Читать книгу Zwischen Heinrich und Jeanniene - Wilhelm Kastberger - Страница 4

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Eins

Mit Fug und Recht kann man getrost gleich eingangs behaupten, dass es weltweit nur eine geringe Anzahl von hochqualifizierten Talenten gibt. Beispielsweise solche, die selbstverständlich in der Lage sind, ein Blütengartenmeer in herausragenden Qualitäten zu fertigen, welche dann in der Folge als kultiviertes Pflanzengut im globalen Warenhandel Beachtung finden.

Das dabei bislang entstandene Mischverhältnis, nämlich zwischen den vorwärtsdrängenden Geschäftstüchtigen und den fortwährend nach rückwärtsstoßenden, ausgefuchsten Schlitzohren, ist dementsprechend beachtlich. In dem dabei nicht zu übersehenden Zwischenraum werden die Machenschaften obendrein vermutlich von korrupten Regierungen auch noch gutgeheißen und nicht nur das.

Objektiverweise sollte hier mit einer weitum vernehmbaren Deutlichkeit angemerkt werden, dass nach wie vor auch andere gebietende Obrigkeiten ihre Klauen aus den dunklen Geschäften nicht gänzlich herausgenommen haben.

Viele davon haben, nach dem sie sich allesamt noch persönlich ordentlich bereicherten, sich rasch aus dem Dunstkreis der Dunkelheit zurückgezogen. Zeitgleich sind sie als Aufrechte ins rettende Licht getreten. Irgendwann später haben sich die noch übriggebliebenen Hintennachläufer, mithilfe ihrer Rechtsverdreher, von jeglichen ihnen angedichteten Stümpereien in der Öffentlichkeit distanziert.

Nun gut, aber wer bitteschön soll das glauben?

Zu den Blütengangstern ohne Sti(e)l gehören vermutlich auch jene Gottsoberen dazu, die weltweit riesige Veranstaltungen für Mann- und Frauenschaften, nicht nur aus dem Elferclub, ausrichten lassen. Dafür werden alle paar Jahre von Staatengemeinschaften milliardenschwere Monsterbauten errichtet, die am Ende kein Schwein mehr braucht. Derartige Beweise liefern sich ständig selbst auf direktem Weg ans Messer, ohne dem wuchernden Aufblühen auch nur geringsten Schaden zuzufügen. Zumindest sinngemäß.

Um diese Untaten zu erkennen, muss man gar kein geografisches Wunderkind sein. Hierzu genügen alleine schon die Kenntnisse von gepantschten, als vorurteilslose Berichterstattung angepriesenen, jedoch ohne vermerktes Ablaufdatum verkauften Journalistenwaren. Zur sprichwörtlichen Regel gesellt sich wieder einmal gerne die Ausnahme. Und die ist in dieser Geschichte auch in der Person von Marko Julius Koberholzinger präsent.

Die Leserinnen und Leser kennen ihn ganz bestimmt unter dem Kürzel MJK. Er ist ja der europaweit bekannteste Wochenendbeilagenjournalist der Gegenwart. Wer hat noch nicht seine Reportagen über Die Verkümmerung der Lachmuskulatur beim Aufkommen von Traurigkeit gelesen und sich darüber geärgert oder eben halt auch gefreut? Na sehen sie! Jede Menge Erinnerungen tauchen plötzlich an ihrem geistigen Horizont auf.

Dank diesem Mann wird man so nach und nach auf etliche, bislang im Verborgenen gehaltene Schmankerln erinnert werden.

Nun zurück zu den Blütengangstern ohne Sti(e)l. Wie jedem bekannt ist und doch keiner Genaues weiß, sind diese Menschen in einem Dachverband zusammengepfercht. Sie repräsentieren sich selbst in einem siebenunddreißig Stockwerke hohen Glaspalast und sind dort tagtäglich mit dem Zählen ihrer korrupten Schmieraschen beschäftigt.

Diese aalglatten Silberstreifenanzugträger haben solange keine Sorgen, bis die Elferclubs ihr schweißnasses Handtuch nehmen und nicht mehr vorwärts, sondern rückwärts rennen werden. Dann wird es allerdings Ärger geben und vielleicht einmal den keinesfalls Friedliebenden Idolen Fraktaler Artisten an den Kragen gehen. Dabei soll schon eine silbergestreifte Schweizer Zwergziege, die auf den Namen Fifa gedrillt ist, wenn man den Zeitungen Glauben schenken darf, bereits ihren Höhenflug beendet und über Klippen gestolpert sein.

Was immer diese Metapher auch bedeuten mag.

Sämtliche Medien berichten davon schon seit Langem. Allerdings mit einer völlig anderen Sprache. Was wiederum nicht bedeuten kann, dass die Presseleute im Allgemeinen nur die Wahrheit und sonst nichts als die Wahrheit verkünden. Das bestimmt nicht. Sonst käme wohl die Landschaft der Guten Meinung, die der Großteil der Bevölkerung, bei uns zumindest, wie ihren eigenen Garten betreuen, arg in Verruf. Das wäre auch nicht im Sinne von einem bürgerlichen Gemeinschaftsleben.

Mit Blüten kann man die unterschiedlichsten Geschäfte einfädeln. In Holland zum Beispiel, im Land der Tulpen, herrschen ganz gewiss andere Interessen vor, als in Süditalien oder in den USA. Ganz zu schweigen von jenen in den osteuropäischen Staaten.

Alle wissen es. Überall auf der Welt finden immer wieder Gerichtsverfahren sowie auch parallel dazu parlamentarische Untersuchungsausschüsse statt. Diese Einrichtungen haben in der Regel nur eine Aufgabe. Sie müssen sich mit den korrupten Finanzgebarungen auseinandersetzen. Und dabei geht es des Öfteren um Blüten. Das bedeutet insgesamt aber für Gutbürger Schwerstarbeit, weil die Sachverhalte der Anklage oftmals schon Jahrzehnte zurückliegen.

Zeugen, aber auch Verdächtige sind mittlerweile oft schon tiefergraut oder von Krankheiten gezeichnet oder gar verstorben.

Was bitte kann so ein Verfahren noch an den Tag bringen? Ausgenommen verzweifelte Gesichter und die sieht man dann meist in den vordersten Rängen sitzen.

Vielleicht bringt doch einmal so ein Tribunal etwas Greifbares zusammen. Jedenfalls werden Unbeteiligte die Ausdehnung der weithin schon sehr überstrapazierten Unschuldsvermutung zu spüren bekommen. Und die sitzt ja bekanntlich nicht auf den vordersten Stühlen, sondern die wird immer erst am Schluss aus Mangel an Beweisen in den Raum der Gerechtigkeit hereingeführt.

Andererseits werden derartige Wortgefechte vermutlich kaum Aussagekräftiges bereithalten können. Höchstens vielleicht eine mehr als entbehrliche abgestandene heiße Luft, die sich quälend aus den Verhandlungssälen herauszudrängen gestattet.

Ja gut, um es nicht zu vergessen:

In verschiedenen Tageszeitungen tauchen dann eventuell noch zwei oder drei Seiten, hauptsächlich mit riesigen Fotos von hochdotierten Bankern und ebensolchen Politikern auf. Vielleicht als Ergänzung der Berichterstattungen werden einige wenige Kurz-Meldungen in den Nachrichtensendungen gebracht, wo neben den nichtssagenden Damen und Herren, auch Dokumente mit geschwärzten und dadurch gänzlich unverwertbaren Textpassagen einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden sollten. Den Pisa-Studien aber zufolge, können ohnehin die Mehrheit der Schulabgänger nicht sinngreifend lesen. Bitteschön Schulabgänger waren sie alle einmal, auch jene, die sich am Podium anmaßen, zu urteilen.

Sollten jemals Meinungsforscher oder Psychoanalytiker, akkurat zu dieser Sendezeit derartiger Nachrichtenübermittlungen irgendwo vor Ort sein, wo sich überdies kleine Menschenansammlungen eingefunden haben, um den gezeigten Blödsinn zu beobachten, dann, ja dann könnten diese Experten ihren Forschungstrieb endlich freien Lauf lassen.

Letztlich wäre es gar nicht verwunderlich, wenn die bislang nichtvergebenen und veröffentlichten Studien, statistisch mathematische Sensationen hervorbringen würden. Man sollte sich gewissermaßen das Vorwegergebnis auf der sprichwörtlichen Zunge zergehen lassen: Nach derartigen inhaltslosen Fernsehbeiträgen dürften hochgerechnet zweiundsiebzig Komma drei Prozent der Bevölkerung in unserem Lande zehn Minuten lang ein plötzlich aufgetretenes Kopfschütteltrauma selbst behandelt haben.

