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Vorwort.

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Vielleicht ist es nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß sich diese Schrift streng in den selbstgesteckten Schranken halten und, so nahe die Versuchung liegen und so beengend die gebotene Entsagung mitunter sein mag, nach keiner Seite hin den Rahmen des biographischen und litterargeschichtlichen Bildes sprengen will, das sie zu zeichnen vorhat. Nur was Goethe in Wetzlar wirklich erlebte, sein äußeres wie sein inneres Leben dort galt es vorzuführen. Dies aber in der Vollständigkeit, die das vorhandene und erreichbare Material irgend zuläßt. Diese Aufgabe, über deren inneres Recht die Einleitung sich ausspricht, ist bisher noch nicht versucht worden. Denn was wir hier bieten, deckt sich keineswegs mit den bekannten Schriften von J.W. Appell (»Werther und seine Zeit«, Neue Ausg., 1865) und B.R. Abeken (»Goethe in den Jahren 1771-1775«), so nahe die beiderseitigen Gebiete aneinandergrenzen. Jener würdigt die Wirkungen des »Werther« und charakterisiert die Litteratur, die sich an die Fersen des Romans heftet, der erst zwei Jahre nach dem Zeitpunkt, von dem unsere Schrift handelt, veröffentlicht wurde; dieser umspannt eine ungleich [viii]längere Periode, geht aber eben deshalb nicht gründlich und tief genug auf die Erlebnisse Goethes in Wetzlar selbst und auf die Zustände der Reichsstadt ein. Und doch ist auch ohne dieses kulturgeschichtliche Moment, in dem die realen und idealen Beziehungen sich treffen, ein völlig anschauliches Bild nicht möglich. Es versteht sich, daß das Bild der damaligen Reichsstadt, da es nur als Mittel zum Zweck erscheint, in den knappsten Linien, wenngleich auf Grund alles erreichbaren Materials, gezeichnet werden mußte. Die beiden genannten Schriften haben freilich unser Thema gestreift, keine aber hat auch nur den Versuch gemacht, neues Material oder das alte in zum Teil neuer Beleuchtung zu bieten. Der treffliche Abeken, dessen schönste Jugenderinnerungen noch in die Goethe-Schiller-Periode zurückreichten, hat dabei den ruhigen, historischen Ton dem vergötterten Dichter gegenüber keineswegs überall getroffen. Mein Wunsch und meine Hoffnung ist, daß in dieser Schrift Bewunderung und Nüchternheit keine sich spröd ausschließende Gegensätze geblieben sein mögen.

Die sachlichen Gründe, die mich zu der Schrift veranlaßten, habe ich in der Einleitung dargelegt, ich gestehe aber gerne, daß mich dieselben ohne den Hinzutritt von persönlichen kaum zu dieser Arbeit bestimmt hätten.

Wetzlar ist mein Geburtsort, den ich zwar seit den Knabenjahren verlassen, aber im späteren Leben doch gar manchmal wieder und mit nie rostender Jugendliebe vorübergehend aufgesucht habe. Unter den Eindrücken der Goethe-Werther-Traditionen und in jener so anziehenden Natur, die den Dichter entzückte, bin ich aufgewachsen. Und — es kann es jeder erfahren — wir kommen nie wieder im späteren Leben mit der Außenwelt auf so vertrauten [ix]Fuß wie in den Tagen der Kindheit und Jugend. Noch im vergangenen Sommer habe ich auf einer im Interesse dieser Schrift unternommenen Reise auch jene Jugenderinnerungen bis ins kleinste wieder auffrischen können.

Und nur im Lichte der erneuerten Autopsie mochte ich die Arbeit wagen. Aber auch nicht ohne neues Material. Ist dieses auch nicht so reichhaltig, als der Autor, dem naturgemäß die Lücken und Zweifel am meisten sich aufdrängen, selbst wünschen möchte, so fällt doch auf manche biographisch wichtige Punkte durch das neue urkundliche Material, das ich sammeln und verarbeiten konnte, ein helleres Licht. Vor allem habe ich hier dem verehrten Senior der Familie Kestner, Herrn Georg Kestner in Dresden, dem Hüter des Kestnerschen Familienarchivs und einer der umfangreichsten Autographensammlungen, die wir in Deutschland besitzen, auf das herzlichste zu danken. Derselbe kam meinem Wunsche, jenes Archiv, aus dem statutarisch nichts nach außen hin verliehen werden darf, an Ort und Stelle zu benutzen, auf das bereitwilligste entgegen, und so konnte ich im vorigen Sommer mehrere Tage in den reichhaltigen Sammlungen ungehemmt mich umsehen; namentlich verdanke ich den tagebuchartigen Aufzeichnungen von J.Chr. Kestner gar mancherlei. Auch ist der verehrte Mann nicht müde geworden, mir auch noch weitere schriftliche Auskunft über einzelne Punkte zu geben. Außerdem habe ich in Wetzlar das Reichskammergerichts-Archiv, wenn auch mit geringem Erfolg für meine Zwecke, besucht und verdanke der freundlichen Beihilfe der Herren Oberlehrer Dr. Glaser in Wetzlar und Pfarrer Allmenröder in Obernbiel bei Wetzlar mehrere wertvolle Antworten auf gestellte Anfragen. Mein Versuch, auch aus dem Goethe-Archiv in Weimar noch irgendwelche Ausbeute zu gewinnen, schlug leider fehl. Des Dichters Enkel, Herr Kammerherr Baron Walther v. Goethe, beruhigte mich übrigens mit der Versicherung, es finde sich für diese Zeit nichts Urkundliches in dem Familienarchiv, dessen Schätze überhaupt oft überschätzt würden. Auch ist es nicht unmöglich, daß Goethe gerade die auf Wetzlar und Werther bezüglichen Briefschaften vor seinen beiden Reisen nach Italien mit anderen vernichtet hat. Ebenso wenig ließen sich die Briefe Gotters an Goethe noch auffinden, wie mir Herr Professor Schelling in Erlangen, der Sohn von Gotters Tochter, auf Befragen mitzuteilen die Güte hatte.

