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Der Gedanke reift zur Tat

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Wieder war ein schöner Sommertag. Zwei Jahre vergingen, seitdem Operchi und Stadler Hamburg verlassen hatten.

Andreas Tullae schritt hoch erhobenen Hauptes durch seinen Laden. Nicht ohne Grund suchten ihn die hohen Herren von nah und fern auf; wo fanden sie sonst auch solch eine reiche Auswahl auserlesener Kunstwerke?

Vor einem mächtigen, in Ebenholz gefassten und mit Silber verziertem Uhrwerk blieb er stehen. Es handelte sich um eines seiner herrlichsten Schaustücke; aber es dürfte nicht leicht halten, einen Käufer zu finden, der in der Lage war, den Preis zu zahlen.

Und doch befand sich ein noch kostbarerer Gegenstand in seiner Ausstellung. Da stand auf einem Tisch ein vollständiges, künstliches Bergwerk aufgebaut, in dessen Mitte ein grosses Zifferblatt und im Innern eine Uhr mit Schlagwerk angebracht waren. Mit dem Glockenschlag zwölf belebte sich ein darunter angebrachter Hohlraum. Figuren tauchten aus der Tiefe hervor, und vor den Augen der Beschauer zog in beweglichen Bildern die bekannte Geschichte des verlorenen Sohnes vorüber. Gleichzeitig ward es im Bergwerk lebendig, ein eifriges Hämmern, Arbeiten und Pochen entstand. Mit dem zwölften Glockenschlag fielen die kleinen Bergleute wieder in ihre Erstarrung zurück; das letzte Bild der biblischen Legende verschwand in der Versenkung. –

In des Meisters Werkstatt betätigten sich ein halbes Dutzend Gesellen; aber keiner von ihnen vermochte Stadler zu ersetzen. Tullaes Gedanken weilten bei ihm.

Mitten aus seinem Denken wurde er herausgerissen. Ein Wagen hielt vor der Tür. Eilfertig wollte er dem vermeintlichen Kunden entgegengehen, als Brüggemann – seit Jahresfrist sein Schwiegersohn – und Elisabeth eintraten. Ihnen folgten zwei Angestellte, die Pakete herbeischleppten, eine ganze Fuhre!

„Um Himmels willen, Otto, was soll das? Du versperrst ja jeden Durchgang! Vorsicht! Vorsicht!“

Der Gefragte zeigte ein so stolzes und frohes Lachen, wie der Meister es nie zuvor von ihm gehört hatte.

Tullaes Frau und Barbara eilten herbei; sie schlugen staunend die Hände über dem Kopf zusammen.

„Grüsse aus dem Morgenland“, rief übermütig Elisabeth.

„Auch Post von Rudolf?“ fragte errötend Barbara.

Freilich! Hier, ein langer Brief. Gut geht’s ihm. Ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht! Am Hof des Schahs ist er eingeführt und auf dem besten Wege, ein berühmter und reicher Mann zu werden! – Doch seht, was mir Operchi als Gegengaben sandte!“

Paket auf Paket wurde geöffnet: ein kostbarer Perserteppich, Tücher in leuchtenden, bunten Farben, Seidenstoffe, Damastvorhänge und Decken kamen zum Vorschein. Wunderbare Waffen mit reichem Gold- und Silberschmuck und als Wichtigstes dann Proben von Gewürzen.

„Alle die Herrlichkeiten gehören euch; kommt aber heut’ abend zu uns, damit ihr auch unsere Schätze bewundern könnt“, sprach Elisabeth.

„Operchi ist ein grosszügiger Mann“, meinte bewundernd Tullae.

„Er ist ein schlauer Fuchs, der mich aus meinem Bau locken möchte; er wird aber wenig Glück damit haben“, erwiderte Brüggemann.

„Wie meinst du das?“

„Ich denke, dass ich ihn nicht brauche, um das persische Geschäft zu machen. Selbst ist der Mann!“

Barbara schüttelte den Kopf. „Nein, Otto, ich halte es für richtiger, sich in diesem Fall der land- und leutekundigen Führung des eingesessenen Kaufherrn anzuvertrauen. Du hörst, wie alle erfahrenen Menschen über deinen Plan denken.“

Der Schwager kniff die kleinen, listigen Augen ein wenig zusammen. Ein verschmitztes, fast höhnisches Lächeln spielte um seine dünnen Lippen: „Vielleicht irrt ihr euch alle und werdet euch eines Tages noch wundern!“

„Vielleicht! – Sehr vielleicht!“

Brüggemann blieb die Antwort schuldig. Er trug ausführliche Berichte Stadlers in der Tasche, die für ihn wichtiger und wertvoller schienen, als all der aufgestapelte Kram zu seinen Füssen.

