Читать книгу Zwischen Heinrich und Jeanniene - Wilhelm Kastberger - Страница 6
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Mariella Nadja Todorova wusste es schon von Anfang an. Der aufgeblasenen Pfau ist, und bleibt ein Filou. Basta! Kaum nach seinen ersten zehn Worten, die er damals mit ihr in Argentinien gesprochen hatte, wusste sie es. Ja sie fühlte es sogar in ihrem Herzen, dass er in Wirklichkeit ein ganz durch und durchtriebener Scheißkerl sein musste.
Aber er hatte halt Charme. Diese Eigenschaft musste sie ihm anerkennenderweise zugutehalten. Was noch viel mehr bei ihr zählte - er war er reich. Offenbar steinreich. Und gerade sein Reichtum verführte sie wie ein tanzender, magnetisch geladener Spielball auf Stahl, hin und her. Um sich für ihre Schwäche zur Wohlhabenheit nicht selbst entschuldigen zu müssen, zog sie, der Vernunft folgend, die Reißleine.
Aus fadenscheinigen und bislang nicht erforschbaren Gründen ihrerseits, kam es mit ihm in Südamerika zu keiner weiteren Verabredung mehr.
Mariella Nadja Todorova glaubte es tatsächlich, dass eine seltsame Fügung des Schicksals nun tatsächlich eingetreten sei. Sie saßen zwar mit gehörigem Abstand, doch immerhin nebeneinander, auf Logenplätzen im Großen Festspielhaus in Salzburg. Sie waren beide gleichsam, unter einigen anderen versteht sich, Ehrengäste des Stardirigenten Javier de Rossi.
Die Überraschung, oder anders formuliert, der erste Schachzug der Bosheit schien dem Maestro gelungen zu sein.
Den beiden blieb zuallererst nichts anderes übrig, als vor gegenseitigem Erstaunen die Augen und die Münder so weit wie nur irgend möglich aufzureißen. Für die Sopranistin selbst war das ja kein besonders Kunststück gewesen. Sie war das Mundaufreißen durch ihre Singerei ja gewöhnt.
Beim Mann war das gar nicht so selbstverständlich. Einen Augenblick lang oder waren es zwei oder drei, blieb ihm die Sprache am Gaumenzäpfchen hängen. So einfach, wie bei der Dame es funktionieren hätte können, war es für ihn ganz gewiss nicht.
Er veranstaltete anfangs ja regelwidrige Verrenkungen mit der Kiefermuskulatur und versuchte Worte des Erstaunens hervorzulassen, obgleich er obendrein als berüchtigtes Großmaul allerhöchster Ordnung weitum bekannt war. Vielleicht war er gerade deswegen ein bühnenreifer, durchtrainierter Maulheld. Wer weiß das schon. Vermutlich nur Javier de Rossi und höchstwahrscheinlich inzwischen auch Alice, die Altistin.
Wahrscheinlich gab es wenige, eher sehr wenige Beobachter dieser improvisierten Scene. Sonst hätte dieser Auftritt weiß Gott wie komisch ausgesehen und der gebührende Ernst wäre von der Oper Don Carlo in das Komische Fach versetzt worden.
Die Zehntelsekunden der beidseitig aufgetretenen Verwunderung waren offensichtlich spürbar angenehm. Leider gingen sie, im Verhältnis zum anschließenden Begrüßungsritual, relativ zu rasch zu Ende. Das Hinundhergetue allerdings dauerte beinahe den gesamten ersten Akt. Zum Glück für die anderen Zuseher und Zuhörer waren sie zum einen ja alleine in der Loge und zum andern verlief das Geplänkel vergleichsweise unauffällig.
Nur der verschmitzt aus dem Orchestergraben in seinem frisch gebügelten Firmungsanzug hinaufblinzelnde Stardirigent war mit seinem ersten Schachzug eigentlich ganz zufrieden.
Weitere geplante Manöver dieser Art sollten ja noch folgen.
Der nächste versteckte Winkelzug am imaginären Schachbrett kündigte sich, jedenfalls für die Beteiligten am Spiel, eine oder zwei Stunden nach dem Ende der Opernvorstellung, unerwarteterweise an.
Für Mariella Nadja Todorova schien ein Märchentraum in Erfüllung zu gehen. Sie war wieder mittendrin zwischen all den Stars und Sternchen und fühlte sich nicht nur pudelwohl dabei. Alleine schon die feierliche Abfahrt vom Festspielhaus in ein Nirgendwo, war für die einstige Primadonna eine Einmaligkeit, wie man es sonst nur in einem Märchenbuch nachlesen hätte können. Von den Veranstaltern wurde eine Art Prozession mit besonders schönen, sehr ausgefallenen Oldtimern, organisiert. Und in einem dieser funkelnden Nobelkarossen saß sie. Und neben ihr der Maxl! Wer den sonst?
Man sollte nämlich wissen, dass die Prämieren-Feier in einem Nobelhotelrestaurant in der Nähe, aber außerhalb von Salzburg stattgefunden hatte. Von dort aus hätte man einen wunderschönen Blick auf einen klaren See gehabt, wenn es nicht stockdunkel und wolkenverhangen gewesen wäre. Das war im Grunde der einzige, nicht wieder gutzumachende Regiefehler an dem Abend.
Dazu kam die etwas zögerliche Auffahrt zum Hotel. Die lief halt so ähnlich ab, wie ein Almauftrieb. Vielleicht mit einem klitzekleinen, aber feinen Unterschied. Es wurden nicht Rindviecher aufgetrieben, sondern Menschen. Diese waren mit bunten Gewändern und Bändern geschmückt und strahlten obendrein eine schier unbezähmbare Selbstherrlichkeit aus. Wer so einen Auftakt zu einer Prämieren-Feier schon einmal miterleben durfte, der weiß es ohnehin. Es war immer schon so, denn die Zeit als Faktor X lief den Ruhelosen davon.
Alle vom Festspielkomitee eingeladenen Gäste wollten sich nämlich um den gefeierten Stardirigenten an einem Tisch versammeln, was ja leider, oder zum Glück, aus welchem Blickwinkel man es betrachten wollte, auf gar keinen Fall möglich gewesen ist.
So eine lange Tafel gibt es vielleicht in der Hofburg in Wien und da kann auch nicht jeder X-Beliebige direkt neben dem Herrn Präsidenten sitzen. So viel sollte man von Logistik verstehen. Das geht einfach nicht und bei so einer Prämieren-Feier, wo lauter kleinere gedeckte Tische herumstehen, schon gar nicht.
Die von Javier de Rossi, in Personalunion mit seiner Alice, schon Wochen vorher persönlich ausgesuchte Tischgesellschaft war ihrer Meinung groß genug und sehr klug und feinfühlend ausgewählt. Die beiden legten Wert auf eine buntzusammengewürfelte Tafelrunde.
So saßen sie nun am zirka fünf Meter langen ovalen schweren Eichentisch, welcher im Saal festlich geschmückt an der Frontpartie aufgestellt war, beisammen. Zunächst war da einmal der Dirigent mit seiner Frau Alice. Gleich rechts davon wurde gemäß der von Alice gewünschten Sitzordnung Mariella Nadja Todorova, als vielgepriesener Ehrengast, mit ihrem wieder neu entdeckten und inzwischen ein wenig vertraut gewordenen Maximilian Graf, die Plätze angeboten. Neben dem Grafen saß dann Dr. Rodeo Albrecht, ein Kernphysiker aus dem Kanton Genf in der Schweiz. Seine ausgesprochen hübsche, sowie aufreizende Begleiterin Antonietta machte es sich dann gewissermaßen zwischen den von Männern besetzten Stühlen gemütlich.
Die elliptische Runde schloss nämlich mit dem Astrophysiker und möglicherweise angehenden Nobelpreisträger Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast mit seiner aufgedonnerten, aber weniger attraktiven Ehefrau Professor Dr. Cornelia von Plast. Obwohl die Benennung weniger attraktiv mehr als ein Hilfsausdruck angesehen werden möge. Die Frau von Plast glänzte mit ihrer verblassenden Ausstrahlung eines abgetakelten Sterns an der Seite von Javier de Rossi. Ein Ehrenplatz sozusagen.
Die Vorstellungsrunde wurde von Alice nüchtern, mehr oder weniger farblos, im Zack-Zack-Rhythmus herausgesprudelt. Sie unterließ es offenbar bewusst, die geladenen Personen an der gemeinsamen Tafel in ein witzig launisches Licht zu stellen. Damit konnte sie nämlich taktisch klug agieren und gleichzeitig vermeiden, dass sie jene Art von theatralischer Kunst, nämlich diese in schauspielerische Verlogenheit umwandeln zu können, zeigen zu müssen.
Gastgeber im ursprünglichen Sinne war Javier de Rossi in Wahrheit ja auch wieder nicht. Er ließ sich diese seine Unvollkommenheit aber weder durch Gesten noch durch unabsichtlich herausquellende Wortwahl anmerken. Die Zeche bezahlen, das wusste er von vorneherein, wird ganz bestimmt jemand anderer sein. Das war immer schon so bei derartigen Banketten. Warum sollte es dieses Mal auch anders sein?
Während Speisen und Getränke in riesengroßer Auswahl aus Keller und Küche herangeschleppt worden waren, kamen in den vom Servierpersonal auferlegten Pausen nach und nach einige Premierenbesucher an den Dirigententisch herbeigeströmt, um ihn und seiner liebenswürdigen Gattin zur Aufführung herzlichst zu gratulieren.
Das schien aber nur meist ein Vorwand zu sein. Sie wollten mehrheitlich die neben ihnen sitzende ausrangierte Operndiva in Smalltalks zu verwickeln. Und die Dame war ja nicht gerade als mundfaul bekannt.
Diese bewusst gesteuerten Unterbrechungen zwischen den Speisefolgen verliefen insgesamt recht harmlos und vollkommen unspektakulär. Allerdings nur dann, wenn man den Sesselausrutscher des Graf Maxl nicht berücksichtigen wollte und diese Rutschpartie auf charmante Art zu übersehen gedachte. Aber das konnte man, trotz der ernsthaft auferlegten Etikette, nicht ohne die fadenscheinigen Lachausbrüche abhaken. Das Sesselschaukeln untersagt man bereits im Kindergarten. Dieses Gebot dürfte auch die noblere Gesellschaft betreffen, wenn man diese hier als solche überhaupt bezeichnen sollte.