Von dem bisher gedruckt vorliegenden Material hoffe ich Wichtiges nicht übersehen zu haben. Die Noten ziehen, was nötig erschien, zum Beweis oder zur Ergänzung des Textes heran; doch war das um so weniger überall erforderlich, weil wir nun in v. Loepers trefflichem Kommentar zu »Wahrheit und Dichtung« ein so gediegenes Hilfsmittel besitzen.

Dies über den biographischen Teil der Schrift, der naturgemäß den ungleich breiteren Raum einnimmt. Was den litterargeschichtlichen anlangt, so war es auch hier meine Aufgabe, nur das in Wetzlar nachweisbar Geleistete oder Vorbereitete — und das letztere eben in dieser Beschränkung — zu untersuchen. Diese Prüfung hat auch zu einigen peripherischen Punkten der Faust-Dichtung geführt, sowie zu der Frage nach dem Zusammenhang der Grundidee dieser Dichtung mit bestimmten Punkten in Goethes damaliger theologischer Entwickelung.

Diese Fragen konnten hier meinem Thema gemäß nicht zum Austrag gebracht, sondern nur gestreift werden. Ich habe[xi] aber die Absicht, die theologisch-philosophische Entwickelung des jungen Goethe zum Gegenstand einer besonderen litterarisch-kritischen Würdigung zu machen.

Die artistischen Beilagen werden, so hoffen wir, vielen willkommen sein, beide sind weiteren Kreisen bisher unzugänglich gewesen. Über den Zeitpunkt der Entstehung des Kestnerschen Porträts hat sich in der Familie keinerlei Tradition erhalten. Lottens Bild ist ein Nachbild der Silhouette, die Goethen nach Frankfurt nachgesandt worden war und die seitdem dort über seinem Bette hing und deren er so manchmal in den Briefen an Kestner gedenkt. Unaufgeklärt ist die Bedeutung des Datums in der Unterschrift: »Lotte gute Nacht am 17. Juli 1774«. — Soll es etwa den Tag der Vollendung des »Werther« bezeichnen, an dem eine Art Abschied, eine »gute Nacht« an Lotte allerdings angebracht war? Nach Goethes Tod war diese Silhouette durch den Kanzler v. Müller der Familie Kestner als Reliquie übersandt worden.

Einige Nachsicht möge man der Form da zugute kommen lassen, wo der spröde, sich oft aus einer Reihe kleiner Einzelheiten mosaikartig zusammensetzende Stoff einer künstlerischen Verarbeitung sich nicht fügen wollte. So sehr ich danach gestrebt habe, das Ganze auch für weitere Kreise lesbar zu machen, so oft stellte sich diesem Wunsche die Natur der Quellen, sowie die Nötigung, im Interesse meiner leidenden Augen zum Diktieren zu greifen, in den Weg. Möge trotz dieser Hemmungen und Gebrechen das Gesamtbild ein einigermaßen treues und lebendiges Abbild der denkwürdigen Episode geworden sein!

Nicht schließen mag ich dieses Vorwort ohne einen Gruß an die Vaterstadt. Es ist nur natürlich, daß Wetzlar, in[xii] neuester Zeit immer stärker in den Weltverkehr hineingezogen, nicht bloß zeitlich den Erinnerungen seiner Vergangenheit immer ferner rücken wird. Wo findet die Romantik eine Zuflucht, wenn allstündlich das laute Leben der eisernen Verkehrsstraßen durch das einst so stille Thal rauscht? Allein jene Erinnerungen gehören zu den idealen Gütern der Stadt. Und wenn das Gedächtnis des Reichskammergerichts, die andre jener stolzen Erinnerungen, uns heute im »Neuen Reich« mumienhaft genug anblickt, so tragen die Goethe-Traditionen doch den Stempel des Unverwüstlichen, die kein materieller Aufschwung verdrängen darf, weil er sie nicht ersetzen kann.

Halle, 20. Februar 1881.

W.H.

Goethe in Wetzlar (Wilhelm Herbst) (Literarische Gedanken Edition)

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