Der bedeutungslose Rest wurde zulasten der Allgemeinen Kranken- und Unfallversicherungen im Muster der Gerechtigkeit aufgeteilt.

Und für alle die es noch nicht wissen: Die seitenweise Schwarzmarkierungen haben mit einer politischen Partei, die sich selbst aus unerklärlichen Gründen als schwarz angemalt bezeichnet, nur selten was gemein. Im Gegenteil, die Markierungen sind nahezu ausschließlich Teilergebnisse von der vorhin erwähnten Unschuldsvermutung, die sich nur gemeinsam mit ihrem nadelgestreiften Advokaten Datenschutz vor das Podium zu treten getraut.

Genauso gut könnten Schriftstücke mit anderen Farben wie zum Beispiel Rot oder Grün, um nicht das Himmelblau zu vergessen, markiert geworden sein. Dann würde man wenigsten die Verursacher in den engeren Kreis der Verdächtigen rücken können. Aber so ist halt Schwarz die allgemeingültige Zudeckfarbe schlechthin.

Wem diese Berichterstattungen in den Medien nicht gefallen, dem sei es ja unbenommen, den AUS-Knopf am wohnungsinternen Plasma zu wählen.

Niemand hat mich je dazu genötigt oder gar auf andere Weise bedrängt, mich in so ein endlos erscheinendes Abenteuer, mit jeder Menge Durch- und Umbrüchen, hineinzuzwängen. Im Nachhinein betrachtet wäre es wahrscheinlich für mich besser gewesen, wenn ich mich gleich zu Beginn gesträubt hätte, diese Aufgabe zu übernehmen. Das hirnvernebelte Übel konnte ich damals nicht einmal im Sommer erahnen.

Schau ’n sie, Brückenbauerin wollte ich immer schon eine sein. Nun gab man mir dieser Tage die Gelegenheit dazu, sogar mehrere solcher episodischen Übergänge mitzugestalten. Ich gebe es ja freiwillig und offenherzig zu! Ich habe einige dieser literarischen Kunstwerke nur auf brüchigen Fundamenten aufzusetzen gewagt. Hier bitte ich schon im Voraus um Nachsicht, sollte später einmal eine Einsturzgefahr bestehen.

Diese Experimente, wie ich sie betitele, sind nicht so einfach auf die Füße zu stellen, wie man verschiedentlich der Ansicht mag. Ich gebe nur zu bedenken, welche geistreichen, nicht einschätzbaren, aber überraschend auftretenden Sprungfedern scheinbar am Romancier anhaften, die einem ganz schön schnell aus dem Konzept werfen können.

Jedenfalls sind solche Brückenkonstrukte eine Herausforderung, der ich mich anfangs nicht ganz freiwillig, aber dann wegen meiner eigenen Überredungskraft doch gestellt habe.

Persönlich würde ich den Architekten, der diese Erzählungen skizzenhaft entworfen hatte, im Moment auch gar nicht kennenlernen wollen. Weil ich glaube, dass ich mich so viel freier mit meinen Worten bewegen kann, als in der Umgebung einer auf mich laufend herunterprasselnden destruktiven Aburteilung.

Euch allen, freilich sie (Du) selbstverständlich auch, die ihr das irgendwann einmal sowieso nicht lesen werdet und vielleicht nur deshalb von einem Stein auf den anderen über den ruhig dahinfließenden Bach zu balancieren gedenkt, darf ich gleich an dieser Stelle ein SMS zukommen lassen. Darin werde ich höflich ersuchen, den Text auf Seite zweihundertdreiundzwanzig doch ein zweites Mal zu lesen.

Na gut! Dann eben nicht.

Um Spekulationen gleich am Anfang vorzubeugen, teile ich allen Behörden in derselben Weise mit, dass ich für meine zu errichteten Konstrukte nicht entlohnt werde, obwohl ich dafür annähernd fünfzig Prozent Steuern nicht abliefern brauche. Aber für etwaige Arbeitsunfälle bin ich trotzdem auch versichert.

Man weiß es ja heutzutage nie. Sollte zum Beispiel ein Bleistift abbrechen, weil ich beim Nachdenken eingeschlafen und mit meinem schweren Schädel auf den Tisch gedonnert bin. Im Zuge dessen, dass ganz nebenbei bemerkt, mein wertvolles Schreibgerät vom Diskonter Pagro abgebrochen ist, dann bekomme ich den Bleistift auch von der Versicherungsgesellschaft bezahlt.

Allerdings muss ich nur den Sachverhalt in Relation setzen. Mein Gehirn hat ein Leergewicht von nicht ganz zwei Kilo. Darin ist der bisher gelernte und vergessene Inhalt, samt den Speichern, schon eingerechnet. Demgegenüber wolle man auch bedenken, dass so ein Bleistift lediglich knappe zwanzig Gramm auf die Waage bringt. Da zahlt sich meiner Seel so eine Versicherung schon aus. Überdies ist die monatliche Prämie auch noch sehr günstig. Sie beträgt siebenundfünfzig Euro und fünfundzwanzig Cent und beinhaltet einen Selbstbehalt von nur siebzehn Euro. Alle fünf Jahre bekomme ich einen zweitägigen Kuraufenthalt gutgeschrieben. Selbstverständlich nur dann, wenn ich keinen Bleistiftunfall gehabt habe. Das ist doch fast geschenkt. Oder?

Sicherlich werde ich mich ausgerechnet hier, nämlich an diesem für mich am besten geeignetsten Ort auch persönlich vorstellen. Glauben sie mir, meine Privatsphäre wird dadurch bestimmt keinen Schaden erleiden. Vorweg kann ich ja einmal gleich kundtun, um eben zu verhindern, dass ich nach der Lesung, von wem auch immer, angebaggert werde: Als quasi Schutzbehauptung gebe ich bei den obligaten Befragungen den Neugierigen stets mit einer Messerschärfe zu verstehen, dass ich verheiratet bin. Mit wem oder mit was ist letztlich egal. Danach fragt doch keine Sau mehr weiter. Klar? Überdies habe im Moment drei glückliche Abkömmlinge aus dem Verein Rettet den Hühnerstall.

So - die mich kennen, wissen nun ganz genau, wer ich bin. Das will ich auch nicht verschweigen. Das verlangen auch die Verleger und das Impressum. Wobei Letzteres eher eine stumme Notwendigkeit darstellt.

Man kennt mich hierzulande unter dem klangvollen Namen Jeannine Laube-Moser. Diesen Namen, so denke ich, kann man betont langsam und melodiös aussprechen, ohne dass der zwingend erforderliche Bindestrich auch nur mitgeflüstert werden müsste. Der Bindestrich stellt gewissermaßen lediglich ein Symbol meiner Partnerschaften dar. Mehr nicht. Meine ehemaligen Schulfreunde und Berufskollegen nennen mich sogar Schani, das klingt aber eher respektlos, jedenfalls mir gegenüber.

Explizit möchte ich hier und jetzt unmissverständlich begründen, dass ich mit der anderen Jeannine Laube Moser, die angeblich im übernächsten Nachbardorf eine fiktive Wohnadresse innehat und diese quasi als ihren eigenen Hauptwohnsitz betrachtet, nichts am Hut habe.

Im Vertrauen: Ich kenne sie gar nicht. Na ja, gut halt nicht. Obwohl wir uns beide schon einmal bei einer Bilderausstellung zufällig getroffen haben. Ein im Pinzgau herumgereister und hier auch sehr bekanntgewordener Künstler von Weltformat, hatte damals in der einzigen Galerie in der Bezirksstadt einige seiner Werke für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt. Bei dieser Vernissage haben wir, zusammen mit anderen Besuchern und einem Krug voll Wasser, belangloses Zeug bequatscht. In Kunstfragen bin ich ohnehin ein Banause und die andere Jeannine Laube Moser ein ländliches, aber ausgesprochenes Redhaus.

Wenn ich damals nur ein klein wenig Mut aufgebracht hätte, um die geistige Oberflächlichkeit in mir abzustreifen, oder zumindest tiefer in mich gegangen wäre, vielleicht beispielsweise nur einen Funken lang darüber nachgedacht hätte, würde ich den Irrtum schon längst bemerkt haben. Doch all das wollte in meinem Hirn keinen Platz beanspruchen. Die Einladung zur Vernissage galt nämlich nicht mir, sondern der anderen Jeannine Laube Moser.

Wenn das eindringliche Beschauritual jemanden Friedliebenden, so wie ich eine bin, umbringen wollte, dann wäre ich sicherlich schon mausetot. Daher gehe ich auch kaum zu Beerdigungen oder am ersten November auf dem Friedhof. Ich möchte mich nur ungern mit meinen im Ausverkauf – minus siebzig Prozent - erstandenen Designerklamotten vom Outlet-Center begaffen lassen.