Zum Glück wurde Maxl ja nicht verletzt. Seine ramponierte Hose wird sich auch an dieser neuralgischen Stelle wieder vernähen lassen. Das ist alles soweit kein Problem. Nur er hatte sozusagen im Moment des Geschehens zu dem Ort der Peinlichkeit, im Gegensatz zu den anderen Gästen im Saal, keine direkte Sichtverbindung gehabt.
Es blieb mir nicht erspart.
Was, bitteschön blieb mir bis jetzt schon erspart?
Nichts! Wirklich gar nichts.
Es folgten nämlich hinter verschlossenen Türen Verkuppelungsaktionen, und zwar eine nach der anderen. Das kann ich Dir sagen und die waren nicht einmal von schlechten Eltern. Bis heute werde ich das eigenartige Gefühl nicht los, dass verschiedene, mir bestens vertraute Menschen, schon eine Zeitlang hinter meinem Rücken irgendein Muster in einem noch nicht vorhandenen Schal stricken wollten. Habe ich mich soeben falsch ausgedrückt oder womöglich getäuscht? Das glaube ich nicht.
Den überschlauen Gelegenheitszubringern, soweit ich jetzt informiert bin, waren zwei Männer und drei Frauen daran beteiligt. Diese Leute kenne ich ganz gut. Im Nachhinein betrachtet, hatten ihre verzweifelten Winkelzüge keinen bemerkbaren Erfolg gebracht. Nur ich durchschaute schön langsam die dahintersteckende Strategie mit ihren drängenden Versuchen, mir irgendetwas, was ich damals nicht einmal erahnen konnte, anzuhängen.
Aber so eine mathematisch ungebildete Langsamdenkerin, wie man mich des Öfteren hinzustellen versucht, das bin ich dann auch wieder nicht. Ganz gewiss werde ich solchen Schwärmereien oder verbalen Übertreibungen nicht auf den Leim kriechen. Doch so böse, wie ich anfangs geglaubt habe, waren diese Menschen gar nicht.
Nur eine von den drei Frauen, und zwar die Jüngste im Trio, ist auf jeden Fall eine ausgemachte, aber letztlich liebenswürdig erscheinende Giftkanone. Und solche Individuen können, bei meiner Seel´, für mich zumindest, ganz schön gefährlich werden.
Jedenfalls die eine da ließ nicht locker und bohrte bei mir herum, als ob sie einen hinterfotzigen Auftrag zu erfüllen hätte. Die junge Dame verspritzte nämlich nicht nur ihr Gift oder die zähe Gallenflüssigkeit. Nein, nein!. Sie tat genau das Gegenteil. Wenn man dabei überhaupt vom Gegenteil sprechen kann.
Die Frau schmierte mir nämlich im Beisein ihrer guten Laune, was ich zudem anfangs überhaupt nicht begreifen konnte, allerdings bildlich gesprochen, löffelweise geschmolzene Milchschokolade mit einem Honiglöffel über den Mund, sodass ich knapp daran war, die plötzlich auftretende Schokoladeallergie ärztlich behandeln zu lassen. Schön langsam entpuppte sich aber aus der bedruckten, von Sonnenschutzcreme besudelten Einmache, die allseits bekannte blöde blaue Milka Kuh.
Wie ich es auch immer drehen und wenden würde, letztendlich konnte ich mich aus den von Schokopralinen verklebten Fängen dieser Giftnudel nicht mehr ohne fremde Hilfe befreien. Die fremde Hilfe erschien dann prompt, wie auf ein stilles Kommando, als personifiziertes Schreckgespenst auf meiner von Sinnen umgebenen Projektionswand. Zugegebenermaßen war es augenblicklich später selbstverständlich kein Gespenst mehr. Aber der erste Eindruck, na Du weißt schon, versprach eben nichts Gutes. Das kann ich auch erklären, weil kaum war ich aus den Fangarmen der Schokosüßen befreit, da saß ich quasi auch schon am Schoß eines fremden Kerls. Ganz so war es dann auch wieder nicht; das mit Schoß meine ich.
Man kann nun behaupten, was man möchte, die Sieger waren die anderen. Das hat sich sehr bald bei mir herauskristallisiert, als ich versucht habe zwei und zwei zusammenzuzählen und als Summe nicht die Fünf herausgekommen ist.
Unsympathisch war er mir ja nicht. Gleich zu Beginn, also in derselben Sekunde unserer Begegnung, kramte ich in meinem Speicher für Physiognomie herum und konnte diesen Kerl von einem Mann unter die Kategorie Sympathieträger einordnen.
Zu dieser Zeit hatte ich ja noch keine Ahnung, wer mein Gegenüber eigentlich war!
Aber das änderte sich bald.
Ein paar Andeutungen und die verstohlenen Blicke seinerseits ließen mich zu einem Urteil verführen. Er war es. Er musste es sein. Die hinterfotzige, keineswegs damenhafte Bagage sah ich im Gedanken schelmisch grinsen. Es war ihnen bestimmt bewusst geworden, auf welche schmalen Pfade sie sich bewegten, um meine sonst hinreichend bekannte Gutmütigkeit auf die Probe zu stellen.
Also ging ich in Kampfstellung. Nicht so wie Du es jetzt soeben vermutest, nein so nicht. Ich gab mich eher gelassen und ruhig. Diese Eigenschaft habe ich mir antrainiert und bei der fühle ich mich stark und überlegen. Ich wollte immer schon bei plötzlich unerwarteten Ereignissen genügend Zeit zu Verfügung haben, um darauf entsprechend reagieren zu können.
Mein Gegenüber war auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Er kam mir mit seinem Charme zuvor. Das ist ein schlauer Fuchs, sage ich Dir. Und als solchen habe ich ihn dann auch noch näher kennenlernen dürfen.
Javier de Rossi wimmelte sehr dezent, mit unglaublicher Geduld und Höflichkeit, das aufkommende Rundumgedränge der Gäste bis zum nächsten Speisegang ab. Danach richtete er nur sein Augenmerk auf seine Tischgesellschaft. Unter allen Umständen wollte er seine persönlichen Gäste bei bester Laune halten, um sie dann sozusagen alle von hinten herum in ein von ihm beabsichtigtes, raffiniert eingefädeltes sinnliches Abenteuer stürzen lassen.
Javier de Rossi war nicht nur ein hervorragender Dirigent seiner Orchester, sondern auch einer, der Tischgesellschaften zu führen wusste. Dazu beanspruchte er alle willigen Geister, die an dem eiförmigen Kreis versammelt waren.
Mit zur guten Laune beigetragen hat selbstverständlich auch der propangierte Festspielwein, nämlich ein Grüner Veltliner aus dem Traisental mit dem musikalisch klingenden Namen „Sommernachtstraum“. Zum eher rustikalisch anmutenden Hauptgang wurde etikettengetreu das Festspiel-Pils Edition 2013 in Sonderflaschen auf den Tisch gestellt. Und diese Flaschen passten sehr gut zu den Gästen. Jedenfalls hat Javier de Rossi bei der Getränkeauswahl schon im Vorfeld darauf bestanden.
Aus dem anfänglichen Geplänkel zwischen den Tischnachbarn einerseits und dem einladenden Ehepaar de Rossi andererseits, entwickelte sich erstaunlich rasch Diskussionen über alles Mögliche und Unwahrscheinliche. Im Grunde hatten diese Verbalismen nichts, aber schon gar nichts mehr mit dem künstlerischen Schaffen des Genius der Musik im Allgemeinen zu tun.
Mariella Nadja Todorova und ihr Maxl waren offenbar eine Zeit lang mit zukunftsorientierter Aussprache untereinander so vertieft, dass die danebensitzende Alice de Rossi mit ihrem feinen Gehör die Inhalte ihrer Debatten voll und ganz mitbekommen hatte. Verschmitzt lächelte sie und zwinkerte und stupste ihren Mann gar nicht so unauffällig zu und an.
Vermutlich war das ein weiterer geplanter Schachzug gewesen. So genau würde man das heutzutage nicht mehr analysieren wollen. Jedenfalls wurde an dem Tisch zwischen Mariella Nadja Todorova und dem Maxl ein stiller, vorerst noch geheimer Vertrag ausgehandelt.
Die anderen zwei Paare, nämlich die beiden Physiker und ihre Frauen unterhielten sich zwischen Suppe und Braten ganz zwanglos mit Javier de Rossi und Alice nur so über den Tisch hinweg. Sie alle waren ja geraume Zeit schon sehr gute Freunde geworden. Deshalb, und nicht unbedingt deswegen, lud der Stardirigent diesen Freundeskreis auf den gemeinsamen Tisch ein.
Nun, wie gesagt, es gab noch wesentlich wichtigere Gründe, fernab von der Prämieren-Feierlichkeit für dieses Zusammentreffen.
Der Kernphysiker Dr. Rodeo Albrecht ist ein aufgeweckter, sachlich orientierter junger Mann. Er ist so um die Mitte dreißig Jahre alt, von mittelgroßer Statur, mit dunklen sehr ausgedünnten Haaren. Wenn seine Halbglatze eine Frisur sein darf, dann hatte er eine. Ein akrobatischer Mimik Künstler ist er allemal. Wenn er lacht oder seinen breiten Mund bewegt, dann rollen mehr oder weniger seine Augen, als würden sie jeden Moment aus ihrer Höhle treten und das Weite suchen. Dafür hat er kaum einen sichtbaren Hals, jedoch O-Haxn.
Dr. Rodeo Albrecht ist gerademal das Gegenteil von Javier de Rossi. Wenn der sich in die Höhe streckt, dann sieht das Publikum im Saal nur seinen Kopf und den Hals, aber noch lange keinen Oberkörper, geschweige denn seine langen Füße, aus dem Orchestergraben hervortreten.
