Читать книгу Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser - Wilhelm Kastberger - Страница 4

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02 Am Brunntrog bei der Zwischenscherzerlalm

Dunkel kann ich mich noch erinnern. Ich glaube es dürfte im August gewesen sein. Jedenfalls war es ein Samstag. Gut, ich kann mich auch irren und möchte mit Dir nicht streiten, aber ein Montag war es auf keinen Fall. Nach vierzehn Uhr dreiundzwanzig war es schon. Das stimmt und das weiß ich noch sehr genau, weil um diese Zeit betrat ich das Lokal. An der Uhr, die über der Tür aufgehängt war, konnte ich die Zeit ja gut ablesen. Leider standen die Zeiger nach gut einer Stunde immer noch an derselben Stelle. Daraus schließe ich, dass die Zeitangabe nicht unbedingt korrekt war. Wurscht!

An diesem Tag waren alle meine zwei Freundinnen, nämlich die Margot und die Anita Reisenhübner sowie außerdem noch ein paar Bekannte rund um den Stammtisch versammelt. Mehr oder weniger war es halt der kleine harte Kern. Nicht der Bundeskanzler, den meine ich nicht, sondern die Stammtischler. Sie versuchten wieder einmal, eine der berüchtigten Caféhaustratschereien in Gang zu setzen.

Jeder und jede redete mit jeden und bei dieser Gelegenheit habe ich wohl die freudige Kunde hinausposaunt. Das Wort Kunde streichen wir besser wieder weg, weil es gar zu mittelalterlich klingt. Du musst das so sehen: In meiner Niedergeschlagenheit, nämlich nur so am Tisch zu hocken, am lauwarmen Kaffeehäferl zu schnuppern und ein nichtssagendes Gesicht aufzusetzen, das wollte ich auch nicht. So entschloss ich mich halt, etwas Hochintelligentes am Tratsch-Markt beizutragen.

Ob es nun richtig war oder falsch, was ich mit leicht angehobener Stimme in die Runde hineingeworfen habe, das sei dahingestellt. Keinesfalls wird das je das Los entscheiden. Ich hatte nämlich etwas zu feiern. Einen Jahrestag!

Als Entschuldigung möchte ich freilich gleich einmal anmerken, dass ich schon ein bisschen zu gutgelaunt gewesen bin, als ich das Lokal betreten hatte. Schuld an meiner überdurchschnittlichen Fröhlichkeit war gewiss nicht der Standardkaffee vom Cafetier Walter Winkelmeier.

Eher war es die zwanglose Plauderei bei der Herfahrt mit der Schaffnerin von der Pinzgauer Bahn. Sie erzählte mir nämlich hinter fast vorgehaltener Hand, sodass auch die rundumsitzenden Fahrgäste ihren Spaß gehabt haben mussten, zwei angeblich nigelnagelneue, sehr freche Blondinen Witze. Frauenbeauftragte von Greenpeace hätten nicht hinhören dürfen. Wenn beispielsweise nur eine davon anwesend gewesen wäre, hätte es einen scharfen Protest gehagelt, womöglich begleitend von einem Skandal und wir wären unter Umständen alle wegen Diskriminierung des schwachen Geschlechts vor den Richter zitiert worden. Es war keine dieser militanten Damen im Zug und kommen daher diese hier auch nicht zum Zug.

Ich habe mir sowieso nicht alle Einzelheiten von dieses Witzen gemerkt. Einer davon lautete etwa so: Was macht eine Blondine am Computer, wenn es brennt? Die Pointe habe ich bereits beim Erzählen des Witzes verschluckt. Die Schaffnerin lachte sich selbst bei jeder ihrer Pointen einen Holzfuß und steckte uns Fahrgäste mit ihrem herzhaften, tränenzubodenfallenden Lachen an. Bei diesem Lachtiramisu hätten wir beinahe vergessen, den Ausstiegwunschknopf zu drücken. Das wär dann ein Lacher mehr gewesen.

Also zurück ins Caféhaus. Da saß sie dann am Stammtisch. Allerdings ein wenig abgerückt von den anderen und keine Spur einer Heiterkeit im Gesicht. Daneben stand ein leerer Sessel, auf den ich dann platzgenommen habe. Ich weiß nicht, ob Du diese ein wenig trübsinnig aussehende Frau überhaupt kennst. Gesehen habe ich sie schon ein paar Mal hier im Lokal. Nur die Chance, ein Gespräch mit ihr zu führen, das ist mir bislang noch nicht gelungen.

Einige am Stammtisch und auch der Walter Winkelmeier kannten sie nur unter dem Allerweltskosenamen Cherie. Sie war blond und hatte halblange Haare. Rechts und links am Scheitel hatte sie horizontal zarte geflochtene Zöpfe. Wie mir schien, waren die mit irgendwelchen verdeckten Befestigungsinstrumenten an der Kopfhaut festgenagelt. In der Mitte von ihrem Hinterkopf wuchs ein kräftig geflochtenes Kunstwerk über ihren Nacken hinunter. Der untrügliche Blick einer Frau, also meiner, erkannte schon beim ersten Mal Hinschauen, dass man hier von einer natürlichen Verblondung nicht ausgehen darf. Da wurde mit chemischen Keulen getrickst. Aber wie! Geht mich ja eigentlich gar nichts an.

Freilich erinnerte ich mich wieder augenblicklich an den Blondinen Witz von der Schaffnerin. Nur die Pointe wollte und wollte nicht freiwillig aus meinem Gedächtnis hervorkommen.