Gewöhnlich gibt eine Dame von Welt, wie ich mir einbilde, ich wäre so eine, ihr Alter nicht preis. Doch bei mir ist das ganz was anderes. Voll Stolz kann ich ja behaupten, dass ich um zwei Jahre, drei Monate und vier Tage jünger bin als die andere Jeannine Laube Moser. Sie hatte mir damals bei der Vernissage unter dem Kopftuch der Verschwiegenheit ihr Geheimnis verraten. Und Geheimnisse sind bei mir ja bestens aufgehoben. Nebenbei gesagt, sie hat ja ihr Geburtsdatum sogar im Facebook vermerkt, als wäre das etwas Besonderes. Ich halte aber mein Versprechen und sage niemanden, dass diese Dame neunundfünfzig Jahre alt ist. Klammer auf - eigentlich schon gewesen ist – Klammer zu.

Der Altersunterschied, davon bin ich fest überzeugt, ist eigentlich das Bahnbrechende überhaupt, um mich schlussendlich von der anderen Jeannine Laube Moser merklich zu unterscheiden. Ich weiß es nicht, ob es ihnen oder Dir schon aufgefallen ist, aber diese Frau hat keinen Bindestrich. Ich meine einen solchen zwischen ihrem Doppelnamen. Was haben sie sonst gedacht?.

Obwohl, wenn ich bei der Gelegenheit gründlicher meinen Geist durchforsten lasse, dann passen unsere Körpergrößen und vor allem unsere Haartrachten bei Weitem nicht zusammen. Ganz zu schweigen von der Schuhgröße. Aber sehen sie bitte nur selbst. Meine Haare unterscheiden sich jedoch wesentlich. Das kann man gewiss ohne Selbstbeweihräucherung zugeben.

Irgendein Friseur hatte meiner Namensvetterin einen lausigen, asymmetrisch burschikosen Schnitt verpasst, der ganz und gar nicht zum Typ dieser Frau passt. Oder doch? Nach der amtsdeutschen und Duden gerechten Formulierungsregeln müsste es richtigerweise Namensschwester heißen. Aber so genau möchte ich gar nicht darauf herumreiten.

Von Angesicht zu Angesicht betrachtet, trat sie nämlich mit einem gelblichweißen ausgefransten Kurzhaarschnitt sowie einem beinahe dreißig Zentimeter langen, tiefschwarzen Möchtegernzopf, der obendrein ständig vor ihrem rechten Auge hin und herpendelte, vor das kunstgeschwängerte Publikum. Von hinten, also ihr Hinterkopf, sah noch furchterregender aus. Über ihrem linken Ohr hatte ihr ein unbekannter Haarkünstler vermutlich mit dem elektrischen Schockhaarschneider brutal eine fünf bis sechs Zentimeter breite Schneise geschoren. Klammer auf: Bitte beim Lesen hier das –n- nicht vergessen. Klammer zu. Gleich im Anschluss welkten die schlecht gemähten, zerrupften und total verstrubbelten Haarspitzen nur so dahin.

Freilich verhexte gerade dieser Anblick die Besucher. Die verloren vermutlich so nach und nach ihr Interesse an den aufgehängten Gemälden. Zumindest dürften vorwiegend die männlichen Gäste in einen schockartigen Zustand verfallen sein. Es hatte sich nämlich eine erkleckliche Anzahl von Gaffern rund um die ausgefallene Haarmodeträgerin versammelt.

Ich gebe ja neidlos zu, dass ich vielleicht um gute fünf Zentimeter kleiner bin als sie. Mehr auf gar keinen Fall. Nur beim Gewicht gilt das anders herum. Da fehlen mir gut und gerne an die zwanzig Zentimeter für das angebliche Idealgewicht. Dafür darf sich die andere Jeannine Laube Moser (ohne Bindestrich) nicht ohne Schutzkleidung in den Garten stellen, um nicht als Schreckgespenst verwechselt zu werden. Mein Großvater mütterlicherseits bezeichnete zu seinen Lebzeiten derartige Figuren vergleichsweise als Vogelscheuchen. Eine Ausdruckform dieser großväterlichen Sprache würde ich gewiss niemals nie verwenden. Diese Formulierung kann man ohne Bedenken aus dem Manuskript herausradieren, oder so …

Doch das Beste kommt aber noch.

Tätowierungen soll sie auch auf ihrer keineswegs glatten Haut herumtragen. An welchen Körperstellen bei ihr Bildnisse der Tätowierkunst platziert sind, das weiß ich nicht bestimmt. Man hört allerdings einiges. Von Neidlosen wurde sie ja auch schon öfters im Bikini gesehen. Jedenfalls kursieren Gerüchte davon, dass es einen Drachenkopf geben soll, der an einer eher missverständlichen Stelle ihres Körpers mit einer roten langen Zunge platziert ist. Wie schon gesagt, von Gerüchten halte ich nicht sehr viel.

Ist mir auch egal. Ich habe keine Tätowierungen, das können sie mir schon glauben, weder an dieser Stelle hier, noch dort hinten.

Mein Gott! Ja so sind wir Frauen halt einmal. Wir sehen unsere Geschlechtsgenossinnen immer nur aus dem unzweifelhaften und völlig bejahenden Blickwinkel. Über mögliche Schattenseiten wird kaum getratscht. Glauben sie mir, Beleidigungen kommen bei den Frauen untereinander und bei mir schon gar nicht über die Lippen. So bin halt. Ein aufrechter Mensch, immerhin was die Wirbelsäule betrifft.

Nun muss ich aber wieder rasch rückwärts rudern, um den vorwärtsdrängenden Meister der Erzählkunst, wie er gerne genannt werden möchte, Platz einzuräumen. Sie verstehen, denn der wortgewandte Schöpfer – ich meine nicht den dort oben - kennt mir gegenüber kein Erbarmen.

So, das war jedenfalls nur ein kleiner Streifzug rückwärts. Sozusagen eine untypische Aufwärmrunde in die jüngste Vergangenheit. So quasi ein kurzer Ausflug auf den typischen Nebengeleisen. An sich hat so eine Querfeldeinwanderung, wie sie eben in nichtblumiger Weise geschildert wurde, mit der folgenden Geschichte wenig bis gar nichts am Hut.

Doch das entspricht auch wieder nicht der in der Unschuld vermuteten Wahrheit. Weil diese rundumstrapazierte Wahrheit im Grunde immer öfter in die selbst errichteten Stolperfallen tappt und das ist nicht nur für die Ehrenhafte schmerzhaft.

Soweit zur Klarstellung!

Besonders aufwendige oder gar durchkomponierte Gedankenspiralen sind auch ansatzweise gar nicht erforderlich, wenn man das zuvor Geschilderte mit dem bereits im ersten Absatz erwähnten Blütengartenmeer in Einklang bringen möchte.

Es ist im Grunde ja relativ einfach zu überdenken und man wird Gedankenjongleure kaum in die nächste Runde miteinbeziehen müssen.

Aber warum denn nicht?

Weil bei den wenigsten Individuen, wenn sie auch offensichtlich nur bescheiden mit krimineller Energie bedacht worden sind, können sie sich lediglich mit einem Minimum an Freude ihrer zeitlos eingerosteten Intelligenz befriedigen.

Anders formuliert: Solche Menschen sind pflegeleicht. Überdies sind sie handsam und entsprechend widerspruchslos. Sie lassen sich nicht nur von den Vorgesetzten befehligen. Weiters haben sie zweifellos das Talent zur Unterordnung, sind manipulierbar und deshalb auch gern gesehene Mitläufer bei den Antreibern. Diese können sich wiederum glücklich schätzen, wenn sie solche Handlanger in ihrer Umgebung verfügbar haben. Weil sogenannte machtgierige Bosse gibt es immer und überall. Meist sind es dem Anschein nach schwer begüterte und selten kirchenmausarme Mitmenschen. Doch alle ziehen sie am Seil der Befehlsgewalt und versuchen gleichzeitig nicht in den Sümpfen zu versinken, über die sie ständig schweben.

Wenn vorhin von Blütenmeer die Rede war, dann sind nicht unbedingt die Botaniker gemeint, die fleißig ihre großzügig gestalteten Gärten betreuen. Nein, in diesem Fall haben Blüten eine völlig andere Bedeutung als im Gartenbau. Obwohl auch hier wie dort hochqualifizierte Blütenjäger emsig an ihnen arbeiten.

Meist sitzen diese gottbegnadeten Leute bei künstlich geschaffenem Tageslicht oder vor einer Petroleumlampe in den finstersten Kellerräumen. Selten erleben sie das frische Ozon, so wie die Gartenbauer über der Erde, die in der freien Natur wahrscheinlich tagtäglich und bei jedem Wetter am eigenen Leib die Veränderungen ihrer Produkte leibhaftig verspüren.