Dr. Rodeo Albrecht hat überdies auffallend lange Finger und deutlich hervortretende kugelförmige Gelenke, wie man sie bei übertrainierten Pianisten oftmals zu sehen bekommt. Ja doch, er spielt tatsächlich auch manches Mal Klavier. Nach seiner Einschätzung zufolge spielt er nicht besonders gut. Virtuose ist er keiner. Neben seinem Studium zum Kernphysiker ist er damals viel in den Bars herumgekugelt, hat Klavier gespielt und damit ein bisschen Geld dazuverdient.
Über seine Begleiterin Antonietta wurde am Tisch nicht sehr viel gesprochen. Vorgestellt wurde sie. Das Ja. Aber nicht erschöpfend genug. Es bestand ja auch kaum Gelegenheit dazu. Sie war es ja, die ihr Plappermäulchen ständig in Bewegung gehalten hatte. Die Dame redete und redete, genau wie der sprichwörtliche Wasserfall. Ihr blieben so manche Tropfen dabei auch den Lippen hängen, die sie hin und wieder mit einem rosafarbigen Papiertaschentuch abtupfte.
Man dürfte die Dame im wahrsten Sinne des Wortes als eine kabarettreife Unterhaltungskanone bezeichnen. Anders wäre ihr ungeschliffenes Mundwerksystem sonst kaum erklärbar. Sie suchte ja auffallenderweise den Dialog. Damit zog sie sozusagen Themen an Land, respektive an den Tisch, über die sich sogar die Männerwelt Schweigepflicht auferlegt haben und sich vermutlich wegen der plötzlich aufschießenden Rotfärbung der Haut eine Zeit lang nicht rasieren konnten.
Antonietta könnte überdies mit einem seltsamen Talent auf jeder Bühne überraschen. Sie konnte nämlich Debatten, oftmals gleichzeitig mit irgendwem nebenan oder sogar über zwei, drei Tische hinweg führen. Danach nahm sie blitzschnell wieder Blickkontakte mit jenen Freunden auf, die Sekunden zuvor verlassen hatte. Wie das rein technisch, für eine Dame wie sie eine ist, zu bewerkstelligen sein kann, darüber könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst ein ausgefuchster Philosoph niemals mit einer klaren wissenschaftlichen Aussprache aufwarten. Allerhöchstens mit einem Gutachten.
Antonietta ist und bleibt jedenfalls Antonietta.
Je länger der Abend andauerte, umso redseliger wurde sie. Besonders aufgefallen ist sie halt bei den Anwesenden. Aber nicht nur wegen der zum Teil schrillen Tonlage ihres Sprechgesanges, sondern weil sie schier gleichzeitig, wie eine wildgewordene, keinesfalls mehr standfeste beziehungsweise flugsichere Gans mit ihren Flügeln in der Luft herumgefuchtelt hatte.
Unter besonderen Umständen würde der Stardirigent die Antonietta allenfalls als hochdramatische Sprechgesangssopranistin für irgendwelche Seifenopern sofort blindlings unter Vertrag nehmen. Vermutlich aus Kleinmut oder gar aus Inkompetenz wurde über die Inhalte ihrer auffallend vernunftwidrigen Monologe, zum Beispiel über Politik und anderen Haarspaltereien, vom Ausschussvorsitzenden Stellvertreter des Festspielkomitees, der Presse eine Geheimhaltungspflicht auferlegt. Somit mussten ihre geistigen Zugaben für die Nachwelt verschwiegen werden.
Amnesty International bekam den Eingriff in die verfassungsmäßig abgesicherte Pressefreiheit wohl mit. Diese Organisation veranlasste drei Wochen später eine Groß-Demo vor dem Festspielhaus. Außer dem Veranstalter, bestehend aus einer Frau mittleren Alters, die eine Schrifttafel über ihrem Kopf zu halten versuchte, waren nur vier Zaungäste am Rand der Hofstallgasse auszunehmen. Die Polizeibeamten, die mit drei Blaulichtfahrzeugen an den Ort des Geschehens herangerast gekommen waren, verhielten sich auffallend zurückhaltend.
Nun wieder zurück zur Antonietta. Ihre Figur mag makellos, auch im Gleichgewicht zu ihrer Jugend, stehen. Bei einer Dame mit ihrem Aussehen kann man schwerlich eine durchgängige Altersbestimmung vornehmen.
Jedenfalls wird man nach oberflächlicher Begutachtung davon ausgehen können, dass ihr Alter schätzungsweise zwischen dem vielleicht und dem irgendwann angesiedelt sein dürfte. Eine Geburtsurkunde oder ein sonstiges Ausweisdokument hat wahrscheinlich nicht einmal ihr ständiger Begleiter Dr. Rodeo Albrecht zu Gesicht bekommen.
Wurscht! Hingegen konnte man ihre Größe, sowie ihre scharfen, kurvigen, körpereigenen Landschaftsformen mit einer Genauigkeit, immerhin visuell abtasten. Vermutlich gelänge mit dem Instrument der Gedanken ebenso ein ordentlicher Schätzungsversuch, welches zweifellos jedes Mikrometer in den Schatten stellen würde.
Die männlichen Gaffer dürften sich in einem Doppelpunkt einig gewesen sein. Wenn auch nur in ihrer Einbildung, wohlgemerkt. Das ist ohne Zweifel ein Vollweib!
Nur die holde Weiblichkeit, nicht nur jene, die an den diversen Tischrunden im Saal anteilhatten, würden allein schon aus Eifersüchteleien heraus, keine Sachverständigengutachten über das topmodelartige Aussehen von Antonietta abgeben. Nur sie selbst war in diesem Punkt klüger. Sie verschwendete wahrscheinlich keine ihrer kostbaren Gedanken über die eine oder anderen unschönen Zubauten ihrer Geschlechtsgenossinnen.
Antonietta war halt keine eintönige und schon gar keine sanftmütige Vertreterin ihrer Art. Sie benützte ihr Talent, um nahezu alle ihre Geistesblitze, ohne diese mit einer verinnerlichten Bewertung zu versehen, freien Raum zu geben. Umgangssprachlich bedeutet dies, dass sie alles Mögliche und auch Unmögliche aus ihrer Wörterspenderschatzkiste ausspucken konnte, wann und wie sie gerade Lust hatte. Ihr etwas zu hoch eingestufter Intelligenzquotient würde es gewiss nicht gestatten, dass sie womöglich mit Stöckelschuhen die Tastatur eines Computers bedienen würde, nur um damit ins Internet einsteigen zu können. In diese Richtung nur einen Gedanken zu verschwenden, wäre bestenfalls als Beleidigung für den Bleistiftabsatz der Damenfußschutzbekleidung zu bewerten.
Ihr jetziger ständiger Begleiter, nämlich Dr. Rodeo Albrecht, dürfte sich mit ihr irgendwie arrangiert haben, sonst wäre die Situation, die sie der scheinheiligen Tischrunde als Schmankerl zu bieten hatte, auch letztlich nicht eindeutig erklärbar.
Anders - und durchaus der Etikette angemessen, so fügte sich das Ehepaar von Plast dem ringsum bejubelnden Anlass in diese Prämieren-Feier ein. Selbstredend waren neben dem Stardirigenten beinahe alle führenden Stimmen von Schauspielern, Sängerinnen und Sängern anwesend. Lediglich zwei dieser Persönlichkeiten fehlten. Diese scheuten die intimere Seite der Öffentlichkeit. Angeblich wollten sie nicht, dass sie von fremden Menschen, abseits ihres geschützten Bühnenraumes, begafft und quasi vorgeführt werden. Solche Menschen gibt es halt auch.
Frau von Plast war rein vom Aussehen her mit der am selben Tisch sitzenden Antonietta überhaupt nicht vergleichbar. Gut - beide sind Frauen, das trifft wahrscheinlich schon zu. Aber das ist vermutlich bereits der gemeinsame natürlich vorgegebene Nenner gewesen.
Schätzungsweise dürften beide so ziemlich gleich groß sein. Über das Alter konnte und durfte man verständlicherweise nur spekulieren. Mit ziemlicher Sicherheit bestand aber schon ein merklicher Altersunterschied, jedenfalls zum Vorteil von Antonietta, versteht sich. Während die Jüngere sich kaum schminken und herausputzen musste, weil sie halt rundum eine natürliche Schönheit vorzeigen konnte, so sah es bei der Cornelia von Plast, vermutlich von oben bis unten, vermutlich auch von hinten bis vorne, ganz anders aus.
Einem guten Menschenkenner wäre es kaum gelungen, auf Anhieb ihr Alter richtig einzuschätzen. Vielleicht hätte ein Profi das Wahrscheinliche als realistischen Wert angenommen, nämlich umständehalber plus/minus zehn Jahre oder mehr. Wir wollen hier keinesfalls frauenfeindliche Gedankenlabyrinthe zulassen, aber gerade Frauen würden bei dem Anblick dieser Dame vollinhaltlich zustimmen.
Was Frau von Plast herumzuschleppen hatte, war auf keinen Fall die üblicherweise begehrte Natürlichkeit. Das absolute Gegenteil ist der Fall. Man könnte sich auch fragen, stimmt der Name und der Körper den eigentlich zusammen? Oder ist der Plastiker mit seinen Messerchen ihr dort und da willkürlich, beinahe schon in unverantwortlicher Weise zu Leibe gerückt? Oder wurden Überarbeitungen von Haut und Knochen, nur um den Willen der Auffrischung und der Korrektur der wissenschaftlich belegbaren Anatomie gerecht zu werden, vorgenommen? Oder gab es simple andere Gründe dafür? Niemand weiß es besser als die Betreffende selbst. Und die tut gut, zu schweigen.
Auch die Begrifflichkeit des Leibes kann man getrost einmal weglassen. Dieser war ja mit einer teuren Abendrobe von den Füßen bis weithinauf zum ausgeformten Dekolleté bedeckt. Das, was dann noch sichtbar an Haut und Falten übrig gewesen ist, war erschreckend genug. Sie trug nämlich um den Hals einen weithin erkennbar unechten, plump zusammengelöteten Modeschmuck.