Elisabeth legte ihre Hand auf des Gatten Schulter. Sie schaute ihn an: gläubig, zuversichtlich; dann wandte sie sich an die Schwester und sagte: „Zweifelt nur, du, Vater, Mutter und alle diese kurzsichtigen Kaufherren und Stadtväter, deren Blick nicht weiter reicht, als über die nächsten Grenzpfähle hinaus. Otto wird euch schon eines Tages den Beweis liefern, dass er der Mann ist, nicht nur grosse Pläne zu entwerfen, sondern sie auch durchzuführen.“

Ihre Wangen glühten vor Erregung und blindgläubiger Begeisterung. Die Schwester dachte kühler, nüchterner: „Wie weit, glaubst du, dass sein Schiff kommen würde? Wenn es nicht schon auf der Elbe von den Dänen geschnappt wird, so kapern es Engländer, Franzosen oder Holländer in der Nordsee.“

Elisabeth wollte antworten; da bedeutete ihr Brüggemann zu schweigen. Seine stahlgrauen Augen schauten die Schwägerin fast feindlich an, und ein Zug voll Verachtung legte sich um seinen Mund als wollte er damit ausdrücken: es lohnt sich nicht, mit ihr über derartige Dinge zu reden.

„Kinder haltet Frieden!“ rief Christine, die sanfte, gutherzige Frau. Ihre Tochter hatte schon eine spitze Bemerkung auf der Zunge; doch sie kam nicht mehr dazu, denn von der Strasse herüber drangen laute Rufe, eilige Schritte vieler Menschen, Pferdegetrappel und das Poltern eines Wagens auf holprigem Pflaster. Näher und näher kam der Tumult.

Vor der Tür des Uhrmachers entstand ein Auflauf. Von allen Seiten strömten Neugierige und Schaulustige herbei. So etwas gab es aber auch nicht alle Tage zu sehen! Eine vornehme Reisekutsche hielt. Sie war mit vier prächtig geschirrten Schimmeln bespannt. Eine Fürstenkrone schmückte den Verschlag. Der Kutscher trug eine kostbare Livree, und auf dem rückwärtigen Trittbrett standen zwei reichbetresste Diener. Vier bewaffnete Reiter begleiteten das Gefährt. Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, als auch schon die Betressten herbeisprangen, um den Verschlag zu öffnen.

Ein stattlicher, etwas zur Fülle neigender Herr von reichlich dreissig Jahren stieg aus. Sein Gesicht war oval; zwei kluge, blaugraue Augen blickten stolz und doch gütig in die Welt. Langes Haar wallte bis zur Schulter herab. Er trug Schnurr- und kurzen Knebelbart. Wehende Federn zierten seinen Hut. In Samt war er gekleidet.

Ihm folgte ein Mann, der bereits die Vierzig überschritten hatte. Er erweckte einen mehr kriegerischen Eindruck. Starke Willenskraft und hohe Geistesgaben standen in seinen Zügen geschrieben.

Tullae warf einen verzweifelten Blick auf die im Laden ausgebreiteten „Wunder aus dem Morgenland“. Es blieb jedoch keine Zeit zu verlieren; denn schon bahnten Kriegsknechte und Diener den Hohen Herren eine Gasse durch die gaffende Menge.

Christine und ihre Töchter verschwanden eiligst in die Wohnung. Der Uhrmacher riss die Ladentür auf und eilte den Ankommenden unter tiefsten Ehrfurchtsbezeugungen entgegen. Die Gäste kamen nicht zum erstenmal zu ihm: Herzog Friedrich III. von Holstein-Gottorp und Kielmann, sein Minister und Vertrauter. Freundlich, fast freundschaftlich begrüssten sie Tullae. Der Fürst schätzte die Kunstfertigkeit des Meisters und nicht minder seinen zuverlässigen, achtbaren Charakter.

Brüggemann war ruhig stehengeblieben. Höflich, doch nichts weniger als untertänig, verbeugte er sich. Der Herzog sah den Kaufmann ein wenig betroffen an; aber er kannte den Stolz dieser grossen Handelsherren. Sein Blick blieb erstaunt auf den am Boden liegenden Herrlichkeiten haften.

