Читать книгу Die Brücke nach Ispahan - Wilhelm Ernst Asbeck - Страница 6

Ein grosser Plan wird geboren

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Am 20. Februar 1600 sass der Holzhändler Hugo Brüggemann mit gestütztem Haupt sinnend in seinem Büro. Stunde auf Stunde wartete er in Furcht und Sorge. Diese entsetzliche, unerträgliche Ungewissheit! Die ganze Nacht hindurch schon lag seine Frau in Schmerzen, nun sind der Morgen und auch der Mittag vergangen. Bleigrau senkt sich die frühe Abenddämmerung hernieder und immer noch keine Erlösung.

In den weiten Kontor- und Lagerräumen wurde eine Öllampe nach der anderen angezündet; der einsame Mann achtete nicht darauf. Seine Gedanken umgaben heute nur sein Weib. Eine lähmende, furchtbare Angst überfiel ihn.

Wurde nicht soeben sein Name gerufen? Deutlich vernehmbar und doch wie aus einer anderen Welt kommend? Er blickte zur Tür, von dort musste das Schicksal zu ihm treten.

Minuten vergingen, endlose Minuten, die ihm wie Ewigkeiten erschienen. Da stand plötzlich jemand im Zimmer. Eine bleiche, zitternde Gestalt. Er hatte sie nicht kommen hören. War sie wie das Unheil auf leisen, unhörbaren Sohlen hereingeschlichen, oder schienen seine Sinne von den Dingen des wirklichen Lebens abgelenkt?

Eine gedämpfte, bebende Stimme erzählte, dass ihm soeben ein Sohn geboren sei, aber dem Herrn dort oben habe es gefallen, sein Weib zu sich zu nehmen. – – –

Schweigend hatte der Kaufmann die Botschaft vernommen, stumm stand er wenige Tage später am Grab der geliebten Frau. Keine Träne weinte er; stolz und aufrecht bot er dem Schicksal Trotz.

Er hatte sich nicht unterkriegen lassen, als das einzige Wesen, das er auf Erden liebte, von ihm genommen wurde. Nur wortkarg war er seitdem geworden. Er glich einem knorrigen Baum, dem die Sonne entzogen, der nun langsam dahinwelkte, an dessen Mark der Wurm zehrte und ihn allmählich aushöhlte. – – –

Zehn Jahre vergingen. Sein angeborenes Gerechtigkeitsgefühl war zu gross, als dass er das Kind entgelten liess, die unschuldige Ursache seines Unglückes zu sein; aber, wenn er auch den geheimen Hass niederrang, Liebe konnte er für seinen Sohn nicht aufbringen. Dieser zarte, schmächtige Bursche hatte nichts mit ihm gemein.

Fast ängstlich blieb er bemüht, jeder Begegnung mit ihm aus dem Wege zu gehen. Da fügte es das Schicksal, dass er eines Tages einen unfreiwilligen Einblick in die Empfindungswelt seines Sohnes tun musste. –

In der Steinstrasse geschah es. Hier gewahrte er plötzlich, dass sein Junge in kurzem Abstand vor ihm dahinschlenderte. Aus der schmalen Altstädter-Fuhlentwiete tauchte ein stämmiger Bursche von etwa sechzehn Jahren auf, wild, verwahrlost, mit plumpen, rohen Gesichtszügen. Als dieser den zarten, gutgekleideten Otto erblickte, schien dem Raufbold der Gedanke zu kommen, dem Jüngeren und Schwächeren einen Streich zu spielen. Er ging neben dem Kleinen her, hänselte ihn mit Redensarten und belegte ihn mit üblen Schimpfworten. Da flammte in des Kindes Augen der Zorn über all dies Hässliche und Gemeine auf. Er verbot dem Grossen sein rüpelhaftes Benehmen. Der jedoch stiess ihn vom Bürgersteig und schlug ihn ins Gesicht. Was dann geschah, kam so unerwartet und schnell, dass der alte Brüggemann den Vorgängen kaum zu folgen vermochte. Wie eine Pantherkatze sprang sein Sohn den Rauflustigen an, klammerte seine Beine wie Schraubstöcke um den Leib des Gegners und drückte ihm mit beiden Händen die Kehle zu. Vergeblich versuchte der andere sich aus der Umklammerung zu befreien; er mochte zerren und schlagen, soviel er wollte. Die Wut verlieh dem Beschimpften eine Widerstandskraft, an der jeder Angriff abprallte. Zwar lief Otto das Blut aus Mund und Nase, aber die Schläge schienen nur seinen blinden Zorn zu erhöhen; tiefer und fester krampften sich seine Finger um den Hals des Widersachers. Dunkelrot war der Kopf des Raufboldes, und die Augen begannen ihm aus den Höhlen zu treten.