Apropos Füße: Soweit man es sehen konnte, zierte ein Paar dunkelblau lackierte, schnallenlos zugespitzte dreiundvierziger Quadratlatschen ihr Tretgetriebewerk. Zugegeben, das war an diesem Abend die zeitgemäß originellste Schuhmode. Nur fanden diese unter dem Tisch kaum Beachtung.
Allerdings der Stoff, aus dem das Abendkleid geschneidert wurde, dürfte eine Mischung aus fünfundachtzig Prozentanteile Polyester gewesen sein. Etwa bei nahezu jeder ungestümen Rechtsdrehung blitze und knisterte es und die arme Frau von Plast wurde elektrostatisch wie ein umweltschonendes Kraftwerk, aufgeladen. Der Rest der im Stoff befindlichen Atome stammte vermutlich aus den sonst üblich teuren brandhemmenden Zusätzen. Angeblich sollte dieses einmalige Exponat auch noch eine Meisterleistung der besonderen Art of Creation darstellen.
Diese Haute Couture, wie die Franzosen zu sagen pflegen, wurde nämlich von einer Festspiel-Dekorateurin, die sich in ihrer kargen Freizeit als Modedesignerin einen Namen machen wollte, kreiert. Dem Publikum fielen ihre stets zauberhaften Bühnenvorhänge, die bei den diversen Veranstaltungen im Festspielhaus Verwendung finden, gar nicht mehr auf. Sozusagen als Trost konnte und durfte jeder den flotten Schnitt am Kleid von Cornelia von Plast bewundern.
So einen in mehrfachen Blautönen gehaltenen Vorhang, wo sich im unteren Drittel unzählige aufgedruckte Sterne versammelten, wurde ihr auf den sogenannten Leib, mit kümmerlichen Ausdehnungsfugen, einfach mehr lieblos als fachgerecht hinaufgepflastert.
Und ihre sündteuer gestaltete Haartracht erst! Mein lieber Gott, das wäre ein eigenes Kapitel für sich gewesen. Aufgetürmt bis nahezu ins Kosmische, unterstrich dieses Haarstyling noch um einiges mehr das Unvorteilhafte ihrer Gesamterscheinung. Nebenbei bemerkt waren ihre Haare ein Bestandteil aus einer Mischung von Spektralfarben, wie man es halt bei der Betrachtung eines Regenbogens oder von Galaxien zu sehen bekommt.
Die Friseuse oder die oder der Stylist(in) hatten unbestritten ein stundenlang durchgehaltenes Meisterwerk an dieser Frau geschaffen. Das muss man erst einmal aushalten.
Der Kontrast zu ihrer Frisur war eben der vorhin schon besprochene Vorhang. Dieser wurde gewissermaßen als Abendrobe missbraucht und ihr wahrscheinlich demgemäß als ein Kunstwerk unterschoben. Das Gesamtbild der scheinbar damenhaften Erscheinung glich eher einer qualitativ schlechten lyrischen Dichtung! Das absolut Störende war wirklich nur der oben, aus einer in Miniatur angelegten Kragensteife, hinausragende Schädel.
Die unausgesprochene Vermutung, dass die gute Frau von Plast auch an ihren Händen Schönheitsoperationen machen hätte lassen, bestärkte auch jene Ungläubigen, die an ihrer Beobachtungsgabe ansonsten Zweifel hegten. Die Frau von Plast trug nämlich zum Kleiderstoff passende Handschuhe, wobei auf die aufgedruckten Sterne offensichtlich bewusst verzichtet worden war.
Und diese bitteschön streifte sie auch beim lukullischen Hauptgericht nicht ab!
Was ist das nur für ein Weib! Umwerfend! Auf jeden Fall.
Professor Dr. art. Cornelia von Plast bringt beispielsweise an verschiedenen Universitäten in der Schweiz sowie auch in Deutschland den Studenten die moderne Kunst näher in deren bewusstes Sichtfeld. Wie es den Anschein hat, dürfte das Berufliche auch ihre Selbstversuche in der Mode sowie der offensichtlich praktizierten ästhetisch körpereignen Verstümmelungen erklären.
Wir alle wissen ja zu gut, dass sich Gegensätze anziehen. Das ist zwar kein Lehrsatz aus dem Fachbereich der höheren Mathematik, dann schon eher aus der Physik. Man denke nur an den Aufbau der Atome. Aber dem nichtstudierten Alltagsmenschen würde diese grundlegende Aussage links an ihm vorbeiwischen - wie nichts. Der Interessierte würde diese Beobachtung vielmehr in das Reich der Psychologie oder gar der Philosophie einreihen. Soweit, so gut!
Geradeso einen Gegensatz wie aus dem Lehrbuch eben zitiert, stellt zum Beispiel Cornelia von Plast angetrautes Elend dar. Er scheint der typische Akademiker zu sein, der am Gängelband seiner Frau herumtanzen muss, wie sie die Fäden vorne und hinten bedient. Solche bemitleidenswerten Gestalten kennt man aus den eher schlechten Serienproduktionen, die manche Zuschauer gerade noch erdulden.
Zerstreut, eher die meiste Zeit geistig abwesend, so saß er neben seiner durch und durch gestylten Frau. Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast schaute stets von oben durch seine kreisrunde Allerweltsbrille aus Nickel, die gerade noch auf der Nasenspitze Halt zu suchen übte, hindurch.
Was für ein Paar! So könnte man das lauthals aus sich heraus schreien. Doch niemand tat es. Schon anstandshalber nicht. Hier nicht und wahrscheinlich woanders auch nicht. In derartigen, mit jeder Menge an Sternen ausgezeichnetes Nobelrestaurant gibt es eine stille, jedoch immer noch eine gültige Übereinkunft, die sowohl für Gäste als auch für das Personal tragend ist. Mit einfachen Worten: Man genießt die Atmosphäre oder auch nicht. Aber man schweigt dazu!
Obgleich es ja ein gewisses Mitgefühl für unterjochte Ehemänner geben soll und auch selbstverständlich geben darf. Das ist emanzipativ, auch heute noch, unbestritten. Hingegen dürfte Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast von einer Emanzipation der männlichen Spezies noch nie etwas gehört oder gelesen haben.
Getuschelt wurde aber an den Nebentischen doch so laut, dass sogar Schwerhörige, ohne ihre Elektronik verwenden zu müssen, es vernommen hätten. Das Thema war eindeutig und vielversprechend zugleich: Es ging eigentlich um einen harmlosen Versuch, wie man eine weibliche Unschönheit vorzuspiegeln hat.
Wem irgendwann einmal die Gelegenheit geboten werden sollte, an einer Prämieren-Feier bei den Salzburger Festspielen beiwohnen zu dürfen, den werden Ausritte, wie zum Beispiel, wenn die Mode mit ihren Entgleisungen ins Unerträgliche abgleitet, keine allzu großen Kopfschmerzen mehr bereiten. Viel schlimmer sind dann schon die Anblicke von Auswüchsen zu ertragen, die von misslungenem Herumschnipseln mit Skalpellen an sichtbaren, noch dazu bei jenen nach vorne drängenden weiblichen Körperteilen, Zeugnis geben.
Auch dem etwas schrullenhaften Astrophysiker Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast dürfte sich, hinsichtlich seiner etwas verschoben aussehenden Ehegattin, mittlerweile ein dickes Fell über seine Sinne gestülpt haben.
Er und Dr. Rodeo Albrecht waren etliche Jahre lang, gemeinsam mit vier weiteren Physikern Mitglieder einer elitär ausgewählten Gruppe in CERN, an der Europäischen Organisation für Kernforschung, tätig. Die beiden Wissenschaftler arbeiteten gemeinsam an einer besonders detailliert ausformulierten, aber streng geheimen Forschungsaufgabe.
Warum gerade die zwei hochrangigen Spezialisten der Physik dieses weltweit anerkannte Institut verlassen haben, freiwillig oder unfreiwillig, darüber wurde gegenseitiges Stillschweigen vereinbart.
In den letzten zwei Monaten ist im Forschungszentrum CERN allerdings durchgesickert, dass Dr. Dr. Hieronymus Bachstein von Plast und Dr. Rodeo Albrecht auf ein Teilchen gestoßen sind, das alleine schon vom Aufbau her, zwar nicht absolut, aber doch eher unbekannt gewesen war. Das winzige Teilchen erregte zumindest den Verdacht, es könnte sich dabei um etwas ganz Neues, vielleicht sogar eine Ergänzung zum Periodensystem werden. Das würde ungeachtet des riesigen Erfolges, eine kaum mehr kontrollierbare Revolution innerhalb der Wissenschaften hervorrufen.
Wie in jedem Großbetrieb gibt es Neider, so ist auch CERN nicht gerade damit verschont geblieben. Einige von diesen möchten mit höheren Weihen, nämlich als Nobelpreisträger, in die Geschichte eingehen.
Nur die zwei Physiker Bachstein von Plast und Albrecht wollten an dem geistigen Gemetzel, das sich unvermeidbar zwischen den Wissenschaftlern zugetragen hätte, nicht teilhaben. Sie nahmen ihre Hüte samt dem entdeckten Teilchen und werden mit diesem ihre Forschungen an einem anderen noch unbestimmten Ort fortsetzen.
Eine andere Version in der Gerüchtezentrale gab es auch noch: Bekanntgeworden ist nämlich, dass wenigstens einer beiden einen Stromunfall mit tödlichem Ausgang mitverschuldet haben musste. Die internationalen Medien berichteten damals überschwänglich über das seltene Ereignis. Aus immer noch ungeklärter Ursache gelang es einen völlig Außenstehenden in das innere Heiligtum, dieser streng bewachten Anlage zu gelangen. Es ging alles offenbar sehr schnell und die Überwachungskameras lieferten keine Videos. Letztlich genügte ein Biss in ein rotummanteltes Kabel, um einerseits den LHD still- und den Marder flachzulegen.