Cherie redete mit mir, aber erst der vertrauten Du Umwandlung, ihren vollständigen Namen. Marianne heißt sie! Das weiß ich. Ihren Nachnamen kann man sich bei bestem Willen nicht so mir nichts dir nichts merken. Der ist viel zu kompliziert, um ausgesprochen zu werden. Irgendwas mit Grillsinger am Anfang und witsch zum Schluss. Vielleicht Grillsingerwitsch – kann sein.

Cherie sagte ich nie zu ihr, das klang zu doof. Nur Marianne. Und sie ist, wie gesagt, eine Blondine. Eine Gebleichte allerdings.

Weil ich gerade vorhin vom Los geredet habe. Damit Du es auch richtig einordnen kannst. Ich spiele nur ab und zu, wenn ich zufällig bei uns im Dorf in die Trafik gehe, um mir eine Wochenzeitung zu kaufen. Jedoch nur dann, wenn ich vor dem Geschäftseingang einen Plakatständer sehe, auf den ein Zusatzzettel klebt und darauf mit Filzstiften der Vermerk angebracht wurde:

„Bei der nächsten Ziehung gewinnen sie neunundzwanzig Millionen!“ Oder weniger! Dann kaufe ich mir halt um ein paar Euro so ein EURO-Millionenlos.

Gewonnen habe ich insofern schon sehr oft, wenn ich kein Los gar nie gekauft habe.

Marianne, das war mir schnell bewusst geworden, ist eine geduldige Zuhörerin. So wie ich sie damals einschätzen durfte, hatte sie an dem Tag kaum einen Lacherfolg zu verbuchen gehabt. Da fiel mir plötzlich der andere von der Schaffnerin erzählte Witz wieder ein. In einem millisekundenlangen mundtoten Augenblick der redefreudigen, immer noch bestens gelaunten Tischrunde, schmetterte ich mit voller Lautstärke, selbstverständlich nur in der löblichen Absicht, meine Tischnachbarin aufheitern zu wollen, den mir ins Gedächtnis zurückgekehrten Blondinen Witz in die entgeisterten Gesichter.

„Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank?“

Minutenlange Stille des Nachdenkens trat ringsum ein. Auch die nebenansitzenden hartgesottenen Männer der Bauernschnapserrunde, zwei davon mit Hut bedeckt, damit die darunterliegende Glatze keinen Widerschein auf den Gegenspieler werfen konnte, nützten die willkommene Spielunterbrechung zum Schwindeln.

Das Mienenspiel von der blonden Marianne neben mir veränderte sich anschaulich – positiv – wie ich damals erkennen durfte. Ja, wie soll ich Dir das am besten begreiflich machen: Einfach so. Ihre Lachfalten traten deutlich hervor. Sie gewannen auf dem sonst glatt polierten, von Schönheitscremen gepflegten Gesicht eine bedrohliche Tiefe. Das eben noch Melancholische flog bis hinüber zur Theke, wo der Walter Winkelmeier inzwischen seine Ohren zu einem Außerirdischen zugespitzt haben musste. Weil er trat nämlich ungeduldig von einem Bein auf das andere, quetschte seine Oberschenkel zusammen, als ob ihm ein unaussprechliches Bedürfnis zu überrollen schien. Er wollte aber von unserem Witz nichts verpassen. Das Drängen auf die Pointe war die allgemeine logische Schlussfolgerung und die wurde vehement von mir verlangt.

Was soll ich sagen. Inzwischen waren sicherlich sechzig Sekunden oder gar schon eine Minute vergangen. Die Pointe schien mir irgendwie verloren gegangen zu sein. Um eben Zeit zu schinden, wiederholte ich die Frage noch einmal.

„Warum haben Blondinen keine Eiswürfel im Kühlschrank? Na ja, ist doch klar.“

Die Pointe war wie ein Blitzgewitter aus mir herausgesprudelt. „Sie haben das Rezept verloren!“

Marianne, obwohl blond, aber nicht naturblond, wie sie mir später im Vertrauen und zu meiner Bestätigung zugeflüstert hatte, lachte sich auch so was Ähnliches wie einen Holzfuß, diesmal aber mit Schanierln. Zumindest tat sie so, als wäre ihr einer angewachsen.

Die vier Bauernschnapser hingegen waren bitter enttäuscht. Sie erwarteten einen deftigeren, nicht so einen abgestandenen Ladenhüter aus der verstaubten hintersten Schublade von irgendeinem Otto.

Der Toni Kreiswagner, An- und Spielführer der Bauernschnapsergruppe, stotterte dann, wie schon allgemein befürchtet, auch einen Blondinen-Witz hervor. Die Pointierung desselben war so versalzen, dass beim Walter Winkelmeier, der gerade zur richtigen Zeit, offensichtlich wieder erleichtert, an die Theke zurückgekehrt war, seine blassgelbe Gesichtsfarbe auf Purpurrot gewechselt hatte.

Alles in allem war der Caféhausnachmittag ein lustiger. Für mich gab es sogar einen freudigen Zuwachs. Wir, also die Margot, die Anita Reisenhübner und ich, nahmen Marianne als Neuzugang in unserem Freundeskreis herzlich auf. Diese Art von Zeremonie wurde verständlicherweise auch entsprechend gefeiert.

Marianne sorgte dafür, dass ein frischaufgewärmter Topfenstrudel vom Vortag, von Walter Winkelmeier persönlich sowie mit besten Empfehlungen von seiner Frau Elisabeth aus der Küche, auf unseren Tisch serviert wurde. In aufmerksamer Reihenfolge wurde vom flinken Chefcafetier auch der vorletzte Schluck von meiner lauwarmen Lawuschibria entfernt und durch einen brühheißen Kaffee ersetzt. Ich vermute das geschah rein in der Absicht, die durchschnittlichen statischen Werte seiner Tageseinnahmen zu erhöhen und nicht wie Du vielleicht glaubst, aus reiner Höflichkeit.