Nein, diese armen unterdrückten Spezialisten, die hier in dieser Sekunde gemeint sind, hocken im Regelfall völlig auf sich alleingestellt vor einem niemals aufgeräumten Tisch, umgeben von Spezialwerkzeugen, Spezialpapieren und überquellenden Aschenbechern.

Hin und wieder verwenden diese Leute neuerdings auch modernere Maschinen, die sie quasi als eine dritte helfende Hand einsetzen. Das geschieht aber nur dann, wenn entsprechend starke Stromleitungen zeitgerecht in die tiefgeschossigen Räume verlegt worden sind.

Unbedarfte Außenseiter mit durchwegs sträflichem Schattendasein, die über die Herstellung von Blüten oder was sonst noch an Besonderheiten dazugehört, wie zum Beispiel Urkunden aller Art, überhaupt keine Ahnung haben, sind oftmals stark beeindruckt. Je nachdem ob sie nun in voller Absicht mit einem Auftrag in der Tasche oder nur zufälligerweise mit den Künstlern in Kontakt treten konnten, denn Überraschungen werden in diesen finsteren Löchern allemal geboten.

Der Durchschnittsmensch von der Straße hat ja ausnahmslos gar keinen blassen Dunst über das vielschichtige, arbeitsintensive Entstehenlassen von Kunstwerken, wie man berechtigterweise diese aufwendige Arbeit auch nennen darf. Sie sind bestenfalls angehalten, vorerst ihren Instinkt und das dazugehörige Augenmerk ein wenig nach rückwärts zu bewegen, um dann schleunigst mit einer abrupten Kehrtwendung die aufkommenden Gedankenmuster nach vorwärts auszurichten.

Man könnte das hinterfotzige Gedankenspiel, das schier jeder der drahtziehenden Hintermänner vor dem Angesicht des im Keller lebenden Künstlers vollführt, beinahe mit einer kurvigen Passstraße vergleichen. Doch dieser Vergleich hinkt schon von Anfang an. Jeder hat nicht ein wendiges Gefährt unter seinem Allerwertersten zu Verfügung. Und wie arg plagen muss sich erst ein Abstrampler mit einem verrosteten Waffenrad.

Meinetwegen wäre es schon eine Unverfrorenheit gewesen, wenn ich nicht wenigsten das Überbleibsel meiner Folgsamkeit sozusagen als Restnahrung im Rucksack belassen hätte. So leichtfüßig hätte mich sonst das Vorwärtsstreben auf der Suche nach neuen Herausforderungen auch nicht einholen können. Man kann es beinahe mit den Sinnen greifen.

Der geniale Poet blieb wieder einmal in einen seiner Gedankengänge, vermutlich irgendwo an einem Vorsteherast hängen und kann sich offenbar von der Blütenzauberei nicht mehr befreien. Richtig draufgängerisch versuche ich ihm einen Halt anzubieten. So einen Anhalt verstehen sie, der ihn möglicherweise zu einem Winkel hinführt, wo auch die bereits selten gewordenen Zwiegespräche Erfolge haben können.

Viel mehr kann ich im Moment dann auch nicht anbieten, weil ich mit der Vergangenheit nicht so recht umgehen gelernt habe. Viel lieber ist mir da schon das Hier und das Jetzt. Obgleich sich diese zwei überbeanspruchten Gesellen auch wieder rasch von mir zu verabschieden gedenken, um sich gleich einmal auf Nimmerwiederhören der Vergangenheit anzuschließen.

An dieser Stelle hätte ich vor lauter Emotionen einen fluchartigen Aufschrei loslassen sollen. Doch das gehört sich nicht für eine besonnene Frau, wie ich vorgebe, eine zu sein. Aber schauen sie, das Aufregende an unserem Dichter ist doch seine intellektuelle Sprungfähigkeit. Zumindest versucht er es ständig zwischen vorwärts und rückwärts hin und her zu pendeln, um seine Geschichten in ein verträgliches Lot zu bringen. Gelingen wird ihm sein Vorhaben, ohne meiner bescheidenen Hilfe, ganz gewiss nicht.

Aber davon hat er ja keine Ahnung. Noch nicht.

Um wieder auf den Boden der Realität zurückzukommen, und um das verhasste Kurvige hinter sich zu lassen, bleibt es schlussendlich unwidersprochen, dass es eben einige von Natur aus Begabte gibt, die in guter Gesellschaft mit der verantwortungslosen Gier, in der Lage sind, geradezu Spitzenleistungen zu erbringen.

Im kollektiven Mittelpunkt stehen jedenfalls die auf Dokumenten und auf wertvollen Gemälden spezialisierten Fälscher. Am Ende der Fahnenstange klammern sich dann erst die wirklichen Spezialisten. Sie sind es allemal, die es erst möglichmachen, dass der Markt auch mit Blüten in verschiedensten Währungen überschwemmt werden kann.

Im Gegensatz dazu kommt aber auch, dass tagtäglich, nicht nur in Amerika, US-Dollars in gigantischem Ausmaß hochoffiziell gedruckt und in die großen leeren Zwischenräume der Weltwirtschaft hineingeschleust werden. Dem nicht genug. Zu allem Überfluss lassen auch die Gotts-Oberen auf Teufel komm raus in der Europäischen Union gigantische Mengen Euros aus den Druckerpressen hervorquellen.

Und bitteschön, da spielen doch die paar Milliarden Dollars oder Euros, die als Blüten irgendwo in die Sekundärwirtschaft eintauchen, im System der Giganten jedenfalls eine schier untergeordnete Rolle.

So manche Regierungen sehen das naturgemäß ganz anders. Sie lassen sich ihre beschirmten Finanzhoheiten nicht von der buchstäblich in Kellern lebenden Unterwelt aushebeln. Deshalb haben sich die staatstragenden Volksgemeinschaften mehr oder weniger weltweit abgesprochen und entsprechende Gesetze erlassen, die im Konkreten das Nachmachen von gedruckten Geldscheinen verbietet. Überdies haben ausnahmslos alle Rechtsstaaten beschlossen, dass solcher Art von Tatbegehung mit Strafe bedroht werden soll. Und das nicht zu sparsam.

Es geschah in Mitte der Neunzigerjahre im vorigen Jahrhundert in dem geschichts- und einflusslosen, global betrachtet eher unwichtigen Dorf Selinkovac in Bulgarien. Die Ausdrucksweise Jahrhundert weist bei aller Bedachtsamkeit schier auf das Mittelalter hin. Aber soweit nach rückwärts zu blicken ist eigentlich hier nicht erforderlich. Man schrieb nämlich neunzehnhundertsechsundneunzig auf dem allgemeingültigen kalendarischen Spannungsregler, obgleich der Vergleich zum Mittelalter hier auch keinen Sinnbruch dargestellt hätte.

In Wirklichkeit begann nämlich die Geschichte schon ein Jahr früher, genau genommen Anfang Jänner neunzehnhundertfünfundneunzig, aber davon ein paar Seiten später.

Zuerst einmal wird der Blick hinter den Vorhang gewagt. Das Dorf Selinkovac wird danach in einem verklärteren Licht erscheinen, als es tatsächlich vorgibt, zu sein.

Viele der Mitbürger in Selinkovac leben heute noch beinahe genauso verarmt, wie ihre Vorfahren seinerzeit unter der Regentschaft des Hochadels. An ihrem Lebensstandard hat sich in all den Jahren nur sehr wenig und wenn, zu sehr zögerlich verändert. Der Großteil ihrer Häuser, wenn man diese als solche überhaupt bezeichnen kann, haben ihr Verfallsdatum bei Weitem schon überschritten. Dächer und Wände werden immer noch mit Nägeln, Schnüren, Klebebändern und manches Mal auch sogar mit Seilen zusammengehalten.

Auch der am Haus angebaute Schweine- und Hühnerstall hat seine rangmäßig zustehenden Löcher am steinigen Dach. Deswegen sind auch diese inneren Räumlichkeiten jeder Witterung ausgesetzt. Manches Mal gelangt dies zum Vorteil, aber ebenso überraschend oft zum Nachteil.

Der Bereich, wo die Menschen ihr Dasein fristen, ist durchwegs kärglich ausgestattet. Man holt das Wasser vom Brunnen vor dem Haus und man geht auch bei Wind Wetter, bei Tageslicht und in stockfinsterer Nacht hinaus, um die eigenen menschlichen Bedürfnisse zu erledigen.

Verständlicherweise ist durch die Tierhaltung im und vor den Häusern der erdige Boden entsprechend aufgeweicht und tief verschlammt. Nur einige wenige Begüterte haben ein steinernes Pflaster von halbrunden bis eckigen Bachsteinen vor ihren Häusern verlegt.