„Nanu, Meister, was habt Ihr aus Eurer Uhrenwerkstatt gemacht?“

„Mein Schwiegersohn hat soeben eine Sendung aus dem Orient erhalten; um nun mir und den Meinen eine Freude zu bereiten, brachte er uns diese Dinge zum Geschenk. Ich ahnte ja nicht – –“

Friedrich bedeutete Tullae zu schweigen. Er nahm Stück um Stück in Augenschein; besonders die kunstvollen Teppiche und golddurchwirkten Seidenstoffe erregten seine Aufmerksamkeit.

„Ihr müsst ein reicher Mann sein, um so wertvolle Geschenke machen zu können!“

In Brüggemanns Hirn überstürzten sich die Gedanken. Sollte es Zufall oder Schicksalsbestimmung sein, die ihn an dieser Stelle mit dem Fürsten zusammenführte? Da hiess es das Eisen schmieden, solange es heiss war.

„Hoheit“, erwiderte er, „es handelt sich hier um eine bescheidene Auswahlsendung persischer Landesprodukte und um Erzeugnisse persischen Kunst- und Gewerbefleisses.“

Das Interesse des Hohen Herrn erwachte. Der Hamburger verstand es, seine Anteilnahme rege zu erhalten und dauernd zu steigern. Er redete sich in Begeisterung und schilderte lebhaft, welche gewaltigen Handelsaussichten eine Verbindung mit dem Iran bieten würde. Er sprach von ungeheuren Verdienstmöglichkeiten und erzählte dann verbittert, wie all seine kühnen Pläne an der Engherzigkeit und dem kleinlichen Krämergeist der Stadtväter und seiner Mitbürger bis jetzt scheiterten.

Stunden vergingen. Ein wenig enttäuscht, fast beiseitegeschoben, stand der Meister. Da kündete die Uhr vom nahen Jacobiturm die Mittagsstunde. Beim ersten Schlag fielen alle Uhren in Tullaes Laden ein. Im Bergwerk pochte und hämmerte es; die Geschichte vom rerlorenen Sohn erwachte zu neuem, flüchtigem Leben; es herrschte ein Dröhnen und Schlagen, dass man fast sein eigenes Wort nicht zu hören vermochte.

Der Herzog besann sich, weshalb er eigentlich nach Hamburg gekommen sei. Voll Entzücken betrachtete er die Meisterwerke der Handwerkskunst.

Als Friedrich die Ausstellung verliess, konnte Tullae wohl zufrieden sein; denn die beiden kostbarsten Uhren waren mit gutem Verdienst verkauft worden. Noch froher schien aber Brüggemann; hatte sich doch der Herzog für den Abend zu Gast angemeldet, um die bei ihm lagernden persischen Herrlichkeiten zu bewundern. Auch den Bericht Stadlers über Land und Leute und die Handelsaussichten wollte er kennenlernen. Der Wunsch des Hamburger Kaufherrn schien sich zu erfüllen; jetzt hoffte er, zum ersehnten Ziel zu gelangen;

*

Zwischen Grande und Trittau führte damals die Landstrasse über weite Strecken sandigen Brachlandes, das mit Ginsterbüschen und Heidekraut durchzogen war. Sie lag eingekeilt zwischen den Ausläufern des Sachsenlandes und des Linauer Forstes; zur Linken hin und wieder von der Bille begrenzt, die sich in zahlreichen Windungen und Krümmungen ihren Weg bahnte und sich bei der uralten Grander Mühle zu einem langgestreckten Teich erweiterte. Rings wurde die Landschaft von leicht gewellten, mit dichtem Baumbestand bewachsenen Hügeln umrahmt.

Mühselig zogen starke, schwere Pferde hochbeladene Planwagen durch die Einöde; müde schleppten sich einige zwanzig Landsknechte durch den tiefen Sand. Glühend brannte die Mittagssonne.

In einiger Entfernung folgte die Staatskutsche, in der sich Friedrich und sein Kanzler befanden. Kutscher und Diener trugen Flinte und Säbel, die vier begleitenden Reiter ebenfalls.

Brüggemann war aufgefordert worden, im Wagen des Herzogs Platz zu nehmen; er bat aber, die Söldner bewachen zu dürfen. Acht Kürassiere hatte er aus eigener Tasche angeworben. Unermüdlich umkreiste er mit dieser kleinen Schar den Zug. Aufmerksam betrachtete er Busch und Strauch, wohl wissend, dass aus jedem Hinterhalt Tod und Verderben hervorbrechen konnte.