Bei der Marianne konnte ich bald darauf keine Niedergeschlagenheit mehr aus ihrem Gesicht ablesen. Sie gab sich redselig und erzählte nur so drauflos. Wir haben dann erfahren, dass sie seit vielen Jahren im Tauernklinikum arbeitet. Was sie dort genau tut, das weiß ich allerdings nicht mehr.

Gemeinsam mit ihrem Mann Miloni wohnt sie sogar im selben Ort wie die Margot, nur rund vier Kilometer weiter talabwärts und dann gleich links hinauf, wo ein alleinstehenden Haus steht. Genau das Große, mit den hellgrünen Balkonen. So ein farbenverspieltes Bauwerk gibt’s dort ohnehin nur einmal. Und von dort ist es nur mehr zweihundert Meter geradeaus zu einem Mehrfamilienhaus einer Wohnbaugesellschaft. Und in diesem Haus im Hochparterre samt Balkon und Abstellraum wohnt das Ehepaar Marianne und Miloni. Angeblich würde man den Wohnblock schon von Weitem sehen, weil gleich daneben drei große weiße Birkenstämme die Schatten auf ihren Balkon werfen.

Miloni soll ein fleißiger Baggerfahrer bei einer ortsansässigen Baufirma sein. Er ist kein Alkoholiker. Das betonte sie klar und deutlich. Und rauchen tut er auch nicht. Er soll auch nicht in fremden Teichen angeln und schon gar nicht mit einer anderen Frau. Regelmäßig kommt er abends, meist müde und ausgehungert und von oben bis unten voller Dreck, bei der Wohnungstür herein. Im Grunde genommen, ein überdurchschnittlicher langweiliger Typus von einem Mann.

Miloni und Marianna haben zwei längst schon erwachsene Kinder und die haben auch ihre eigenen Familien. Die Tochter samt Ehemann sowie drei ihrer schulpflichtigen Kinder wohnen in Kroatien unweit vom Meer. Der Sohn lebt mit seiner zweiten Ehefrau in Wien, mittendrin in einem Häusermeer. Er ist Oberarzt im Allgemeinen Krankenhaus und zum Enkel aus seiner ersten Ehe fehle seit Langem der Kontakt.

In dem Moment, wo sie uns Dreien ihre Familiengeschichte in Kurzform erzählt hat, wäre sie beinahe wieder gekippt und in eine Grube der Melancholie gefallen. Zum Glück griff ich blitzschnell zur Kuchengabel, stocherte ein Stück Topfentorte hinauf, führte diese zu ihren Lippen und habe auf diese Art und Weise professionell Erste Hilfe geleistet. Marianne lächelte wieder.

Wahrscheinlich hatte sie in ihrem bisherigen Leben wenig zu lachen gehabt. Eine Gabel voller Topfen bewirkt in so einem Fall fast Wunder.

Stell Dir vor, sie ist zirka fünfzehn Jahre jünger als ich und beinahe gleich alt wie die Journalistin Doktor Anita Reisenhübner. So gesehen ist die Margot demnach die Jüngste von uns vier. Aber mit dem kinnladen- und mundwinkelherunterhängenden Gesicht von der Marianne, aus dem noch vernebelte, trübsinnige Augen herausschauen, da muss man doch etwas unternehmen. Meist in solchen Augenblicken trat wieder einmal mein chronisches Helfersyndrom voll in den Vordergrund.

Mir war es schon geraume Zeit bewusst. Dies freilich nur aus statistischen Überlegungen heraus. Ich glaube Du hast es natürlich auch bereits geahnt, dass so ähnliche Typen, wie die Marianne, die mit schräg nach unten gezogenen Mundwinkeln in der Gegend herumspazieren, gerademal ungeahnte Fähigkeiten besitzen. Sie sind sozusagen in der Lage, prophezeiende Erfolgsleitern im Schnellzugtempo emporzuklimmen. Anders ist es ja nicht ableitbar, warum solche Menschen, mit so einem Gesichtsausdruck hosenanzugtragende Bundeskanzlerinnen, nicht bei uns freilich, aber in anderen weniger entwickelten Ländern werden können.

Bei der Marianne ist das selbstverständlich ganz was anderes. Sie leidet fallweise unter der Miloni-Depression, die immer dann bei ihr auftritt, wenn ihre Gedanken einen Spaziergang durch das Vergangene wagen. Ich bin nahezu überzeugt, das wäre einer der Punkte, die man erkennen und wo man mit einer frisch aus der Reinigung kommenden Therapie den Hebel auf Turbo verschieben sollte.

Unsere gemeinsame Freundin Doktor Anita Reisenhübner ist nicht nur eine hervorragende freischaffende Journalistin und teilverantwortlich auch für die Bezirkszeitung, sie hatte sogar in den jungen Jahren einmal Pädagogik und Psychologie studiert. Danach hatte sie ihre Fähigkeiten als Lehrerin im Gymnasium in Mittersill unter Beweis gestellt. Und wie! Während unseres Gespräches hatte sie alleine die zündende Idee entwickelt, wie man der Marianne helfen wird können.

Ein klein wenig abgelenkt durch Mariannes Neuaufnahme in unserem Freundinnenkreis war ich schon. Das gebe ich freimütig zu. Ursprünglich hatte ich ja vor, mit meinem einigermaßen hochintelligenten, mühsamst eingeübten Vorrat von schöpferisch Wertvollen am Tratsch-Markt hier am Caféhaustisch aufzuwarten. Schöpferisch deshalb, weil ich selbst eine Methode entwickeln konnte, wie man Kaspressknödln aus einem Topf mit Suppe ohne das Tischtuch mit Fettflecken zu verunzieren, in das tiefe Teller schöpft.