Überwiegend leben damals wie heute die kinderreichen Familien von der Landwirtschaft und dem Feilbieten ihrer Produkte. Der Ackerboden ist zum Glück sehr fruchtbar und man kann, Gott sei es gedankt, darauf alles Mögliche anbauen und auch ernten.

Naturkatastrophen sind in dieser Region erfreulicherweise stets ausgeblieben.

Die weniger Armen in der Bevölkerung besitzen jedenfalls ein paar Ochsen, die in separaten Stallungen oder auf kleinen Weiden ihr Leben fristen. Diese Tiere ziehen alles, was man ihnen anhängt. Ob es nun die einfachen Holzpflüge sind oder die schweren hölzernen Ladewagen mit jeder Menge Heu und Früchten darauf. Das ist den Ochsen und ihre Führer schnurzegal.

In der sehr leicht überblickbaren Ortschaft selbst gibt es zwar jede Menge kleinere Fußwege aber auch zwei gefestigte staubige Schotterstraßen, auf denen man mit den landwirtschaftlichen Gerätschaften herumkurven kann, wie man halt möchte.

Eine zirka vier Kilometer lange asphaltierte Straße gibt es erst seit ein paar Jahren und die führt nicht durch das Dorf selbst. Sie streift quasi nur den Ortsrand ein wenig. Diese Straße wurde eigens für Besucher des Blütengartenmeers errichtet. So lautete die exakte Bezeichnung des botanischen Gartens. Ob dabei auch gewisse staatliche beziehungsweise EU-Förderungen im Spiel gewesen waren, das blieb jedenfalls der Dorfbevölkerung verborgen. Vermutlich bestand auch damals von den Dorfpaschas kein Interesse, die wahrscheinlichen Hintergründe zu erfahren. Nur der jetzige, relativ junge, erstmals demokratisch gewählte Vize-Bürgermeister wäre schon manches Mal zu neugierig in der Causa EU aufgetreten, wurde aber dezent, allerdings mit gehörigem Nachdruck, vom Bezirksparteivorsitzenden zurückgepfiffen.

So ist es halt in einem erst demokratieerlernenden Dorfleben. Trotz alledem zweigt bis heute der relativ gut ausgebaute Verkehrsweg von der nördlich vorbeiziehenden Hauptverkehrsroute ab und führt direkt auf einen Großparkplatz, wo ungeniert drei Autobusse und gut zwanzig PKW Platz finden können.

Das ist im Prinzip ausreichend. Von diesem Parkplatz sind es nur ein paar Gehminuten zum Blütengartenmeer und so ziemlich gleich weit, vielleicht um fünfzehn Minuten länger, ist es in das Dorf hinauf zum einzigen Wirtshaus.

Das Dorf Selinkovac hat noch immer eine einklassige Grundschule mit nur einer, inzwischen schon älteren Lehrerin. Auch hier hält sich die Nachkommenschaft im statistischen Mittelfeld. Das heißt, die Geburtenrate ist im Sinkflug begriffen.

Angeblich wird das Schulgebäude und was sonst noch alles dazugehört von der einzigen politischen Partei, der auch der Herr Langzeit-Bürgermeister verpflichtend anzugehören hat, in Schuss gehalten.

Ältere Kinder, die zum Beispiel in Haupt- oder weiterführende Schulen gehen, sind Pendler zwischen ihrem Dorf und der rund zwanzig Kilometer entfernt gelegenen größeren Gemeinde Potegraskov. Da keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, gibt es einen dorfeigenen privaten Pendlerdienst, der mit zwei Oldtimer VW-Bussen so recht und schlecht aufrechterhalten wird.

Das andere Bild vom Dorf zeigt die vom Verfall bedrohten Häuser, die seit eh und je immer noch wackelig in der Landschaft stehen. Vielleicht hat man dort und da an den Dächern wieder einmal Reparaturarbeiten mit Nägeln und Schnüren gemacht. Wenn, dann wird man den Unterschied gar nicht bemerken.

Die Jugendlichen hingegen zeigen am Wegesrand den durchstreifenden Touristen voller Stolz ihr multifunktionales Handy und betteln sie gleich auch an, um mit dem Erlös die nächste Rate bezahlen zu können. An vitaminreicher Nahrung fehlt es ihnen hier ganz gewiss nicht.

Bezeichnend ist allerdings die riesige Kluft, die sich zwischen den ganz Armen und den Schwerreichen immer noch weiter öffnet. Vermutlich wird niemand so schnell in der Lage sein, dieser Misslichkeit Einhalt zu gebieten. Nur im Dorf Selinkovac selbst gibt es diese Art von Kluft nicht. Es gibt nämlich keine Schwerreichen. Noch nicht!

Man wird ebenso in den Nachbargemeinden, mit einer Ausnahme vielleicht, keine allzu Reichen antreffen. Und diese Ausnahme lebt in einem Schloss.

Davon aber später noch mehr.

Ein öffentlich zugängliches Dorfwirtshaus gibt es allerdings in Selinkovac und das ist dem Sinne nach noch zweigeteilt. Denn oberhalb der Erde, also quasi im Parterre, da befindet sich entsprechend der Ortsüblichkeit ein angepasster halbwegs sauberer, so um die vierzig Quadratmeter großer Gastraum. Ihm fehlt zwar eine Schank, wie sie im Salzburger Land größtenteils üblich ist, aber sonst ist die Bestuhlung mit den Tischen, für einen Kleinbus voller Leute, knapp aber doch, ausreichend. Selbstredend steht keine Tischwäsche zur Verfügung, das würde unter die Kategorie Luxus - Doppelsternsystem, einzureihen sein.

Diesen Komfort bitteschön gibt schon gar nicht. Also nehmen wir, nur so zum Spaß versteht sich, an, es wäre so. Es gäbe ein Tischtuch. Darauf einen Kerzenhalter mit brennender Kerze. Womöglich auch noch Papierservietten, von den Stoffdingern ganz zu schweigen, dann käme vielleicht sogar noch der Herr Langzeitbürgermeister auf die Idee, eine zusätzliche Vergnügungssteuer einzuführen.

So eine Bevorzugung wollte naturgemäß nicht einmal der Gastwirt. So blieb eben der Gastraum, respektive die Tische, von den unnötigen Zeugs grundsätzlich verschont.

Auch die Sessel und Bänke haben niemals eine Polsterung gesehen. Man sitzt auf den geschrubbten blanken Holzbrettern. Gespeist und getrunken wird auf der gebürsteten aufgerauten Tischplatte. Es besteht auch akute Verletzungsgefahr der hinteren, vor allem in den wärmeren Jahreszeiten beinahe bloß gelegten Körperteile. Man denke nur an die losen Schiefer an den Sesseln, die keine Gnade kennen und ungeniert sich durch die zarte Sommerkleidung in die weichen Gesäßmuskeln bohren können. Und wer bitte erklärt sich gegebenenfalls dann spontan bereit, einen fünf Zentimeter langen Schiefer aus dem Hinterteil von einer Lady herausziehen zu wollen, ohne dafür gehörig Prügel beziehen zu müssen? Der Wirt vielleicht? Ganz bestimmt nicht!

Ein paar Türen weiter neben dem Gastraum befindet sich die Küche. In diese kommt keine betriebsfremde Person hinein. Somit ist eine Beschreibung über den Küchenbetrieb und ihrem Zustand nicht objektiv möglich. Sterne, Krüge oder Besen als Auszeichnung für hervorragende Restaurantführung und Ähnliches gibt es ohnehin nicht zu bewundern.

Übernachtungsmöglichkeiten werden weder im Gasthaus noch sonst irgendwo im Dorf für Durchreisende angeboten.

Klar doch, Ausnahmen gibt es aber schon!

Von außen schaut das Gasthaus nicht gerade so aus, als wäre es eines. Eher schon wie ein halb verfallener Kuhstall aus Oberbayern. Untenrum, auf einer Höhe von ungefähr einem Meter sind allerlei Steine, verschiedenster Herkunft, durcheinander mit Lehm oder Kalkmörtel verbunden, der schon eigenständig die Tendenz zur chemischen Auflösung entwickelt haben dürfte. Überall rieselte es sichtbar aus den Fugen heraus. Hochgerechnet würde es keine fünfzig Jahre mehr brauchen, dann würde die Bude ohne fremdes Zutun in sich zusammenfallen, wenn sich nicht ein ganz Schlauer doch zu einer Sanierung bemüßigt fühlt.

Auf das zerbröselnde Mauerwerk wurde eine gewagte Holzkonstruktion aufgesetzt, ähnlich wie bei den anderen Häusern in Dorf auch. Aufgesetzte Stockwerke hat das Gasthaus keine, dafür einen entsprechend hohen Giebel, der mit seiner einfachen Konstruktion Wind und Wetter aushält. Das Dach selbst wurde vor Generationen schon, wie bei allen anderen Häusern, mit Schiefersteinplatten gedeckt. Unter dem Giebel sind Schlafzellen für die eignen Kinder sowie für die Hausangestellten vorgesehen. Hinauf und wieder herunter kommt man nur über eine Holzleiter.