Vor ihm lag eine Anhöhe. Mehrere Birken wuchsen darauf, und ein Gewirr wilder Rosensträucher bildete eine fast undurchdringliche Hecke. Nichts schien sich dort zu regen; aber der Kaufherr traute dem Frieden nicht. Sein scharfes Auge betrachtete argwöhnisch diese kleine, von der Natur errichtete Feste. Er kannte zu gut die Kampfesweise der Wegelagerer. – Windstille herrschte, und doch bewegten sich auf dem Hügel verdächtig die Zweige. Langsam schob sich der Lauf einer Muskete durch das Dickicht.

Brüggemann riss sein Pferd zur Seite; der Degen flog aus der Scheide, und im Galopp sprengte er den verborgenen Feinden entgegen, gefolgt von seinen acht Reitern. Haarscharf am Kopf sauste die Kugel vorbei; kurz hintereinander krachten die Schüsse der Buschklepper, aber auch die Angreifer hatten aufs Geratewohl in die Hecke hineingefeuert. Bevor die Räuber sich richtig zur Wehr setzen konnten, fielen die Söldner und ihr Führer über sie her. Auch die Landsknechte eilten jetzt im Laufschritt herbei; nur die herzoglichen Soldaten umgaben die Kutsche, um sie gegen einen etwaigen rückwärtigen Überfall zu sichern. Die Fuhrknechte hatten ihre Flinten in die Faust genommen, die Pferde zum Stehen gebracht und gingen schussbereit in Deckung.

In wilder Flucht rannten einige zwanzig Kerle dem schützenden Walde zu; doch kaum die Hälfte erreichte ihr Ziel. Blutende, stöhnende Menschen lagen am Boden. Wütende Kriegsknechte schlugen sie tot, wohl wissend, dass ihnen ein gleiches Los beschieden gewesen, falls jenen ihr Anschlag gelungen wäre.

Auch einer der Kürassiere war gefallen, ein anderer wurde verwundet. Brüggemann hatte fürsorglich einen Planwagen mitführen lassen, dessen Boden mit Stroh bedeckt war, und auch an Verbandsstoff fehlte es nicht.

Hier und dort krachten noch vereinzelte Schüsse. Landsknechte schwärmten aus und deckten den Zug gegen einen unerwarteten Flankenangriff; aber die Schnapphähne hatten von der ersten Abfuhr genug und liessen es auf ein neues Treffen nicht ankommen. Unbehindert setzten die Reisenden nun ihren Weg fort. Um die Mittagszeit des nächsten Tages kamen die Türme Lübecks in Sicht, und am Spätnachmittag zogen Gespanne und Begleitmannschaften durch das Holstentor. – –

Friedrich war erfreut, einen Mann wie diesen Kaufherrn gefunden zu haben, der Mut, Vorsicht und Klugheit in sich vereinigte, zudem grösste Freigebigkeit zeigte; denn herrliche Teppiche, Seidenstoffe, kunstvolle Waffen und Gefässe hatte er gespendet; alles Erzeugnisse jenes sagenhaften Morgenlandes, das sich Persien nannte. Er beschloss, ihn für seine Dienste zu gewinnen.

Ursprünglich bestand die Absicht, dass Brüggemann nur die Beförderung der Uhren und Geschenke bis Lübeck begleiten sollte. Jetzt aber bat ihn der Fürst, auf Schloss Gottorp als Gast zu weilen. Gar zu gern folgte der Ehrgeizige dieser Einladung.

In Travemünde lag Friedrichs Schiff zur Abfahrt bereit. Zwei Tage später landete man in Schleswig. Begeistert ward der Landesherr von der Bevölkerung begrüsst. Jeder fühlte die tiefe Verbundenheit zwischen Volk und Herrscher.

Der Jubel galt aber auch Brüggemann. Die Kunde von seiner mutigen Tat, die dem Herzog das Leben rettete, war ihm vorausgeeilt; da er zudem seine Landsknechte – im Gegensatz zu manchem Fürsten und mancher Stadt – reichlich lohnte und den Sold nicht schuldig blieb, so musste er obendrein ein reicher und freigebiger Herr sein.

Über den Inhalt der Planwagen schwirrten die tollsten Gerüchte. Ein Geheimnis umgab den Hamburger, und seine Begleiter sorgten dafür, dass ihm fast märchenhafte Reichtümer und ans Wunderbare grenzende Pläne angedichtet wurden.

*

Im Schlosse zu Gottorp sassen zu später Stunde noch der Fürst, sein Minister und der Handelsherr beisammen. Eine hohe Ehre ward dem Kaufmann zuteil; man ernannte ihn zum herzoglichen Gesandten in Hamburg.