Das ging erst, als jede und jeder vom Walter Winkelmeier mit Kaffee und Topfentorte sowie mit zwei oder drei Pizzas, versorgt gewesen waren. In dieser ruhigen Phase, denn beim Essen spricht man ja nicht, das haben wir alle schon sehr früh im Leben gelernt, da brach ich eines der zwölf Gebote des Schweigens. Und niemand hörte mir zu!

Da bin ich vollkommen bei Dir. Man kann sich in so einem verbal gelenkten Kunstwerk der Sinne nicht sofort zurechtfinden. Mir gelänge es ebenso nicht, wenn ich nicht vor Jahren einen Kurs besucht hätte. Eigentlich wäre es ein Seminar für Schweigsame gewesen. Leider nahmen zu viele Frauen daran teil. Kaum eine von ihnen war, im Gegensatz zu mir, für ein langanhaltendes Schweigen, so knapp unter fünf Minuten, durchtrainiert.

Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich Dir gleich verkünden werde, wer von den ganz Großen von Politik und Kultur an diesem Schweigeseminar teilgenommen hatte. Im Nachhinein war mir auch klar geworden, warum es vor Jahren einen Schweigekanzler bei uns in der Regierung gegeben hatte. Dieser Mann kommt angeblich jedes Jahr immer noch zu derartigen Exerzitien ins Haus der Unbarmherzigen. So eine Beinahedressur dauert ziemlich genau eine Woche. Danach hast Du bei gutem Wind und Regenwetter das Schweigen erlernt. Nur Freundschaften, was ich darunter verstehe, kann man in so einer Anstalt für Redefaule nicht knüpfen. Das wäre vergebliche Liebesmüh.

Du hast schon recht. In Wahrheit gibt es nur elf Gebote. Doch das Zwölfte wurde von Verfassungsexperten hinzugedichtet und soll quasi nur einen Versuch einfangen. Jenen Versuch nämlich, schweigen zu wollen und dem Nichtgelingen Fußfesseln anlegen zu dürfen. Dieses zwölfte Gebot wurde uns in dem Seminar von einigen weltabgewandten Klosterinsassen derart auf brutale Weise eingetrichtert, sodass einem die Lust und die Luft zum Reden schlussendlich vergangen sind.

Ich weiß auch nicht, welcher Teufl mich geritten hatte, so ein Seminar zu besuchen, wo ich doch ein leut- und redseliger Typ bin. Ich mache immer noch gerne meinen Schnabel auf, auch wenn nichts Gescheites dabei rauskommt.

Zugegeben, die Billa-Reisen-Angebote waren einst ein Schnäppchen gewesen. Den seinerzeit gewonnenen geistigen Wertzuwachs habe ich längst in das Regal der schweigsamen Vergangenheit eingeordnet.

Und das war´s. Weil ich bin ja nicht zum Kaffeetratsch gekommen, nur um so dazusitzen und zu schweigen. Nein! Ich hatte ja Grund zum Feiern. Keinen Nichtgeburtstag. Schon etwas Anständiges. Nicht einmal Dir habe ich es erzählt, obwohl ich Dich nie von Neuigkeiten ausschließen würde. Schon gar nicht bei einer epochalen Entscheidung.

Auch für meine Freundinnen wird es eine Überraschung werden, darauf kannst Du einen Schluck aus meinem Kaffee riskieren.

Also pass obacht! Anfangs Mai ist es gewesen. Schuld war wieder einmal so ein Werbeprospekt und der neue Busfahrplan. Na ja, ich wollte mobiler werden. Jedenfalls für ultrakurze Strecken, wie zum Beispiel in unserem zirka fünfhundert Meter weit entfernt gelegenen dorfeigenen Supermarkt.

Immer mit dem Bus oder mit der Bahn fahren geht schon aus organisatorischen Gründen nicht. Zum einen gibt es für den Bus in der Nähe meiner Wohnung gar keine Haltestelle nicht und Schienen, die für den Eisenbahnbetrieb unumgänglich sein sollen, schon gar nicht.

Dann kam eines Tages eben ein Werbeprospekt. Günstig. Das Wort stand ganz groß vorne drauf! Alles, was auf dem doppelseitigen Plakat abgedruckt gewesen war, war um fünfzig Prozent verbilligt. Schuhe, Socken, Jacken, Mützen und Fahrräder. Toll! Schuhe, Socken, Jacken oder Mützen wollte ich nicht. Aber ein Fahrrad schon. Das Elektrische auf dem Plakat sollte es sein. Das hat mir auf Anhieb gefallen. Als besonders Zuckerl wurde die Zustellung frei Haus angepriesen!

Ich bestellte mir also das supermoderne E-Bike mit zwölf Gängen, zwei Notbremsen und einer Klingel. Was sage ich! Obendrein als Geschenk gab es noch eine Batterie samt Ladekabeln, speziell isolierte Handgriffe in Rot oder Schwarz sowie eine Fahranleitung in zwölf Sprachen. Das alles zusammen zum einmaligen Sonderpreis von zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro.

Na ja, jetzt solltest Du Dir bitte einmal mit Deiner inneren Ruhe das Gesicht von der Margot vorstellen, als ich ihr von dem einmaligen Schnäppchen berichtet habe. Ich spare sage und schreibe bei dem Kauf von dem E-Bike zweitausendeinhundertneunundfünfzig Euro. Bitte, wenn das kein Schnäppchen sein soll, was dann. Wenn ich zum Beispiel nur eine Doppelpackung Socken um acht Euro sechsundzwanzig Cent gekauft hätte, wäre der Gewinn viel geringer gewesen. So habe ich, davon war ich anfangs auch fest überzeugt, das Geschäft meines Lebens gemacht.