Eine zahlreiche Zuschauermenge hatte sich angesammelt. Sie war Zeuge der wüsten Herausforderungen gewesen und freute sich, dass der schmächtige, zehnjährige Knabe es fertigbrachte, dem stämmigen Flegel den richtigen Bescheid zu geben.

Wie aus einem Traum erwachte der Kaufmann. Schnell trennte er die Kampfhähne. Der Grosse rang nach Atem, aber in seinen Augen blitzte es boshaft und rachgierig auf. Als er jedoch einen Blick auf des Holzhändlers Hünengestalt warf und dieser ihm obendrein ein paar schallende Ohrfeigen verabreichte, hielt er es doch für ratsamer, sich heulend und schimpfend aus dem Staube zu machen. – –

Daheim sassen Vater und Sohn einander gegenüber. Kein Wort war bisher zwischen ihnen gewechselt worden. Endlich brach der Ältere das Schweigen: „Weisst du, dass du den Jungen beinahe umgebracht hättest?“

Ein Zug tiefster Verachtung legte sich um des Knaben Mund: „Es wär’ nicht eben viel daran verlorengegangen; von seiner Sorte gibt es mehr als zuviel!“ war die Antwort. – –

Von diesem Tage an verfolgte der Kaufherr mit grösster Aufmerksamkeit den Werdegang seines Kindes. Wenige Jahre später nahm er Otto in sein Handelshaus auf. Sein Grundsatz lautete: ein Geschäftsmann, der vorwärtskommen will, muss hart sein und einen klaren Blick haben. Diese Eigenschaften traten in Ottos Wesen von Jahr zu Jahr schärfer hervor. Mit Feuereifer widmete er sich seinem Beruf. Er besass ein schnelles Auffassungsvermögen und einen fast krankhaft übersteigerten Hang zum Geldverdienen. Er und sein Vater lebten und schafften nur für das alte Handelshaus, aber darüber hinaus verband sie kein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das Herz des Sohnes, das sich in den Jahren der Kindheit vergeblich nach Liebe gesehnt hatte, war erkaltet, und in Brüggemann erlosch dieser heilige Funke beim Tod seines Weibes. – –

Einundzwanzig Jahre waren seit Ottos Geburt vergangen, da starb der Vater. Das Ereignis ging dem Sohn nicht sonderlich nahe. Er kannte jetzt nur ein Ziel: Geld verdienen, Ansehen und Ehre erringen, hoch über die Köpfe seiner Mitbürger emporsteigen!

*

In einer jener seltsamen Strassen Amsterdams, durch deren Mitte sich ein Kanal zieht, zu beiden Seiten mit Bäumen bestanden und die Ufer durch viele kleine Brücken miteinander verbunden, stand um diese Zeit ein alt-ehrwürdiges Patrizierhaus. Dort wohnte der Kaufherr David van Scheijten, Inhaber eines der bedeutendsten Handelsunternehmungen Hollands. Er, ein Mann in den besten Jahren, galt als das Urbild jener bedächtigen, klugen und doch wagemutigen Händler, die das Ansehen und die Macht des kleinen Staates begründet und Jahrhunderte hindurch behauptet hatten.

Vor ihm sass ein Herr von etwa dreissig Jahren. Seine Kleidung war europäisch und betont vornehm, doch sie stand im krassen Gegensatz zu seinem Gesicht, das rundlich und von quittengelber Farbe war. Das pechschwarze Haar trug er gescheitelt, von wohlriechenden Ölen durchtränkt, lag es glatt zurückgekämmt. Ein schmaler, zusammengekniffener Mund und eine hervorspringende Hakennase gaben seinem Antlitz das Aussehen eines Raubvogels. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, wenn man seine nachtdunklen Augen betrachtete. Er hatte einen ruhelosen, stechenden Blick. Sein Körper war untersetzt und breit. An den Fingern seiner klobigen Hände trug er kostbare Ringe. Sein Wesen setzte sich zusammen aus einem Gemisch von aalglatter Unterwürfigkeit, Rücksichtslosigkeit und Geschäftsklugheit.