Das ist oftmals ein gewagtes Unternehmen, wenn man bedenkt, dass womöglich der Ochsenknecht mit der Hausmagd ein unauffälliges Pantscherl anfangen möchte. Dann muss der gute Mann, halbbesoffen, wie er spätabends meistens ist, über diese wackelige Holzleiter hinaufklettern und sich oben einen Schlafplatz sichern. Das ist allenfalls auch unter dem Begriff Schwerarbeit einzureihen.

Nun wieder zurück zum Tagesgeschehen.

Dieses unauffällige Gastlokal betreten auch zeitweilig Touristen. Wenn ortskundige Reiseleiter dabei sind, ist es ja gut. Sie bestellen dann auf Anraten die landesüblichen Speisen und Getränke. Anderenfalls benötigen die Reisenden sehr gute Vorkenntnisse über die Nationalgerichte. Das sei hier einmal bestens angeraten.

Es gibt nämlich noch einen Vorzug in diesem Gasthaus.

Sämtliche Gäste werden vorzugsweise vom Gastwirt persönlich, und das mehr schlecht als recht, bedient. Seine Frau, er wurde tatsächlich mit einer belohnt, durfte sich ohnehin in diesem Raum, wenn fremde Leute zugegen waren, nicht aufhalten. Hier gelten immer noch die Vorsteindachregeln wie vor Hundert oder mehr Jahren.

Für unseren salzburgerischen Gaumen empfehlenswert ist die einzigartige bulgarische Kuttelsuppe oder die braune Zwiebelsuppe mit Reis und verschiedenen Gemüsen aus der Region. Wenn jemand zufällig einmal dieses Gasthaus finden sollte, was nicht so unwahrscheinlich ist, weil heimische Busunternehmen auf der Fahrt zum Schwarzen Meer beinahe an der Ortschaft Selinkovac vorbeifahren, der möge daran denken, dass er nur in diesem Wirtshaus diese beschriebenen Köstlichkeiten mit dem allumfassenden Ambiente bestellen kann.

Diese Atmosphäre ist tatsächlich einzigartig, man kann sie mit allen Sinnen einschließen.

Es gibt zwar im Lokal nur eine stark abgegriffene Speisekarte, aber bitte wer kann schon die bulgarische Schrift lesen oder sie gar verstehen. Im Pinzgau werden ganz gewiss nicht mehr als eine Handvoll Leute sein, die Bulgarisch lesen und sprechen können. Diese wenigen Menschen gehen in den seltensten Fällen mit einer Gesellschaft auf Reisen und wenn, dann schon gar nicht in so ein Restaurant, wenn sie nicht unbedingt müssen.

Dann erst recht nicht und lieber ab ins Gebüsch.

Der Gastwirt und Kellner, mit dem wohlklingenden Namen Kubrat Nikolai Grantscharov, ist ein armseliges Exemplar von einem Mann. Er dürfte so um die fünfzig Jahre alt und einen Meter sechzig groß sein. Offensichtlich ist sein Knochengerüst total ausgemergelt. Vermutlich deshalb bewegt er sich auffallend buckelig und mit einer kaum messbaren Zeitlupengeschwindigkeit. Jede Schnecke würde das Rennen mit ihm in Monaco haushoch gewinnen.

Dafür tritt er als Gegenleistung für seine Langsamkeit unrasiert, selbstverständlich auch ungewaschen vor seine lieben Gäste, die er beim Eintritt ins Lokal, beinahe schon unterwürfig, jedoch mit freundlichen Gesten und unverständlichen Lauten, zu überfallen drohte.

Vermutlich haben auch seine fettigen, langzottigen Haare noch niemals einen Kamm gesehen, geschweige denn einen auf dem Kopf gespürt. Von einer Frisur kann überhaupt keine Rede sein. Wenn, dann ist diese Haarpracht ein aufgewühlter Urwald, wo sich wahrscheinlich der eine oder andere Zirkusdirektor über einen frischen Nachwuchs gefreut hätte. Aber das fällt neuerdings unter die EU-Naturschutzbestimmungen.

Das Überdrüber bei dem guten Mann sind seine Zähne! Und nicht zu vergessen, seine Arbeitsschürze! Beide haben etwas Gemeinsames. Sie strahlten vermutlich irgendwann einmal in der Vorzeit mit Stolz ein strahlendes Weiß in ihre unmittelbare Umgebung.

Prophylaktisch werden zur Entgiftung von dem guten Mann allen Gästen, die im Gastlokal Speisen bestellt haben, ein eigens hausgepatschter Schnaps, der unter dem bekannten Namen Rakija, auch bei uns in den Regalen von Supermärkten zu finden ist, verabreicht.

Diese Kunst der Vorbeugung übt mit Sicherheit er selbst besonders fleißig, und das vermutlich mehrmals am Tag. So hinterlässt er bei allen die sich in seiner Nähe aufhalten, einen unverwechselbaren Mundgeruch, wobei die Duftnote von Knoblauch und Zwiebel bei Weitem überragt.

Aber sonst ist das Lokal, wie schon ausführlich beschrieben wurde, alles soweit kristallklar sauber, bis auf die balkanischen Toiletten, aber über die kann sich jeder sein Bild selbst malen.

Es wird auch noch von einer Spelunke die Rede sein. Das hat schon seine Richtigkeit. Es gibt bei dem Gasthaus nämlich nicht nur einen Haupteingang, durch den man unter anderem zum öffentlichen Gastlokal gelangt, es gibt auch einen Nebeneingang. Und der befindet sich auf der Hinterseite vom Haus. Man kann ihn leicht entdecken. Er ist sozusagen genauso wenig beschildert wie der vordere Haupteingang zum oberirdischen Lokal.

Nur über die Öffnungszeiten wissen lediglich Eingeweihte sowie die treuersten Kunden, die man locker und leicht unter zehn beziffern könnte, Bescheid. Jeder X-Beliebige käme da gar nicht hinein und schon gar nicht die holde Weiblichkeit vom Dorf. Im strengsten Falle werden lediglich Damen mit Stöckelschuhen und knallroten Lippen, die überdies ein wenig Kulturelles zu bieten haben, ins Lokal eingeladen. Das ist grundsätzlich Voraussetzung und es geschieht nach Auffassung der Lokalführung nur deshalb, damit dadurch eine Abwechslung in die Trotzlosigkeit des Alltages hineingebracht werden kann.

Das oberirdisch befindliche Gasthaus, aber auch die unter der Erde angesiedelte Spelunke hat selbstnatürlich keine ausgewiesenen Ruhetage. Das braucht’s auch nicht, weil wenn wer kommt, dann ist er halt da.

So in etwa lautet das Prinzip der Höflichkeit im Dorf von Selinkovac.

Nur ein kleiner Unterschied zwischen den beiden Lokalen oben und unten ist von Bedeutung. Die Spelunke ist eine europaweit bekannte und auch anerkannte Betriebsform, aber im Sinne der europäischen Einigkeit wird diese nirgends, auch nur mit einem Bindestrich beschrieben. Vielleicht ist gerade das ein Manko. Es gehört dringend, wie die Gurken- und Bananenerlässe seinerzeit, vom Parlament dort oben behandelt und aufgearbeitet. Aber wem bitteschön interessiert so ein Schmarrn nach der Wahl.

Es ist halt so: Spelunke bleibt eben Spelunke und das steht schon dick unterstrichen im Wörterbuch.

Um in diese Spelunke, um die es hier eigentlich geht, überhaupt absteigen zu können, muss man über eine baufällige Holzstiege ganz schön weit in die Unterwelt hinunterkraxeln. Eine typische Absteige halt. Wie das die Damen mit ihren Stöckelschuhen und ihren Miniröcken machen, bleibt das Rätsel der Stunde.

Untertags passiert dort unten ohnehin gar nichts. Aber vom frühen Abend bis in die sehr frühen Morgenstunden treffen sich in der Spelunke allerhand kulturell seichte Zwielichtigkeiten.

Gerade das ist wiederum bezeichnet für so eine verschmutzte, heruntergekommene, obendrein düster beleuchtete Räumlichkeit. Gerade einmal ein paar Kerzen erhellen den sonst stockfinsteren Raum. Aber eine Theke oder ein Tresen, wie man’s auch immer bezeichnen möchte, gibt es doch. Hinter dieser steht meistens der dreiundzwanzigjährige Romeo, der einzige Sohn vom Gastwirt. Das ist für diese Spelunke ganz gewiss ein Glücksfall. Er ist nämlich ein düstrer, aber gleichermaßen durchtriebener Typ, der seine Geschäfte offenbar wohl versteht.