Die Margot war ja gar nicht neidisch, als sie meinen tollen weißen fahrbaren Untersatz mit den roten Zierstreifen und einem extra breiten Sattel für meinen - na Du weißt schon für was - aus der Nähe betrachten durfte. Ich habe mir extra rote Isoliergriffe ausgesucht. Geliefert wurden mir aber Schwarze. Egal.

Margot meinte, dass sie schon längere Zeit von einem E-Bike träume. Aber die Bestellfrist auf dem Werbepapier war leider bereits abgelaufen.

Margot hatte beim Anblick meines wunderschönen Fahrrades, wie man so schön sagt, Feuer gefangen. Nichtsdestotrotz fuhr sie gleich am nächsten Tag mit ihrem Auto nach Schüttdorf. Bei dem dort ansässigen hochkatholischen Fahrradhändler kaufte sie, rein zufällig, verstehst Du, akkurat dasselbe Modell, wie ich es schon bei mir im Fahrradraum stehen hatte. Bloß in den Farben Gelb und Grau. Allerdings um einen völlig anderen Preis. Der Händler gewährte ihr nämlich einen Sonderrabatt von nur zwanzig Prozent. Dies deshalb, weil es ein Vorjahresmodell gewesen war. Sie bezahlte bar.

Eigentlich war der Handel das Niederträchtigste an der Geschichte. Denn die Gesamtsumme bei ihrer Rechnung betrug nur tausendsechshundertneunundzwanzig Euro. Und ein Betrug war es obendrein. Die Batterie samt Ladekabel war auch dabei.

Gekauft ist gekauft! Was soll´s. Der nette Zusteller hat sich für mich Zeit genommen und hat mich obendrein mit dem vorne am Lenker montierten riesigen Display vertraut gemacht. Wochen später hatte ich fast alles wieder vergessen gehabt.

Margot und ich wollten eigentlich gemeinsame Radausflüge unternehmen, was leider wegen Terminprobleme beiderseits nicht möglich gewesen war. Bitteschön, das war eine hilfreiche Ausrede.

Doch hier im Caféhaus hatte ich großspurig verkündet, dass ich mit meinem Elektro-Fahrrad bereits die einhundert Kilometer Grenze geringfügig - aber doch - überschritten habe. Hochgerechnet dürfte ich sozusagen mindestens fünfzigmal von der Wohnung zum Einkaufen und zurück geradelt sein. Das ist in meinen Augen zumindest ein Erfolg.

Erstaunt war ich, als Marianne, wie heißt sie noch? Grillsingerwitsch. Genau! Zu mir gesagt hatte, sie habe auch eins. Anita Reisenhübner folgte dem allgemeinen Chorgesang und erklärte feierlich, sie besitze so ein E-Bike schon über zwei Jahre lang. Was war nun die logische Konsequenz? Das kannst Du Dir nicht einmal in Deinen schönsten Träumen ausmalen.

Gut! Zwei Wochen später, aber noch im August:

Meine Damen und Herren. Du erkennst wahrscheinlich in diesem Moment bereits die feierliche Formulierung meinerseits. Wenn ich einmal so überspitzt einleiten muss, dann wird unweigerlich der Ernst neben mir großgeschrieben.

An dieser Stelle und überhaupt muss ich in meiner Erzählung einen langgezogenen Querstrich anbringen, weil ab sofort übernahmen völlig andere Kräfte meinen Tagesablauf. Die überschlagen sich nämlich, die Kräfte, und dabei treten sie mir ganz schön in die Pedale. Ein hartes E-Bike-Training hätte ich machen sollen. Und eine Einschulung obendrein.

Wer die vielen Tauerntäler kennt, der weiß, über was ich hier erzähle. Es gibt neben den berühmten großen, auch einige wenige, dafür kleine, vom Fremdenverkehr unberührte Täler. Diese könnte man ohne Weiteres mit gebirgstauglichen Fahrrädern erobern. So steht es jedenfalls in den von der Region aufgelegten Prospekten für Mountainbiker. Und genauso ein hirnverbranntes Unternehmen haben wir vier uns im Caféhaus ausgeschnapst.

Auf der recht übersichtlich gestalteten Radwanderkarte, die ich vor mir in der Küche schon zum wiederholten Male ausgebreitet hatte, konnte ich ja nichts Besonderes entdecken. Zumindest am Papier - ein flaches rot markiertes Terrain. – Aus!

Die Anita Reisenhübner war schon öfters beruflich, aber auch privat mit ihrem Mann auf dieser Alm. Nette Wirtsleute bewirtschaften sie. Es werden schmackhafte Jausen angeboten, jedoch das Überdrüber soll aber der weithin verbreitete, mir aber bislang unbekannte Kaiserschmarrn sein. Ist nur ein Scherzerl!

Anita Reisenhübner zeigte mir, der Margot und auch der Marianne, damals schon im Caféhaus auf ihrem Handy die Fotos von der Almhütte, mit den rundum grünen Wiesen und dem obligaten Hausbrunnen. Aus einer wildgeschnitzten Brunnenfigur fließt dort das Quellwasser gemäßigt in den darunter befindlichen Holztrog.

In meiner Einfältigkeit, um ja nicht als außenstehender Feigling bei meinen Freundinnen zu gelten, war ich gleich zu Beginn der Diskussion Feuer und Flamme. Mit diesem vorgespielten Enthusiasmus, den ich auf der Bühne meiner Gedanken spitzbübisch sofort auszubreiten versuchte, zog ich dann sämtliche Register meiner Leidenschaft und auch den Schwarzen Peter, wie sich später herausstellen sollte.