Er hatte in lässiger Haltung auf einem Stuhl Platz genommen, während Mynheer im Sofa sass. Beide Herren schmauchten Pfeife.

Vor dem Holländer lagen mehrere Empfehlungsbriefe ausgebreitet, die er mit grosser Aufmerksamkeit las; dann faltete er sie sorgsam zusammen und gab sie seinem Gegenüber zurück, indem er fragte: „Sie sind also Perser?“

„Jawohl, mein Herr, aber erzogen bin ich in europäischem Sinne. Mein Vater liebte die Kultur des Abendlandes, und Sie werden aus meiner Kleidung und Sprache feststellen, dass ich bald mehr Holländer als ein Kind meines Geburtslandes bin.“

„Leben Ihre Eltern nicht mehr?“

„Nein. – Dort unten sieht die Welt anders aus, als im geruhsamen Holland. Es ist nicht ungefährlich, ein Würdenträger am Hofe Abbas zu sein. Vater fiel in Ungnade. Ein unbedachtes Wort genügte. Er und meine Mutter wurden enthauptet.“

„Sie sprechen über diese Dinge, als berichteten Sie die alltäglichsten Begebenheiten“, unterbrach ihn der Handelsherr.

„Würden Sie im Iran leben, so wüssten Sie, dass jedermann, der sich in der Umgebung des Schahs befindet, damit rechnet, eines Tages eines gewaltsamen Todes zu sterben. Niemand bei uns sieht etwas Besonderes darin.“

„Wirklich, ein verlockendes Land, in dem Sie zu Hause sind!“

„Unser Glaube lehrt uns, eines jeden Menschen Schicksal sei ihm von Gott vorgeschrieben.

„Ich würde jedenfalls versuchen, mein Geschick zu meistern“, konnte van Scheijten nicht unterlassen zu bemerken.

„Ich tat ein gleiches; hielt mich vom Hofe fern und wurde Kaufmann.“

„Und Abbas?“

„Er ist ein grosszügiger Herrscher, der dem Sohn nicht nachträgt, dass einst sein Vater in Ungnade gefallen ist. Er sieht es gern, wenn ich Beziehungen zu fernen Ländern anknüpfe, und er unterstützt mich in meinen Bemühungen weitgehendst.“

„Ja, Sie versprechen sich also aus der Verbindung mit meinem Hause guten Nutzen für sich und – – mich?“

Mit der ganzen Leidenschaft des Südländers schilderte der Gefragte den Reichtum seiner Heimat und die vielseitigen Möglichkeiten, mit den Erzeugnissen Persiens grosse Geschäfte zu machen. Ein leichtes würde es für ihn sein, die Franzosen und Engländer aus dem Felde zu schlagen und das Alleinhandelsrecht für fast alle Staaten des Abendlandes in die Hände Mynheer van Scheijtens zu lenken.

Als die beiden Männer spät in der Nacht schieden, war der Vertrag unterzeichnet, und das Handelshaus David van Scheijten erklärte sich bereit, in Ispahan eine Faktorei zu errichten, deren Leitung in Operchis Hände gelegt wurde.

Lange, nachdem der Perser gegangen war, dachte van Scheijten noch darüber nach, ob er richtig gehandelt habe. Ein Vermögen legte er dort draussen fest!

*

Fünf Gäste weilten eines Abends in Otto Brüggemanns Heim in der grossen Reichenstrasse: die Familie Tullae und der Schweizer Stadler.