Alles geht einmal zu Ende, auch die Feier löste sich gegen drei Uhr früh langsam auf. Die meisten Gäste blieben die restliche Nacht im hauseigenen Hotel. Nur jene, die am Dirigententisch versammelt gewesen waren, ließen sich mit getrennten Taxis in ihre Bleibe zurückbringen. Alice und Javier de Rossi fuhren zu ihrer Villa westlich von Salzburg. Das Ehepaar von Plast, Dr. Rodeo Albrecht und Antonietta wohnten zufälligerweise im selben Hotel in der Innenstadt.
Mariella Nadja Todorova war, wie auch ihr Maxl, von den vielen Durcheinander an alkoholischen Gesöffen ordentlich beschwipst, um nicht den Ausdruck die Nähe zum Vollrausch verwenden zu müssen. Aber da war schon eine Prise Wahrheit mit dabei, sonst hätten die beiden am übernächsten Morgen nicht so intensiv nachzudenken brauchen. Sie wussten angeblich nicht mehr, wie sie ins Hotel gekommen sind, und hatten überdies keine Vorstellung darüber, in wessen Betten sie nun achtzehn Stunden lang oder mehr geschlafen hatten.
Mariella Nadja Todorova wurde nicht nur im Zimmer, sondern nebenbei bemerkt im Doppelbett bei ihrem Maxl munter. Das wäre an sich auch noch kein Weltuntergang gewesen. Er schlief hörbar tief und fest und schien bereits Träume in die Wirklichkeit zu senden. Als Beweis dafür tappte er nämlich unbeholfen zuerst mit der linken Hand und dann mit seinen Fußspitzen an den vermeintlich schlafenden Körper seiner Geliebten.
Vermutlich durch diese Geste der Höflichkeit dürfte Mariella Nadja Todorova aus einem halbbewusstlosen Zustand endlich erwacht sein. Allerdings musste sie erkennen, dass sie mehr oder weniger halbnackig im Bett neben ihm lag.
Ihre seelische Empörung war zunächst einmal für Bruchteile einer unmessbaren Zeit dementsprechend groß. Ihre innere Auflehnung darüber senkte sich jedoch so rapide, wie die Luft aus dem Fahrradschlauch, aus dem man soeben einen Teppichnagel herausgezogen hatte.
Der Graf Maxl lag, im Gegensatz zu ihr, pudelnackig im Bett. Das war natürlich eindeutig. Was geschehen oder vermutlich gar nicht eingetreten ist, bleibt der Fantasie der Dame vorbehalten. Und sie hatte entschieden. Unvermeidbar war es nicht.
Gegenseitige Schuldzuweisungen wären völlig fehl am Platz gewesen, obwohl in diesem Falle das Bett ein überaus geeigneter war.
So nahm Mariella Nadja Todorova, nach dem sie ihre Gedanken und ihre strähnigen Haare geordnet hatte, die günstige Gelegenheit beim Schopf oder griff woanders zu und rüttelte damit ihren Maxl aus seinem vorgetäuschten Tiefschlaf.
Er war im Gegensatz zu seiner Bettgenossin schon stundenlang wach und genoss ihr kräftiges Wachrütteln an Teilen seines Körpers. Im Anschluss daran genossen beide ein deftiges Frühstück, welches der Zimmerkellner ihnen vor die Türe gestellt hatte.
„Guten Morgen, wie sehen ich muss, schlafe ich im Bett in deiniges. Ich schlafe gut neben dir und träumt, du musst kommen mit mir in meine Blütengartenmeer nach Bulgarien. Ich brauche dringend Mann starken, der im Betrieb Führender sein soll und auch bei mir. Du verstehste mich, oder?“
Nach diesem nicht besonders schwer verständlichen, aber eindeutigen Monolog tauchten sie aufs Neue wieder ab ins Bett. Mariella Nadja Todorova hätte bestimmt noch eine Stunde weitergeplaudert, wenn nicht der Maxl ihr eine länger anhaltende Mund zu Mund Beatmung verpasst hätte.
Für die geküsste Dame war das allem Anschein nach die bestformulierteste, tiefgründigste vertragliche Zustimmung, die sie sich in dieser Ausführung nicht einmal im Traum vorstellen hätte können. Maxl hingegen gab sich gelassen. Mit dieser Geste unterstrich er gleichsam ein imaginäres Protokoll mit Augenzwinkern, welches in etwa lautete: Er werde zwar seine geschäftliche Niederlassung in Bayern nicht zur Gänze aufgeben. Andererseits könne er sich aber gut vorstellen, dass er in naher Zukunft auf die Vermehrung der Blüten im Blütengartenmeer unbedingt Bedacht nehmen werde müssen. Und hier endete dann abrupt sein nervöses Augenzwinkern, atmete tief ein und nahm erneut das eben unterbrochene Berührungsritual mit seiner neuen Partnerin auf.
Die darauffolgende Ausarbeitung des Gesellschaftsvertrages wurde dann, tiefenpsychologisch betrachtet, wesentlich in allen Einzelheiten noch durchdringender fortgesetzt. Mit der Beseitigung sämtlicher, zu Anfang noch bestehenden Klauseln, wurde zu guter Letzt das Scheinformular mit allen erdenklichen Unwahrscheinlichkeiten ausgefüllt. Die ursprünglich nicht unbedingt reibungslos verlaufenden Verhandlungen, die ja bekanntlich gemeinsam im Doppelbett, mit gegenseitigem strategischen Einfühlungsvermögen, geführt worden sind, dauerten schlussendlich bis in die späteren Mittagsstunden.
Es dürfte kaum jemand von den beiden mitbekommen haben, dass am Kalenderblatt in der Portierloge inzwischen schon Montag, der 5. August 2013 vermerkt war.
Am Nachmittag, so gegen sechzehn Uhr waren Mariella Nadja Todorova mit ihrem Maxl, zusammen mit Alice de Rossi in einem Caféhaus in der Salzburger Innenstadt verabredet. Bei Kaffee und einem köstlich sortierten Kuchentablett wurde die Kunst der Selbstdarstellung von Antonietta und Dr. Rodeo Albrecht, sozusagen als geeignetes, stets wiederholbares Regiegespräch, auf den runden marmornen Tisch, erneut ausgebreitet.
Alice verteidigte in einem auswendiggelernten Plädoyer Antoniettas schillerndes Auftreten bei der Prämieren-Feier in diesem Nobelhotel-Restaurant. Alice betonte allen Ernstes und das gleich mehrfach, Antonietta sei halt eine Aktivistin aus Leidenschaft. Überdies unterstrich Alice bei ihrem Monolog, den sie ja zur Ehrenrettung der Dame, wie schon vorhin bemerkt, einstudiert haben musste, mit einer jämmerlich gespielten, aber trotzdem erkennbar gereizten Gestik, folgendes: Antonietta sei ja weder blond, noch hat sie sonstige Merkmale, die sie benützen könnte, um ihre Umgebung in den glatten Wahnsinn zu treiben.
Alice räumte in ihrem Monolog allerdings ein, dass Dr. Rodeo Albrecht gewiss für sie ein viel zu guter und nachsichtiger Lebensbegleiter sei. Er dürfte es samt seinen Anstrengungen bislang nicht geschafft haben, die Zügel ein wenig straffer anzuziehen. Insbesondere dann nicht, wenn der Alkoholteufel bei ihr bereits einen unmäßigen Einfluss auszuüben versuchte.
Gedanklich aber hatte sich Mariella Nadja Todorova von dieser Antonietta bei ihren selbstgefälligen Auftritten im Restaurant ein völlig anderes Bild zusammengestöpselt und deshalb widerstand sie auch beharrlich dieses zu ändern.
Wesentlich ausschweifender und bis ins kleinste Detail hätte Alice bestimmt sehr gerne vom Ehepaar von Plast getratscht. Sie wurde allerdings durch einen Anruf auf ihrem Handy jäh unterbrochen. Danach schilderte sie lediglich im sogenannten Telegrammstil warum und weshalb sich ihr Mann, und sie selbst natürlich auch, für die Einladung der ausgewählten Personen zur Prämieren-Feier entschieden haben. Diese Zusammenfassung dauerte vielleicht gerademal fünf Minuten.
Für Mariella Nadja Todorova schien das einleuchtend. Dr. Rodeo Albrecht und das Ehepaar von Plast waren ebenso wie sie, langjährige Freunde der Familie de Rossi.
Nur was Alice dann zwar in Stichworten zwischen Kaffee und Apfeltorte mit Schlag im Mund eher leidenschaftslos hervorgeplappert hatte und sekundengleich versuchte den Sprung zum Abgang vorzubereiten, ließ auch den Maxl aufhorchen. Es ging anscheinend um ein sehr großes Projekt für die Wissenschaft im Allgemeinen sowie für die Astrophysik im Besonderen.
Darüber wollte Alice, die es jetzt auf einmal sehr eilig hatte und immer wieder auf das Display von ihrem Handy schaute, nicht weiter sprechen. Oder sie konnte es nicht, weil sie vielleicht nichts Genaues darüber wusste. Vielleicht wollte sie nur einen gezielten Pfeil auf den Maxl abschießen, weil Alice ja erkennen musste, dass seine Ohrenflügel mittlerweile eine Mr. Spock ähnliche Form sowie eine starke Rotverfärbung angenommen haben.
Maxl war hellwach. Das ist er bestimmt immer, wenn um Geld gesprochen wurde. So ähnlich dürfte es auch seiner Begleiterin Mariella Nadja Todorova in diesem Moment gegangen sein. Sie war auch neugierig geworden und wollte schon nachfragen.
Alice war ankündigungslos aufgestanden, gab ein paar entschuldigende Floskeln von sich, zeigte mit ihrem Finger auf das Handy und eilte davon, als hätte sie den frischgebackenen Bienenstich von vorhin nicht vertragen.
Da saßen sie nun. Nämlich die zwei jüngst in Partnerschaft verbundenen Blütengartenmeer-Betreuer alleine am Tisch. Vor ihnen lag eine horrend hohe Rechnung, die ihnen beiden ihre Augen zum überschlagenen Rollen verleitet haben. Und das Beste war noch, dass das Missverständnis einer nicht ausgesprochenen Einladung seitens Alice gleichsam danebenlag.