Der Treffpunkt für unseren abenteuerlichen Ausflug war schnell ausgemacht. Das Wetter schien perfekt zu werden. Die Batterie meines Fahrrades wurde am Vortag an die Ladestation angedockt. Meine Notfallpackungen, wie Wasser und Braunschweiger, verstaute ich in die linke Satteltasche. In der rechten befand sich bereits ein kleiner Regenschirm und für alle Fälle zwei Meter Hansaplast. Man weiß ja nie, was einem auf der Fahrt wo möglich alles passieren wird.

Somit begann das Schicksalhafte seinen Lauf. Allerdings auf zwei Rädern versteht sich. Zumindest bei mir! Die Hinfahrt war ja ein Klacks und eine Schonung meiner Muskulatur. Weißt du, mit der Pinzgauer Bahn werden auch Fahrräder befördert. Ja, freilich auch die E-Bikes. Das hast du nicht gewusst? Ich sage Dir, das war schon einmal ein guter Einfall meinerseits.

Aus leicht verständlichen Gründen gibt es bei der Pinzgau Bahn mehrere Haltstellen. Aber nur eine war in diesem Fall für uns die Richtige. Niederscherzl-Siedlung. Mein Gott, jetzt hätte ich beinahe ganz vergessen: Die Margot und die Marianne fuhren ja auch mit dem Zug mit. Nur die Anita Reisenhübner war komplett sportfanatisch und radelte von Mittersill bis zur Haltestelle Niederscherzl-Siedlung.

Von dort weg i-beikte dann das energiegebündelte Vierfache bis zum Taleingang. Auf einem der gelben Wegweiser standen bei der Weggabelung gleich zwei Namen drauf. Zwar in einer kleinen Schrift, aber immerhin gut lesbar. Zum Hochscherz und Niederscherz, daneben war auch die Wegnummer vermerkt. Diese Zahl, mit den drei Buchstaben dahinter, habe ich mir nicht gemerkt. Unterhalb auf einer zweiten gelben Tafel stand „Zur Zwischenscherzerlalm - Gehzeit Eineinhalbstunden“.

Aber mia sand jo mitn Radl do!

Stell Dir vor, ich habe mir sagen lassen, dass die Einheimischen, vor allem die Zwischenscherzerlalm Bewohner, die zwei Bergkuppen, weil mehr sind ja doch nicht, „Des große und des kloane Scherzerl“ hoassn.

Ich sag’s jetzt gleich, bevor ich es vergesse. Ein Scherzerl sind die allemal. Kein Vergleich mit dem Großglockner oder dem Hundsstoa. Nicht einmal aufeinandergestellt und zusammengerechnet bringen die Zwei die Höhenmeter vom Hundsstoa.

Es ist wirklich schon lang her, vielleicht zwölf Jahre, da war ich am Hundsstoa oben. Von dort oben sieht man jede Menge Berggipfel. Wenn man scharf nach links hinüber schaut, nicht hinauf und nicht hinunter - nur hinüber – und wenn man so steht, wie zum Beispiel ich jetzt, siehst Du auch den Großglockner. Freilich war ich noch niemals nie auf diesem hohen Berg oben. Aber wie schon gesagt, am Hundsstoa schon. Der hat zurecht seinen Namen. Des is a Hund, der Stoa.

Aber trotz alledem unvergleichbar mit dem kloanen Scherzerl. Also darf ich noch einmal kurz rekapitulieren oder wie das heißt. Die Margot und die Marianne fahren voraus. Ist auch gut so. Sie kennen sich aus. Ich hinten nach und die Anita Reisenhübner macht die Schlussfrau.

So haben wir uns das vorgestellt und uns auch das so gegenseitig eingebläut. Doch die zwei Vorderen dürften an diesem wunderschönen Tag eine komplett andere Philosophie der Radfahrkunst mit den elektrischen Hilfsmotoren antrainiert gehabt haben. Denn die düsten ganz narrisch vorne weg, als hätten sie Zwiebeln und nicht Elektrizität getankt. Derweil ging es schon grad a weng bergauf.

Die Anita Reisenhübner hinter mir übte sich mit eiserner Geduld. Sie kam näher, dann wieder nicht und so ging das in etwa die ersten siebenundzwanzig Meter bergauf fort. Und zwar bis zu der ersten Kehre. Außerdem gab es ohnehin nur die eine. Aber das wusste ich ja in diesem Moment nicht. Der Anstieg schien mir mit der Großglockner Hochalpenstraße schon vergleichbar zu sein.

Und dann passierte das Unerwartende. Plötzlich schoss die Anita Reisenhübner von hinten wie ein wild gewordener Granatapfel bei mir vorbei. Sie überholte mich mit einem Zahn, sag ich Dir. Danach schnitt sie mir einfach den Weg ab, bremste und blieb stehen. Das weiß ich noch genau: Mit dem linken Fuß stand sie am linken Pedal und mit dem rechten am Schotterweg. Dann drehte sie sich zu mir um und ersuchte mich, mit einer über Gebühr höflichen, ruhigen, eher bereits besinnlichen Sprachmelodie, aber in Befehlston: „Schani - bleib´ stehen!“

Gut, mir war das ehe recht, weil die Zwei vor uns habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

Anita Reisenhübner war jetzt ganz die Journalistin und wollte partout der Geschichte auf den Grund gehen, warum ich kaum von der Stelle kam. Sie fragte mich über alles Mögliche aus. Ob ich gefrühstückt und ausreichend getrunken habe. Ob ich vielleicht gar meine Blutdrucktabletten vergessen habe hinunterzuschlucken und ob ich vielleicht, was ja möglich gewesen wäre, im Moment ein Blasenhochdruckgefühl mein Weiterkommen stören würde. Du siehst, eine echte Freundin halt.