Andreas Tullae galt als ein Künstler in seinem Beruf. Ratsherren, Grafen und Fürsten zählten zu seinen Kunden. Vor vielen Jahren war einer seiner Vorfahren von Reval nach Hamburg übergesiedelt und als Uhrmacher zugelassen worden. Das Handwerk hatte sich von Geschlecht zu Geschlecht, von dem Vater auf den Sohn vererbt. Christine, die Gattin Tullaes, entstammte einer reichen Kaufmannsfamilie. Beide lebten in glücklicher Ehe, die nur dadurch getrübt wurde, dass der Name Tullae mit ihnen aussterben würde; denn sie besassen keinen Sohn, sondern nur zwei Töchter. Auf diese konnten sie allerdings stolz sein; in ihnen fanden sich Anmut, Geist und Schönheit vereint. Barbara hiess die ältere. Ein stattlicher junger Mann von fünfunddreissig Jahren hatte neben ihr Platz genommen, Johann Rudolph Stadler, des Uhrmachers erster Gehilfe, der wegen seiner Kunstfertigkeit einen guten Ruf genoss. Sein offenes Gesicht, die weltgewandten Umgangsformen, sowie sein bescheidenes und doch sicheres Auftreten gewannen ihm alle Herzen. Er stammte aus Zürich. Tullaes jüngere Tochter, Elisabeth, kaum neunzehn Jahre alt, sass Brüggemann zur Seite.

Die Unterhaltung verlief lebhaft. Hier spürte man nichts von den Schrecken und dem Elend des furchtbaren Krieges, der seit fast acht Jahren die deutschen Lande überzog. Frohes Lachen und Gläserklang hallten durch den Raum.

Draussen hörte man einen Wagen anfahren und vor dem Hause halten. Unwillkürlich verstummte das Gespräch. Wenige Augenblicke später ward die Tür geöffnet; der treue, wortkarge Diener Steen Jenson trat ein, überreichte seinem Herrn eine Karte und flüsterte ihm etwas zu.

Brüggemann horchte auf und sah sich die Karte an. Unter fremden, ihm unbekannten Zeichen stand in lateinischen Buchstaben: „Nicolaus Jacob Operchi, Kaufmann, Ispahan, Persien.“

Unwillkürlich hatte der Hausherr mit halblauter Stimme gelesen. Nun war allseitig das Interesse erweckt. Ein persischer Kaufmann in Hamburg, das gab es nicht alle Tage!

„Ich lasse bitten!“ – Gleich darauf geleitete Jenson den Fremden hinein.

Operchi machte eine weltmännische Verbeugung, begrüsste die Anwesenden in gebrochenem Deutsch und fragte, ob man ihn verstehen werde, wenn er Holländisch rede, da er diese Sprache besser beherrsche. Brüggemann und Stadler bejahten.

„So bitte ich gütigst zu entschuldigen, dass ich so spät noch um eine Unterredung ersuche. Da ich aber weiss, dass ein Handelsherr am Tage stets sehr beschäftigt ist und einer Sache von grosser Wichtigkeit nicht die erforderliche Zeit widmen kann, so nahm ich mir die Freiheit, nach Feierabend vorzusprechen. Dabei ahnte ich allerdings nicht, dass ich störend in den Familienkreis eindringen würde.“

Brüggemann machte ihn mit den Anwesenden bekannt, forderte ihn auf, an der Tafel teilzunehmen und sein Gast zu sein.

Bald kam ein lebhaftes Gespräch in Gang. Der Perser erzählte von der Schönheit seiner Heimat, von Gebräuchen und Sitten, von Land und Leuten.

In Stadlers Augen begann das Feuer der Abenteuerlust zu leuchten. Sein unruhiger Geist hatte ihn schon mit kaum zwanzig Jahren in die Welt hinausgetrieben; er kannte die Schweiz, Oberitalien, Südfrankreich, den Rhein und Holland, wo er ein Jahr in Amsterdam verbrachte.

Operchi nannte den Namen van Scheijten. Ja, den Mann schätzte auch Stadler sehr; er war bei Mynheer aus- und eingegangen und ob seiner Kunstfertigkeit hoch angesehen gewesen. Diese gemeinsame Bekanntschaft schlug schnell die Brücke zu einem herzlichen Ton.

Mit grosser Spannung folgten der alte Tullae und die Damen der Unterhaltung. Brüggemann und Stadler übersetzten ihnen den Inhalt.