Fidan Kubrat Grantscharov so heißt er jedenfalls mit vollen Namen. Aber alle Bekannten und Freunde nennen ihn seit vielen Jahren Romeo. Warum weiß aber keiner. Er besuchte als Kind erfolgreich die Dorfschule und wurde danach von seinen Eltern in einem Internat in der Bezirksstadt untergebracht. Nach Beendigung der Pflichtschulzeit blieb er noch beinahe zwei Jahre und besuchte eine wirtschaftsorientiert geführte Fachschule.

Dort wurde ihm in kleinen Schritten ein Bruchteil über das Wirtschaftsleben im Allgemeinen sowie Grundsätzliches über Betriebsführung beigebracht. Nach dem weniger erfolgreichen Abgang wurde ihm noch im selben Jahr, dann quasi als Studierter und aus der Bezirksstadt ausgeschulter, die finstere Lokalität von seinem Vater erbrechtlich auf eigene Rechnung übertragen.

So steht oder sitzt er nun einige Nächte in Woche in dem finsteren Loch, erwartet seine Gäste und nimmt sie dann aus, wie eine frisch gefangene Forelle aus dem Karpfenteich.

Der Slogan - beim Romeo gibt es alles und nichts – zog seine Kreise. Neben den ortsüblichen harten Getränken bietet er auch allerhand Spielmöglichkeiten für die größtenteils männlichen Besucher an. Alle paar Wochen karrt der junge Unternehmer, wie bereits schon angemerkt, weibliche Spielkameraden in diese alte verrottete Bude. Selbstverständlich werden derartige Auftritte streng geheim und nur mit Mundpropaganda an Stammgäste weitergegeben.

Die beiden Vorarbeiter vom Blütengartenmeer Adam und Bohdan gehören selbstverständlich zu den Stammtischlern, obwohl gar keine Tische mehr in dieser Bruchbude drinnen stehen. Die sind allesamt bei den regelmäßig stattfindenden Prügeleien in die Brüche gegangen. Weder der Senior- noch der Juniorchef haben sich bemüßigt gefühlt, jemals um einen Ersatz zu bemühen.

Warum auch? Prügeleien finden auch nach wie vor mit oder ohne die Tische statt. Im letzten halben Jahr fanden gewiss noch mehr Auseinandersetzungen statt, als in der Vergangenheit.

Der Grund dafür ist relativ leicht erklärbar: Getränke müssen der Einfachheit halber am Fußboden abgestellt werden oder man behält sie in der Hand. Es ist finster da unten, zumindest nicht hell genug, um die herumstehenden Gläser zu sehen und schon ist es bei vorgerückter Stunde geschehen. Halbvolle Getränkegläser werden umgeworfen und gar zertreten, was den Ärger noch mehr an die Spitze treibt. Handgreiflichkeiten um den billigen Fusel sind halt dann die Folge.

Niemand verständigt die Polizei. Auch wird selten ein Arzt benötigt. Rettung, ja bitte was heißt hier Rettung, die gibt es so und so nicht. Und das Motto – jeder helfe sich selbst, so gut, wie er kann – hat oberste Priorität.

Im Dorf gibt es aber zwei Männer, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, sondern die in der Bezirksstadt als Polizisten für Recht und Ordnung zu sorgen haben. Im eigenen Dorf fühlen sie sich aber nicht zuständig, einen Streit zu schlichten oder ihn gar zu beenden.

Ganz im Gegenteil, es war nicht nur einmal, wo die zwei Freunde der Gerechtigkeit bei so einem Handgemenge nicht auch selbst ordentlich mitgemischt hätten.

Aber das ist eine völlig andere Geschichte.

Schuld an solchen Ausfällen ist immer der maßlose Konsum von Rakija bis in den frühen Morgenstunden, oder viel öfter noch eine nicht geprobte Eifersuchtsscene wegen der Tabletänzerinnen, die ohnehin keinen Tisch benötigen und auch sonst nicht mehr viel am Leibe tragen.

So entstehen halt Zwistigkeiten zwischen dem einen und dem anderen, wie es auch sonst überall auf der Welt vorkommt. Bei dem einen ist von Haus aus schon mit freiem Auge eine gewisse Angespanntheit mit nervösen Auszuckungen zu erkennen und beim Gegenüber ruft das eine provozierend heitere Ausgelassenheit hervor. Dann wird plötzlich aus nichtigem Anlass heraus, quasi mit den Händen und Fäusten, selten mit einem scharfen Instrument, eine Klatschsinfonie mit Unmengen an falschen Tönen gespielt.

So spielt sich halt das einfache Dorfleben in einer kleinen überschaubaren Gemeinde ab. Jeder Eindringling wird bestens beraten sein, entweder ein zur richtigen Zeit applaudierender aufmerksamer Zuhörer zu sein oder gar Mitspieler im Dorforchester zu werden.

Das war im Jahre neunzehnhundertfünfundneunzig und viel früher schon so und es hatte sich bis heute, gewissermaßen im einundzwanzigsten Jahrhundert, kaum etwas hier im Ort verändert.

Oder doch?

Ich setzte mal voraus: Sie haben es als intelligenter Mensch vermutlich schon bemerkt. Der stille, aber keinesfalls entmutigte Schreibmaschinentastenklopfer, ja genau der, der das alles so schön und sauber niederschreibt, ist der Wahrheit leidenschaftlich verpflichtet. Zum besseren Verständnis muss ich ja noch eine bescheidene, aber gleichfalls wichtige Korrektur einfügen. Der Gute hat seit geraumer Zeit die Mechanik gegen Elektronik ausgetauscht.

Was so viel heißt, er besitzt neuerdings einen Computer. Die Riege seiner hinterfotzigen Freunde behauptet aber und das noch dazu in aller Öffentlichkeit, dass er nun auf diesem unschuldigen Gerät draufloshämmert, als ob er jeden Augenblick das nicht vorhandene Tastentriebwerk auseinandernehmen wollte.

Also zurück zur ungekrönten Wahrheit.

Der Mann dichtet nicht! Das tut er ganz bestimmt nicht. Diese Arbeit verrichtete vorletzte Woche der von ihm eilends herbeigerufene Wasserinstallateur. Zwar gelang es auch nicht optimal, weil angeblich tropft sein Hahn immer noch.

So oder so ähnlich deutete er den Unterschied zwischen dichten und dichten irgendwann einmal in einem Pressegespräch einer verblüfften Redakteurin an. Er wolle halt uneingeschränkt die gemixte Wirklichkeit dem lesenden Publikum etwas näher bringen. Sonst nichts. Und das dürfte vielleicht so manch anderen Zeitgenossen weniger in den Kram passen, als ihm das lieb sein wird.

So ist es also nicht, wie ich am Anfang geglaubt habe, als ich das Angebot erhielt, ich sollte dazwischen hineinschreiben oder mich nach vorwärts dazwischen hineindenken, um beweisen zu können, dass der gute Mann nur so aufs Geradewohl seine Geschichten notiert. Das war eine Missdeutung der Wahrheitsfindung im Allgemeinen.

Wie ich jüngst aus den Mündern von einigen seiner gut unterrichteten Freunde erfahren habe, bedient er sich, wo immer er sich auch einnistet und was ihm vor Ort gerademal einfällt, seiner Erinnerungen. Da kann es schon passieren, dass er Situationen verwechselt oder Szenen gar willkürlich zeitlich verschiebt. Aus dieser Plausibilität heraus dürfte ich auch meinen Job als Zwischenraumfüller über die Verlagsleitung bekommen haben. Eigentlich müsste ich als weibliches Wesen neuerdings gendergerecht Füllerin schreiben. Aber bei dieser Bezeichnung schwingt eine derart fade Klangfarbe mit, die überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. Ja, das nervt mich sogar auch dann, wenn man das Wort in meiner Gegenwart, auch noch so leise, ausspricht.

Um meinem Grundsatz gerecht zu werden, betone ich, wann immer ich es für angebracht halte, dass nicht dies und jenes allzeit emanzipiert, oder wie es auf Neudeutsch heißt, genderdressiert werden muss. Ich lasse mich hier auf keine Haarspalterei mehr ein. Wir werden ja sehen, wo uns die Sprache im übernächsten Jahrtausend noch hinführen wird.

Die Geschichte mit dem Blütengartenmeer und den unpassenden Vergleichen mit Blüten aller Art entspringt meiner Denkweise nach in einem Areal, wo sich seine, ich meine dem Autor seine verschlungenen Gedanken ein Stelldichein gegeben haben. Derartige geistige Verrenkungen entpuppen sich in der Regel, jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie die Schmetterlinge. Die fliegen nämlich danach auch auf und davon.

