheitert. Nur finden diese Niederlagen nie unter öffentlicher Beobachtung statt.

Natürlich gibt es auch welche, die ohne Grund gewaltige Naturtalente in sich spüren und den Kraftmaschinen direkt ungestüm ihren Willen aufzwingen wollen. Viele Gewichte auflegen, Gedanken an Selbstüberschätzung aus dem Kopf verbannen, typische Attitüde von Männern zwischen Anfang zwanzig und Ende dreißig. Doch Metall ist härter, sehr viel härter, also keine gute Idee, sekundenschnell verwandelt sich Euphorie in Versagergefühle. Was es nicht hinzunehmen gilt, also schnell wieder das Selbstbewusstseinslächeln zeigen, an dem Gerät muss irgendetwas nicht stimmen. Neuer Versuch beim nächsten Maschinentyrann.

Oder die Niederlage eingestehen und den Hilfsbedürftigen geben? Das bevorzugte Verhaltensmuster der Altersgruppe ab Anfang vierzig. Solche Neumitglieder zeigen sich häufig optisch auffällig, Menschen nach der Bauhausidee: „Form follows function“. Hauptsache man funktioniert, die Form darf ruhig etwas eigenwillig bis diskussionswürdig erscheinen.

Passend dazu ihr Klamottenstyle. Schon länger ausgesonderte Höschen und Shirts, zum Auftragen beim Sport eignen sie sich aber immer noch. Für sie spricht, dass sie sich wissbegierig und hellhörig zeigen, sobald jemand von Fitnessplänen spricht.

Zwei Männer mit unterschiedlich vielen verzichtbaren Kilos haben dieses Thema heute in der Sauna angezettelt. Beide könnten Bankangestellte sein, vielleicht auch Beamte, mittlerer Dienst beim Finanzamt. Einer mit ständig verwegen zuckenden Pupillen, ich tippe auf Sternzeichen Skorpion, bekanntermaßen leidenschaftliche und aufmerksame Menschen, sie können auf manchen Gebieten allerdings auch sehr verbissen sein.

Sein Nebenmann ein Pi-Mal-Daumen-Mensch. Unscheinbares Gesicht, eine Erscheinung ohne nette Auffälligkeiten, auffälligstes Merkmal sein gewölbter Bauch. Beide in den Fünfzigern, frische Zufallsbekannte im Sportstudio, beide vor einigen Tagen Mitglied geworden. Gleiche Situationen verbinden.

„Wie trainierst du, hast du Erfahrung und ein paar Tipps?“ Der Skorpion-Mann möchte das wissen. Unentschlossenes Achselzucken seines Kumpels, etwas Spitzbübisches sticht aus seinen Augen hervor.

„Mich erst mal jedem Gerät persönlich vorstellen, sagen wie ich heiße, ihre Namen erfragen und was sie so können, ein bisschen streicheln, etwas Schönes ins Ohr flüstern und weiterschauen. So wie das bei Parship funktioniert.“

Lachen, warten auf seine Fortsetzung.

„Irgendwann dann fragen, ob sie eine Idee haben, wie wir es gemeinsam hinkriegen können, dass sich meine Kilos verflüchtigen. Wegen Parship und so.“

Er röhrt sein Lachen heraus, zeigt einen ziemlich entspannten Umgang mit seinem wuchernden Speck, aber auch kein sonderlich großes sportliches Draufgängertum.

„Mal sehen, wer die Challenge gewinnt, diese Kraftteile hier oder meine Kalorienlieblinge?“ Schokolade, Chipstüten und die Tiefkühlpizzen sind gemeint.

Er will uns amüsieren, allerdings macht er mit dem bewusst offen gehaltenen Ergebnis ein völlig falsches Angebot. Weil Unwissende potenziell willfährige Opfer für solche Helferleins sind, die ihre größte persönliche Erfüllung darin finden, andere Menschen mit selbstüberzeugten Ratschlägen ungefragt für sich zu gewinnen.

Dieser Methode bedienen sich auch die TV-Shops in den Nachtstunden, wenn zahlungswillige Schlaflose nach Euphorisierendem gieren. Sie nutzen die Notlage der Menschen aus, indem sie sich als beglückende Konsumbefriediger geben und den Zuschauern Botenstoffe ausschütten helfen. So entstehen gute Kopfkissen für den Schlaf, bis die Rechnung kommt.

Hier und jetzt sind es natürlich keine Glückssuggestionen aus dem TV, sondern ein Ewigschlanker mit Selbstbewusstseinsshow, schon auf den ersten Blick und nachher noch mehr äußerst unsympathisch. Er mischt sich ein, sofort eine Spur zu überdosiert, die beiden Fitness-Rookies scheint es nicht zu stören. Im Gegenteil, sie reagieren freundlich zugewandt und neugierig, persönlich angesprochen zu werden hat etwas Gerngesehenes in der Fitness-Family.