Maxl musste wieder einmal Farbe bekennen. Dieses Mal in ganz anderer Art. Sein angebliches Barvermögen steckte in einem Sakko und dieses wartete geduldig auf einem Kleiderbügel, in einem Schrank im Hotel, auf seinem Besitzer. Also gut. Das kommt bei Festspielgästen öfters vor. Die Rechnung wurde in unkomplizierter Art und Weise ins Hotel transferiert und auf die Zimmerrechnung dazu addiert.
Maxl ist und bleibt halt ein Kavalier.
Alice allerdings entfernte sich nur knapp fünfzig Meter vom Caféhaus. Den Klingelton bei ihrem Handy hatte sie vor dem Treffen mit Mariella Nadja Todorova und Maxl präzise eingestellt. Und akkurat zur passenden Zeit spielte das Ding Mozarts Kleine Nachtmusik los.
Das war der nächste gelungene Schachzug. Alice und ihr Mann, der wie verabredet neben ihr stand, konnten ihr Lachen kaum unterdrücken.
Es traf den Stardirigenten Javier de Rossi und gleichermaßen auch seine Frau Alice wie ein Blitz aus heiterem Himmel, um diese umgangssprachliche Floskel einmal an dieser Stelle zu strapazieren. Es stimmte zwar nicht ganz, weil der Himmel war an diesem Dienstag den 6. August jedenfalls wolkenverhangen und es schnürlete beim Regen in Salzburg ganz gehörig.
Und doch schien ein unvermeidliches Donnerwetter, das nicht in der Disziplin der Meteorologie ihren Ursprung hatte, aufzukommen. Diese Heftigkeit traf Javier de Rossi und vermutlich auch noch viele andere, während er zeitunglesend und das mit Liebe von seiner Alice zubereitete Frühstück genießen wollte.
Am Tag der feierlichen Eröffnung der Salzburger Festspiele schien alles noch eitle Wonne zu sein. So sprachen jedenfalls sämtliche für Kultur, zumindest temporär verantwortliche Politiker über das Schöne der freien Kunst. Das von gewiss mehreren Redeschreibern verfasste Konzept wurde dann langatmig von Damen und Herren in ein heruntergelesenes Gemurmel umgewandelt.
Keine Silbe wurde vor wenigen Tagen darüber gesprochen. Geschweige denn angedeutet! Nämlich dies, was die Weltpresse, quasi als Morgengebet zum Dienstag, den Lesern, ausgenommen jenen, denen das ohnehin wurscht ist, als Beilage zum Frühstückservierte.
Mein lieber Spitz, die Aufregung hätte auch seine Grenzen einhalten können, weil die Schlagzeile – Einsparungen bei Sonderausgaben - beinhaltete ja an sich keine besondere Überspannung der Österreichischen Seele. Es betrifft im Wesentlichen das berühmte Tagesgeschäft der Politiker einerseits und der Printmedien andererseits. Mehr nicht. Außerdem wurde mit dem Wurf von überreifen Tomaten schon öfters das strittige Sommerloch gestopft.
Damit dies auch bis ins kleinste Unteilbare gelingen kann, muss man sich halt auch was einfallen lassen. Und gerade für diese Zwecke war die politische Landschaft die geeignetste Bühne, die ja für sich selbst stets den Anspruch erhebt, die kreativste und innovativste Plattform aller Zeiten zu sein.
Inspiration war das sommerlich anmutende Zauberwort schlechthin. Nur von wem auch immer die am Dienstag den 6. August in den Medien verbreitete Erleuchtung vorgeschlagen worden war, der oder die hatten es meterdick übertrieben.
Eigentlich hatte der Artikel ja ganz harmlos angefangen. Von Satz zu Satz drehte sich dann aber die Gedankenspirale des Schreiberlings behutsamst in ungeahnte Höhen hinauf.
Anfangs waren allgemeine Begriffe über die künftig vorzunehmenden Sparmaßnahmen, welches auch die Durchschnittsbevölkerung noch so halbwegs zu verstehen glaubt. Zwischen dem lauwarmen Einführungstext und den überhaupt nicht notwendigen Zusätzen, wurde ein Foto von der für das Resort für Unterricht, Kunst und Kultur zuständigen Ministerin abgedruckt. Dabei handelte es sich um eine Abbildung, die einem Meisterfotografen den sofortigen Entzug der Gewerbeberechtigung eingebracht hätte, wäre nicht unterhalb vom Bild in einem Klammertext privat gestanden.
Der letzte Absatz war für Javier de Rossi von Bedeutung. Da stand auszugsweise „… auch die Salzburger Festspiele werden meinen Sparstift zu spüren bekommen …“. Ein paar Sätze weiter forderte sie allen Ernstes, dass der in Österreich mit Tradition behaftete dreiviertel Takt in Zukunft eingespart werden müsse.
Der unterzeichnete Chefredakteur merkte auch noch keck an, man streiche ja heute schon ganze Partitur-Passagen willkürlich von viel zu langatmigen Opern heraus, um Zeit und Geld zu sparen.
Die Ministerin preschte mit ihrer Aussendung offenbar um Oktaven zu weit in unkluger Weise vorwärts, um Tage später wieder rückwärtsrudern zu müssen.
Das Sommerloch wurde somit im dreiviertel Takt aufgeschaukelt und gelangte dadurch wieder einmal in den Fokus der Medienlandschaften. Berühmter hätte man mit dieser Art von Morgenpresse die Salzburger Festspiele in der gesamten Welt gar nicht machen können.
Von der angekündigten Drohung der Unterrichtsministerin im Jahre 2013, den Dreivierteltakt aus der Musik zur Gänze streichen zu wollen, beziehungsweise diese unnötigen Noten aus Budgetgründen einzusparen, daraus wurde nichts. Eine unnötige Luftblase?
Glaublich nein! Einerseits musste diese Ministerin daraufhin wenig später ihren Hut nehmen, wenn sie einen gehabt hätte und andererseits waren die aufgeregten Schreie aus der Bevölkerung sowie im Nachhall von den Musikergewerkschaftlern unüberhörbar geworden. Welcher Teufl die Strippen gezogen hatte, das weiß man bis heute noch nicht.
An sich wäre das alles nicht das Gravierendste gewesen, hätte es da nicht auch noch die Lehrergewerkschaft gegeben. Diese Institution mit ihrem schwergewichtigen Vorstandsvorsitzenden hatte ungemein taktlos, noch dazu ohne den Besitz von Notenkenntnis, drauflosgetrommelt und sich in das Orchester der Unverständlichkeiten eingemischt. Beinahe jeder Staatsbürger weiß inzwischen, wenn diese oppositionelle Organisation einmal eine Möglichkeit für einen Frontalangriff auf das Ministerium nur im Weitesten erahnt – dann bitteschön – wünschen wir allen eine gute Nacht.
So richtig wirklich begriffen hatte das damals ja kaum jemand, was diese Gruppe, die sich um die inzwischen exportierte Ministerin gescharrt hatte, eigentlich erreichen wollte. Man sprach sozusagen indianisch miteinander. Was so viel heißt: Man redete mit gespaltener Zunge und verwendete ferner Schall- und Rauchzeichen.
Die eilends installierte Nachfolgerin im Unterrichtsministerium hatte kaum Gelegenheit sich über das Tohuwabohu auf ihrem neuen Schreibtisch einen Überblick zu verschaffen. Sie ließ den Aktenberg, der wegen der unüberlegten Befreiung vom Dreivierteltakt angewachsen war, sogleich ministeriell entsorgen.
Somit war das mit Dreivierteltaktspekulationen gefüllte Sommerloch vorüber. Nur ein zweizeiliger Vermerk in der Chronik, die zugunsten ihrer Vorgängerin von einem extra beauftragten Germanistikprofessor abgefasst worden war, sollte die Nachwelt auf das nichtssagende Schaffen einer leicht überforderten Powerfrau später einmal aufmerksam machen.
Zweifellos hatte der Chronist auch ihre Verdienste um die Republik gewürdigt, die sie schlussendlich mit ihrem Abgang erfüllt hatte. Diese Zeilen wurden im Rahmen einer Präsidialkonferenz der Beamtengewerkschaft zugelassen. Das war aber schon alles. Bisher hörte man nichts mehr von ihr.
Die neue Ministerin verstand von Musik genauso viel, wie der Bäcker von den Würsten. Und was da dabei herauskommen kann, das ist nur bildlich vorstellbar.
Eh wurscht!
Das Steckenpferd dieser Dame war die logistische Herausforderung der Umsetzung einer bundeseinheitlichen Reifeprüfung mit allem Wenn und Aber. Sie wollte nämlich ein Abitur für alle Jugendlichen bereits ab dem sechzehnten Lebensjahr durchboxen. Das hätte ihrer Meinung nach auch wirtschaftliche Vorteile gebracht. Danach hätten die jungen Damen und Herren viel früher als sonst zu Lehrberufen oder zum Studium greifen können.
Somit erfand sie auch, rein theoretisch wohl gemerkt, gleich ein netztaugliches Frage- und Antwortspiel. In Null-Komma-Josef würden für alle interessierten sechzehnjährigen Schüler oder eben halt auch Lehrlinge die aktuellen Fragen mit sämtlichen ausgearbeiteten Antworten über die soziale Netzwerkagentur zum Downloaden abrufbar bereitstehen. In diesem Punkt gab es auch wieder Bedenken von gewichtigen Beamtengewerkschaftlern.
Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Idee wird durchsetzen können. Prinzipiell wird auch das nur eine Frage der Zeit bleiben, bis auch die Volksschüler auf ihren IPhon´s sich die Antworten der jährlichen Sonderprüfungen herunterladen werden können.
Man wird dann europaweit Stielaugen bekommen, wenn plötzlich die PISA-Ergebnisse von Österreich in der internationalen Rangliste deutlich nach oben rutschen werden. Ein Beispiel gibt es ja schon. Finnland macht das übrigens schon lange. Die Kinder dort oben im Norden sind gleichermaßen ebenso gescheit oder blöd wie unsere, nur vielleicht ein bisschen intelligenter.