Nur hier in diesem besonderen Zwischenraum könnte es schon anders aussehen. Aus dem Schattendasein drängen sich plötzlich aufbrausende schwarztragende Gestalten aus einem Imperium nach vorne, das überlagert wird von Unklugheiten und Unbegabten. Niemand von denen wird versuchen mit dem guten Willen irgendwelche schwachen Sinne zu beruhigen oder gar Geschäfte zu machen. Vielleicht ist es aber gerade umgekehrt. Sollten sich die Sinne untereinander abtasten wollen, dann wird das meist sprunghaft und leidenschaftslos geschehen. In der Variante zwei allerdings, wird man möglicherweise den Tastvorgang zart aber distanziert bemühen, den Vorgang weiter zu führen. Dennoch wird das Navi zielbewusst zu programmieren sein.

Er, ich meine, na sie wissen schon, löst eventuell unbeabsichtigt wechselweise Reize aus, die er aber dann gleichmäßig mit Lebhaftigkeiten zu versetzen versucht, um einen Auftakt zu gestalten.

Apropos Auftakt: Das mit dem Dreivierteltakt ist gar ein starkes Stück. Ich weiß schon, dass ich jetzt mit meinen Gedanken nach vorwärts geprescht bin. Andererseits hoffe ich auch sehr, dass sie mir verzeihen und mir diesen kleinen journalistischen Trick nachsehen werden. Ja nicht umsonst heißt die Überschrift am Deckblatt nicht - Zwischen vorwärts und rückwärts. Das haben sie vergessen? Kein Problem. Halten sie nur ihren Daumen und Zeigefinger an die Stelle, wo sie gerademal lesen. Dann kommt der schwierigste Akt. Sie müssen nämlich mit der anderen Hand das Buch zuklappen und schon – sie werden überrascht sein – können sie den eben von mir zitierten Buchtitel aufs Neue lesen. Das können sie sooft machen, wie sie wollen.

Irgendwie ist es schon verwirrend, dass man immer wieder die Gedanken nach rückwärts bewegen muss, um kurz darauf wieder vorwärtszukommen. Aber gerade dieser Zwischenraum erhöht eben den Reiz der Märchenerzählungen.

(Anmerkung: Diese eingefügten Sätze wurden notwendig, um die Vorwärtsdränglerin etwas unter Kontrolle zu halten.)

Die jetzige Gutsherrin, wenn man das so sagen kann, stammt weder aus einem alten bulgarischen Adelsgeschlecht ab, noch ist sie blaublütiger Herkunft. Nein, sie war eine gefeierte Primadonna! Heute noch wird sie mit der spanischen Opernsängerin Montserrat Caballé auf dieselbe Stufe gestellt. Das bezieht sich allerdings auf ihre Stimmgewalt und nicht auf ihren Körperumfang.

Überall und nirgends konnte man ihren klingenden Namen Mariella Nadja Todorova von den Plakaten herunterbuchstabieren, ebenso durften Aufmerksame die x-fachen Vergrößerungen von ihrem Konterfei betrachten. All das prangte auf sämtlichen Plakaten vor den Opernhäusern, auf öffentlichen Plätzen, aber auch in den Medien konnte man sie sehen. Sie war zugegebenermaßen eine abgöttisch umworbene Diva, da gab es nichts zum Herumdeuteln.

An den wichtigsten Opernhäusern in Bulgarien trat sie auf und nicht nur das, sie hatte zahlreiche Gastspiele zum Beispiel in London und Moskau. Vor Jahren sang sie auch auf einigen Opernbühnen in Argentinien. Einmal wurde sie sogar von den Salzburger Osterfestspielen verpflichtet. Selbstverständlich konnte man sie auch des Öfteren im Fernsehen bewundern, sowie in den diversen Radiosendern hören.

Aber irgendein Zwischenfall beendete dann abrupt ihre Karriere. Damals wurde getuschelt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen das Singen so quasi an die Stimmgabel hängen musste. Der breiten Öffentlichkeit blieb aber der wirkliche Grund noch längere Zeit verborgen. Es war am 1. Jänner 1995, als sie ihr letztes Konzert in ihrem Heimatland gab.

Mariella Nadja Todorova verabschiedete sich vom Publikum und wurde wie ein Star gebührlich weggejubelt. Sie war an dem Tag ziemlich genau neununddreißig Jahre jung.

Mit der Gage als Opernsängerin wurde sie steinreich. Sie warf aber ihr gutes Geld nicht beim offenen Fenster auf die Straße. Sie war sparsam, streifte ihr Vermögen schmarotzender Weise von den anderen ein und war somit in der Lage, finanziell unabhängig zu sein. Mit Reichtum beladen, stolperte sie dann Hals über Kopf in den Ehestand hinein, was sie im Grunde eigentlich zuerst gar nicht wollte. Aber ihr gleichaltriger, langjähriger Freund und hin und wieder Lebensbegleiter, umwarb sie solange, bis sie letztlich bereit war, ihn am Samstag den 13. Mai 1995 mit einem vor dem Notar geschlossenen Ehevertrag zu heiraten.

Ihr Neoehemann Dano Georgiev Aleksandov, wie man das heutzutage sagen würde, stammte aus einem längst vergangenen und jetzt völlig bedeutungslosen, schier verarmten bulgarischen Fürstengeschlecht. Er war zwar nicht gänzlich mittellos, nein das gerade nicht, aber reich im Vergleich zu seiner Frau, war er keinesfalls. Sie avancierte mit der Heirat sowie mit lautlosem Stolz von einer vielumjubelten Primadonna zu einer fürstlichen Schlossherrin. Das gab ihrem Ego einen gewaltigen Vorwärtsschub.

Dano Georgiev Aleksandov besaß nämlich einen beachtlichen fürstlichen Erbgutshof, den er von seinem leider schon frühzeitig verstorbenen Onkel Nikolai übernommen hatte. Der gute Mann hatte nicht nur die Immobilie verkommen lassen, sondern er hatte auch das ganze Drumherum noch zu Lebzeiten ordentlich heruntergewirtschaftet. Der Gutshof in Selinkovac mit samt den Stallungen, den Pferden und anderen Tieren sowie jede Menge an herumstehenden Arbeitern, die nicht alle ihre ureigensten Aufgaben zu bewältigen wussten, all das war letztlich zu einer schweren Erblast für Dano Georgiev Aleksandov geworden.

Nur die Köchin Boryana war ein seltenes Ungetüm und ein Urgestein obendrein, wenn man diese Ausdrucksform so wählen würde können. Sie regierte jahrzehntelang schon am Gutshof, wohlgemerkt nur in ihrem Bereich, aber das mit ihrer wohlgeformten energischen Handschrift. Ausnahmslos alle mussten sich ihr unterordnen, da gab es kein Pardon. Des Weiteren kannte sie sämtliche Schwächen und Gepflogenheiten des jetzigen Fürsten in- und auswendig. Sie war und ist trotz ihrer Vorzüge eine herzensgute Haut. Wenn man die Frau gut zu pflegen wusste, war sie auch manches Mal bereit, ihre wohlgehüteten Schokoladeverstecke zu öffnen. Als Wirtschafterin am Gutshof verstand sie es hervorragend, schon unter dem gestrengen Onkel Nikolai, einen Hochseilakt mit seinen Verbalallüren mit Bravour zu meistern.

Der neue Herr im Schlossgutshof Dano Georgiev Aleksandov hatte stets die Angewohnheit früh morgens querfeldein auszureiten. Das tat er beinahe täglich. Aber seit seiner Verlobung mit Mariella, die anfangs März 1995 im Schloss gebührend gefeiert worden war, war er zunehmend bemüht, ein bisschen mehr Ordnung in sein Leben zuzulassen. Auch in seinem Betrieb, das heißt, nach der Verheiratung war es ja das gemeinsame Unternehmen, wollte er unbedingt Veränderungen herbeiführen. Das verlobte Paar schmiedete vorab schon die gewagtesten Pläne und die eine oder andere Idee ließ sich auch dann im Kleinen, versteht sich, bereits kurzfristig umsetzen.

Der rote Faden, sprich der Wille nach maßvoller Veränderung, war strukturell zu mindestens bereits von den beiden ausgearbeitet worden. Diese eigenständigen Vorgaben wollten sie dann auch sukzessive umsetzen.

Dano Georgiev Aleksandov wollte das Landgut mit den Stallungen und den zahlreichen kleineren und größeren Nebengebäuden mit seiner fürstlichen Ehefrau zukünftig wieder auf Vordermann bringen. Nach dem Ehevertrag waren ja beide, wie schon angemerkt, gleichberechtigte Eigentümer und das Erbrecht war gegenseitig auch so ausgelegt worden.

Zwischen Heinrich und Jeanniene

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