Friedrich hatte soeben mit seinem Gast auf eine frohe und glückliche Zukunft angestossen.

Brüggemann gab Bescheid; dann sprach er weiter: „Würden wir unsere Blicke nur auf die Ereignisse der Gegenwart richten, so müssten wir verzweifeln. Krieg und Verwüstung jahraus, jahrein, nirgends ein Lichtblick. Gen Westen ist jeder freie Handelsweg zu Wasser und zu Lande verschlossen. Unerbittlich zieht der Dänenkönig den Gürtel um Hamburg und die schleswig-holsteinischen Lande enger und enger. Von Glückstadt aus hofft er sein Vernichtungswerk zu vollenden und aus dem Verfall niederdeutscher Lande zu ernten. Weder Eure Herzogliche Hoheit noch die Hansastadt sind stark genug, um Christian mit dem Schwert gegenübertreten zu können. Da bleibt nur eine Möglichkeit, dem drohenden Unheil vorzubeugen: den Blick nach Osten zu richten!“

Friedrich stimmte den Ausführungen beifällig zu.

„Die Kraft eines einzelnen Mannes reicht nicht aus, diesen Plan zu verwirklichen. Gross, gewaltig, muss das Werk aufgezogen werden; ein ganzes Land soll dahinterstehen; dann werden aber auch die aufgewandten Opfer eben nur diesem Lande wieder zugute kommen. Aus einem kleinen Staat wird demnach ein nach innen und aussen gekräftigtes, starkes Reich entstehen, auf das sich die Blicke des ganzen Abendlandes richten werden! Reichtum und Wohlstand halten Einzug. Allen wird diese Tat zum Segen gereichen; bis in die kleinste Hütte soll sie sich auswirken und Not und Sorge für immer daraus verbannen!“

Des Herzogs Augen waren sinnend in die Ferne gerichtet. Wenn das zuträfe, was jener dort sprach! Glücklich machen möchte er sein Volk, es herausführen aus Elend und Unwissenheit, es behüten vor Krieg, Raub und Plünderung.

Wie eine Bestätigung dieser Gedanken fuhr der Kaufherr fort: „Kleinlicher Krämergeist hat die Ratsherren der einst so reichen Hansastadt mit Blindheit geschlagen. Ich erblicke in der Begegnung mit Eurer Hoheit die Hand des Schicksals! Es ist eine gütige Fügung, die Euch ausersehen hat, den Glanz und Ruhm der Fugger und Welser in den Schatten zu stellen. Wenn Hunderte und Aberhunderte von Jahren vergangen sein werden, der Name des weitblickenden Friedrichs des Dritten von Holstein-Gottorp wird in der Geschichte der Menschheit weiterleben; denn er war es, der kühn und besonnen den Handel des Orients an sich brachte, der die prächtigen Erzeugnisse des Morgenlandes über seine Städte zu leiten verstand und alle Länder des Nordens mit Persiens kostbaren Stoffen und Gewürzen versorgte!“

Kielmann erhob sich: „Was unser Gast spricht, klingt verlockend; doch ich bitte zu bedenken, dass andere Länder längst ihre Niederlassungen dort unten begründet haben. Ich fürchte, dass wir zu spät kommen, keineswegs aber mächtig genug sind, die Holländer, Engländer und Franzosen zu verdrängen.“

Der Herzog warf einen fragenden Blick zu Brüggemann.

Der Kaufherr lächelte. Es war ein seltsames Lächeln, so wie ein Erwachsener die einfältige Entgegnung eines Kindes hinnehmen würde. Er wandte sich an den Minister und sprach: „Auf diesen Einwurf war ich gefasst. Wenn Ihr, wie ich, die Handelsverbindungen mit dem Iran mit offenen Augen verfolgt hättet, so würdet Ihr immer und immer wieder finden, dass die persischen Herrscher die Eigenart zeigten, gewissermassen das Alleinhandelsrecht jeweilig einem Volk zu übertragen. Anfangs geschah es unter dem Druck überlegener Erobererstaaten, wie Portugal und später Spanien. Doch die stolzen Herrscher dort unten unterwerfen sich auf die Dauer nicht dem Zwang und beantworten Gewalt mit Gewalt, sobald sie hierzu mächtig genug geworden sind. Die Portugiesen und Spanier haben es am eigenen Leib erfahren. Mit Feuer und Schwert wurden ihre Niederlassungen erzwungen; mit Tod und Vernichtung sind sie beseitigt und die lästigen Gäste davongejagt worden. – Franzosen und Engländer verhielten sich klüger. Sie sandten friedliche Kaufherren nach dort, denen es gelang, mehr oder weniger günstige Handelsverträge abzuschliessen. Dann kamen die Holländer. Sie verstanden es, mit Hilfe ansässiger Händler, den Eindringlingen das Wasser abzugraben, so dass ihre Faktoreien zur Bedeutungslosigkeit herabsanken und die getroffenen Abkommen nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht erneuert wurden.“