Jedes Volksschulkind in Finnland ab der dritten Klasse hat so ein technisches Wunderzeugs verpflichtend in der Schultasche und sie kommen damit besser zurecht, als so mancher Lehrer. Das vermuten die europäisch pädagogischen Akademiker schon lange, dass die Kinder im hohen Norden sich wesentlich von jenen bei uns im mittleren Europa unterscheiden.
Das kommt nicht von ungefähr, sondern aus dem Kosmos. Die Kinder und Jugendlichen oben im Norden erleben jahraus und jahrein den direkten Beschuss aus dem Weltall, genauer gesagt von der Sonne.
Wir alle kennen sie ja die Polarlichter. Darin befinden sich unvorstellbare Mengen an kleinste Teilchen, die als Photonen bekannt sind und die vor allem die Eigenschaften besitzen, das menschliche Gehirn, wahrscheinlich auch das tierische, zu höheren Leistungen hochzukurbeln, oder so.
Und schon haben wir die plausible Erklärung für das außergewöhnliche hohe Abschneiden der Kinder und Jugendlichen, die ja letztlich in der PISA-Studie schwarz auf weiß zum Ausdruck kommt.
Sogar die von Menschen gemachten technischen Höchstleitungen werden durch diesen kosmischen Einfluss markant gestört. Dieses Phänomen hat sich in der Zwischenzeit ja auch herumgesprochen.
Nur wir hier in Österreich sind bislang von höheren Eingebungen verschont geblieben. Was leider Gottes zum schlechten Abschneiden der Überprüfungen bei den Überprüften geführt haben soll. Ob das nun zutrifft oder nicht, bleibt vorerst einmal nach den einfach lesbaren Formeln von Albert Einstein ungeklärt.
Nur die Ministerin bei uns kennt sich aus. Sie weiß wohl, dass sie keinen faulen Zauber vom Himmel herunterholen kann, aber das IPhon in den Unterrichtsstunden möge halt ungesehen, unbestraft und einfach nur geduldet werden. Auch dieser Erlass fand nicht überall die Zustimmung unter den Lehrkräften. Jedenfalls nicht bei den älteren dieser Spezies. Womöglich aus diesen ehrbaren Gründen verschwanden jede Menge Schulmeister und Schulmeisterinnen in der Frühpension.
Nun es war so: In Wirklichkeit hat mir der Autor eher aus einer verzwickten Klemme herausgeholfen, als in eine solche hineingezogen. Ob er damals diesen Schritt auch machen wollte oder nicht, das kann ich nicht beantworten. Ist auch letztendlich egal. Jedenfalls befreite er mich aus einer gar nicht so angenehmen Zwangslage.
Ich habe mich nämlich bei meinen Recherchen rund um diese Frau Professor Dr. art. Cornelia von Plast total verrannt. Das ist ein Weib (lein), das kann ich Dir sagen. So etwas in dieser Art, das in eine Frauengestalt eingepackt und überdies gebündelt worden war, das habe ich, mit einer Ausnahme auf der Bühne beim Jedermann, wirklich noch nie selbst beobachtet.
Ihre sichtbare äußere Erscheinung reicht im Prinzip aus, um eine Hochrechnung auf ihren gesamten Körper zu wagen. Da ist nichts Echtes dran, was falsch sein kann. Ich weiß, über was ich hier daher plappere. Ich bin ja schließlich auch eine von diesem Geschlecht. Aber um einen gehörigen Abstand, zwischen der dort und mir, möchte ich Dich schon bitten.
Mein achtenswerter Schriftsteller und Kollege hatte über die besagte Dame, seine vielgerühmte Wahrheit vielleicht ein klitzekleinwenig außer Acht gelassen. So wird es wahrscheinlich gewesen sein. Nur kann ich es immer noch nicht so recht glauben. Ganz bestimmt hat er aber wesentliche Darlegungen, vermutlich aus dem Prinzip der Sorglosigkeit, einfach verschwiegen oder gar unter dem Teppich kehren wollen.
Das ist Dir jetzt bestimmt aufgefallen, dass ich plötzlich über den Tastenklopfer, wie ich ihn auch hin und wieder geheißen habe, eine innere positivere Meinung über ihn aufgebaut haben muss. Gleichgültig stelle ich fest: All das muss unbewusst geschehen sein. Anders ist mir das auch nicht ganz klar, warum ich ihn als Kollege und überdies als achtenswert betitle. Der Grund dafür wird wohl wieder einmal in meinem Vorwärtsstreben und im Vorwärtsdenken zu suchen sein.
Was es nicht noch alles in mir aufzuspüren gäbe, wenn ich keine Vorwärtsforschende wäre, das frage ich mich auch schon unentwegt.
Offenbar kennen sich die zwei Frauen! Vielleicht sogar besser als ich jemals im Traum gedacht hätte. Die eine habe ich Dir ja bereits vorgestellt. Genau! Meine Namensschwester. Obwohl ich diese Bezeichnung eigentlich nicht für ganz richtig halte, aber falsch ist sie nun auch wieder nicht.
Man kann mir nachsagen, was man möchte. Nur eines bitte ich mir aus. Ich bin auf keinen Fall neugierig. Ich jage niemanden wie eine Gestörte hinterher oder interessiere mich für irgendwelche privaten Scharmützel. Das tue ich nicht, zumindest nicht sehr oft und wenn, auf keinen Fall so auffallend, dass mein Nachbar wieder Leserbriefe darüber schreiben muss. Ach ja, Du kennst meinen Nachbar auch noch nicht.
Davon werde ich im Laufe der Zeit noch einiges zu erzählen haben. Fürs Erste nur so viel:
Er ist verheiratet und war überhaupt nicht mein Typ, bis zu jenem Tag ... Über das werde ich auch später noch genügend Gelegenheit finden, Dir darüber ausführlich zu berichten. Seine rund hundert Kilo schwere Ehehälfte bewegt sich gefährlich wie eine Straßenwalze ohne Straße und walzt vermutlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sogar in der Öffentlichkeit, ihren zaundürren Mann noch platter, als er eh schon ist.
Ich weiß, ich habe noch eine ungute Eigenschaft, die ich Dir bis jetzt verschwiegen habe. Ich bin oftmals unkontrollierbar und sprunghaft zugleich, vor allem bei meinen Entscheidungen, wie zum Beispiel damals am Bahnhof.
Der eigentliche Ausgangspunkt war damals der Bahnhof. Genauer gesagt ungefähr einen oder zwei Meter vor dem Fahrkartenautomaten. Ob Du mir das glaubst oder nicht, bis ich in die Nähe zu diesen saublöden Automaten gekommen bin, habe ich noch keine Entscheidung getroffen, ob ich überhaupt, oder wohin ich reisen sollte. Dann schwang die vollautomatische gläserne Doppeltür auf und was glaubst Du, wer zielgenau mit respektloser Geschwindigkeit auf diesen Automaten zusteuerte, obwohl ich selbst schon kurz davor gestanden bin.
Das wirst Du wohl nicht erraten. Es war die Jeannine Laube Moser ohne Bindestrich.
Seit unserem zufälligen Treffen, damals bei der Vernissage, hatte sie sich rein äußerlich wieder verändert. Mir bereitet das ohnehin kein Kopfzerbrechen. Ich merke mir nur jene Visagen, insbesondere aber solche, die meine Aufmerksamkeit verdienen. Und sie war halt eine von diesen vielen.
Just an diesem Tag bedeckte sie ihren Schädel mit einem orangegelben, immer noch ausgefransten Kurzhaarschnitt sowie einer beinahe dreißig Zentimeter langen, marineblauen Haarsträhne, die ihr gewiss als Gesichtsfeldstörung von der Krankenkassa anerkannt werden würde. In diesem Augenblick kam mir blitzschnell der Gedanke, dass sie womöglich deswegen am rechten Auge blind war. Oder wenigstens ihren Blickwinkel dadurch einer Einschränkung unterzogen haben musste. So gesehen war diese ihre Sichtbehinderung für mich wiederum ein glücklicher Zufall. Im Abstand von einem halben Meter oder weniger konnte ich ihr eingetipptes Fahrziel erspähen. Das war ja nicht schwer. Sie musste ständig ihre Strähne mit ihrer rechten Hand aus dem Gesicht drängen, um wenigstens für Bruchteile einer Zeit einen völligen Überblick über den gut beleuchteten Bildschirm erhaschen zu können. Für mich war das Folgende reine Routine. Ich tat so, als müsste ich auch eine Fahrkarte lösen und wartete hinter ihr, bis sie ihre Fahrkarte zwischen den Fingern ihrer linken Hand festhielt.
Zum Glück sah sie mich nicht oder erkannte mich nicht oder sie wollte mich nicht erkennen. Jedenfalls wusste ich dann, wann und vor allem wohin ich gleich fahren werde. Auf der Zugfahrt beobachtete ich sie nicht. Ich bin ja nicht neugierig, das weißt Du ja inzwischen. Nur am Zielbahnhof verhielt ich mich entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten abwartend und etwas ungeduldig. Das schon. Ich wollte ja die ganze lange Fahrt nicht aus Jux und Tollerei machen.
Stell Dir das vor! Ich habe sie observiert. Schlussendlich wollte ich halt wissen, was nun weiter geschehen wird. Bitteschön das hat selbstverständlich mit ausgeprägter Neugierde nicht im Geringsten etwas zu tun. Ich hatte nur die Absicht, meinen genetisch verunstalteten Forschungseifer etwas Nahrung zukommen zu lassen. Das war alles.
Der Überraschungsmoment für mich jedenfalls fand am Bahnhofsvorplatz statt. Es war das fast gleichzeitige Zusammentreffen zwischen Jeannine Laube Moser ohne Bindestrich mit einer anderen Frau. Vielleicht war der marineblaue Haarteil ein weithin sichtbares Erkennungszeichen, weil der musste wahrscheinlich ununterbrochen vor dem rechten Auge hin und hergependelt sein. Das konnte ich allerdings nicht sehen, weil ich blöderweise einige Meter hinter meiner Mitreisenden und zwischen anderen Leuten mehr oder weniger eingekeilt gewesen bin.