Der Perser erzählte, dass er bisher den Landweg gewählt habe, um die Völker und die Möglichkeit neuer Verbindungen an Ort und Stelle zu studieren. Dann fuhr er fort:

„Oft, sehr oft, bin ich auf Ihren Namen gestossen, und ich freue mich Ihnen sagen zu können, dass ich nur Gutes hörte. Überall rühmt man Ihren tatkräftigen Unternehmungsgeist. Weitschauend, wie Sie sind, beschränken Sie sich nicht nur auf den Holzhandel, sondern verleiben immer neue Zweige Ihrem Geschäft ein. Das gibt mir den Mut, Sie aufzusuchen. Ich will Ihnen den Weg bahnen zu ungeahnten Verdienstmöglichkeiten!“

Der Hamburger lehnte sich lächelnd zurück. Er betrachtete alle Dinge nüchtern und sachlich. So fragte er denn: „Und welchen Vorschlag wollen Sie mir unterbreiten?“

„In Ispahan eine Faktorei zu errichten.“

„Unter Ihrer Leitung natürlich?“

„Gewiss; denn ich kenne die Eigenarten des Landes und seiner Märkte wie kein zweiter. Zudem besitze ich das grösste kaufmännische Unternehmen Persiens. Es ist nichts Geringes, was ich Ihnen vorschlage. Sie sollen von Hamburg aus den Handel mit den Erzeugnissen des Irans, Arabiens und des Orients für den gesamten Norden in die Hände bekommen.“

„Sollten da andere Staaten nicht auch mitzureden haben?“

„Portugal und Spanien sind längst ausgeschaltet, Italien hat nie bei uns festen Fuss fassen können; eine Zeitlang besassen Frankreich und England grösseren Einfluss in Ispahan. Jetzt ist ihnen in Holland ein neuer Wettbewerber entstanden. Es hat aber an den Südstaaten des Abendlandes ein hinreichend weites Absatzgebiet. Nun steht es bei mir, Ihnen Mittel- und Nord-Europa zu überlassen. Wohlverstanden, Ihnen allein!“

Die Gespräche währten bis tief in die Nacht. Brüggemann stand dem Vorschlag nicht ablehnend gegenüber, aber zu einem Vertrag konnte er sich nicht sofort entschliessen. Er wünschte jedoch mit Operchi in Verbindung zu bleiben.

Stadler erhob sich. Sein Gesicht glühte vor Erregung. „Bietet sich in Ispahan auch Gelegenheit für einen tüchtigen Uhrmacher, um vorwärtszukommen?“ fragte er.

Der Perser antwortete: „Selbstverständlich! Es dürfte sogar möglich sein, am Hofe Abbas eingeführt zu werden; ich selbst würde meinen ganzen Einfluss bei dem Schah geltend machen!“

Tullae hörte diesen Vorschlag ungern; es handelte sich um seinen tüchtigsten Gehilfen. Auch Barbara liess den Kopf hängen. –

Aufregende Tage folgten. Im Hause Tullae fand Doppelverlobung statt. Stadler sollte Operchi nach Ispahan begleiten und später seine Braut holen. Sie zeigte sich jetzt voll kindlicher Freude; denn auch sie hatte die Reiselust ergriffen; fremde Menschen und Städte wollte sie kennenlernen und schliesslich an der Seite des geliebten Mannes im Märchenland ein neues Heim finden. Sie war jung und unerfahren, glaubte, da draussen müsse alles leuchtender und schöner sein, als hier oben im Norden; dort im Süden werde ihrer eitel Glück und Freude warten.

Brüggemann bestärkte die beiden in ihrem Vorhaben, bat aber gleichzeitig seinen zukünftigen Schwager, ihm über alles Wissenswerte ausführlich zu berichten, besonders die Augen offenzuhalten, welche Handelsmöglichkeiten sich boten. Auch sollte er die europäischen Niederlassungen auskundschaften und bei der weiten Entfernung das Für und Wider einer solchen Verbindung sorgfältig abwägen.

*

An einem schönen Sommertag des Jahres 1626 verliess in aller Frühe ein stattlicher Zug das Steintor. Zwei Reisewagen, mit allen Bequemlichkeiten der damaligen Zeit ausgestattet, mehrere hochbeladene Plangespanne und eine grosse Anzahl Landsknechte traten die Reise nach Lübeck an. Man tat gut daran, vorsichtig zu sein; denn Unruhe und Feindschaft beherrschten die Welt. Der Heerweg durch den Sachsenwald galt schon in Friedenszeiten wegen der adligen Strauchritter als nicht geheuer. Nun, diese Herren würden sich besinnen, allzu lüstern nach der kostbaren Beute zu greifen: denn sie könnten mit blutigen Köpfen heimgeschickt werden!