Eine Pause entstand. Wieder war es Kielmann, der die Frage aufwarf: „Und Ihr glaubt, dass es uns gelingen wird, das mächtige Holland aus dem Sattel zu heben?“

„Würde der holländische Staat dahinterstehen, so müsste ich einsehen, dass unser Unternehmen aussichtslos ist; da aber nur eine reiche holländische Firma Trägerin des Handelsrechtes ist, die obendrein von einem Perser in Ispahan geleitet wird, der heute beim Schah gut angeschrieben sein mag, bei dem launischen Charakter des Herrschers aber schon morgen in Ungnade fallen kann, so bin ich des Erfolges sicher; denn wir kommen nicht als einzelner Kaufherr, sondern im Namen eines ganzen Landes! Hier tritt der Fall ein, dass ein wahrhaft weitblickender Fürst die Handelsverbindungen selbst anknüpft und, alle Zwischenhändler ausschaltend, Reich zu Reich in Beziehung tritt. Dass die hieraus entstehende Freundschaft des mächtigen Schahs das Ansehen Eurer Hoheit in der ganzen Welt steigern wird, liegt auf der Hand!“

Friedrich erwärmte sich mehr und mehr für die gewaltige Idee des Hamburgers. „Gut“, meinte er, „es ist möglich, dass sich hieraus politische Vorteile ergeben können, deren Tragweite wir heute noch gar nicht abzusehen vermögen. Doch wie stellt Ihr es Euch vor, die Fäden zum Schah anzuknüpfen, und wie wollen wir die Güter von dort in unsere Heimat schaffen?“

„Beide Schwierigkeiten erscheinen im ersten Augenblick grösser, als sie es in Wirklichkeit sind. Unser erstes Ziel muss sein, uns die Freundschaft und Unterstützung des russischen Zaren zu sichern. Eine Gesandtschaft wird dies zuwege bringen. Männer, die Geist, Mut und Unternehmungslust besitzen, sollen ihre Führer sein; prunkvolles Autreten und kostbare Geschenke sind erforderlich. Ist dieser Teil unseres Planes ausgeführt, so muss der Schah in Ispahan aufgesucht und mit ihm der Handelsvertrag abgeschlossen werden.“

Der bedächtige Staatsmann fragte: „Und wenn die Perser nun nicht wollen?“

„Dann sollte man dem Führer der Gesandtschaft den Kopf vor die Füsse legen; denn nur seine Unfähigkeit wäre schuld, wenn das Unternehmen scheitern würde!“

„Meint Ihr?“

„Es ist meine felsenfeste Überzeugung!“

Der Herzog mischte sich ins Gespräch: „Und wenn ich nun Euch selbst zum Führer dieser Gesandtschaft ernenne?“

„So wäre der höchste Wunsch meines Lebens erfüllt!“

„So sicher seid Ihr des Erfolges?“

„Ja, so gewiss!“

„Lasst weiter hören, wie Ihr Euch die Beförderung der Waren denkt.“

„Der Seeweg scheidet vorläufig aus. Auch die Karawanenstrasse über Klein-Asien ist bei den gespannten Verhältnissen zwischen der Türkei und dem Iran zu unsicher. Jedoch mit den Schutzbriefen des Zaren versehen, erlangen wir die denkbar grösste Sicherheit. Der Weg führt von Ispahan zum Kaspischen Meer, von dort mit dem Schiff bis zur Wolga, auf ihr eine gute Strecke weiter, dann durch Russland bis Reval. Die Ostsee ist wenig gefährdet, so dass der Rest der Reise wieder zu Wasser bewerkstelligt werden kann.“

Stunde um Stunde berieten die drei Herren. Noch manche Bedenken Kielmanns musste der Kaufmann zerstreuen; aber er hatte das Vertrauen des Herzogs gewonnen und als man sich am frühen Morgen endlich zur Ruhe begab, wusste Brüggemann, dass sein Gedanke zur Tat reifen werde.

Die Brücke nach Ispahan

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