Doch dann kamen die technischen Fragen. Zum Beispiel, warum ich samt meiner eingebauten Stromversorgung so langsam dahinfahre und kollabierend gefährliche Atmungsübungen mache. Außerdem, und das war das Gemeine ihrer Ausfratschlerei, ob ich noch unter meinem roten Schirmhelm dicht sei.

Beide sind wir dann abgestiegen, nicht in die Hölle, nein jeder vom Rad. Und da kam plötzlich das Wort i-beik aus dem Mund meiner Freundin. (Zuhause habe ich dann nachgelesen i-beik sagt man und E-Bike schreibt man.) Nur zur Information, die kein Französisch nicht können.

Offenbar war ich auch nicht im Bilde und kam ganz und gar nicht mit dem technischen Firlefanz zurecht. Ich sah es ja selbst ein. Ja freilich, die Einsicht gehört halt auch dazu, sogar auf diesem Almweg. Diese intensive Nachschulung von Anita Reisenhübner mitten in der ersten Kehre, eine Zweite gab es ohnehin nicht, da ging bei mir der Knopf des Kapierens erst so richtig auf. In Wirklichkeit war es eine ganze Reihe von Knöpfen.

Was glaubst Du, wie herrlich so ein E-Bike ist, wenn man weiß, dass es einen Einschaltknopf mit acht verschiedenen Hilfeknöpfen gibt. Und dem nicht genug, das Zahnrad unten, zwischen meinen Füssen meine ich, das kann auch noch zusätzlich mit zwei Knöpfen beschaltet werden. Bei der Margot und bei der Anita Reisenhübner waren es vier.

Also pass obacht! Ich meine nur, dass Du das auch kapierst, wenn Du einmal einen Ausflug mit einem E-Bike zum Niederscherzl machen solltest. Auf der Ebene brauchst Du eh kaum einen Strom nicht. Aber wenn´s bergauf geht, sowie auf die Zwischenscherzerlalm, dann brauchst Du Dich gar nicht mehr so zu Tode abstrampeln, wie ich es anfangs probiert habe. Dann musst Du lediglich das Zahnrad unter Deinen Füssen auf Unschärfe schalten und den Einschaltknopf oben in der Mitte von der Lenkstange, genau den Schwarzen für den Motor auf Tour oder Sport einstellen. Das kann man alles ohne Augengläser am großen Display nachlesen und noch viel mehr. Auch zum Beispiel, ob es regnet oder saukalt ist. Und ab geht die Post.

Mein Fahrrad war ja neuwertig. Das heißt, eigentlich war es nigelnagelneu. Das Rad von der Anita Reisenhübner war schon zwei Jahre älter als meines. Sie hatte keinen zusätzlichen Sporthebelknopf und auch keine Temperaturmessanlage integriert. Was tat also ich Schlauberger? Genau! Sporthebelknopf einschalten!! Mein lieber Spitz, ein Düsenjet wäre in dem Fall ein mieser Armleuchter gewesen. Ich fuhr den steilen Bergweg hinauf und musste mich überhaupt nicht abplagen dabei. Es hatte auch kaum eine halbe Stunde gedauert, nach dem Display vorne drauf, ziemlich genau fünfunddreißig Minuten. Dann sah ich plötzlich die Margot und die Marianne vor mir gar nicht locker lässig dahinradeln. Mein Gott haben die Zwei die Pedale massakriert und ihre armen Fahrräder geschunden, obgleich hier nur ein saumäßig brutaler steiniger Anstieg zu bewältigen gewesen war.

Unser gemeinsames Ziel waren nicht die zwei vor uns schon erkennbaren felsigen Spitzen von Hochscherz und Niederscherz, sondern die am Talboden zwischen den zwei Scherzerln eingebettete Zwischenscherzerlalm.

Jo mia sand hoit mitn Radl do! So hätte ich ja singen können, wenn mir dieses Lied in der Geschwindigkeit eingefallen wäre. Aber nichts da.

Das Abenteuer ist dann auch noch verhältnismäßig gut ausgegangen. Ich konnte meinen Ehrgeiz und auch meinem Fahrrad einfach nicht mehr Einhalt gebieten. Also trat ich ebenso verrückt, wie die Zwei vor mir, in die Pedale. Meine inzwischen athletisch angeschwollenen Tretwerkzeuge wurden ja mit dem Sporthebelknopf bestens entlastet. Mit einer Leichtigkeit, eng mit einem Karacho verwandt, überholte ich die zwei Schnaufenden auf dem holprigen Almweg wie nichts. Als Erste, verstehst Du meinen Stolz, als Erste betone ich nochmals, fuhr ich durch den vergatterten Zieleinlauf direkt auf den Brunnen mit der wildgeschnitzten Brunnenfigur zu. Aus dem Maul dieser Wurzelgestalt floss unentwegt frisches kaltes Quellwasser heraus.

Das kam nämlich so:

Mir wurde hinterher erst bewusst, dass ich nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich, mein E-Bike zumindest für Notfälle auch zwei Bremshebel, nämlich einen vorne links und einen vorne rechts besitzt. Beim alten Rad hatte ich einen Rücktritt. Beim Elektrischen kannst Du zurücktreten, wie eine Irre, und du wirst Dich überraschen lassen müssen, wo ein geeigneter Landeplatz sein wird. Und der war mit meiner Geschwindigkeit sofort zugegen. Genau, der Brunntrog.