Anders kann ich mir das bei bestem Willen nicht erklären. Denn diese Frau ging schnurstracks auf Jeannine Laube Moser ohne Bindestrich zu, umarmte sie leicht, Bussi links und Bussi rechts und schon war ich geschäftig nahe an die beiden herangekommen. Einige Wortfetzen konnte ich zum Glück, trotz der lauten Umgebung am Bahnhofsvorplatz, doch noch mithören.
„Hallo Cornelia ich freue mich …"
„Oh Jeannine, mein seniler Dreifuß zuhause wird Augen machen …“
Oder so ähnlich.
Die zwei Frauengestalten bewegten sich weg von mir und ich bekam dann nichts mehr von ihrem Gespräch mit. Ich drehte mich um und ließ mich wieder zwischen den herumstehenden Ankömmlingen oder Verreisenden einklemmen. Gleich darauf sah ich, wie die beiden Arm in Arm, aber immer noch in Gesprächen vertieft, zum Taxistandplatz hin schwebten und dort in die erst beste Limousine eingestiegen sind. Weg waren sie.
Wenn ich es mir recht überlege, dann passen die Zwei ganz gut zusammen. Vielleicht haben sie dieselben Interessen und gehen gemeinsam in Schönheitsfarmen shoppen oder durchwühlen dort die Angebote in den reichlich vorhandenen Ersatzteillagern. Wer weiß das schon!
Das ist boshaft von mir. Ich weiß es. Deshalb nehme ich die letzte Bemerkung wieder zurück. Obwohl ich …
Maximilian Graf erfüllte seinen Vertrag, den er einst im blumigen Doppelbett in Salzburg mit Mariella Nadja Todorova geschlossen hatte. Zunächst in vollster Zufriedenheit der Dame und das sollte doch einige Zeit anhalten. Mittlerweile dürfte er wohl mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten und eben halt auch der dazugehörenden Aufmerksamkeit, wie Außenstehende es rundweg beobachten durften, von ihr belohnt worden sein.
Mariella Nadja Todorova war damals ein paar Tage nach der Prämieren-Feier frühzeitig von Salzburg wieder nach Bulgarien abgereist. Sie musste sich angeblich dringenden Aufgaben rund um ihr Blütengartenmeer widmen. In Wahrheit dürfte sie Vorbereitungen in die Wege geleitet haben, um ihren neuen Freund und Partner standesgemäß empfangen zu können.
Es war ja absehbar, dass Maxl erst vier Monate später, und zwar am Freitag den 20. Dezember 2013, mit Sack und Pack nachkommen konnte, um im Schloss seiner Geliebten einzuziehen. Zuvor musste er ja seine Zelte in Deutschland, was immer man darunter auch verstehen mag, zumindest vorübergehend abbrechen. Das war nicht das besonders Schwierige daran, weil so riesengroße Zelte waren es dann ja auch wieder nicht.
Nach dem er hier und dort, so gut wie halt nur möglich, Ordnung in seine Geschäftssysteme gebracht hatte, stand einer Übersiedelung in das für ihn noch fremde Land nichts mehr im Wege. Seine stillen Teilhaber, eigentlich waren es mehrheitlich Teilhaberinnen, die ohnehin in halb Europa für ihn unterwegs waren, zeigten Verständnis. Die Handvoll Leute konnten ja ihren Job, auch ohne ständig von ihm überwacht werden zu müssen, mit Leichtigkeit bewältigen.
So gesehen kam der Ortswechsel für ihn gar nicht ungelegen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hatte er schon viele Male seine Bleibe verlassen. Ob nun freiwillig oder nicht, das war letztendlich auch egal. Nur dieses Mal war die Liebe mit im Spiel. Hier galt es eben auch die mitdazugehörenden Spielregeln, vielleicht auch nur dem Scheine nach, einzuhalten.
Neidvolle Beobachter würden aus einer zeitlichen Entfernung den Schluss gezogen haben, dass der Graf Maxl mehr oder weniger einen Knebelvertrag mit der Dame eingegangen ist. Ähnliche Erkenntnisse stellten sich auch bei ihm nach einigen Wochen Enthaltsamkeit von seiner Fürstin heraus. Am Ende des Tages rechnete er sich doch größere Vorteile für sich und für seine buchstäblich laufenden Geschäfte aus.
Graf Maxl verspürte im wohl vertrauten Land, wo er noch war, kaum anstrengende nervenbelastende Veränderungen bei sich. Er hatte keine Ahnung, was in seinem zukünftigen Leben in diesem wohl für ihn fremden Land anders werden sollte. Noch nicht! Später einmal wird er sich entsinnen, dass er diesen bewegenden Schritt im Hotel nur seiner ungebrochenen, allerdings auch selten genug aufbäumenden Willensstärke zu verdanken hatte.
Im Selbstbelügen war er unübertroffen.
So schickte er nicht nur einen zwölf Meter langen Container, vollgepackt mit Übersiedlungsgut mit einem Sattelzug auf die Reise, sondern auch noch drei seiner langjährigen engsten Mitarbeiter. Die drei Männer im Alter zwischen vierzig und fünfzig Jahren konnte er nur mit seiner charmanten Überredungskunst und mit einer wohlklingenden finanziell abgesicherten Zukunftsperspektive für einen radikalen Ortswechsel gewinnen.
Davon setzte er zwei seiner engsten Vertrauensleute beizeiten, selbstverständlich in Absprache mit Mariella Nadja Todorova, als Organisatoren im Blütengartenmeer ein. Dieser wichtige, geschäftsnotwenige Bereich wurde offenbar jahrelang ungewöhnlich stiefmütterlich von der Schlossherrin behandelt. Viele der schriftlichen Unterlagen fehlten einfach. Andere wiederum wurden verschlampt oder in Kartons und Schubkästen eingelegt oder gänzlich unüberschaubar, beziehungsweise keineswegs nachvollziehbar, abgeschlossen.
Die zwei von Mariella Nadja Todorova eingestellten Vorarbeiter, nämlich der Adam und der Bohdan, taten zwar mehr oder weniger ihre Pflicht am Feld, aber für Administrationsaufträge fehlte ihnen schlicht und ergreifend das Knowhow. Und diesen Part übernahm dann einer von Maxl´s Leuten, und zwar der Roberto.
In all den Jahren lasteten sämtliche, sogar die einfachsten Administrationsarbeiten, zum Beispiel die Bestellungen von Waren aller Art, die Entlohnungen sämtlicher Mitarbeiter und tausend anderer Dinge mehr, auf den keineswegs zu schmalen Schultern der Blütengartenmeerbetreiberin.
Dass sie selbst mit Schaufeln sowie mit dem Schmutz Erde, selbstverständlich auch mit den Pferden, nicht umzugehen wusste, war ja kein gravierender Beinbruch. Dafür hatte sie ja jede Menge an Arbeitskräften. Diese Leute wurden ja zu diesem Zweck angestellt, dass sie das Landgut und vor allem das Blütengartenmeer nach den Vorstellungen von Mariella Nadja Todorova gestalteten und entsprechend ausschmückten.
Mariella Nadja Todorova hatte von Anfang an wenig bis gar kein Einfühlungsvermögen im Umgang mit der Zettelwirtschaft. Ja vielleicht ein bisschen. In all den Jahren verbrauchte sie doch etliche Bleistifte und leere karierte Blöcke, um ihre Büroarbeiten einigermaßen zu erledigen. Vor den heutzutage obligaten Textverarbeitungsprozessen auf ihrem beinahe schon museumsreifen Computer hatte sie gehörigen Respekt.
Das hatte zum Glück ein Ende. Gleichzeitig aber auch einen guten Anfang.
Denn seit der Maxl bei ihr auch auf dem Gebiet das Sagen übernommen hatte und er wiederum Befehle an den Roberto weiterzugegeben pflegte, der ein wirkliches Organisationstalent war und sich in der EDV bestens auskannte, da lief der Laden wie am sprichwörtlichen roten Bindefaden.
Roberto war italienischer Abstammung. Ein Teil seiner Familie lebt ja noch in der Nähe von Casavadore, unweit von Neapel. Es ist bestimmt nicht falsch, wenn man behaupten würde, er sei ein Frauenheld. Weil er bewirkte, so quasi im Vorbeigehen, eine gewisse Anziehungs- und Ausziehungskraft auf Frauen. Das war unbestritten ein beachtenswertes Talent. Nicht nur die am Erdboden knienden oder mit Schaufel und Rechen bewaffneten Heldinnen im Blütengartenmeer hatten ein Auge oder gleich alle zwei auf ihn geworfen. Auch die schon etwas in Jahre gekommene Köchin Boryana bekommt glasige Augen, wenn sie ihm zum Beispiel ein Getränk ins Büro bringen durfte.
Sonst ist der fünfundvierzigjährige Roberto so zahm wie ein Adler, der sich auf den Beutefang konzentriert. Er ist auch nicht besonders groß, höchstens einen Meter sechzig oder fünfundsechzig. Seine dunklen schier blauschwarzen Haare, die er auch im Sommer etwas länger trägt, als der Durchschnitt der männlichen Dorfbewohner von Selinkovac, erzeugen den Eindruck, er sei sogar noch etwas kleiner. Aber das täuscht. Diese Größe schien ihm stets Vorteile, zumindest bei den Frauen, verschafft zu haben.
Seine Hände dürften augenscheinlich noch niemals schwerer körperlicher Arbeit ausgesetzt worden sein. Sie waren feingliedrig, fast schon so, wie jene der Primadonna. Überdies war er offenbar sehr intelligent und hatte angeblich in seinem Heimatland Italien mehrere Fachschulen besucht. Aber er hatte niemals einen Abschluss gemacht! Schuld waren wieder einmal die Verführungskünste der Weiblichkeit insgesamt. Unbeholfen ausgesprochene Schuldzuweisungen waren eine seiner Stärken. In lockerer Atmosphäre sprach er gelegentlich schon mit seinem Freund Graf Maxl rein vertraulich über die Belastung der Verführungen. Doch jetzt hatte er für das nächste halbe Jahr mehr als genug Arbeit, dass er für Flirts und dergleichen am Areal vom Blütengartenmeer sehr wenig bis gar keine Zeit aufwenden konnte.
So war halt Roberto!