„Ein Freund, wirklich guter professioneller Trainer, war Leistungssportler. Der hat mich mal in echt gute Übungen eingeweiht. Die wirken garantiert gegen Übergewicht, wirklich bei jedem. Das ist die exenderische Methode.“

Seine Äußerung selbst benickend, mit Gesichtsausdruck eines Geheimnisträgers redet er weiter. Er würde demnächst selbst Kurse anbieten, gegen Gebühr, eine neue Existenz aufbauen. Vorher müssten noch ein paar alte Probleme gelöst werden, zwei ursprünglich gute Freunde hätten ihn in eine Privatinsolvenz geritten.

Möchte da jemand den Sperrmüll seines Lebens vor uns auskippen? Und musste er ungefragt die Körperfülle der beiden zur Sprache bringen? Auch wenn kilobehaftete Körper längst keine Diskriminierungsfläche mehr bieten, wäre vorsichtiges Feingefühl angebrachter gewesen.

Der mögliche Finanzbeamte möchte mehr wissen.

„Exenderisch?“ Das Wort habe er noch nie gehört. Überdurchschnittlich schlau, schließlich gehört die gehobene Sprache nicht zu den herausragenden Kompetenzen in den Finanzamtsbüros.

„Du meintest sicher exzentrisch?“

„Nein, exenderisches Training ist das“, beharrt er. Im Amateursport würde kaum jemand diese Methode kennen.

„Immer nur kurz trainieren, dabei aber immer die ganze Power rausgefahren. Skifahrer machen das auch so, guck dir mal ihre fetten Beinmuskeln an.“

Eine Stimme hinter mir aus der Kategorie Klassenbester beim Pisa-Test mischt sich ein.

„Du redest Unsinn, es gibt nur das Wort exzentrisch, nichts anderes.“ Frontaler Angriff aus dem Nichts, er belässt es nicht dabei, sondern erklärt: Das wäre tatsächlich eine spezielle Form von Krafttraining, mit der man Bizeps und andere Muskeln schneller aufbauen könnte.

„Das hab ich doch auch gesagt“, piepst der Worterfinder rein, mit der Konsequenz, dass ihm unser Aufschlauer unverzüglich einen bösen Blick zuwirft und seine Worte eine Stimmfarbe bekommen, die keinen Widerspruch zulässt.

„Hilft dir ein Trainingspartner zum Beispiel, die Hanteln hochzudrücken, dann ist das Anheben mit fremder Kraftunterstützung die konzentrische Phase. Das anschließende Runterlassen mit der eigenen Muskelkraft, was dann wesentlich anstrengender ist und die Muskeln schmerzen lässt, nennt sich die exzentrische Phase. So einfach ist die Methode, kein Hokuspokus, lässt sich überall in Trainingsanleitungen finden.“

Schlau, schlau, auch für mich neu. Vor allem verständlich erklärt.

Nur, macht so eine Trainingsmethode Sinn für die beiden Fitness-Novizen? Wohl nein. Macht sie schlanker? Wohl auch nicht. Zumal der Aufschlauer hinter mir noch anfügt, diese Methode würde hauptsächlich auf einen krassen Muskelzuwachs abzielen, allerdings kein Fett verbrennen. Hat der Exenderisch-Schlaue überhaupt kapiert, was er anderen mit freundlicher Empfehlung für einen Unsinn unterjubeln will? Drittes Nein.

Das Problem für ihn: Er kriegt jetzt nicht mehr die Kurve, weil spätestens nach diesen Aufhellungen dem Pi-Mal-Daumen-Mann Zweifel gekommen sind. Er hatte die kurze Diskussion mit einem ultrabreiten Dauergrinsen begleitet und kommt jetzt mit einem eigenen Beitrag.

„Ihr irrt, ihr seid Torfköpfe, beide. Exenderisch ist die neue Sportart, in Skandinavien entstanden. Da dreschen Horden schwuler Hooligans mit Prada-Taschen aufeinander ein.“

Gröhlende Sauna, lustige Bilder entstehen im Kopfkino, auch der Trainingsmethodenspezi hinter mir wird karnevalistisch mitgerissen.

„The winner is, wer mit seinen High Heels den perfektesten Vierfach-Toeloop hinkriegt.“

Körperintensives Lachen der Leute, die Holzbänke vibrieren etwas. Dem Pi-Mal-Daumen-Mann gehört das Finale.

„Nächstes Jahr gibt es die erste Exenderisch-Weltmeisterschaft, findet bei den Italienern statt.“

Sein halsbrecherisches Lachen überschlägt sich. Mühevoll zwingt er den nächsten Satz heraus, seine Augen haben den Worterfinder im Visier.

„Mach sie fit dafür, die brauchen dich.“ Die nächsten heraus geprusteten Worte lassen sich nur noch erahnen.

„Exenderisches High Heel-Training ist die Zukunft, da tut sich eine ganz neue Marktlücke auf.“

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