Doch irgendwie und irgendwas ist da saublöd gelaufen. Ich hatte nämlich kein Reservegewand bei mir. Das ungewaschene stallerprobte T-Shirt vom Alm-Öhi, das ich danach anziehen musste, um eine Unterkühlung vorzubeugen, verbreitete eine ungewohnte Duftnote, die zu Chanel neunzehndreiviertel relativ naheverwandt gewesen sein dürfte.

Bei mir ist das ganz was anderes. Wenn ich schon die Gelegenheit habe, einmal mit der allgemein bekannten Landluft in Berührung zu kommen, dann lasse ich freilich sämtliche zur Verfügung stehende Düfte auf mich einwirken.

Ich weiß es eh, saublöd war das. Nicht einmal in der rechten Satteltasche hatte ich ein Erfrischungstuch oder so was Ähnliches zum Aufheitern eingepackt. Deine Frage ist ja berechtigt. Was soll man auf einer Alm, noch dazu mit einem E-Bike und mit einem kleinen Regenschirm anfangen? Wenngleich ich ohnehin – zumindest oberkörpermäßig betrachtet - bereits eine Tropffigur geworden bin. Aber das Quellwasser war trost- und kraftspendend. Einen Durst hatte ich ja obendrein. Da habe ich mir gedacht, wenn ich schon mal halb im Brunnen drinnen liege und halb draußen auf dem mit Steinen gepflasterten Boden stehe, dann nützte ich freilich die Gelegenheit und tu halt so, als ob das ganz normal ist, was ich hier veranstaltet hatte. Ich wollte für die spärlich vorhandene Öffentlichkeit nur das herrliche Quellwasser trinken.

Wenn ich Dir so nebenbei einen guten Rat geben darf. Setze immer einen Helm auf. Der beschützt Dich und Deine Frisur immens, auch wenn Du nicht bei jedem Radausflug kopfüber in einen Brunnen fallen solltest.

Außerdem ist so eine Schädelschutzvorrichtung auch als Trinkgefäß zu gebrauchen, was in meinem Fall nicht mehr notwendig gewesen war.

Das wirklich Schlimme, zumindest für meinen Geldbeutel, kommt ja noch. Wir vier behelmten, dem Oldtimeralter sehr nahegekommenen Mädels haben vor unserer Abfahrt bei der Haltestelle Niederscherzl-Siedlung ausgemacht, dass diejenige, die als Erste am Brunnen vor der Almhütte ankommt, die Pfanne mit dem Kaiserschmarrn bezahlen wird müssen. Ein besseres beweisbares Ankommen hätte es aus meiner Sicht gar nicht geben können. Auch die Jurymitglieder waren letztlich überzeugt, dass nur ich die alleinige Siegerin am Brunntrog bei der Zwischenscherzerlalm sein kann.

Die Abmachung war selbstverständlich ein totaler Schmarrn, weil Bankomatkarten wurden auf der Zwischenscherzerlalm nicht als Zahlungsmittel anerkannt. Eine Stundung kam nicht infrage, weil es zum einen auch keine Registrierkasse nicht gegeben hatte und zum anderen wollte ich einen Tag darauf nicht noch einmal so einen Almradlerwandertag zum Brunntrog der Erkenntnisse unternehmen.

Die Rechnung insgesamt übernahm dann vorläufig für mich Anita Reisenhübner. Die war es ja dann auch, die mit ihrem Handy die schönen Fotos gemacht und diese dann ins Facebook gestellt hatte. Ich präsentierte mich ohne Helm, dafür mit einem stalltauglichen T-Shirt vom großväterlichen Kuhtreiber, mit der Aufschrift Pinzgauer-Milch. Nicht der Schweiß, sondern das Brunnenwasser, tropfte mir vom Gesicht und überhaupt meine Frisur war frischgewaschen. Klaro - ohne Lockenwinkler!

Schau hinein, wenn´s Dich interessiert. Schlagzeile – Schani im Brunnen der Zwischenscherzerlalm sicher gelandet!

Später daheim habe ich nachgedacht, warum eigentlich die Alm Zwischenscherzerlalm heißt. Sicherlich wegen der zwei Zwergfelsen, die vermutlich ursprünglich steinerne Findlinge gewesen sind. Wahrscheinlich stammen die Zwei aus der längst vergangenen Eiszeit. Dann sind sie irgendwie von oben heruntergekugelt und dann links und rechts am Talboden einfach so liegengeblieben. So könnte es gewesen sein.

Aber vielleicht auch deshalb, weil der saublöde Brunnen zwischen dem Gatter und der Almhütte, geradlinig mitten im Einzugsgebiet, saumäßig ungünstig platziert worden war. Möglicherweise hatten die Erbauer sogar mit dem niederträchtigen, ja hinterfotzigen Gedanken gespielt, dass so manche Gäste es ohnehin nötig hätten, sich nach einem bekannten fernöstlichen Ritus, einer gewissenhaften körperlichen Reinigung zu unterwerfen.

Selbstverständlich ist dieses touristische Angebot, das im Rahmen der Nationalparkförderung betrieben wird, ausnahmslos freiwillig und kostengünstig. Vor allem soll dieses kulturelle Sonderprojekt noch vor dem Genuss der kulinarischen Köstlichkeit eines wohlriechenden Kaiserschmarrns vollzogen werden.

Und anstatt der Preiselbeermarmeladen-Zugabe wird letztlich als Draufgabe das kleine Anekdoten-Scherzerl über mich, nämlich die Erfrischung mit dem Brunnenwasser, recht zur Freude der Hüttenwirte und ihrer Gäste, und zwar seit dem Ereignis, mehrmals in der Woche vazöht.

Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser

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