Brüggemann ist grosszügig gewesen. Er hat den fremden Gast mit vielen kostbaren Geschenken bedacht, und dieser versprach, ihm aus Ispahan seine Dankbarkeit zu beweisen. Der Kaufherr solle bei der Gelegenheit auch gleichzeitig die wichtigsten persischen Handelsartikel kennenlernen.

Ohne Unfall wurde das Reiseziel erreicht. Es traf sich gut; eine Bark lag zur Abfahrt nach Reval bereit.

Den Abschied empfand Stadler schwerer, als er dachte. In dieser Stunde spürte er, wie tief er mit den aufrechten nordischen Menschen verbunden war, und welchen Gefahren und welcher Ungewissheit er entgegenging. – –

Brüggemann, auf der Hinfahrt der unterhaltendste Gesellschafter, zeigte sich auf der Rückreise still und in sich gekehrt. Ein grosser, kühner Plan begann Gestalt zu gewinnen: immer drückender wurde der Gürtel, den der Dänenkönig Christian IV. um Hamburg legte. Hatte er vordem schon durch seine Kriegsschiffe in der Elbe eine unerträgliche Überwachung und Belastung der Schiffahrt ausgeübt, so prahlte er jetzt ganz offen, die Festung Glückstadt nur deshalb erbaut zu haben, um den Handel der ihm verhassten Hansastadt zu lähmen und nach seiner Neusiedlung zu leiten. Unter solchen Umständen ergab sich die Notwendigkeit, rechtzeitig einen Gegenstoss zu unternehmen. War’s mit dem Schwert in der Faust nicht möglich, so musste ein anderer Weg beschritten werden. Durch den Handel mit Persien glaubte Brüggemann ihn gefunden zu haben. Seine angeborene Vorsicht hielt ihn jedoch davon ab, selbst ein solches Wagnis zu unternehmen. Ihm schwebte ein gewaltiges Unternehmen vor Augen; er dachte dabei an die Ost- und Westindischen Kompanien, wie sie in Frankreich, England und Holland bestanden.

Anfangs versuchte er eine Vereinigung der reichsten Hamburger Handelshäuser zustande zu bringen; die Herren fanden indessen heraus, dass Brüggemann auf jeden Fall sein Schäfchen ins Trockne bringen würde, sie aber gar leicht in die Lage versetzt werden könnten, eintretende Verluste allein zu tragen. Sein Anerbieten fand keine Zustimmung.

Nun wandte er sich an den Rat der Stadt. Man lachte ihn aus. Nein, da werde das Geld aus der Staatskasse denn doch zu wichtigeren Dingen benötigt. In diesen unsicheren Kriegszeiten legte man einen höheren Wert darauf, die Festungswälle instandzuhalten und Landsknechte anzuwerben, als sich auf zweifelhafte Geschäfte mit unbekannten Ländern einzulassen.

Je höher aber sich die Schwierigkeiten türmten, die sich seinem weitblickenden Plan entgegenstellten, um so unbeugsamer reifte in Brüggemann der Entschluss, seinen Gedanken in die Tat umzusetzen. Mit zäher, verbissener Willenskraft richtete er sein ganzes Denken und Sinnen darauf, von Persien das alleinige Handelsrecht für seine Heimat, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Küstengebiete der Ostsee zu erlangen; später hoffte er dann auch noch Holland und alle übrigen Wettbewerber aus dem Felde schlagen zu können.

Otto Brüggemanns kühner Gedanke bedeutete für die damalige Zeit etwas Ungeheuerliches. Man schüttelte den Kopf und begann ihn als Sonderling zu verspotten. Niemand glaubte an ihn – bis auf eine: seine Braut Elisabeth Tullae. Sie stärkte sein Zutrauen und zweifelte nicht daran, dass der Tag kommen werde, wo sein Name als der eines der grössten und geachtetsten Kaufherren aller Zeiten genannt werden würde.

Die Brücke nach Ispahan

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